Protokoll der Sitzung vom 30.08.2017

Ich will ausdrücklich sagen: Es geht hier nicht nur um die 100 nicht besetzten Stellen an unseren Grundschulen. Es sind ja nur deshalb nur 100, weil Sie schon viele Pensionäre und angehende Pensionäre förmlich angefleht haben, zurückzukommen, weiterzumachen, damit der Lehrermangel an unseren Grundschulen nicht ganz so eklatant ist.

Das Ganze haben Sie weiterhin durch ein Weiterbildungsprogramm abgefedert, das aber leider nur zum Teil nachgefragt wurde, auch im Grundschulbereich. Das hat auch etwas mit der Arbeitsbelastung zu tun; das haben wir schon angesprochen. Leider wurden unsere Vorschläge dazu abgelehnt.

Es geht nicht nur um Grundschulen, es geht genauso um Förderschulen. Gerade für den Bereich geistige Entwicklung sind Weiterbildungsprogramme ausdrücklich nicht vorgesehen. Auch dort sind Stellen offen und nicht besetzt.

Es geht ebenso um berufliche Schulen; ich will zwei Beispiele herausgreifen. Ich nenne zum einen die Feldbergschule in Oberursel, Klasse 11, Oberstufe. Da hat man momentan ohnehin nur zwei Schultage, der Rest ist gerade Praxis. Bis zu den Herbstferien fällt der Mathematikunterricht in dieser Klasse komplett aus. – So viel zu unserer rosaroten schönen Welt von Schwarz-Grün, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD – Günter Rudolph (SPD): Einzelfall!)

Bei meinem anderen Beispiel will ich auf die Fragestunde von gestern rekurrieren; vielleicht erinnert sich manch einer. Ich hatte nach einer dubiosen Abfrage an beruflichen Schulen zum Thema „Medizinische Fachangestellte“ gefragt. Ich möchte mich ausdrücklich bei dem Minister bedanken, dass mir die Antwort gleich zugänglich gemacht wurde. Allerdings kann man dort lesen – Herr Minister Lorz, wenn das schon so ist, erlauben Sie mir, dass ich es

auch anspreche –, dass in den Lernfeldern 1 bis 5 und 7 bis zur Zwischenprüfung bei den Medizinischen Fachangestellten im Schulamtsbereich Bergstraße/Odenwaldkreis 24,28 % Unterricht ausgefallen sind, im Schulamtsbereich Kreis und Stadt Offenbach 30,4 % und im Main-KinzigKreis 32 %.

(Günter Rudolph (SPD): Einzelfälle!)

Das sind Zahlen, die nicht zur rosaroten schönen Welt von Schwarz-Grün passen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dass gerade der Main-Kinzig-Kreis und Offenbach zu den Spitzenreitern bei der Durchfallquote der Zwischenprüfung gehören, lasse ich mal dahingestellt; das werde ich nicht weiter kommentieren. Aber auch hier muss man sagen: Schulqualität sieht sicherlich anders aus.

Zurück zum Lehrermangel. Der Lehrermangel besteht auch an Haupt- und Realschulen sowie in bestimmten Fächern an Gymnasien. Auch da wird der Bedarf deutlich nicht gedeckt. Das wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen, weil – das konnten wir der Bertelsmann-Studie entnehmen – der Zuwachs, der jetzt in den Grundschulen stattfindet, natürlich weitergehen wird. Das heißt, auch da wird es höhere Bedarfe geben, meine Damen und Herren.

Ich will aber auch anerkennend sagen: Es ist gut, dass die Landesregierung inzwischen mit den lehrerbildenden Hochschulen vereinbart hat, dass mehr Kapazitäten geschaffen werden. Ich persönlich bin der Meinung, auch das wird noch nicht reichen. Herr Kultusminister Lorz, es ist viel zu spät. Wir haben hier schon im April 2016 zumindest für den Bereich der Förderschulen einen Antrag eingebracht, dass die Landesregierung zeitnah mit den Universitäten reden möge, wie man mehr Kapazitäten schaffen könne. Dieser Antrag wurde damals von Schwarz-Grün abgelehnt.

(Günter Rudolph (SPD): Ach? – Zuruf des Abg. Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich erinnere mich sehr gut, Herr Kollege May, wie wir im Rahmen der Regierungserklärung im letzten September hier im Plenum auf den Lehrermangel hingewiesen haben. Ich weiß noch genau, wie der Kollege Wagner sagte, das seien Einzelfälle, oder an einzelnen Stellen fehlten Stellen, hier und da müsse sich noch etwas einrütteln, so wurde es gesagt. – Meine Damen und Herren, wir haben Sie letztes Jahr gewarnt, Sie wollten es nicht wahrhaben, Sie waren nicht bereit, der Wahrheit ins Auge zu schauen. Jetzt müssen wir den Konsequenzen ins Auge sehen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Gabriele Faul- haber (DIE LINKE))

