Protokoll der Sitzung vom 26.09.2017

(Lebhafter Widerspruch bei der CDU)

Meine Damen und Herren, CDU und GRÜNE treiben unsere Schulen sehenden Auges in den pädagogischen Notstand.

(Anhaltende lebhafte Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren! – Einen Augenblick, Herr Kollege – ich habe die Redezeit angehalten –, bis sich die Aufregung wieder legt.

Sie wollen doch nicht bestreiten, dass es damals keinen Lehrermangel gab.

(Zurufe von der CDU)

Es wurde in ausreichendem Umfang ausgebildet, und es gab vor allem eine ordentliche Weiterbildungs- und Fortbildungsstruktur in Hessen. Mit der Qualität hatten wir damals in Hessen kein Problem.

(Beifall bei der SPD – Lebhafte Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren, die diversen Notmaßnahmen, die in Hessen inzwischen mehr oder weniger greifen, haben eines gemeinsam: Wirklich richtig funktioniert keine – weder der Einsatz von Pensionären noch von Quereinsteigern, noch von Kollegen aus anderen Lehrämtern –, weil gerade das Lehramt an den Grundschulen nicht attraktiv ist. Die Konsequenzen sind größere Lerngruppen und schlechtere Lern- und Arbeitsbedingungen für alle.

Auch in der Lehrerausbildung bringt die Landesregierung nach wie vor nichts auf die Kette.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin zwar noch nicht viele Wahlperioden Mitglied dieses Hauses; aber meiner Erfahrung nach scheint das die erste Landesregierung seit Langem zu sein, die es offenbar nicht schafft – vielleicht kommt ja noch etwas –, eine Novelle des Hessischen Lehrerbildungsgesetzes auf den Weg

zu bringen. Das wäre ein Schritt, um die Qualität voranzubringen. Darauf warten wir aber wohl noch lange.

(Beifall bei der SPD)

Wir Sozialdemokraten haben ein ganz klares Konzept. Wir wollen eine gleich lange Ausbildung für alle Lehrkräfte. Optimal wären zehn Semester, weil es, gerade der Qualität wegen, einen großen Nachholbedarf gibt. Das hat etwas mit Deutsch als Zweitsprache zu tun, ebenso mit dem sprachsensiblen Fachunterricht. Der geht alle an, weil wir künftig damit leben müssen, dass wir einen Zustrom haben, nicht nur aus Flüchtlingsstaaten, sondern auch und gerade aus dem EU-Ausland, und damit umgehen müssen. Wir müssen sicherstellen, dass alle Lehrkräfte inklusive Grundkompetenzen vermittelt bekommen und dass das multiprofessionelle ganztägige Arbeiten in allen Lehramtsstudiengängen verankert wird. Dementsprechend müssen die Lehramtsstudienzeiten auch in Hessen erhöht werden, wie das andere Bundesländer längst getan haben.

Ich komme zum Thema Schulleitungen. In der Tat hat die Landesregierung diesbezüglich etwas auf den Weg gebracht. Herr Kultusminister, von einer „neuen Ära“ zu sprechen, halte ich aber, ehrlich gesagt, für etwas übertrieben. Das Einzige, was Sie mit diesem Programm hinbekommen haben, ist, dass Sie sich die Bewerberinnen und Bewerber um Schulleitungen vorab viel intensiver anschauen können. Daran habe ich zwar meine Zweifel, aber ich habe die Hoffnung, dass es dabei wirklich um objektive Kriterien und nicht um Kriterien geht, die der hessischen CDU bei ihren Aktivitäten in Hinterzimmern eigentlich am wichtigsten sind.

(Beifall bei der SPD)

Ob es damit gelingen wird, mehr Lehrkräfte zur Leitung einer Schule zu bewegen, steht in Zweifel; das werden wir sehen. Jedenfalls sind die Überlastungen von Schulleitungen kein Thema, das man auf die leichte Schulter nehmen könnte. Ehrlich gesagt, die Zahlen zeigen uns, dass sich eigentlich kaum noch jemand für eine Schulleitung interessiert und Sie Leitungsstellen immer wieder neu ausschreiben müssen, weil sich niemand dafür findet.

Ich komme zu den Arbeitsbedingungen. Der Herr Minister hat die Grundschulen angesprochen. Er hat gesagt, die Grundschule sei als erste Schulform prägend für den weiteren Bildungsweg der Kinder und nehme eine Vielfalt unterschiedlichster Begabungen auf; sie sei für die Schüler bedeutungsvoll. – Dem stimme ich ausdrücklich zu. Wenn Sie das so sehen, warum bezahlen Sie dann die Grundschullehrkräfte nicht endlich genauso wie die Lehrkräfte an allen anderen Schulen?

