Protokoll der Sitzung vom 26.09.2017

(Beifall bei der SPD)

Der Bildungsgipfel wäre eine Chance gewesen, um genau diese Ziele und Schritte zu definieren und Verlässlichkeit zu schaffen. Leider hat der Landesgroßvater – der jetzt nicht anwesend ist – damals erklärt, er werde keinen Millimeter von den bildungspolitischen Grundlinien der CDU abweichen. Deswegen: Wir Sozialdemokraten wollen nicht alles anders machen, aber vieles besser – planbar und zuverlässig.

(Zurufe von der CDU)

Das hessische Bildungssystem hat großen Reformbedarf. Wir werden ihn ab 2019 Schritt für Schritt mit den Schulen, den Schulgemeinden, der Bildungsverwaltung und der Lehrkräfteakademie respektvoll und kooperativ angehen. – In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und der Abg. Mür- vet Öztürk (fraktionslos))

Nächste Wortmeldung, Kollege Wagner, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Regierungserklärung des Kultusministers bietet uns jedes Jahr die Gelegenheit, uns anzuschauen, was wir uns für diese Legislaturperiode vorgenommen haben und wie weit wir bei der Erreichung dieser Ziele sind. Wir haben mit Beginn dieser Legislaturperiode die Weichen in der Bildungspolitik neu gestellt. Bildungs- und Chancengerechtigkeit für alle Kinder unabhängig von der Herkunft und dem Geldbeutel ihrer Eltern steht im Mittelpunkt der hessischen Schulpolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Es darf nicht darauf ankommen, woher ein Kind kommt, sondern es muss darum gehen, wohin ein Kind will, welche Träume und Fähigkeiten es hat. Das müssen wir mit unserem Schulsystem fördern.

Wir haben in dieser Legislaturperiode vier klare Schwerpunkte gesetzt, um dieses Ziel zu erreichen: die bestmögliche Bildungs- und Chancengerechtigkeit für alle Schülerinnen und Schüler.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Erstens. Wir wollen mehr Zeit zum Lernen und für die individuelle Förderung.

Zweitens. Wir wollen die besten Schulen an den Orten mit den größten Herausforderungen.

Drittens. Wir wollen den Kindern, die vor Krieg, vor Gewalt und vor Terror fliehen mussten, einen guten Start in unserem Bildungssystem ermöglichen.

Viertens. Wir wollen, dass Kinder mit Behinderungen und Kinder ohne Behinderungen gemeinsam zur Schule gehen können.

Das sind die vier großen Schwerpunkte in dieser Legislaturperiode.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Zum Erreichen genau dieser Ziele haben wir die Weichen neu gestellt. Wir haben auf dem Weg dorthin Tempo aufgenommen. Natürlich haben wir noch nicht alles erreicht, aber die Bilanz der fast vier Jahre, die wir jetzt auf diesem Weg gegangen sind, kann sich wirklich sehen lassen. Deshalb möchte ich auf die einzelnen vier Punkte noch einmal eingehen und Folgendes beschreiben: Wo sind wir? Wo wollen wir noch Tempo aufnehmen und die Ansätze verstärken?

Kommen wir zum ersten Schwerpunkt. Wir wollen mehr Zeit fürs Lernen und für die individuelle Förderung. Das entscheidende Instrument dafür sind die Ganztagsschulen. Deshalb haben wir in dieser Legislaturperiode den größten Ausbau des Ganztagsschulprogramms auf den Weg gebracht, den es in Hessen je gegeben hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Jedes Jahr stehen mehr als doppelt so viele Stellen zusätzlich zur Verfügung wie in früheren Legislaturperioden.

Herr Kollege Degen, ich wundere mich ein bisschen, dass Sie das kritisieren; denn wir haben genau diesen Ausbau des Ganztagsschulprogramms gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen von der SPD beschlossen. Wir haben hier einen gemeinsamen Antrag eingebracht, in dem genau dieses Tempo festgelegt worden ist. Warum Sie das auf einmal falsch finden, obwohl Sie es selbst beschlossen haben, erschließt sich mir wirklich nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir haben endlich mit dem Schwerpunkt der Ganztagsschulentwicklung bei den Grundschulen Ernst gemacht. Das haben alle Expertinnen und Experten immer gefordert:

Auf den Anfang kommt es an. Gerade in den ersten vier Schuljahren brauchen wir mehr Zeit zur Unterstützung der Schülerinnen und Schüler. – Genau das haben wir hier mit dem Pakt für den Nachmittag und anderen Maßnahmen gemacht und dort den Schwerpunkt gesetzt.

