Es gehört aber auch dazu, dass keine Reflexe auf der anderen Seite herbeigeredet werden, dass, wenn man es mit ekelhaften und abscheulichen Straftaten zu tun hat, nicht gleich geschrien wird: Wir brauchen jetzt unbedingt die Vorratsdatenspeicherung, und damit kriegen wir das alles in den Griff. – Mitnichten, sage ich da. Wer meint, mit einer solch leichten Antwort könne er dieser komplexen Thematik entgegentreten, der irrt; denn die Tatsachen lagen auf der Hand.
1998 wurde eine Garage durchsucht; dabei fand man vier fertige Rohrbomben. Nur die Zünder haben noch gefehlt. Die Sicherheitsbehörden in Thüringen haben die Leute, die in diesem Zusammenhang tätig waren, nicht verhaftet, sie haben sie laufen lassen. Am nächsten Tag wurde kein Haftbefehl herausgegeben, die Fahndung nicht eingeleitet, weil man gedacht hat: Die kommen irgendwann schon wieder, dann holen wir sie uns. – Nein, die Leute sind abgetaucht und waren über zehn Jahre im Untergrund. Von
daher wäre auch eine Vorratsdatenspeicherung, die hier immer wieder gefordert wird, keine Lösung des Problems gewesen. Das ist zu kurz gegriffen.
Wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, ob hier immer mit dem nötigen Augenmaß und mit der nötigen Zielgerichtetheit agiert worden ist. Was wäre eigentlich gewesen, wenn die Garage, in der die Bomben gefunden wurden, einem Muslim gehört hätte? Meine Damen und Herren, in Deutschland wäre kein Stein auf dem anderen geblieben. Alle Sicherheitsbehörden wären unterwegs gewesen. Von daher kann man schon darüber diskutieren, warum nicht auch in Richtung Rechtsextremismus ermittelt worden ist und warum diese Taten erst so spät ans Licht gekommen sind und aufgeklärt wurden. Diese Frage muss man sich gefallen lassen.
Ich denke, wir sind sehr gut beraten, wenn wir uns einen Satz, der in der Entschließung des Deutschen Bundestages steht, besonders zu Herzen nehmen.
Wir sollten uns diesen Satz zu Herzen nehmen und alle, mit denen wir zu tun haben, dafür begeistern, sich im Kampf gegen den Rechtsextremismus zu engagieren. In der Entschließung des Deutschen Bundestages heißt es:
Wir stehen ein für ein Deutschland, in dem alle ohne Angst verschieden sein können und sich sicher fühlen – ein Land, in dem Freiheit und Respekt, Vielfalt und Weltoffenheit lebendig sind.
Diesen Satz sollten wir uns täglich zu Gemüte führen. Wir sollten dafür kämpfen, dass der Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland keine Chance mehr hat.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU, der SPD, der FDP und der LINKEN)
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich gleich zu Beginn festhalten: Bezüglich der beklagenswerten zehn Morde aus dem Umfeld des Rechtsextremismus habe ich bereits in der letzten Plenarwoche festgestellt, dass wir über die Taten erschüttert und entsetzt sind, dass der Rechtsterrorismus eine Schande für unser Land ist und dass diese Taten nur eine Reaktion zulassen, dass wir uns nämlich mit Abscheu von diesen Verbrechen abwenden. Wir müssen alles tun, um aufzuklären, und wir müssen dafür sorgen, dass so etwas nach Möglichkeit nie wieder passiert.
In Deutschland haben viele eine Heimat, einer aber nicht: der Extremismus, egal, ob er von rechts kommt, von links kommt oder ob es sich um islamistischen Extremismus handelt. Wir wollen ein Klima, in dem Gewalt gegen Andersdenkende, Andersgläubige oder Andersstämmige keinen Platz hat.
Deshalb setzen wir auch mit Worten Zeichen gegen den Extremismus und sorgen mit unseren Programmen und konkreten Maßnahmen für ein möglichst hohes Maß an Sicherheit, und zwar durch Information, Prävention und Sanktion. Das sind wir unseren friedliebenden Bürgern schuldig.
