Warum gibt es also keine bildungspolitische Regierungserklärung? – Vielleicht, weil es an den hessischen Schulen gar nicht so gut läuft, wie es hier immer dargestellt wird. Vielleicht, weil derzeit Wahlkampf ist und Ihrerseits kein Interesse an einer kritischen Debatte besteht. Darauf könnte man jedenfalls kommen.
Herr Lorz, Sie sind oberster Schirmherr der hessischen Schulen, der hessischen Schülerinnen und Schüler und aller hessischen Lehrkräfte. Warum ducken Sie sich weg? – Es läuft nicht gut in Hessens Bildungswesen. Meine Damen und Herren der Koalition, von Ihrem Allzeithoch kann keine Rede sein. Im Gegensatz zu dem, was Sie immer darstellen, gibt es einen Lehrkräftemangel, es gibt marode Schulgebäude, einen stagnierenden Ganztagsschulausbau, und bei der Inklusion fehlt der Wille, sie flächendeckend und verbindlich umzusetzen.
Diese Probleme äußern sich in den vielen Brandbriefen, die Sie, Herr Lorz, seit Monaten erhalten und die Sie bisher allesamt ignoriert haben. Die Probleme äußern sich auch in der Schließung kleiner Schulen. Erst in der letzten Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses erklärten Sie, Herr Lorz, Grundschulen mit über 13 Schülern würden nicht geschlossen. Jetzt gibt es doch eine Schulschließung, die Grundschule in Waldeck. Das, obwohl dort mehr als 20 Kinder, mit Flüchtlingskindern vielleicht sogar 30 Kinder, unterrichtet werden können.
Ganz unlogisch ist, dass die Schule erst kürzlich saniert und modernisiert wurde, und jetzt wird sie geschlossen. Vehement protestieren Eltern und Kinder und die Lehrerinnen und Lehrer gegen die Schließung ihrer Schule und suchen nach Lösungen, wie ihre Schule erhalten werden kann. Ich begrüße auch heute sehr herzlich eine Delegation der betroffenen Eltern aus Waldeck.
Eigentlich wären aktive Eltern und engagierte Schulen, auch kleine, sehr wünschenswert. Was könnte uns Besseres passieren, als dass wohnortnah und inklusiv unterrichtet wird? Wie reagiert der oberste Dienstherr? – Auch hier: gar nicht. Auch hier wird vom Kultusministerium die bewährte Taktik gefahren: wegducken und schönreden. Die Taktik der schwarz-grünen Landesregierung, wenn Probleme nicht an die Öffentlichkeit kommen sollen, ist: wegducken und schönreden.
Im Falle Waldecks könnte man eigentlich von Augenwischerei sprechen. Oder wie sind Ihre Aussagen zum Bestand kleiner Schulen im Kulturpolitischen Ausschuss zu werten, Herr Lorz?
Nein, meine Damen und Herren, wir lassen es Ihnen nicht durchgehen, sich wegzuducken. Sie haben die verfehlte Schulpolitik der vergangenen Jahre zu verantworten.
Augenwischerei kam in den letzten Jahren öfter vor. Da war das Märchen der demografischen Rendite, mit der Sie jahrelang die Kürzungen von Lehrerstellen begründet haben und die von der Opposition immer schon als Ausflucht entlarvt worden ist. Jetzt fehlen gut ausgebildete Lehrerkräfte an allen Ecken und Enden. Es fehlen nicht nur Lehrerinnen und Lehrer, es fehlen pädagogische Fachkräfte in der Schulsozialarbeit, es fehlen Schulpsychologinnen und Schulpsychologen. Wie wollen Sie denn Inklusion umsetzen, wenn nicht ausreichend Fachkräfte für inklusiven Unterricht und multiprofessionelle Teams zur Verfügung stehen? Dass dies unverzichtbar ist, das haben nicht zuletzt die Expertinnen und Experten in der Enquetekommission „Kein Kind zurücklassen“ deutlich gemacht.
Personell muss deshalb sofort umgesteuert werden: bei den Einstellungen, bei der Ausbildung, bei der Weiterbildung. Außerdem muss der Lehrerberuf aufgewertet werden.
Augenwischerei ist auch die halbherzige Umsetzung der schulischen Inklusion in Hessen. Um langfristig für qualitativ hochwertigen und inklusiven Unterricht zu sorgen, um langfristig zu gewährleisten, dass individuelle Förderung nicht nur propagiert, sondern auch umgesetzt wird, sind Doppelbesetzungen in den Klassen unabdingbar, zumindest, wenn man es mit der Inklusion ernst meint und sie nicht scheitern lassen will.
