Protokoll der Sitzung vom 26.09.2017

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

So ist es. – Sie sprechen von der besonderen Bedeutung der Sprache für eine erfolgreiche Schullaufbahn. Aber ist es wirklich damit getan, den Schwerpunkt auf Rechtschreibkompetenz und den Grundwortschatz auszurichten? Selbstverständlich ist es gut, wenn immer mehr Lehrkräfte eine Qualifizierung in Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache erwerben. Aber gibt es auch Konzepte, wie Jugendliche mit Migrationshintergrund eine Berufsausbildung erreichen können?

Das ist eine wichtige Frage; denn 2016 wurden nur 29 % derer, die sich auf einen dualen Ausbildungsplatz beworben haben, auch in eine Ausbildung genommen – gegenüber 47 % bei Bewerberinnen und Bewerbern, die keinen Migrationshintergrund haben. In den Jahren 2010 und 2012 lag diese Quote noch bei 35 %. Wenn, wie Sie sagen, die Hälfte der null- bis sechsjährigen Kinder einen Migrationshintergrund hat, dann ist es jetzt höchste Zeit, über die berufliche Bildung und Ausbildung nachzudenken.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass der Zusammenhang fehlt, sieht man z. B. daran: Sie wollen 700 Sozialpädagogen einstellen. Wie viele Grundschulen gibt es? 1.000 oder so. Da sieht man ein bisschen die Relation. Das mit den Sozialpädagogen finden auch wir

dringend notwendig. Aber wozu Sie noch nichts gesagt haben, ist die Konzeption, die dieser Arbeit zugrunde liegen soll.

Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es unbedingt notwendig sein wird, sozialpädagogische Fachkräfte gezielt auf ihre Aufgaben an den Schulen vorzubereiten; denn sie betreten zumindest hier in Hessen größtenteils Neuland. Welche Schwerpunkte setzt das Kultusministerium, oder sollen die 700 Kräfte freihändig arbeiten?

Sie sagen, Sie sehen beim Ausbau des Ganztagsbereichs einen – ich zitiere – „Schlüssel für eine qualitätsorientierte Entwicklung des Schulsystems“. Aber Ihr Konzept ist lediglich ein Konzept der Betreuung der Schülerinnen und Schüler. Sie nutzen nicht die pädagogischen Möglichkeiten einer echten und rhythmisierten Ganztagsschule. Ich unterstelle Ihnen, dass auch Sie wissen, was Sie damit an Bildungsmöglichkeiten und an Chancengerechtigkeit verschenken. Auch hier gehen Sie nur so weit, wie es unvermeidbar ist und die Kosten so niedrig wie nötig hält. Mit einer qualitätsorientierten Entwicklung des Schulsystems hat das wenig zu tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie wollen weiter den Weg der Inklusion gehen. Dabei sprechen Sie von Augenmaß und nicht von Konzepten und verbindlicher, flächendeckender Umsetzung inklusiver Bildung in Hessen. Dieses Augenmaß kommt ein paarmal in Ihrer Regierungserklärung vor, und ich kann mir nicht verkneifen, zu bemerken: Augenmaß ist keine politische Kategorie. Augenmaß liegt im Ermessen des Betrachters. Augenmaß im Zusammenhang mit Inklusion heißt: Wir setzen nicht die Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention um, sondern nur das, was unserer Sichtweise entspricht. – Augenmaß ist berechnende Konzeptionslosigkeit, Inklusion als Sparprogramm.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann sage ich noch etwas zu zwei Sachen, die in der Debatte vorkamen. Integration sollte weniger sein als Inklusion. Aber der gemeinsame Unterricht war besser ausgestattet, zuletzt mit immerhin noch 18 Stunden Doppelbesetzung. Heute muss man froh sein, wenn vier Stunden erreicht werden.

Inklusion heißt aber auch nicht, dass die Kinder nur dabeisitzen in einer anderen Klasse. Inklusion setzt vielfältige Förderung voraus. Wenn man das nicht macht, ist es keine Inklusion.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, diese breite Konzeptionslosigkeit ist tatsächlich unverständlich; denn es gibt einen fundierten Ausblick in die Zukunft, auf die gesellschaftlichen Herausforderungen, und es gibt auch einen Fundus für mögliche Perspektiven. Mehrere Jahre hat sich die Enquetekommission „Bildung“ intensiv mit den Themen beschäftigt, die in dieser Regierungserklärung benannt werden. Experten und Sachverständige haben sich mit vielen Aspekten der hessischen Bildungspolitik auseinandergesetzt. Sie haben ihr Wissen vorgetragen und berichtet, was sie bei Zukunftsanforderungen für wichtig halten.

Die Zusammenfassung dieser Arbeit steht kurz bevor. Für den Abschlussbericht wurde in vielen Fragen sogar fraktionsübergreifend weitgehende Übereinstimmung erzielt. Aber in der Regierungserklärung wird sich auf diese in

haltliche Arbeit nicht bezogen. Ich würde wirklich gerne ein bis zwei Sätze dazu hören, was mit den Ergebnissen der Enquetekommission passieren soll.