Jetzt sagt Herr Kollege Degen, dass mehr rhythmisierte Ganztagsschulen gebraucht werden. Herr Kollege Degen, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass zur neuen Weichenstellung der Bildungspolitik in diesem Land gehört, dass jeder Antrag eines Schulträgers auf Einrichtung einer rhythmisierten Ganztagsschule genehmigt wurde? – Jeder Antrag wurde genehmigt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Vizepräsident Frank Lortz übernimmt den Vorsitz.)

Die ideologische Debatte, was das richtige Ganztagsschulprogramm und der richtige Ansatz ist, führt nur noch die SPD im Hessischen Landtag. Das spielt in der Realität der Schulen keine Rolle mehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Dann habe ich ein bisschen amüsiert in den Bundestagswahlprogrammen der SPD, aber auch anderer Parteien gelesen, es käme jetzt darauf an, dass wir uns nach der Bundestagswahl mehr um die Kinderbetreuung im Grundschulbereich kümmern. Ich glaube, das steht jetzt in den Wahlprogrammen von allen Parteien, auch der SPD.

In Hessen gibt es seit vier Jahren einen Ansatz, der das umsetzt. Er nennt sich Pakt für den Nachmittag. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD. Schön, dass Sie zumindest auf Bundesebene jetzt auch dabei sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Zweiter Schwerpunkt. Wir wollen die besten Schulen an den Orten mit den größten Herausforderungen. Was bedeutet das ganz konkret? – Das bedeutet, dass die Schulen, die sich stärker um Förderung kümmern müssen und auf die Schülerinnen und Schüler zugehen müssen, die vielleicht zu Hause nicht die Unterstützung haben, wie wir uns das alle wünschen, besser ausgestattet sind.

Genau das ist der Ansatz des Sozialindex. Deshalb werden 540 Lehrerstellen in Hessen nur nach diesem Kriterium vergeben. Das sind übrigens in dieser Legislaturperiode 240 mehr als noch in der letzten Legislaturperiode. Das geschieht, damit wir diese Schulen besser mit Lehrerstellen ausstatten können und damit sie sich besser um ihre Schülerinnen und Schüler kümmern können.

Wir belassen es nicht bei diesem Ansatz. Wir ruhen uns nicht auf dem aus, was wir schon erreicht haben, sondern wir werden mit dem Doppelhaushalt 2018/19 eine weitere zielgerichtete Unterstützung für genau diese Schulen auf den Weg bringen. Das sind 700 Sozialpädagoginnen und -pädagogen – genau für diese Schulen, damit wir eine passgenaue Förderung haben und sie sich noch besser um ihre Schülerinnen und Schüler kümmern können und damit der Bildungs- und Erziehungsauftrag von Schule Hand in Hand gehen kann. Welches andere Bundesland hat so etwas denn vorangebracht? – Wir kümmern uns um die besten Schulen für die Orte mit den größten Herausforderungen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Jetzt sagt die SPD – getreu dem alten Motto: wenn du zum Spiel nichts beitragen kannst, dann tritt wenigstens den Rasen kaputt –, wir hätten ein anderes Umsetzungsmodell machen müssen. Jetzt sagen Sie, wir hätten nicht 700 Sozialpädagogen an die Schulen bringen müssen, sondern wir hätten die Drittelfinanzierung machen müssen. Was hätte die Sozialdemokratie in diesem Hause gesagt, wenn wir die Drittelfinanzierung gemacht hätten? – Sie hätte gesagt: Das ist ja nur ein Programm für die reichen Kommunen, und das können sich die armen Kommunen nicht leisten. – Genau das wollten wir nicht, sondern wir wollten, dass 700 Stellen ankommen – nicht irgendwann und nicht irgendwo im SPD-Nirwana, sondern zum nächsten Schulhalbjahr an den Grundschulen.

