Protokoll der Sitzung vom 20.05.2014

Ich will auf zwei weitere wesentliche Punkte eingehen, die aus meiner Sicht dringend in einer solchen Debatte erwähnt werden müssen. Der eine Punkt ist das Freihandelsabkommen. Ich finde, in der Behandlung dieses Themas

spiegeln sich der Antiamerikanismus und der Nationalismus vieler wider.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ja, Herr van Ooyen, es ist doch für Sie eine Anerkennung, wenn ich sage, dass Sie antiamerikanisch aufgestellt sind. Das ist doch eine DNA Ihrer Partei. Wenn das nicht zur Linkspartei gehört, dann weiß ich es nicht. Das würde mich wundern.

(Beifall bei der FDP)

Ich will ausdrücklich sagen, dass ich der Bundesregierung und den dortigen Kollegen dankbar dafür bin, dass über TTIP so verhandelt wird. Was die Chancen für dieses Freihandelsabkommen betrifft, sehe ich es so, dass sich doch immer die Frage stellt – neben all den Diskussionen, die zu Recht geführt werden, das muss ich sagen; zu dem, was immer als Beispiel herausgegriffen wird, habe ich auch eine Meinung –: Welche Alternativen gibt es für uns dazu? Wie wichtig sind die USA für unseren Import und unseren Export?

Wenn wir uns die Zahlen anschauen – 60 % der von den USA global getätigten Investitionen erfolgen in Europa, 50 % des ökonomischen Outputs der USA sind in Europa zu verzeichnen, 40 % des Weltsozialproduktes werden in dieser Beziehung erwirtschaftet –, können wir doch nicht sagen, das interessiert uns nicht. Vor allem wenn wir uns hessische Unternehmen anschauen und sehen, wie wichtig für sie die Partnerschaft mit den Kollegen in den USA ist, erkennen wir, wie notwendig dort gemeinsame verbindliche Regeln sind. Deshalb ist dieses Transatlantische Handelsabkommen weiß Gott alternativlos – obwohl ich diesen Begriff nicht mag. Wir brauchen eine solche gemeinsame Vereinbarung. Sie ist nicht negativ für unser Land, sondern positiv.

Das sage ich jetzt an die Kollegen von den GRÜNEN gerichtet, die ich bei vielen Veranstaltungen erlebe und die die Diskussionen dort nach dem Motto: „Man kann auch einmal dagegen sein, man muss nicht immer für alles sein, dagegen zu sein ist ebenfalls ein Rezept“, laufen lassen: Herr Kollege Wagner, natürlich wird das erst einmal intern verhandelt. Glauben Sie denn allen Ernstes, dass es, wenn ein solches Freihandelsabkommen auf den Märkten Hessens verhandelt würde, dort Einigungsmöglichkeiten in irgendeiner Form gäbe?

Es ist der Auftrag der Politiker, so etwas intern zu verhandeln, dann Verantwortung zu übernehmen und etwas vorzulegen. Das brauchen wir. Ich kann nur sagen: Viele sind auf dem Holzweg, die das zurzeit, ähnlich wie die Linkspartei – aber auch andere machen das –, kritisieren. Das wäre der völlig falsche Weg.

(Beifall bei der FDP)

Es gibt in vielen Ländern der Europäischen Union gemeinsame Herausforderungen. Eines der großen Themen wird die Energiewende sein. An dieser Stelle will ich sagen, ich bin der festen Überzeugung, dass das ein europäisches Thema ist, kein nationales. Der deutsche Alleingang in diesem Bereich hat zu den zweithöchsten Industriestrompreisen in Europa geführt, die mittlerweile zur Folge haben, dass viele Unternehmen im Intensivenergiebereich über die Frage nachdenken, ob weiter hier investiert wird oder ob man geht. Es sind schon Unternehmen gegangen; viele halten Investitionen zurück. Das sind Unternehmen, die auch

für die Linkspartei und viele andere interessant sind, weil sie einfache Tätigkeiten in der Industrie anbieten.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Wie oft sagt er noch „Linkspartei“?)

Frau Kollegin Wissler, das sind wirklich wichtige Unternehmen. Darüber sollte man nicht lächeln, sondern die hessische Politik sollte die Verantwortung dafür übernehmen, für diese Unternehmen optimale Rahmenbedingungen zu schaffen, anstatt sie sukzessive aus dem Land zu treiben. Diese Verantwortung kann ich für uns Liberale sehen.

(Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Janine Wiss- ler (DIE LINKE))

Deshalb muss man feststellen, ein Alleingang in der Energiepolitik führt in die energiepolitische Katastrophe, nicht nur was die Preise und die Versorgungssicherheit angeht, sondern vor allem auch im Hinblick auf die Frage, wie die energiepolitischen Ziele der Energiewende wirklich zu erreichen sind. Die CO2-Bilanz dieser Energiewende ist negativ.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))

Herr Kollege von der SPD, deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass in vielen Bereichen mittlerweile nicht nur Sozialdemokraten unruhig werden. Das scheint an Ihnen vorbeigegangen zu sein; das merke ich. Aber es gibt gute Sozialdemokraten, die bei diesem Thema unruhig werden.

Es gibt jedoch auch viele europäische Nachbarländer, in denen die Menschen nur noch den Kopf darüber schütteln, dass die Deutschen wieder alles besser wissen, nicht nur in den Bereichen, über die wir sonst diskutieren, sondern auch bei der Energiewende, und den Menschen in Europa erklären wollen, nur dieser Weg mache sie glücklich.

(Timon Gremmels (SPD): Abwarten!)

Herr Kollege Gremmels, wir wollen nicht abwarten. Wir wollen auf die Gefahren hinweisen, und wir wollen, dass dieser Unsinn nicht weiterverfolgt wird.

(Beifall bei der FDP)

Mittlerweile verursacht nämlich das, was passiert, irreparable Schäden an der deutschen Volkswirtschaft. Es wäre eine Katastrophe, wenn das so weiterginge.

(Beifall bei der FDP)

In diese Diskussion können Sie die Ökodesign-Richtlinie genauso integrieren wie viele andere Punkte, die aus meiner Sicht zu erwähnen sind, wenn wir über Fehlentwicklungen auf der europäischen Ebene sprechen.

Lassen Sie mich zum Fazit kommen: Ich glaube, dass wir Hessen in den letzten Jahren erheblich von der Europäischen Union profitiert haben und dass wir alle, auch außerhalb des Europawahlkampfes, dringend aufgefordert sind, mehr Werbung für die europäische Idee zu machen, und zwar nicht nur zu einer Zeit, in der Regierungserklärungen in einem Landtag gehalten werden.

Ich glaube, dass der Landtag, d. h. wirklich alle Fraktionen, versuchen muss, neben dem Hessenfest – die Kollegen in unserer Landesvertretung in Brüssel machen das hervorragend; das will ich ausdrücklich sagen – eine noch stärkere Präsenz in Brüssel zu zeigen, um den Kollegen klarzumachen, es gibt auch noch Länder. Viele europäische Parlamentarier sind nämlich überrascht, zu erfahren, dass es die Regionen, über die man immer spricht, wirklich

gibt. Ja, es gibt Regionen. Wir machen hier auch eine ganz ordentliche Arbeit. Es ist richtig, die Kollegen in Brüssel und in Straßburg damit zu konfrontieren, auch mit den Problemen, über die wir diskutieren. Das ist eine Bringschuld, die wir als hessische Parlamentarier haben.

Aber ich will zum Schluss ausdrücklich sagen: Ich hoffe, dass bei dieser Wahl die Menschen nicht denjenigen auf den Leim gehen, die in ihren Botschaften vermeintlich einfache Rezepte präsentieren. Die europäische Idee hat an vielen Stellen definitiv Veränderungsbedarf. Aber es darf niemals der Eindruck erweckt werden, dass das, was in den letzten Jahren hier entstanden ist, den Menschen geschadet hat. Im Gegenteil, das, was wir gemeinsam auf den verschiedenen Ebenen erreicht haben, war für viele Menschen in Europa eine Friedenssicherung und eine Wohlstandssicherung, und es war vor allen Dingen der Versuch, Grenzen zu überwinden. An diesem Punkt sollten wir definitiv weitermachen. Das sollte auch von allen Demokraten im Hessischen Landtag unterstützt werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Danke, Herr Rentsch. Herr Rentsch, schenken Sie mir noch einmal kurz Ihre Aufmerksamkeit: Ich möchte Sie daran erinnern, dass das von Ihnen zu Beginn Ihrer Rede gebrauchte Wort „Blödsinn“ in diesem Haus als unparlamentarisch betrachtet wird. Um der Internationalität dieser Debatte gerecht zu werden, sage ich: „just for future notice“.

Als Nächster hat sich Herr Boddenberg, Vorsitzender der CDU-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Jetzt gerate ich natürlich insofern in Schwierigkeiten, als dass ich bei dieser Bemerkung des Kollegen Rentsch einen Zwischenruf getätigt habe, der seine Aussage bestätigt hat. Der Präsident wird jetzt überlegen, wie er mit dieser Bemerkung umgeht.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Am besten rügen!)