Statt sich Gedanken zu machen, wie man die guten Ansätze des gemeinsamen Unterrichts ausbaut, werden nun inklusive Schulbündnisse geschaffen. Die Folge ist: Innerhalb eines solchen Bündnisses werden dann unweigerlich Schwerpunktschulen gebildet. Das heißt, Kinder mit Beeinträchtigungen werden nicht wohnortnah und nicht inklusiv an ihrer zuständigen Grundschule unterrichtet – das sieht man auch in Waldeck –, sondern sie werden quer durch die Region befördert, um an einer Schwerpunktschule gemeinsam mit anderen beeinträchtigten Kindern beschult zu werden. Das ist nicht Inklusion, das ist das genaue Gegenteil.
Die FDP hat es in ihrem Antrag deutlich gemacht: Die Ressourcen reichen vorne und hinten nicht aus. Inklusion, die ihren Namen verdient, ist nicht mit einem Sparprogramm zu haben. Wir haben die Anforderungen in unserem Antrag konkretisiert:
Wir brauchen pädagogisch untermauerten Ganztagsschulunterricht und keine Mogelpackung, in der es nur um eine Nachmittagsbetreuung geht.
Wir fordern, wie auch die Bertelsmann Stiftung seit Langem, einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz.
Wir fordern eine Aufwertung des Lehrerberufs besonders an den Grundschulen. Ignoranz gegenüber den Schwierig
keiten und Belastungen der Lehrerinnen und Lehrer hilft da überhaupt weiter – das wertet den Lehrerberuf immer nur noch weiter ab –, genauso wie die sture Weigerung, das Grundschullehramt endlich gerecht und fair zu bezahlen. Das steht noch aus. Dafür wären etwa 70 Millionen € jährlich nötig. So viel sollte Ihnen die Bildung wert sein, meine Damen und Herren. Heute Morgen wurde schon darüber diskutiert, dass andere Länder es anders machen.
Es reicht auch nicht, wenn man, wie der Kollege Schwarz, stetig wiederholt, Hessen sei das Bildungsland Nummer eins mit den besten Bedingungen.
Wenn Sie das mit einem Funken Glaubwürdigkeit unterlegen wollen, Herr Kollege Schwarz, dann müssen Sie auch etwas dafür tun, dass Hessen das Bildungsland Nummer eins mit den besten Bedingungen wird.
Statt der andauernden Wiederholungen wären Taten angebracht. Wenn der Istzustand der beste Zustand ist, den hessische Schulen erreichen können, dann gute Nacht, hessisches Bildungswesen.
Stagnation und Ignoranz der Problemfelder werden Ihnen auch nicht nur von der Opposition vorgeworfen, meine Damen und Herren. Nein, erst letzte Woche bestätigte die heute schon öfter genannte Bertelsmann Stiftung, dass das Bildungssystem in Hessen seit Jahren keine Fortschritte mache.
Es tut mir leid, dies zum Schluss noch sagen zu müssen, Herr Greilich, aber es macht ja ganz offensichtlich keinen Unterschied, ob der Koalitionspartner FDP oder BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heißt:
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will mich zunächst bei der FDP-Fraktion ausdrücklich dafür bedanken, dass sie für die Möglichkeit gesorgt hat, in dieser Plenarwoche und zum Schuljahresbeginn über die Themen Schule und Bildung zu sprechen.
Wenn ausgerechnet die hessische CDU, Traditionsbewahrer Nummer eins in diesem Land, von der Tradition abweicht, in der ersten Plenarwoche nach den Sommerferien eine Regierungserklärung zum Thema Schuljahresbeginn abzugeben, dann muss es dafür schon einen gewichtigen Grund geben; da schließe ich mich dem Kollegen Greilich an. Das Thema Mobilität hat es gestern wirklich nicht hergegeben. Da scheint doch wohl anderes im Busch zu sein.
Möglicherweise liegt es an der Berichterstattung zu Beginn des Schuljahres gleich nach der Presserklärung des Kultusministers. Ich will nicht sagen, dass es heute eine Bankrotterklärung geworden wäre; aber auf jeden Fall hat es wohl seinen Sinn, dass Sie kurz vor der Bundestagswahl nicht über Schule reden wollen. Deswegen nochmals mein Dank, dass wir das heute an dieser Stelle tun können, meine Damen und Herren.
Ich will nicht so viel nach hinten schauen, sondern vor allem nach vorne. Das drängendste Problem in der Schulpolitik in Hessen ist nun einmal der Lehrermangel, auch in der Konsequenz. Dies hat Einfluss auf viele große Themen, über die wir sehr häufig diskutieren, ob es die inklusive Beschulung ist, der Ganztagsunterricht, der Unterricht durch Seiteneinsteiger oder auch der Sozialindex. Für all das braucht es ausreichend Lehrkräfte. Solange die nicht da sind, haben wir hier einige Probleme.
Ich will ausdrücklich sagen: Es geht hier nicht nur um die 100 nicht besetzten Stellen an unseren Grundschulen. Es sind ja nur deshalb nur 100, weil Sie schon viele Pensionäre und angehende Pensionäre förmlich angefleht haben, zurückzukommen, weiterzumachen, damit der Lehrermangel an unseren Grundschulen nicht ganz so eklatant ist.