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Warum lassen Sie Ihren Worten nicht auch einmal Taten folgen? Die unterschiedliche Bezahlung der Lehrämter hat doch nichts mit Gerechtigkeit zu tun. An den Grundschulen werden heutzutage doch die Grundlagen gelegt. Da kann man doch nicht sagen, das sei ein „niederes Schulwesen“ – oder was auch immer. Alle Lehrkräfte müssen gleich bezahlt werden. Wir Sozialdemokraten fordern für alle Lehrer ein Einstiegsgehalt nach A 13 – so, wie es Berlin macht, so, wie es die schwarze Ampel in SchleswigHolstein in ihrem Koalitionsvertrag stehen hat.

(Beifall bei der SPD)

Auch das Thema Sozialpädagogen hat etwas mit Entlastungen an weiterführenden Schulen zu tun. Viele Überlastungsanzeigen kommen übrigens aus weiterführenden Schulen. Das Thema Sozialpädagogen ist ein schönes Beispiel dafür, um deutlich zu machen, dass wir ein ganz anderes Konzept verfolgen. Natürlich kann man Sozialpädagogen auch im Rahmen der USF an die Schulen holen. Daran ist nichts falsch. Was wir aber brauchen – das hat die CDU früher einmal anders gesehen –, ist, die Schulträger, vor allem die Kommunen, endlich dazu zu bringen, sie zu ermutigen, die klassische Schulsozialarbeit, die nichts mit dem zu tun hat, was der Minister vorgestellt hat, endlich auch in Hessen auszubauen – am besten mit einer Drittelfinanzierung durch das Land, die Schulträger und die Kommunen.

(Beifall bei der SPD)

Mit dieser Forderung stehen wir nicht allein; andere Bundesländer machen das bereits. Hier im Landtag wird ja immer gerne angeführt, wer was wie macht. Es gibt in BadenWürttemberg, in Bayern und in Rheinland-Pfalz eine Förderpauschale, um diese Aufgabe der Kommunen zu unterstützen und unter Beteiligung des Landes auszubauen. Es wäre ein wirklicher Fortschritt, ein wirklicher Beitrag zu mehr Chancengleichheit in Hessen, die Sozialarbeit in der Schule mit der Sozialarbeit außerhalb der Schule mithilfe einer echten Schulsozialarbeit zu verknüpfen.

(Beifall bei der SPD)

Eine weitere funktionierende Maßnahme für mehr Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit in Hessen wäre der Ausbau von echten gebundenen und teilgebundenen Ganztagsschulen – ausdrücklich mit der Zustimmung und im Einvernehmen mit der Schulgemeinde. Ich betone das deshalb, weil Sie uns an der Stelle immer wieder falsch zitieren, Herr Minister. Das, was derzeit in Hessen an Ganztagsschulprogrammen läuft, hat diesen Namen nicht verdient.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt zwar an einigen ganztägig arbeitenden Schulen ein paar Angebote mehr, aber wenn wir beim Ausbau echter Ganztagsschulen in dem Tempo weitermachen, werden wir in Hessen noch Hunderte von Jahren brauchen, um an unserem Ziel anzukommen.

(Zurufe von der CDU – Gegenrufe von der SPD)

Hunderte von Jahren, genau so ist es. – Meine Damen und Herren, machen wir doch den Faktencheck – das war gerade im Wahlkampf wieder ein beliebtes Wort –: Der Herr Minister hat ausgeführt, es gab im letzten Schuljahr 122 neue Paktschulen. Aber was er nicht gesagt hat: Von diesen 122 Paktschulen waren 83 schon lange vorher im Ganztagsprogramm des Landes Hessen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Hört, hört!)

Mit dem größten Ausbauprogramm in der Geschichte des Landes ist es also nicht so weit her.

(Beifall bei der SPD)

Auch hier unterscheiden wir Sozialdemokraten uns klar von Schwarz-Grün. Wir wollen echte Ganztagsschulen schaffen, übrigens auch indem wir die Rahmenbedingungen attraktiv machen. Offenbar ist es immer wieder die Strategie der Landesregierung, die Schulen davon abzuhalten, sich zu bewerben: Erstens steht nicht ausreichend Per

sonal zur Verfügung, und zweitens waren die Rahmenbedingungen auch schon einmal besser. Ich nenne als Beispiel nur die Umwandlung von Stellen in Geld – das, ich glaube, seit 2005 nicht mehr erhöht wurde. Es gibt einen großen Nachholbedarf, wenn es darum geht, für die Schulgemeinden den Ausbau von Schulen zu echten Ganztagsschulen wirklich attraktiv zu machen.