Ich will noch einmal zur Frage der Prozentrechnungen kommen, Herr Kultusminister Lorz. Das haben Sie in Ihrer Pressekonferenz alles schönzureden versucht, in Bezug auf die 100 fehlenden Personen an Grundschulen mache das nur 1 % aller Stellen an Grundschulen aus. – Erstens kann man keine Lehrkraft in Stücke schneiden und in Prozente verteilen – wenn eine Lehrkraft fehlt, fehlt sie ganz. Das gilt gerade an Schulen mit kleineren Kollegien. Zweitens, ich will es einmal zuspitzen, wenn ich zum Kollegen Holschuh schaue: Im Odenwaldkreis gibt es die kleinste Grundschule Hessens, der Kultusminister war dort zur Einschulung. Das dortige Kollegium besteht aus 1,7 Personen.

Wenn dort jemand fehlt oder krank wird, fehlen mehr als 50 %. Das ist einfach ein Problem. Da kann man nur sagen: Hoffentlich wird niemand krank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der FDP)

Das Schuljahr hat gerade erst angefangen, und ich glaube, die Erfahrung zeigt – diejenigen, die mit Schule mehr zu tun haben, wissen das –, dass es durchaus sein kann, dass durch Krankheit oder in anderen Zusammenhängen Lehrkräfte auch einmal ausscheiden oder einstweilen nicht arbeiten können.

Machen wir weiter mit den Superlativen der Regierungsfraktionen. Sie haben einen Antrag vorgelegt, der absolut nicht reflektiert, dass es Schwierigkeiten gibt. Da reden Sie wieder viel von Stellen, die geschaffen wurden. Es werden noch einige Vertreter der Regierungsfraktionen bzw. der Minister nach mir sprechen, deswegen sagen Sie doch einmal etwas dazu: Sind alle diese Stellen besetzt, sind sie überhaupt alle ausgeschrieben? Sind die Seiteneinsteiger wirklich alle ins Verfahren gekommen, oder was ist damit?

Ich sage das deswegen, weil es nicht um die 100 Stellen geht, die gar nicht besetzt sind, sondern es geht um die 6.000, von denen Sie uns bisher gar nicht sagen konnten, wer da eigentlich an unseren Schulen unterrichtet, Herr Minister. Es geht um die 5.500, die weder ein Lehramt noch eine Lehrbefähigung haben, sondern lediglich eine Unterrichtserlaubnis, und um 500, die Sie als „ohne Angabe“ bezeichnet haben. Ich glaube, die Öffentlichkeit, Schüler und Lehrer haben ein Recht darauf, zu erfahren, wer diese 6.000 Personen sind, die unsere Schülerinnen und Schüler unterrichten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wenn Sie es heute nicht sagen können: Wir haben auch einen Berichtsantrag dazu eingebracht. Ich bin mir sicher und erwarte, dass entsprechende Daten geliefert werden. Es geht hier um einen nicht geringen Anteil.

Ich habe Verständnis dafür, wenn gerade an beruflichen Schulen im Bereich der Berufsausbildung Experten aus der Praxis dabei sind. Aber es geht hier ausdrücklich auch um den allgemeinbildenden Bereich, um Grundschulen und um weiterführende Schulen. Wenn es dann noch der Geophysiker ist oder der Physikprofessor, der in seinem Fach unterrichtet, das er zumindest einmal wissenschaftlich studiert hat, mag das noch in Ordnung sein. Wenn es aber Studierende sind, die keinen Abschluss haben, oder sogar ehemalige Lehramtsstudierende, die durch die Prüfung gefallen sind oder das Studium abgebrochen haben, dann mache ich mir schon Sorgen um unser Bildungssystem in Hessen.

(Beifall bei der SPD)

Das Ganze führt dazu, dass Klassen doppelt geführt werden müssen, dass Nicht-Förderschullehrer im inklusiven Unterricht tätig sein müssen, es führt dazu, dass keine Vertretungsreserve mehr besteht, und es führt dazu, dass der Markt einfach leer gefegt ist. Das sind keine guten Rahmenbedingungen.

Deswegen brauchen wir dringend mehr Impulse, mehr Initiativen zur Weiterqualifizierung, mehr Ausbildungskapazitäten an unseren Schulen. Wir warten dringend auf einen Entwurf eines neuen Lehrerbildungsgesetzes, mit dem

ganz klar gemacht werden kann, dass wir unsere Lehrkräfte auf der Höhe der Zeit im erforderlichen Umfang mit einem entsprechenden Weiterbildungssystem ausstatten. Das muss hier alles noch kommen, die Wahlperiode geht langsam zu Ende.

