Protokoll der Sitzung vom 20.10.2011

d) Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU und der FDP für ein Gesetz zur Änderung der Hessischen Gemeindeordnung und anderer Gesetze – Drucks. 18/4653 zu Drucks. 18/4031 –

Hierzu: Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP – Drucks. 18/4697 –

Zu allen diesen Gesetzentwürfen hat Herr Kollege Franz das Wort als Berichterstatter. Bitte schön.

Herr Präsident, meine lieben Kollegen! Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Gesetzentwurf der Fraktion der SPD für ein Gesetz zur Stärkung der hessischen Kommunen und der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene, Drucks. 18/3006: Der Innenausschuss empfiehlt dem Plenum mit den Stimmen von CDU und FDP gegen die Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE, den Gesetzentwurf in zweiter Lesung abzulehnen.

Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP für ein Gesetz zur Änderung der Hessischen Gemeindeordnung und anderer Gesetze, Drucks. 18/4031; hierzu: Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE, Drucks. 18/4141, Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucks. 18/4478, Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucks. 18/4596, Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP, Drucks. 18/4621.

Die Beschlussempfehlung lautet: Der Innenausschuss empfiehlt dem Plenum mit den Stimmen von CDU und FDP gegen die Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE, den Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des Änderungsantrags der Fraktionen von CDU und FDP, Drucks. 18/4621, in zweiter Lesung anzunehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der SPD – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Gut gemacht!)

Herr Kollege Franz, ich bedanke mich herzlich für die Berichterstattung.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abg. Bauer für die Fraktion der CDU.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kommunalverfassung kommt eine hohe gesellschaftliche und politische Bedeutung zu. Sie gibt den Gemeinden und Landkreisen nicht nur den rechtlichen Rahmen für ihre Organisation vor und regelt ihren Status und ihre Stellung innerhalb des staatlichen Gesamtgefüges, sondern sie gestaltet auch die bürgerliche Teilhabe am kommunalen Willensbildungsprozess. Die Kommunalverfassung muss daher engagiert, aber auch behutsam den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst werden.

Dieser Gesetzentwurf ist die Umsetzung eines weiteren Bausteins der Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP. Er hat den Erhalt, die Stärkung und den Ausbau der kommunalen Selbstverwaltung sowie die Sicherung der Leistungskraft unserer Kommunen zum Ziel. Eines unserer wichtigsten Ziele ist dabei die Vereinfachung der Möglichkeit der Bürgerbeteiligung. Die bisherigen Regelungen über das Bürgerbegehren in § 8b der Hessischen Gemeindeordnung stellen zu hohe formale Anforderungen an entsprechende Initiativen. Deshalb sollen, wie in unserer Koalitionsvereinbarung verabredet, die formalen Anforderungen für Bürgerbegehren vereinfacht und die Informierung der Antragsteller verbessert werden. Es soll darüber hinaus eine nachträgliche Heilung bei Mängeln ermöglicht werden.

Die Vereinfachung der Einleitung eines Bürgerbegehrens geschieht durch die Verlängerung des Unterschriftenzeitraums von sechs auf acht Wochen. Zudem wird das Unterschriftenquorum für ein Bürgerbegehren in kreisfreien Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern von 10 % auf 3 % und in Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern auf 5 % gesenkt.

Im Bauleitplanverfahren soll zukünftig nur noch der erste Beschluss einer Gemeindevertretung, in der Regel also der Aufstellungsbeschluss, mit einem kassatorischen Bürgerbegehren angreifbar sein. Das entspricht im Übrigen auch der Praxis in vielen anderen Bundesländern.

