Protokoll der Sitzung vom 17.11.2011

Herr Lenders, wir haben im letzten Jahr schon einmal hier gestanden und darüber diskutiert. Ich hatte den Eindruck, dass es schon damals eine gemeinsame Problemanalyse gab. Wenn man aber dann ein weiteres Jahr verstreichen lässt, ohne die Handlungsinstrumente, die man selbst zur Verfügung hat, zu nutzen, dann stimmt etwas nicht. Sie können die Zahlen nicht entkräften: 29.000 Jugendliche im Übergangssystem, weitere 2.000 Jugendliche ohne Abschluss. Sie müssen die Alleinerziehenden betrachten, die nicht in den Arbeitsmarkt kommen. Die Zahlen haben sich doch in Ihrer Regierungsphase nicht verbessert, schon gar nicht in den letzten Jahren.

(Jürgen Lenders (FDP): Wir sprechen hier vom Fachkräftemangel und nicht von Arbeitslosigkeit, das sind Arbeitslose! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Natürlich sind das Arbeitslose. Es ist ein Fachkräftepotenzial, das attestieren Sie ihnen. – Wir haben im September zusammen mit Herrn Grüttner eine Tagung in Frankfurt durchgeführt. Alle Experten haben gesagt, welche Potenziale wir haben, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen.

(Jürgen Lenders (FDP): Wir haben einen Fachkräftemangel!)

Die Experten sagen: Es werden die Jugendlichen sein, die Frauen, die Migranten. Außerdem werden es auch die Älteren sein. Natürlich ist das kein Staatsmonopol, das sagt auch niemand. Wir wollen nicht, dass der Staat alles lenkt. Das habe ich in meiner Rede auch gesagt. Wir brauchen die Unternehmen, die sich darum kümmern. Es ist aber wohlfeil in all diesen Anträgen, die Sie uns auf den Tisch schmeißen, zu sagen, wir benötigten jetzt mehr Anstrengungen. Es ist deswegen wohlfeil,

(Zuruf des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

weil Sie die Instrumente in der Hand haben, sie aber nicht wirkungsvoll und konsequent nutzen. Das ist das Problem. Aus diesem Grund gehen Ihre Appelle ungehört aus dem Fenster hinaus, solange Sie es nicht hinbekommen, dass Jugendlichen, Frauen, Migranten und Älteren der Zugang zum Arbeitsmarkt endlich erleichtert wird. Das ist genau der Punkt, den Sie nicht hören wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Das Wort hat Herr Kollege Frankenberger für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Lenders, ich glaube, Sie bauen hier einen Gegensatz auf, der nie so existiert hat. Auch wenn die Arbeitslosigkeit auf der einen Seite erfreulicherweise zurückgegangen ist,

(Zuruf des Abg. Dr. Frank Blechschmidt (FDP))

so sind 2,7 oder 2,8 Millionen Arbeitslose immer noch zu viel.

(Jürgen Lenders (FDP): 5 Millionen!)

Es ist weiterhin eine riesige Herausforderung, dass offenbar das Angebot an Arbeitskräften mit dem, was von der Wirtschaft nachgefragt wird, nicht immer übereinstimmt. Das ist eine riesige Herausforderung, die wir gemeinsam bewältigen müssen.

Ich finde es gut, dass die CDU und die FDP als Regierungsfraktionen dieses Thema im Landtag zum Setzpunkt machen. Nur muss ich Ihnen dazu sagen: Das, was Sie als Antrag eingebracht haben, ist dem Thema nicht angemessen. Meine Damen und Herren, es ist eher beschämend.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Kollege Bocklet hat darauf hingewiesen: Wir haben im September des vergangenen Jahres, auf Initiative der GRÜNEN, eine sehr engagierte Debatte über Fachkräftemangel geführt.

(Günter Schork (CDU): Richtig!)