Meine Damen und Herren, ich komme zu meinem Schlusspunkt. Wenn in Hessen im bundesweiten Vergleich alles so fantastisch ist, wie die Regierungsfraktionen es darstellen, warum schneiden wir ausnahmslos in allen Bildungsstudien so schlecht ab? Entweder belegen wir den letzten Platz beim Ausbau der inklusiven Beschulung, bei den Ganztagsschulen, oder schneiden – wie beim „Bildungsmonitor 2017“ des Instituts der deutschen Wirtschaft – im unteren Mittelfeld ab, in der Schulqualität auf Platz 13 – –

Herr Kollege Degen, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Das alles passt nicht zum Antrag von CDU und GRÜNEN. Ich empfehle der Landesregierung, doch einfach mehr in den Schulen zu sein und mit den Lehrkräften zu reden, anstatt PR-wirksame Besuche zum Schuljahresbeginn zu machen oder einen Praxisbeirat einzuberufen. In der Praxis zu sein – das wären die richtigen Maßnahmen. – In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU – Gegen- ruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Sie müssen nachsitzen! – Gegenruf des Abg. Holger Bellino (CDU): Das müssen Sie gerade sagen!)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Schwarz für die CDU-Fraktion.

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen der Präsiden- tin)

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass wir heute das Thema Bildung behandeln, das möchte ich sehr deutlich sagen. Ich bin auch froh darüber, dass zum Schuljahr 2017/18 die Landesregierung und die regierungstragenden Fraktionen die Herausforderungen der Schulpolitik wieder mit Bravour meistern.

Das ist kein Zufall, sondern es hängt direkt damit zusammen, dass wir fundierte, ausfinanzierte Konzepte haben. Es entspricht dem, was wir versprochen haben, und wird durch eine bundesweit einzigartige Personaldecke ergänzt. Deswegen will ich die Anträge der FDP und der SPD einmal einordnen. Ich fand ihre Tonlage durchaus moderat, der eine oder andere Punkt ist durchaus aufzugreifen. Die Tonlage in der Debatte hat sich allerdings deutlich von dem abgehoben, was in Teilen der Anträge zu lesen war. Was die Kollegin Faulhaber hier vorgetragen hat, ist des Kommentars nicht wert. Wenn der Antrag mit einer angeblich „katastrophalen“ Situation der Bildung und der Schulen in Hessen beginnt,

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Der Satz war zumindest schon einmal gut! – Gegenruf des Abg. Manfred Pentz (CDU))

frage ich mich, wovon Sie sprechen. Ob vielleicht von Venezuela oder von wo auch immer die Rede ist, das ist mir, ehrlich gesagt, unklar.

Deswegen fangen wir einmal von vorne an. Herr Kollege Greilich, zur Einordnung: Ihr Antrag zur Bildungspolitik heute und unser Antrag, den wir mit großer Freude im nächsten Plenum mit der Regierungserklärung beraten werden, sind zeitgleich eingegangen. Deswegen will ich sehr deutlich sagen, dass wir nichts zu verheimlichen haben. Wir haben wirklich eine stolze Bilanz zu diesem Schuljahresbeginn vorzuweisen. Damit das nicht untergeht, ist es des Schweißes der Edlen wert, dass wir die Dinge, die wir im Sinne der Sache – im Sinne der Bildung und guter Arbeit an den Schulen – leisten, auch hier diskutieren. Die Wahrheit ist: Zum neuen Schuljahr haben wir 1.700 zusätzliche Stellen an den hessischen Schulen – das sind 53.000 Stellen, so viele wie noch nie zuvor. – Das war die erste Bemerkung.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zweite Bemerkung. Wir haben die drittkleinsten Klassen. Im vergangenen Schuljahr lag die Schüler-Lehrer-Relation bei 1 : 15, jetzt liegen wir bei 1 : 14,5. Wir liegen hier auf einem Spitzenplatz, um es einmal deutlich zu sagen. Das können Sie auch gerne überprüfen, Herr Kollege Degen.

Die 105-prozentige Lehrerversorgung, die nach wie vor ohne Einschränkung gilt, gibt es nur in Hessen.

(Zuruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Herr Kollege Degen, die Wahrheit ist, dass andere Bundesländer weniger Lehrerversorgung haben – da schauen wir gleich einmal genau hin –, Rheinland-Pfalz beispielsweise liegt bei 97 %. Bis zum Ende der Legislaturperiode will man dort die 100 % erreichen. Nur, dass Sie es mal gehört haben.

Auch das können Sie gerne einmal überprüfen: In der relativen Entwicklung der Bildungsausgaben der öffentlichen Hand für Schulen haben wir in den letzten 15 Jahren 67,5 % obendrauf gelegt.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Okay, das sagt der finanzpolitische Sprecher, dann relativieren wir es um ein Zehntel. – Da haben wir einen Spitzenplatz, da kommt kein anderes Bundesland hinterher.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, es sind 5 Milliarden € im Haushaltsplan 2017 und damit 75 Millionen mehr als im Jahr zuvor.

Da alle Vorredner über die Grundschulen gesprochen haben, will ich auch hier ein paar Sachen einordnen, weil es für mich schwer zu ertragen ist, dass hier ein Zerrbild skizziert wird, das jeglicher Realität widerspricht.