Wichtig ist uns als CDU, dass das Abstimmungsquorum für einen Bürgerentscheid unverändert bei 25 % bleibt. Damit ist es sichergestellt, dass eine aktive Minderheit nicht über die häufig schweigende Mehrheit dominiert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Ein weiteres Ziel unserer Novellierung der Hessischen Gemeindeordnung: Wir wollen mehr interkommunale Kooperation ermöglichen, bis hin zur Erleichterung freiwilliger Zusammenschlüsse von Gemeinden oder Landkreisen. Wir wollen, dass den Gemeindevertretungen das Recht eingeräumt wird, Entscheidungen über die Fusion von Gemeinden an das Volk, also an den Souverän, zurückzugeben und ein sogenanntes Ratsbegehren durchzuführen. Somit wird es jeder Gemeinde ermöglicht, konstruktiv in die Entscheidungsprozesse einzusteigen.

Wir wollen mit der Novellierung der Hessischen Gemeindeordnung auch die Möglichkeit geben, moderne Kom

munikationsformen besser zu nutzen, die uns durch die technische Entwicklung und das Internet gegeben sind. Die Kommunen können künftig das Internet für ihre öffentlichen Bekanntmachungen verwenden und einfache E-Mails für die Kommunikation innerhalb ihrer Organe einsetzen. Die Gemeinden werden dadurch von Kosten entlastet, die ihnen durch die teilweise umfangreichen Veröffentlichungen von Bekanntmachungen in Tageszeitungen und durch die Herausgabe von Amtsblättern entstehen. Beides sind sinnvolle Schritte zum Anschluss der Verwaltungen und Gemeindeparlamente an die technischen Entwicklungen, und sie erleichtern auch den Bürgern und allen Abgeordneten den individuellen Zugriff auf eine Vielzahl von Dokumenten. Sie schonen darüber hinaus die natürlichen Ressourcen durch die Vermeidung einer Papierflut.

Durch unseren Änderungsantrag soll darüber hinaus eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen werden, um Filmund Tonaufnahmen während Gemeinderatssitzungen zu ermöglichen. Das muss im Einzelfall natürlich durch lokale Satzungen konkretisiert werden, damit auch den berechtigten Belangen des Daten- und Persönlichkeitsschutzes Rechnung getragen wird. Ich bin aber davon überzeugt, dass eine große Medienöffentlichkeit auch und gerade vor dem Hintergrund neuer digitaler Technologien eine Möglichkeit ist, Einwohner und Bürger am kommunalen Geschehen teilhaben zu lassen. Um Minderheiten zu schützen und um vertrauliche Beratungen zu ermöglichen, erfolgt eine entsprechende Entscheidung natürlich durch eine qualifizierte Mehrheit in der jeweiligen Gemeindevertretung.

Unser Ziel bei der Novellierung der Hessischen Gemeindeordnung ist auch, den Kommunen neue Formen der wirtschaftlichen Betätigung zu ermöglichen, zum einen durch die Einführung der „kommunalen Anstalt“, also einer öffentlich-rechtlichen GmbH. Dies soll, wie in anderen Bundesländern längst praktiziert, eine Balance zwischen kommunaler Steuerung und unternehmerischer Freiheit ermöglichen. Die Einführung einer solchen öffentlichen Anstalt kann in Zukunft eine praktikable Alternative zur Erfüllung von kommunalen Aufgaben in der Rechtsform eines Regie- oder Eigenbetriebs oder auch einer privatrechtlichen Gesellschaft sein. Das ist eine weitere Option, die in vielen Bundesländern erfolgreich praktiziert wird.

Nach unserer Vorstellung eröffnet die Hessische Gemeindeordnung darüber hinaus die Möglichkeit, aus Zweckverbänden auszutreten. Vielfach leisten solche Verbände eine gute Arbeit und bündeln die Gestaltungs- und die Wirtschaftskraft von Kommunen. Im Einzelfall muss es jedoch möglich sein, dass Kommunen nach einer gewissen Zeit auch wieder austreten können.

Mit einem weiteren Änderungsantrag zu § 121 HGO, den ich zunächst nur ankündige und den wir bis zur abschließenden dritten Lesung einbringen werden, wollen wir Empfehlungen des Hessischen Energiegipfels aufgreifen. Schließlich wird den Kommunen bei der Umsetzung der Energiewende eine wesentliche Rolle zukommen. Insbesondere gilt dies für die gesellschaftliche Akzeptanz eines beschleunigten Ausbaus des zukünftigen Energiemix. Hier ist es notwendig, auch mit den kommunalen Akteuren ein Einvernehmen herzustellen.