Wir wollen echte Ganztagsschulen; denn nur durch eine echte Rhythmisierung kommen wir auch bei der Nachmittagsbetreuung zu mehr Qualität. Das, was dort bis heute passiert – wofür ihr hochgelobter Pakt sorgt –, bedeutet nämlich einfach nur, dass man den Vormittagsunterricht so belässt, wie er ist, und dass am Nachmittag die Schülerinnen und Schüler durch irgendwelche Kräfte, die nicht immer eine pädagogische Ausbildung haben, betreut werden. Durch dieses Modell entsteht keine wirkliche Rhythmisierung, und es bietet keine neuen Möglichkeiten zur Verbesserung der Qualität der Nachmittagsbetreuung an unseren Schulen.

(Beifall bei der SPD)

Ähnlich verhält es sich bei der Inklusion. Seit 30 Jahren gibt es in Hessen den gemeinsamen Unterricht. Herr Kultusminister, dass Sie sich heute hierhin stellen und sagen, Sie wollten das alles mit Augenmaß entwickeln, und auf die Qualität müsse es ankommen, ist im Grunde blanker Hohn. Wir wissen sehr gut, wie es an diesem Punkt in Hessen um die Qualität bestellt ist. Es waren immer CDU-geführte Landesregierungen, die diese Standards abgebaut haben, statt ordentlich in die Ausbildung der Förderpädagogen zu investieren und die Kapazitäten rechtzeitig zu erhöhen. Sie erzählen uns etwas von 200 Stellen, die neu geschaffen werden sollen. Herr Kultusminister, dabei wissen Sie doch heute schon, dass Sie keine einzige dieser für die Inklusion benötigten Stellen werden besetzen können.

Übrigens fahren Sie die Förderschulen genauso an die Wand. Sie haben zwar ein Weiterbildungsprogramm, das dort marginal greift, aber Sie haben die Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung komplett vergessen. Wir haben mehrere Schulen im Land, in denen drei oder vier Stellen offen sind und nicht besetzt werden können. Die Förderschulen lassen Sie auf diese Weise ausbluten.

Meine Damen und Herren, wir brauchen eine andere Schulpolitik. Es geht nicht darum, hier und da ein bisschen draufzusatteln, sondern darum, dass die Landesregierung endlich deutlich macht, wohin sie eigentlich will. SchwarzGrün fehlt, ob bei der Inklusion oder beim Ganztag, der Mut, zu sagen, wohin sie wollen. Sie machen deswegen von allem ein bisschen, aber nichts richtig.

Wir Sozialdemokraten wollen ein offenes und sozial durchlässiges Bildungssystem, das kein Kind zurücklässt und allen die gleichen Chancen eröffnet, ihr Potenzial zu nutzen. Dazu brauchen wir mehr echte Ganztagsschulen, bessere Rahmenbedingungen für Inklusion und echte Schulsozialarbeit. Der Erwerb des bestmöglichen Schulabschlusses muss unabhängig von der Herkunftssprache, dem Einkommen der Eltern und anderen äußeren Faktoren möglich sein.

(Beifall bei der SPD)

Man kann nicht von individueller Förderung reden und gleichzeitig die Schulen im Großen und Ganzen im Regen stehen lassen.

In diesem Zusammenhang will ich auch etwas zum Sozialindex sagen: Der Sozialindex in seiner heutigen Form ist ein erster Schritt. Aber auch da geht es gar nicht darum – obwohl es wünschenswert wäre –, Stellen draufzusatteln, sondern darum, den Sozialindex so weiterzuentwickeln, dass er wirklich schulscharf ist und mit ihm auf die Bedürfnisse der einzelnen Kommune eingegangen wird statt bloß auf die der Region, in der sich die Schule befindet. Das Verteilen mit der Gießkanne muss ein Ende haben.

Ich komme zum Schluss. Der Herr Kultusminister sprach vom gesellschaftlichen Wandel. In der Tat gibt es durch diesen Wandel viele neue Herausforderungen. Nur ist gerade die CDU nicht die Partei, die diesen gesellschaftlichen Wandel gestalten kann. Entweder sind wir Ihnen schon einen Schritt voraus, oder Sie laufen uns hinterher.

(Lachen bei der CDU)

Beispiele dafür gab es in letzter Zeit genug, ob bei den Kindergärten, der Sozialarbeit oder den Grundschulen. Erst haben Sie an den Grundschulen 140 Stellen gestrichen.

(Zurufe von der CDU – Günter Rudolph (SPD): Ja, ja!)

Jetzt plötzlich entdecken Sie, dass die Schulen überlastet sind. Das alles haben wir Ihnen doch schon längst gesagt.

(Beifall bei der SPD)