Das wird der Beginn eines echten Paradigmenwechsels. Denn wenn wir neben Lehrkräften, neben den Förderschullehrkräften im inklusiven Unterricht jetzt auch noch Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen an den Schulen haben, dann kann an unseren Schulen in multiprofessionellen Teams gearbeitet werden. Da lastet nicht die gesamte Verantwortung auf Lehrerinnen und Lehrern, sondern sie werden durch andere Professionen in ihrer engagierten und wichtigen Arbeit unterstützt. Das ist genau der richtige Ansatz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Dritter Schwerpunkt. Wir wollen den Kindern, die vor Krieg, Gewalt und Terror geflohen sind, einen guten Start in unser Bildungssystem ermöglichen. Deshalb haben wir innerhalb kürzester Zeit über 1.000 Sprachintensivklassen an den Schulen geschaffen. Hier sage ich ein ganz herzliches Dankeschön an die Lehrerinnen und Lehrer, die das mit großem Engagement – teilweise auch unter widrigen Bedingungen, weil es schnell gehen musste – aus dem Boden gestampft haben, die in diesen Klassen am Anfang erst einmal mit Händen und Füßen eine Verständigung herstellen müssen und die es geschafft haben, dass diese Schülerinnen und Schüler die deutsche Sprache lernen können und in unser Bildungssystem integriert werden können. Das ist eine riesige Leistung, die hier vollbracht wurde. Ganz herzlichen Dank an diejenigen, die diese Aufgabe tagtäglich vollbringen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir lassen die Schulen eben auch mit dieser Aufgabe nicht allein, sondern wir haben in den Bereich der Deutschförderung und der Integration über 1.600 zusätzliche Stellen gebracht, damit wir uns auch um diese Kinder bestmöglich kümmern können und damit sie in den Intensivklassen Deutsch lernen können. Erstmals haben wir mit InteA eine systematische Sprachförderung auch für die beruflichen Schulen auf den Weg gebracht.

Wir belassen es auch dabei nicht, sondern wir sagen: Wenn die Sprachintensivklasse erfolgreich durchlaufen ist, dann geht es um die Integration in die Regelklasse. – Deshalb hat die Landesregierung den schulischen Integrationsplan auf den Weg gebracht, der die Schulen auch genau dabei unterstützt, weil wir auch hier sagen wollen: Es kommt nicht darauf an, wo das Kind herkommt, sondern wo es hinwill. Und dabei wollen wir es bestmöglich unterstützen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vierter Punkt. Wir wollen, dass Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderungen gemeinsam die Schule besuchen können. Das wird nicht von heute auf morgen gelingen. Das ist ein schwieriges Spannungsverhältnis, vor dem wir hier stehen. Ich verstehe jede Mutter und jeden Vater eines behinderten Kindes, die sagen: Wir wollen für unser Kind die inklusive Beschulung. Wann ist das endlich möglich? Macht das in der Politik doch endlich einmal schneller.

Gleichzeitig müssen wir sehen, dass wir ein Schulsystem haben, das über Jahrzehnte eben nicht inklusiv gearbeitet hat und wo wir den Veränderungsprozess so gestalten müssen, dass wir niemanden überfordern, sondern dass die allgemeine Schule dann tatsächlich auch dem Kind mit Behinderungen gerecht werden kann. Das ist ein schwieriges Spannungsverhältnis. Deshalb ist der Weg, den wir bei der Inklusion gehen, genau richtig: Wir haben ein klares Ziel. Jedes Kind, dessen Eltern wollen, dass es inklusiv beschult wird, soll in Hessen auch inklusiv beschult werden können. Aber wir brauchen auch das Augenmaß, das so umzusetzen, dass wir unsere Schulen dabei nicht überfordern. Genau diesen Weg gehen wir jetzt mit den inklusiven Schulbündnissen.

Wir verbessern die Umsetzung von Inklusion an einem ganz entscheidenden Punkt, nämlich an der Frage, ob die Förderschullehrer im inklusiven Unterricht tatsächlich an der Schule sind oder ob sie nur wie bislang ein paar Stunden vorbeischauen können. Wir sagen: Sie sollen in der Regel an der Schule sein, wo sie im inklusiven Unterricht tätig sind. – Wir bündeln also die Ressourcen. Wir machen nicht überall etwas mit der Gießkanne, sondern wir machen es an einigen Orten besonders gut. Das ist Inklusion mit Augenmaß und klarem Ziel.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Mit diesem Kurs haben wir im Laufe dieser Legislaturperiode über 700 Stellen zusätzlich in die inklusive Beschulung gebracht. 700 Lehrerinnen und Lehrer mehr in der inklusiven Beschulung – das kann sich wirklich sehen lassen.

Wir haben erstmals die Situation in Hessen, dass in diesem Schuljahr mehr Lehrerinnen und Lehrer im inklusiven Unterricht arbeiten als an Förderschulen. Nicht, weil es irgendwelche ideologischen Vorgaben der Politik gibt – wir stehen zur Wahlfreiheit der Eltern, was der richtige Förderort für ihr Kind ist, die Förderschule oder der inklusive Unterricht –, sondern das ist so, weil es die Eltern so entschieden haben.

Auch das gehört zu Augenmaß und klarem Ziel in der Inklusion: nicht irgendwelche Stichtage zur Abschaffung von irgendwelchen Schulformen, sondern zu versuchen, jeden Tag dem Elternwillen immer besser auch in diesem Bereich gerecht werden zu können.