Protokoll der Sitzung vom 14.09.2011

Es geht genau um die Frage, welche Unternehmen wir haben. Wir haben in Hessen 300.000 Niedriglöhner. Das heißt, es sind Menschen bei Unternehmen beschäftigt, und die Unternehmen zahlen ihnen nicht genug Geld, dass sie davon leben können. Diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind dann zum Teil gezwungen, obwohl sie Vollzeit arbeiten, noch aufs Amt zu gehen und Aufstocker zu sein. Solche Unternehmen möchten wir gerne nicht bei der öffentlichen Vergabe berücksichtigen.

Herr Lenders, das genau ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Sie haben heute Mittag in der Debatte zu Kassel-Calden gesagt, Ihnen – also der FDP – seien alle Unternehmen gleich lieb. So haben Sie das wörtlich gesagt. Herr Lenders, das ist natürlich nicht ganz richtig, und das wissen Sie. Sie wissen, Parteispenden erhalten die Freundschaft. Es gibt auch Unternehmen und Branchen, die der FDP ganz besonders am Herzen liegen. Dass Ihnen alle Unternehmen gleich lieb sind, daran habe ich meine Zweifel.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Lenders, ich gebe unumwunden zu, für meine Fraktion gilt das auch: Uns sind nicht alle Unternehmen gleich lieb.

(Jürgen Lenders (FDP): Das wissen wir!)

Unternehmen, die Niedriglöhne zahlen, von denen ihre Arbeitnehmer nicht leben können, Unternehmen, die auch auf Produkte aus Kinderarbeit zurückgreifen, Unternehmen, die Umwelt zerstören, Unternehmen, die keine Ausbildungsplätze schaffen, Unternehmen, die vor allem Leiharbeiter beschäftigen, sind Unternehmen, die mir nicht besonders lieb sind. Die würde ich nicht gerne durch öffentliche Aufträge auch noch stärken.

(Beifall bei der LINKEN)

Hessen braucht ein wirksames Vergabegesetz. Das ist eine Forderung der Gewerkschaften. Das ist eine Forderung der entwicklungspolitischen Gruppen. In vielen Bundesländern sind in den letzten Jahren Vergabegesetze novelliert worden. Auch in Ländern, in denen die CDU regiert, sind Vergabegesetze novelliert worden.

Wir haben aus der Anhörung gehört, dass es sehr gute Erfahrungen in diesen Ländern gibt. Wir haben auch gehört, dass es wichtig ist, einen möglichst niedrigen Schwellenwert anzusetzen, damit die meisten Aufträge auch erfasst werden. Wir haben derzeit im Hessischen Vergabegesetz einen Schwellenwert von 50.000 €. Das heißt also, faktisch werden viele Aufträge von dem derzeit gültigen Vergabegesetz überhaupt nicht erfasst, weil es einfach vollkommen unzureichend ist.

Meine Damen und Herren, das Problem ist, dass die Landesregierung, dass Schwarz-Gelb in dieser Frage einfach vollkommen untätig ist. Sie verzichten darauf, ein derartig wichtiges Instrument zu haben, um auf das Wirtschaftsleben Einfluss zu nehmen, um darauf Einfluss zu nehmen,

dass Spielregeln gesetzt werden. Das ist wieder ein Beispiel, wo Ihnen Ihre ideologische Verbohrtheit im Wege steht, Lösungen für drängende Probleme zu finden.

Das ist in der Schulpolitik Ihr Problem. Das war in der Energiepolitik Ihr Problem. Auch bei der Vergabepraxis ist es ein Problem, dass Sie Scheuklappen aufhaben und nicht an einer guten Lösung interessiert sind. Deshalb kann ich Ihnen versichern: Auch wenn Sie heute unseren guten Gesetzentwurf in dritter Lesung ablehnen werden, wir werden an dem Thema dranbleiben, denn es ist ein wichtiges Thema für Hessen. Wir brauchen ein gutes, ein wirksames Vergabegesetz. Das zeigen die Debatten der letzten Tage in diesem Hause. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Waschke für die SPD-Fraktion.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir befassen uns heute in dritter Lesung mit dem Entwurf der SPD-Landtagsfraktion für ein Mittelstandsförderungs- und Vergabegesetz und dem Gesetzentwurf der LINKEN für ein Vergabegesetz. Mit unserem Entwurf für ein Mittelstandsförderungs- und Vergabegesetz ist es gelungen, einen Ausgleich zwischen den Belangen der Betriebe und den berechtigten Interessen ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu organisieren.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wir regeln einen fairen Wettbewerb, der nicht über Lohndumping erfolgt, und tragen somit zum sozialen Frieden in unserer Gesellschaft bei. Der Kollege Lenders hat in der vergangenen Debatte beklagt, dass unsere Kriterien wie Tariftreue, Beteiligung an der Erstausbildung sowie die Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern nicht europarechtskonform und vergabefremd seien. Thüringen hat diese Kriterien übrigens mit den Stimmen der dortigen CDU-Landtagsfraktion in ein Vergabegesetz geschrieben. Beide Verkehrsverbünde in Hessen, der RMV wie der NVV, haben kürzlich angekündigt, im Rahmen der Ausschreibungen Bieter, die ihre Mitarbeiter unter Tarif entlohnen, aus den Verfahren ausschließen zu wollen. Wir als SPD-Fraktion begrüßen das ausdrücklich.