Bei allen Unterschieden, die wir hatten, waren wir uns doch alle einig, dass das ein wichtiges Thema ist, und wir diese Herausforderung gemeinsam in den nächsten Jahren bewältigen müssen. Schon damals hatten CDU und FDP einen gemeinsamen Antrag vorgelegt, nach dem Motto: Alles in Ordnung, die Landesregierung ist bereits am arbeiten, im Grunde genommen gibt es für den grünen Antrag überhaupt keinen Anlass. – Das war damals, ein bisschen verkürzt, der Tenor.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wenn das alles so war, dann frage ich mich, warum Sie heute Ihren Antrag überhaupt noch eingebracht haben und dieses Thema als eine große Herausforderung betrachten. Sie haben doch vor gut einem Jahr erklärt: Die Landesregierung macht alles richtig. Wir wissen gar nicht, warum sich die anderen Fraktionen hier so aufregen.

(Beifall bei der SPD – Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wahrscheinlich haben sie ein Jahr lang geschlafen!)

Herr Kollege Jürgens, Sie haben vollkommen recht. Ich finde es peinlich, dass jetzt als großes Lob herausgestellt wird, dass es der Landesregierung nach gut einem Jahr gelungen ist, eine Fachkräftekommission zum Thema Fachkräftemangel auf die Beine zu stellen. – Wahrlich eine stolze Bilanz dieser Landesregierung, wenn es um ein solch wichtiges Thema geht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Günter Schork (CDU))

Sie bejubeln im Hessischen Landtag, dass die Landesregierung nach gut einem Jahr endlich handelt und zaghaft an die Arbeit geht. Das finde ich ein bisschen wenig. Sie wissen doch alle, der Fachkräftemangel ist nicht über uns gekommen wie die Marsmännchen. Er ist für uns alle seit Langem greifbar und wird uns auch in den nächsten Jahren noch beschäftigen.

Da gibt es auch gewaltige Unterschiede, unter anderem, was die Regionen betrifft. Die Situation ist, das wissen wir alle, im Ballungsraum angespannter als in anderen Teilen Hessens.

(Günter Schork (CDU): Das ist eine unbewiesene Behauptung!)

Ich habe mir die Pressemitteilungen des Ministerpräsidenten, in denen die Einrichtung dieser Fachkräftekommission angekündigt wird, angeschaut. Darin habe ich einen Satz gefunden, der mich stutzig gemacht hat. Die Landesregierung hat gleich Gelegenheit, klarzustellen, ob das so gemeint war, wie es hier steht:

Hessen soll aus sich selbst heraus den Fachkräftemangel angehen. Was in Frankfurt wichtig ist, ist im Werra-Meißner-Kreis oder im Vogelsberg kein Thema.

Herr Staatssekretär, Sie haben jetzt gleich Gelegenheit, klarzustellen, ob Sie wirklich der Auffassung sind, dass Fachkräftemangel im Vogelsberg- oder im Werra-Meißner-Kreis kein Thema ist. So hat es in der „FAZ“ gestanden. Die Schlussfolgerung, die man daraus ziehen könnte, ist: In einigen Regionen Hessens ist Fachkräftemangel kein Thema. – Dem kann man natürlich so nicht zustimmen.

Gerade Regionen, für die die demografische Entwicklung eine besondere Herausforderung darstellt, sind auf eine ausreichende Anzahl von qualifizierten Arbeitskräften angewiesen. Gut ausgebildete Menschen werden nicht nur im Ballungsraum, sondern auch für die wirtschaftliche Entwicklung in anderen Regionen dringend gebraucht.

(Beifall bei der SPD – Karlheinz Weimar (CDU): So ist es doch gar nicht gemeint! Was soll das denn?)

Da müssen wir der Abwanderung von qualifizierten Arbeitskräften mit allen Kräften entgegentreten. Sie werden auch in diesen Regionen dringend gebraucht.

Wir sind ja bescheiden, was die Erwartungen an die Landesregierung anbelangt. Wir wünschen erst einmal der Fachkräftekommission einen guten Start bei ihrer Arbeit. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse, die sie uns in einem Jahr, im Jahr 2012, vorstellen wollen. Wir sind gespannt auf die Lösungsvorschläge. Noch mehr gespannt sind wir

darauf, mit welchem Elan die Landesregierung dann darangehen wird, diese Lösungsvorschläge umzusetzen, oder ob es dann wieder ein gutes Jahr braucht, bis sie an die Arbeit geht.