Ich will mich zunächst ausdrücklich für diese sehr notwendige Debatte bedanken – nicht nur, weil wir in wenigen Tagen eine für Europa und die ganze Welt wichtige Wahl in der Europäischen Union haben, sondern weil wir diesen Diskussionsprozess um die weitere Entwicklung der Europäischen Union auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit führen müssen.

Der Kollege Rentsch hat völlig zu Recht darauf hingewiesen – ich will ganz zum Schluss meiner Rede noch einmal darauf kommen –, dass wir tatsächlich eine Debatte darüber führen müssen, was eigentlich unsere Vorstellung eines Europas in 20 oder 30 Jahren ist. Ich will aber den Satz vorwegschicken, dass ich es für falsch halten würde, wenn wir mit aller Macht Termine setzten, um zu sagen: Dann sind wir so weit, ein Bild von Europa auch mit Blick auf die konstitutive Seite zu haben. – Vielmehr ist es ein permanenter und immer wieder auch von aktuellen politischen Ereignissen getragener Prozess, der nichtsdestotrotz intensiv geführt werden muss und sicher auch manche Auseinandersetzung mit sich bringen wird.

Mit Blick auf den kommenden Sonntag ist angesprochen worden, dass wir einige Sorgenfalten haben. In Deutschland ist das beispielsweise die auch nach den jetzigen Prognosen immer wieder befürchtete relativ geringe Wahlbeteiligung. Das ist aber auch die allgemeine Skepsis in vielen Umfragen. Daran beteiligen sich ja nahezu alle Printund elektronischen Medien, nämlich an der Verbreitung dieser vielen kleineren Teilen von Europapolitik. Frau Kollegin Puttrich und andere haben die vielen Banalitäten genannt, z. B. die Gurke oder die Banane, die dort thematisiert werden. Das führt am Ende dazu, dass diejenigen, die sich nicht tagtäglich mit den historischen Dimensionen dieser Frage befassen, am Ende glauben, dass die Bedeutung Europas auf solche Banalitäten reduziert werden könne. Das wiederum ist häufig genug ein Teil der Gründe dafür, dass wir in nahezu allen Mitgliedstaaten rechts- wie linkspopulistische Parteien haben, die diese Spielbälle aufnehmen, um daraus billigste Polemik zu produzieren und dann zu einer hohen Frustration mit Blick auf Europa zu führen, aktiv dazu beizutragen und am Ende genau das als Signal und Zeichen dafür zu nehmen, dass die Menschen dieses Europa nicht wollen, welches sie selbst fälschlicherweise auf solche Banalitäten reduziert haben.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ob das der Front National, die Linksextremen in Griechenland oder die United Kingdom Independence Party ist, die in den Umfragen in Großbritannien mittlerweile ganz vorn steht, oder aber die kleineren, schon traditionell europaskeptischen Parteien wie beispielsweise die FPÖ: Ja, ich glaube – und da haben Sie völlig recht, Herr Schäfer-Gümbel –, dass wir uns mit diesen Parteien, auch der AfD, intensiv auseinandersetzen müssen. Diese Auseinandersetzung führen wir, aber wir führen sie bitte nicht so einseitig, dass wir alle diejenigen, die dort möglicherweise ein Kreuz machen wollen, von vornherein stigmatisieren.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Nein, darum geht es auch nicht!)

Viele sind diesen Polemiken auf den Leim gegangen, und deswegen müssen wir ohne Schaum vorm Mund darüber reden – aber dort, wo es notwendig ist, auch mit klarer Kante und Ansage.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Thorsten Schä- fer-Gümbel (SPD))

Was sind die wahren Ursachen dafür? Natürlich ist die hinter uns liegende und vielleicht auch noch nicht tatsächlich bewältigte Wirtschaftskrise einer der wesentlichen Gründe dafür, dass man größeren Gebilden im Allgemeinen zunehmend misstraut. Wenn ich mir in Umfragen die Akzeptanz anschaue, die die Deutsche Bundesbank über Jahrzehnte hatte, und dann schaue, wie es heute mit der EZB aussieht, erschrickt man, dass die Akzeptanz dort europaweit dramatisch unterhalb derer liegt, die wir in unserem Land über viele Jahre erfreulicherweise gegenüber der Deutschen Bundesbank feststellen konnten.