(Beifall des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Nach unseren Vorstellungen, die es bis zu der abschließenden Gesetzeslesung noch zu konkretisieren gilt, soll den Kommunen durch eine Ergänzung in der Hessischen Gemeindeordnung die Möglichkeit eröffnet werden, in einem eingeschränkten Aufgabenfeld unter Berücksichtigung klarer Kriterien in eigener Trägerschaft Energieerzeugungs- und Energieverteilungsanlagen im Bereich der erneuerbaren Energien wirtschaftlich zu betreiben.

Meine Damen und Herren, mit unserem Änderungsantrag zum Hessischen Landesplanungsgesetz wollen wir die Verwaltungspraxis der Regionalversammlungen erleichtern. Sie sollen auch künftig Entscheidungen über die Zulassung von Abweichungen von den Zielen der Regionalpläne im Einzelfall oder generell auf ihre Ausschüsse übertragen können. Aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs bestehen Zweifel, ob eine derartige Delegationsbefugnis der Regionalversammlungen besteht. Der vorliegende Änderungsantrag soll also der notwendigen Klarstellung der Rechtslage dienen. Die Ergänzung der Vorschrift stellt klar, dass die Regionalversammlungen die Entscheidungen über die Zulassungen von Abweichungen von den Zielen des Regionalplans auch auf ihre zuständigen Ausschüsse übertragen dürfen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Zusammenfassend darf ich feststellen: Diese Novelle des Kommunalrechts wappnet die hessischen Kommunen hervorragend für ihre Aufgaben. Sie ist im Interesse der Bürgerinnen und Bürger des Landes. Die Kommunen werden dadurch in die Lage versetzt, diese Interessen noch stärker wahrzunehmen. Ich bin mir sicher, dass wir mit einem weiteren Änderungsantrag auch die Forderung des Hessischen Energiegipfels betreffend § 121 HGO aufgreifen und adäquat lösen werden. Um diese Änderungen vorzubereiten und zu beraten, beantrage ich im Namen der Antragsteller eine dritte Lesung im Dezember-Plenum. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Nächste Wortmeldung, Frau Kollegin Faeser für die Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Bauer, das, was Sie gerade angekündigt haben, finde ich schon erstaunlich. Wir beschäftigen uns nämlich schon seit mehreren Monaten mit der Novellierung der HGO, nicht erst seit wenigen Wochen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Dazu muss ich schon sagen: Das bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Es ist schon erstaunlich: Am 10. Mai dieses Jahres haben Sie diesen Gesetzentwurf als Eilausfertigung eingebracht, und jetzt reden Sie davon, dass „demnächst noch etwas komme“, um es im DezemberPlenum beraten zu können. Meine Damen und Herren, das, was Sie hier vorgelegt haben, ist wirklich nur ein Reförmchen. Es enthält keinerlei zukunftsweisende Änderungen, die den Kommunen in irgendeiner Weise helfen könnten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Die mündliche Anhörung am 11. August hat einen sehr umfangreichen Änderungsbedarf ergeben. Es wäre also sehr viel Zeit gewesen, darauf entsprechend zu reagieren. CDU und FDP haben leider nur sehr kleine Änderungen vorgenommen und haben uns am 2. November einen 19seitigen Änderungsantrag zu dem eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Auch das ist erstaunlich. Trotzdem ist in der Vorlage immer noch nichts von den wirklich wichtigen Themen enthalten, auf die ich gleich zu sprechen komme.

Eines der tragenden Themen der Anhörung – Herr Kollege Bauer, das haben Sie am Ende gesagt – war die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen. Das haben Sie bis zum November völlig ignoriert. Im Gesetzentwurf oder in Ihren Änderungsanträgen findet sich kein Wort dazu.