Wie im Antrag angesprochen wird uns bei der Bewältigung des Fachkräftemangels – der Kollege Lenders hat auch darauf hingewiesen – nur ein Bündel von Maßnahmen helfen. Grundlage, damit diese große Aufgabe überhaupt gelingen kann, ist gute Bildung. Aber nach wie vor ist es ein bildungspolitischer Skandal, dass in Hessen viel zu viele Schüler die Schule ohne einen qualifizierten Abschluss verlassen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das können wir uns, wenn es um die wirtschaftliche Entwicklung und die Zukunftsfähigkeit unseres Landes geht, nicht leisten. Hier gehen Potenziale verloren, die wir dringend brauchen.

Meine Damen und Herren, Bildungsministerin Schavan hat nicht, um die hessische CDU zu ärgern, das Thema Abschaffung der Hauptschule auf die Tagesordnung gesetzt. Sie hat es gemacht, weil sie genau weiß, dass in der Abschaffung der Hauptschule, in der Zusammenlegung von Haupt- und Realschule, ein Schlüssel dafür liegt, um Durchlässigkeit im Bildungssystem herzustellen, damit in Zukunft mehr Schülerinnen und Schüler die Schule mit einem qualifizierten Abschluss verlassen; denn diese werden dringend gebraucht.

Es ist doch eine ganz einfache Erkenntnis, dass man mit den Bildungskonzepten von gestern die Herausforderungen von morgen nicht bewältigen kann. Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen. Neben gut ausgebildeten Absolventen des dualen Systems brauchen wir in Zukunft viele junge Menschen, die gut ausgebildet unsere Hochschulen verlassen.

Die SPD und auch andere Fraktionen weisen im Hessischen Landtag seit geraumer Zeit darauf hin, dass die hessischen Universitäten unterfinanziert sind. Genauso lange drückt sich die Hessische Landesregierung, für die Zukunftsfähigkeit der jungen Menschen mehr Geld in die Hand zu nehmen, und das mit zwei wesentlichen Argumenten. Einmal sagen Sie: Die hessischen Hochschulen hatten noch nie so viel Geld wie heute. – Wenn das so stimmt, kann ich nur sagen: Es reicht aber nicht, weil die Herausforderungen andere geworden sind.

(Beifall bei der SPD)

Das zweite Argument finde ich noch viel erschreckender. Sie sagen: Hier handelt es sich um einen vorübergehenden Berg, der in einigen Jahren an unseren Hochschulen abgebaut sein wird.

Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur sagen, dass das geradezu fahrlässig ist. Alle Experten sind sich einig, dass diese Berge nicht abgebaut sein werden, sondern dass die Studentenzahlen an den Universitäten in den nächsten Jahren gleichbleibend sein werden. Sie leben hier von dem Prinzip Hoffnung und machen sich etwas vor, wenn Sie an der Auffassung festhalten, dass sich das Problem in einigen Jahren ganz von selbst lösen würde.

(Beifall bei der SPD)

Im vorliegenden Antrag wird betont, dass ein wichtiger Beitrag zur Überwindung des Fachkräftemangels die Erhöhung des Anteils erwerbstätiger Frauen ist. Dazu gehört es, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Es wird darauf hingewiesen, dass Voraussetzung

dafür ein ausreichendes Angebot an Betreuungsplätzen ist.

Dann kann ich Sie nur fragen: Warum sorgen Sie nicht dafür, dass den Kommunen genügend Geld zur Verfügung gestellt wird, um vor Ort ausreichende U-3- und Ü-3-Betreuungsangebote vorhalten zu können? Sie lösen in diesem Punkt das, was Sie den Kommunen gegenüber schuldig sind, nicht ein, meine Damen und Herren von CDU und FDP.

Ich will nicht nur kritisieren, sondern ich will ausdrücklich loben, dass in einem Antrag von CDU und FDP im Hessischen Landtag – ich hätte mir das vor Jahren so nicht träumen lassen – von einer Stärkung der Willkommenskultur gegenüber Zuwanderern die Rede ist. Ich muss sagen, es findet ausdrücklich unsere Anerkennung, dass das so weit ist.

Herr Kollege Frankenberger, ich darf Sie bitten, zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Ich kann Ihnen da nur zurufen: herzlich willkommen in der Wirklichkeit, meine Damen und Herren von der CDU.