Meine Damen und Herren, so viel zum Thema vergabefremde Kriterien. Es geht doch. Warum sollten Betriebe, die ihre Mitarbeiter ordentlich bezahlen, die sich um die Erstausbildung junger Menschen kümmern und die die Chancengleichheit von Frauen und Männern fördern, nicht gegenüber denjenigen, die all das nicht tun, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge eine faire Chance bekommen?

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Acht Bundesländer haben bereits europarechtskonforme Vergabegesetze. Berlin, Bremen und Rheinland-Pfalz haben zusätzlich einen Mindestlohn in ihre Gesetze aufgenommen. Wir als SPD in Hessen schlagen einen Mindestlohn von 8,50 € vor. Baden-Württemberg, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen planen derzeit Vergabegesetze.

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört, hört!)

Meine Damen und Herren, damit hat Hessen in Deutschland fast ein Alleinstellungsmerkmal in negativem Sinne. Im Mittelstandspapier der CDU-Fraktion ist ausdrücklich nachzulesen, dass ein Gesetz, das die Vergabe öffentlicher Aufträge regelt, nicht gewünscht ist. Da frage ich mich schon, warum eine gesetzliche Regelung, übrigens auch unter der Beteiligung der CDU, in anderen Bundesländern nötig ist und verabschiedet wird, und bei uns in Hessen ist eine solche Regelung nicht gewünscht.

(Beifall bei der SPD – Dr. Thomas Spies (SPD): Die haben es nicht verstanden!)

Der angebliche bürokratische Aufwand kann es nicht sein, weil der auch auf die anderen Bundesländer zutreffen würde. Eine Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf wäre in Teilen wohl doch möglich gewesen. Das zeigt uns allein die Tatsache, dass Sie zwei wesentliche Teile aus unserem Gesetzentwurf in Ihr Mittelstandspapier übernommen haben,

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört, hört!)

zum einen die Mittelstandsverträglichkeitsklausel, mit der in Zukunft die Auswirkungen von mittelstandsrelevanten Vorschriften auf kleine und mittlere Unternehmen überprüft werden sollen. Außerdem haben Sie unseren Vorschlag zur Schaffung einer Stelle als Ansprechpartner für kleine und mittlere Unternehmen übernommen. Wir haben diese Stelle Mittelstandsbeauftragter genannt.

Allerdings – das will ich hier kritisch anmerken – fehlen in Ihrem Papier jegliche Regelungen zur Tariftreue sowie zur Einführung sozialer und ökologischer Kriterien. Selbst die ILO-Kernarbeitsnormen, die Kinderarbeit verbieten, haben Sie nicht übernommen. Die Anhörung zu unserem Gesetzentwurf hat ganz klar ergeben, dass die europäische wie die bundesdeutsche Ebene diese Vergaberechtsreform zu sozialen Mindeststandards bereits vorgenommen haben. Auch einige Bundesländer haben das getan. Hessen wird es nicht tun. Es ist auch nicht zu erkennen, dass sich CDU und FDP als die die Regierung tragenden Fraktionen auf den Weg machen und endlich – nach fast zwei Jahren – einen fortschrittlichen Gesetzentwurf vorlegen werden. Deswegen bitte ich Sie, unserem Gesetzentwurf für ein modernes und gerechtes Mittelstandsförderungs- und Vergabegesetz zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Waschke. – Nächster Redner ist Herr Kollege Lenders für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die öffentliche Hand hat als einer der größten Auftraggeber zweifellos eine Vorbildfunktion bei der Vergabe von Aufträgen. Der Sinn und Zweck einer Vergaberegelung ist aber vor allem, mit dem Geld der Bürger sparsam umzugehen. Da nicht immer die billigste Lösung auch die wirtschaftlichste Lösung ist, gibt es in der derzeit geltenden Vergabepraxis folglich die Regelung, dass das wirtschaftlichste Gebot auszuwählen ist. Der Unterschied zwischen dem billigsten und dem wirtschaftlichsten Angebot kann im Einzelfall erheblich sein.