(Beifall bei der SPD)

Da sich der Herr Innenminister ein bisschen einmischt, möchte ich sagen – das nur am Rande –: Es war erstaunlich, dass dieser Gesetzentwurf wieder einmal nicht von der Landesregierung – vom Innenministerium –, sondern von CDU und FDP stammte. Ehrlich gesagt: Seit dieser Minister im Amt ist, gibt es nur wenige Gesetzentwürfe aus dem Innenministerium. Herr Innenminister, wir warten noch auf den einen oder anderen Gesetzentwurf.

(Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren von der CDU, wir jedenfalls haben die Änderungsvorschläge aus der mündlichen Anhörung aufgegriffen. Ich komme auch gleich auf die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen zu sprechen.

Aber zunächst zur Bürgerbeteiligung: Herr Kollege Bauer hat ausgeführt, dass die Quoren beim Bürgerbegehren gesenkt werden. Das begrüßen wir ausdrücklich. Im Übrigen ist das auch in dem Gesetzentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene enthalten, den wir bereits am 02.11.2010 eingebracht haben und der heute mit beraten wird.

Aber Sie haben leider wieder einmal nur A und nicht auch B gesagt. Es hat nämlich keinen Sinn, die Quoren beim Bürgerbegehren zu senken, wenn Sie beim Bürgerentscheid – der gerade eine Entscheidung herbeiführen soll – keine Änderungen vornehmen. Dort bleibt es nämlich bei den hohen Hürden. Daher muss man leider sagen, dass es da für die Bürgerinnen und Bürger keine wirkliche Erleichterung bei der Beteiligung gegeben hat. Auch da bleiben Sie weit hinter den Erwartungen zurück.

(Beifall bei der SPD)

Sie nehmen das also leider nicht ernst. Das wurde auch sehr eindrucksvoll von Herrn Prof. Dr. Theo Schiller von der Philipps-Universität Marburg bestätigt. Auf Seite 26 des Teils 1 der Anhörungsunterlagen kann man das nachlesen.

Wir sind viel weiter gegangen. In unserem Gesetzentwurf ist auch beim Bürgerentscheid eine Senkung der Quoren enthalten. Zusätzlich haben wir nach niedersächsischem Vorbild einen Einwohnerantrag in der Kommunalverfassung verankert und eine Bürgerbefragung vorgesehen.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP))

Es ist interessant, dass ausgerechnet jetzt Herr Greilich von der FDP – der ehemaligen Bürgerrechtspartei – dazwischenruft. Bürgerbeteiligungen, die weit über das Sen

ken von Quoren hinausgehen, sind nämlich das eine. Das andere ist, ob man auch andere plebiszitäre Elemente übernimmt. Dazu ist in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nichts zu finden. Mir ist auch kein Änderungsantrag der FDP-Fraktion dazu bekannt. Man muss leider sagen, dass Sie die Bürgerinnen und Bürger auch da nicht wirklich beteiligt haben. Davon steht nichts in Ihrer Gesetzesnovelle. Bürgernahe Elemente fehlen völlig.

(Beifall bei der SPD)

Aber ich will Ihnen sagen, was ich in dem Zusammenhang sehr spannend finde: Das ist nämlich das, was die CDUFraktion als „mehr Demokratie“ bezeichnet. Ich darf aus der Pressemitteilung der CDU zur HGO vom 02.11.2011 zitieren:

Ein weiterer Beitrag für mehr Demokratie in den hessischen Gemeinden stellt die Einführung eines Misstrauensvotums dar. Bürgermeister oder Landräte, die sich des öffentlichen Vertrauens in ihre Amtsführung nicht mehr sicher sind, sollen das Recht erhalten, in der Gemeindevertretung eine Art Vertrauensfrage zu stellen.

Im Übrigen weise ich darauf hin, dass das erst nach fünf Jahren möglich sein soll, also wenn ein Bürgermeister die vollen Versorgungsansprüche hat.