Wenn man sich die Frage stellt, wie das denn kommt, wo doch die Politik der EZB eigentlich eine ist, die gerade den Problemländern hilft, über die wir seit Jahren reden, dann stellt man fest, dass die tatsächliche Politik und das, was konkret passiert, und die Stimmungslagen, die dort auf der anderen Seite erzeugt werden – durch wen oder durch welche Ereignisse auch immer –, nicht immer übereinstimmen. Wenn man im ganz großen statistischen Mittel einen Europäer fragt, ob er die EU eigentlich für gut, gerecht und

ein erstrebenswertes Gebilde hält, sagen Mehrheiten schon noch Ja. Aber wenn Sie fragen, wie es ihm selbst in der EU geht, bis hin nach Griechenland oder Spanien, dann werden Sie deutlich höhere Zustimmungswerte bei der Frage haben, ob es ihm eher schlecht geht. Das heißt, auch hier ist eine allgemein negativere Stimmungslage zu verzeichnen – wie wir das übrigens auch in Deutschland bei vielen Umfragen erleben –, als wenn man den Einzelnen konkret fragt, was dieses Europa für ihn persönlich bedeutet.

Deswegen müssen wir daran arbeiten, dass mit der allgemeinen Stimmungslage am Ende dieser Wirtschaftskrise, nämlich dass es gegen ein Primat der Politik ein Primat der Märkte gibt, aufgeräumt wird. Ich gehöre nach wie vor zu denen, die behaupten und dies auch belegen können, dass die Politik sehr wohl und sehr restriktiv dieses Primat der Märkte reguliert hat; sicherlich noch mit einer ganzen Reihe weiterer Notwendigkeiten an zusätzlicher Regulierung, aber immerhin so, dass wir heute feststellen können, dass die europäische Welt wie auch die Stabilität unserer Währung, die auch in sozialpolitischer Hinsicht ein hohes Gut darstellt, sehr viel stabiler geworden ist, als das noch vor fünf oder sechs Jahren und erst recht vor Ausbruch der Krise der Fall war. Dort kannten wir die Volatilität, wir kannten die Risiken, die Spekulationsblasen überhaupt nicht, die seinerzeit durch Ereignisse in den Vereinigten Staaten von Amerika zum Tragen gekommen sind und eine ganze Reihe von Antworten der nationalen und der europäischen Politik gefunden haben, die zwar noch nicht zu Ende sind, aber angesichts derer wir sagen können, dass die Behauptung, wir hätten einfach zugeschaut, und die Exzesse der Banken würden weiter fröhliche Urstände feiern, wahrlich unsinnig ist. Es sind genau die Projektionen in dieser Politik, die rechts- wie linkspopulistische Parteien immer wieder vortragen, um Europafrustration statt Europabegeisterung zu verbreiten.

(Beifall bei der CDU – Janine Wissler (DIE LIN- KE): Was macht eigentlich der Wahlkampf der CSU mit dem Slogan „Wer betrügt, der fliegt“?)

Ja, es gibt Ängste vor der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Ich erinnere an die Debatten vor elf Jahren, als die zehn osteuropäischen Länder dazugekommen sind. Ich erinnere an die Debatten um Rumänien und Bulgarien. Auch dort sind Ängste geschürt worden und – durchaus zu Recht – Hinweise darauf erfolgt, dass diese unterschiedlichen Sozialund Lohnstrukturen natürlich zu Verwerfungen führen könnten, wenn diese auf einmal unkontrolliert aufeinanderprallen.

Aber all das, was seinerzeit an Horrorszenarien verbreitet worden ist, ist nicht eingetreten. Im Gegenteil: Frau Kollegin Puttrich hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass wir einmal darüber reden könnten, dass hervorragende Fachkräfte gerade aus Südosteuropa hierher kommen – die Ärzte sind als Beispiel genannt worden –, um da und dort auch ein deutsches Problem zu lösen, nämlich das des Fachkräftemangels.

Lieber Florian Rentsch, wenn ich bei einem Thema wirklich zustimme, ist es dieses in Zahlen leider noch recht bescheidene Beispiel dafür, dass Europa mehr als nur Ökonomie und Währungsunion ist. Ich meine das von Ihnen genannte Beispiel bezüglich der Partnerschaft Hessens mit der Region Madrid, von der ich hoffe, dass es eines Tages das Zehn- und Fünfzigfache an Persönlichkeiten betrifft, denen wir dort eine Chance geben. Das ist dann doch ein Beispiel dafür, dass Europa etwas sehr Emotionales, etwas

sehr Reales ist, das sehr zum Vorteil des Einzelnen ist. Ich finde, darüber sollten wir viel, viel häufiger reden als darüber, dass wir nach wie vor auch eine Reihe von Problemen haben, die wir selbstverständlich angehen und bewältigen müssen.