Meine Damen und Herren, die LINKEN und in abgeschwächter Form auch die SPD versuchen dagegen, in ihren Gesetzentwürfen alle möglichen sozialen und umweltpolitischen Vorgaben gesetzlich festzuschreiben.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Ja! Gute Idee! – Zuruf der Abg. Sabine Waschke (SPD))

Es gibt aber sehr viele Gründe, warum das entweder nicht sinnvoll ist oder sogar von Nachteil für den Staat und die Unternehmen und damit auch für die Menschen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Holger Bellino (CDU))

Das Gesetz enthält z. B. viele Vorgaben, die den politischen Zielen von LINKEN, SPD und GRÜNEN entsprechen. Aber nicht jedes politische Ziel ist auch vergaberechtskonform. Viele der Vorgaben sind nicht oder nur mit sehr hohem Aufwand überprüfbar. Es fehlen nachvollziehbare Kriterien, anhand derer sie überprüft werden können.

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Das wiederum führt zu mehr Regulierung, mehr Bürokratie und erschwert die Vergabeverfahren für die Kommunen. Meine Damen und Herren, genau das hat im Übrigen der Landkreistag kritisiert. Er hat zu dem Gesetzentwurf der LINKEN gesagt: „Es ist schlicht nicht handhabbar.“

(Beifall bei der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE): Das ist in Hamburg Gesetzeslage!)

Liebe Kollegin Waschke, ich habe eben genau zugehört. Frau Wissler hat gesagt, wir hätten schon längst zu geltendem Recht kommen können, hätten wir nur Ihren Entwürfen zugestimmt.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Gute Idee!)

Ich habe bisher auch in den Ausschussberatungen keinerlei neue Argumente gehört, sondern Sie spulen immer wieder die gleichen Argumente ab, ohne dass Sie etwas Neues bringen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Janine Wissler (DIE LINKE): Sie haben nicht einmal die alten verstanden! – Dr. Thomas Spies (SPD): Wenn Sie es doch nicht verstehen!)

Liebe Kollegin Waschke, es hätte diese dritte Lesung nicht gebraucht, weil Sie keine neuen Erkenntnisse, weil Sie nichts Neues dazu beigetragen haben, dass sich bei CDU und FDP eine Notwendigkeit für diese beiden Gesetze ergeben hätte.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Frau Kollegin Waschke hat im Ausschuss gesagt, mit dem Gesetzentwurf werde der Wettbewerb nicht mehr einzig und allein über die Löhne erfolgen, was oft zu Dumpingpreisen führe.

(Sabine Waschke (SPD): So ist es! – Dr. Thomas Spies (SPD): Richtig!)

Meine Damen und Herren, auch das Bild, das Frau Wissler eben hier gezeichnet hat, hat mit der Realität bei den hessischen Unternehmen nichts zu tun. Man könnte glauben, wir leben in einer Bananenrepublik. Nichts davon ist richtig. Das Bild, das Sie gezeichnet haben, ist total verzerrt.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. Walter Ar- nold (CDU) – Janine Wissler (DIE LINKE): Wo arbeiten die 30.000 Niedriglöhner?)

Man könnte glauben, es gehe Ihnen nur darum, irgendwelche Thesen in die Welt zu setzen und mit Unterstellungen zu spielen. Meine Damen und Herren, die beiden Gesetzentwürfe sollten als mittelstandsfreundlich gelten. Sie sollten sich daher Gedanken darüber machen, dass diejenigen, für die Sie das Gesetz machen wollten, die Vertreter von Mittelstandsvereinigungen, der Industrieund Handelskammer, der Handwerkskammer, gesagt haben: „Diese Gesetze sind nicht tauglich.“

(Dr. Thomas Spies (SPD): Die finden das alle gut!)

Meine Damen und Herren, damit sind sie nicht mittelstandsfreundlich.