Das sind wir auch den Opfern schuldig. Deshalb darf man sie nicht instrumentalisieren, wie dies die LINKEN meines Erachtens tun. Sie hängen eine Liste der Opfer mit detaillierter Beschreibung des Tathergangs und mit Angabe des Ortes einem parteipolitischen Antrag an. Halten Sie das für angemessen? Wird das den Opfern gerecht? Ist das im Sinne der Angehörigen? Haben Sie diese überhaupt gefragt? Sind sie alle damit einverstanden, dass sie in eine kontroverse parteipolitische Diskussion hineingezogen werden? Ich finde es nicht in Ordnung, die persönliche Tragödie von Menschen, seien es die Opfer oder ihre Angehörigen, für eine politische Debatte zu instrumentalisieren.
Zum Inhalt des Antrags. Der Antrag der LINKEN ist unseres Erachtens abzulehnen, da er keine Beiträge zur Steigerung der inneren Sicherheit leistet. Ganz im Gegenteil, wer die Extremismusklausel aufheben will, wer V-Leute flächendeckend und komplett abziehen will, wer die Vorratsdatenspeicherung ganz abschaffen will, wer die Einführung einer zentralen Datenbank auch zur Aufspürung rechtsextremer Straftäter ablehnt, schwächt die Sicherheitsarchitektur in unserem Land.
Herr van Ooyen, bei aller berechtigten Kritik – sie war uns in weiten Teilen zu wohlfeil, zu reflexartig und überzogen – und der Notwendigkeit, aufzuklären: Wer behauptet, der Staat sei auf dem rechten Auge blind oder habe eine Sehschwäche, wer den Eindruck erweckt, man müsse endlich etwas tun, der muss beim Betrachten der Fakten schon beide Augen zudrücken. Als die Trümmer des World Trade Centers noch brannten, hatte Hessen nicht nur den islamistischen Terror im Blick, sondern hat schon lange Zeit vorher den Rechtsextremismus als Gefahrenquelle erkannt und massiv bekämpft.
Unter christdemokratischer Führung, teilweise in Begleitung der FDP, ist in Hessen mehr gegen rechte Gewalt unternommen worden als an anderen Stellen in unserer Republik, vielleicht sogar mehr als jemals zuvor.
Das Land Hessen ist gerade bei der Bekämpfung der rechten Gewalt engagiert. Ich nenne hier stellvertretend das Kompetenzzentrum Rechtsextremismus, KOREX, die Ausstiegshilfen Rechtsextremismus, IKARus, das hessische Modellprojekt – ganz neu – „Rote Linie“, Hilfe
zum Ausstieg vor dem Einstieg, und das Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus, in dem ressortübergreifend seit 2007 der Verfestigung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus entgegengewirkt wird.
Der Hessische Landtag hat sich allein in den letzten Jahren mindestens zweimal mit intensiven Anhörungen externe Erfahrungen und Einschätzungen eingeholt. So verfügt unsere Sicherheitsarchitektur über eine stabile Statik, die es aber auch erlaubt, ja sogar erfordert, sich ständig neuen Herausforderungen anzupassen.
Dies hat auch etwas mit der vorbildlichen Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz zu tun, mit wachsamen Bürgern und auch mit dem Wirken des Verfassungsschutzes in den Schulen. Dieses frühzeitige und engagierte Handeln, die Bereitschaft, die Sicherheitsarchitektur weiterzuentwickeln, hat sich ausgezahlt. Hessen ist äußerst erfolgreich im Kampf gegen den braunen Sumpf. Außer Baden-Württemberg – das muss man in einer solchen Situation auch einmal feststellen – ist kein Bundesland so erfolgreich wie wir. Hessen liegt bei der Bekämpfung rechter Straftaten in der Spitzengruppe. Die Statistik der Ländervergleiche beweist das eindrucksvoll. Wer hier und heute die Stimme gegen rechte Gewalt erhebt, wie das die LINKEN tun, und anderenorts die Abschaffung des Verfassungsschutzes propagiert, hat nicht verstanden, wie gefährlich die Rechtsextremen wirklich sind und wie man sie am besten bekämpft.
Zum Verbotsverfahren betreffend die NPD. Wir alle wollen ein Verbotsverfahren. Klar ist aber auch, dass wir diese Partei nicht unkontrolliert ihr Unwesen treiben lassen dürfen. Wir müssen wissen, was in dieser Partei passiert, nicht nur das, was nach außen sichtbar ist, sondern auch, was im Kern passiert. Vergessen wir doch nicht, dass es seit 1990 gelungen ist, zehn rechtsextremistische Vereinigungen in Hessen und in Deutschland zu verbieten. Dies wäre ohne den Einsatz von V-Leuten nicht möglich gewesen.
Hier geht es – darauf hat der eine oder andere Vorredner schon hingewiesen – immer um Sorgfalt vor Schnelligkeit. Es geht nicht darum, ob es ein Verbotsverfahren gibt, sondern darum, dass es dann erfolgreich sein muss, damit die nicht wieder jubeln können.
Natürlich müssen wir immer über Verbesserungen in unserer Sicherheitsarchitektur nachdenken. Bestehende Vorgaben für Art, Auswahl, Führung und Einsatz von V-Leuten müssen überprüft und gegebenenfalls optimiert werden. Die länderübergreifende Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden muss intensiviert werden. Eine Verbunddatei mit einer zentralen Speicherung gewaltbereiter Rechtsextremisten muss geschaffen werden, ebenso wie ein gemeinsames Terrorabwehrzentrum gegen Rechtsextremismus. Die Vorratsdatenspeicherung ist zu optimieren, und das Zusammenwirken von Verfassungsschutz und PKV kann überprüft werden.
Selbstverständlich muss es auch genügend personelle Ressourcen geben. Deshalb haben wir gerade im letzten Haushalt wieder Mittel für zehn zusätzliche Mitarbeiter beim Verfassungsschutz vorgesehen und werden die auch einsetzen.
Was wir aber nicht brauchen, wenn es um die Bekämpfung von Extremismus geht, sind Ratschläge von der Partei DIE LINKE. Sie sind uns kein guter Lehrmeister, was die freiheitliche demokratische Grundordnung betrifft.
(Beifall bei der CDU und der FDP – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Das ist ganz gewöhnlicher Kapitalismus!)
Im Ausschuss werden wir uns sicher konstruktiv mit dem Antrag der SPD-Fraktion befassen. Hier gilt es aber auch, zu überprüfen, ob es neuer Programme bedarf oder ob man, wie es viele Fachleute fordern – auch in der angesprochenen Anhörung –, die Nutzung der bestehenden Programme forciert und sie gegebenenfalls optimiert.
Wir wollen und werden alles tun, um extremistischem Gedankengut den Boden zu entziehen und den Extremismus zu bekämpfen. Wir wissen, dass sich die freiheitliche demokratische Grundordnung in den letzten 60 Jahren bewährt hat. Warum? Sie hat sich bewährt, weil es eine wehrhafte Demokratie war, in der Extreme nichts zu suchen hatten, und das war auch gut so. Wir müssen wachsam und wehrhaft bleiben; denn immer muss gelten, dass der Schutz der Menschen durch den Staat nicht von der Hautfarbe, der Religion oder der Herkunft abhängen darf.
Dafür brauchen wir die Polizei, den Verfassungsschutz und engagierte Bürger. – Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bellino hat zu Beginn seiner Ausführungen Folgendes gesagt: „Wir wollen ein Klima, in dem Gewalt gegen Andersdenkende... keinen Platz hat.“ Sie haben dann von einem „parteipolitischen Antrag“ gesprochen und damit unseren Antrag diffamiert. Sie haben von der Instrumentalisierung von Opfern gesprochen und damit unseren Antrag diffamiert, und Sie haben um 16:49 Uhr – also während der Unterbrechung dieser Plenarsitzung – eine ausführliche Presseerklärung abgegeben, aus der ich zitieren darf:
DIE LINKE lässt jegliches Anstandsgefühl vermissen, wenn sie den Tod gerade vieler junger Menschen für ihre Zwecke missbraucht. Es ist völlig unangemessen, wenn Todesopfer für die politische Debatte instrumentalisiert werden, wie dies mit dem Antrag der LINKEN geschehen ist. Die Bekämpfung des Extremismus durch eine aus einem Terrorstaat erwachsene Partei verliert so noch mehr an Glaubwürdigkeit. Schon gar nicht brauchen die Menschen Ratschläge zum Schutz unserer Verfassung von einer Partei, die mit dem Verfassungsschutz auf Kriegsfuß lebt.
Herr Bellino, ich möchte Sie bitten, dazu Stellung zu nehmen, insbesondere zu der Frage, ob Sie angesichts der Tatsache, dass wir LINKE neben den Ausländern die ersten
Opfer rechter Gewalt sind, wirklich diese Auffassung aufrechterhalten und eine Botschaft nach außen senden wollen, die ich als Stigmatisierung und als klare Aufforderung auffassen muss, mit LINKEN so umzugehen. Meine Emotionalität müssen Sie an dieser Stelle ertragen.