Mit Verlaub, das ist nicht nur eine Missachtung der Arbeit der Enquetekommission. Das ist mehr. Den Zukunftsaufgaben, die sich in der Bildungspolitik stellen, wird einfach keine Beachtung geschenkt. So verwundert es auch nicht, dass breite Konzeptionslosigkeit vorherrscht. So erklärt sich leider auch, wie es geschehen konnte, dass das Hessische Schulgesetz vor dem Abschlussbericht der Enquetekommission verabschiedet wurde. Eigentlich gab es keinen Grund zur Eile bei der Novellierung des Schulgesetzes. Deshalb drängt sich mir der Verdacht auf, dass das Interesse an den Ergebnissen der Enquetekommission im Kultusministerium mehr als gering ist.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Meine Damen und Herren, ich versuche, das ein bisschen zusammenzufassen. DIE LINKE begrüßt, dass es nach langem Stillstand personelle Verbesserungen für die Schulen gibt. Wenn die Lehrerinnen und Lehrer durch Sozialpädagogen entlastet werden und wenn wenigstens in einigen Schulen multiprofessionell gearbeitet werden kann, geht das in die richtige Richtung.

Ja, in Zeiten voller Kassen scheint auch einiges möglich zu sein, vor allem in Zeiten von Bundestags- und bevorstehenden Landtagswahlen. Wichtig ist aber in diesem Punkt auch – das möchte ich ganz besonders betonen –, wie Sie sich die längerfristige Finanzierung Ihrer Maßnahmen vorstellen. Auch hierzu haben Sie nichts gesagt.

Aber was Sie an Schritten beschlossen haben, muss mit Beständigkeit und Kontinuität unterfüttert werden. Es geht nicht, dass bei einer schlechteren Haushaltslage diese Maßnahmen dem Rotstift zum Opfer fallen. Hier erwarten wir schon die Zusicherung, dass diese Verbesserungen dauerhaft im Haushalt festgeschrieben bleiben.

Meine Damen und Herren, die Maßnahmen, die vom Herrn Kultusminister vorgestellt wurden, gehen in die richtige Richtung. Den Anforderungen, die sich künftig in unserer Gesellschaft stellen, werden sie bisher aber nicht gerecht. Da muss nicht nur mehr Geld in die Hand genommen werden. Es bedarf auch konzeptioneller Anstrengungen – weg vom Augenmaß und hin zu einer couragierten Bildungspolitik. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Vielen Dank, Frau Kollegin Faulhaber. – Das Wort hat Herr Abg. Wolfgang Greilich, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bildungspolitik der letzten Jahre – und insbesondere die des letzten Jahres – war nicht gerade von Engagement und Erkenntnisgewinn durch die Landesregierung gekennzeichnet. Vielmehr gewann man den Eindruck, dass sowohl der Kultusminister wie auch der Staatssekretär, aber auch große Teile der Regierungsfraktionen und der Landesregierung mit Scheuklappen durch die hessische Schul

landschaft gegangen sind und zum Jagen getragen werden mussten.

Ihre Regierungserklärung, in der Sie sich für Altbekanntes belobigen, ist das weitere Zeugnis einer ambitionslosen Politik. Hinsichtlich neuer kreativer Ideen besteht Fehlanzeige. Ein Beispiel ist Ihr Eigenlob für die Schulgesetznovelle, die lediglich notwendige Anpassungen enthielt und zu Recht seit Monaten außer in Ihrer Regierungserklärung keine Rolle mehr spielt.

Die Menschen in Hessen, die Eltern, die Lehrerinnen und Lehrer, wir hier im Hessischen Landtag, reden dagegen seit mindestens zwei Jahren über die Herausforderungen an den Grundschulen, über den Lehrkräftemangel, über die Notwendigkeit multiprofessioneller Teams und die Heterogenität in der Gesellschaft, die sich auch in den Schulen widerspiegelt. Auch hier gilt: Vom Kultusminister gibt es nichts Neues.

Langweilig repetierten Sie zunächst wieder einmal die Zahlen der quantitativen Entwicklung der Lehrerstellen, der Inklusion und der anderen Angebote. Zu Ihrer Beruhigung sage ich: Ich bezweifle diese Zahlen nicht. Schließlich haben wir gemeinsam die Grundlagen dafür gelegt.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Armin Schwarz (CDU))

Herr Kollege Schwarz, man muss doch trotzdem mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gehen und die Problemlagen vor Ort aufnehmen und akzeptieren, und zwar bevor es überall brennt und panisch neue Gremien wie die Praxisbeiräte geschaffen werden. Sie können nicht erwarten, dass wir die Bildungspolitik dieser Landesregierung bejubeln, die wertvolle Zeit verstreichen ließ, bevor sie die Realität akzeptierte und mit Maßnahmenpaketen auflief und noch aufläuft, die wiederum Zeit brauchen, um zu greifen. Das ist gar keine Frage. Viele dieser Maßnahmen, die Sie jetzt angekündigt haben und mit deren Umsetzung Sie beginnen, gehen die Probleme an, wenn auch mitunter oberflächlich und vor allem viel zu spät.

Sie sagen, Sie wollten Herausforderungen meistern. Bisher sind Sie in vielen Fällen den Ansprüchen nicht gerecht geworden. Sie haben sogar selbst Probleme produziert. Wer hat denn die Stellenumlegungen in den Grundschulen und Gymnasien vorgenommen und die damals mahnenden Worte nicht zur Kenntnis nehmen wollen? Wieso äußern viele Lehrerkollegien und Lehrkräfte ihre Unzufriedenheit und geraten an den Rand ihrer Belastbarkeit? Das ist so, weil Sie die Warnsignale nicht ernst genommen haben.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum verschließen Sie sich nach wie vor den Anforderungen bei der Beschulung der Seiteneinsteiger? Das geschieht insbesondere mit Blick auf die Fragen der Altersgrenze, der Alphabetisierung und der Flexibilität, die die Schulen benötigen. Meinen Sie allen Ernstes, dass allein die Einführung eines Grundwortschatzes in den Grundschulen zu mehr Qualität sowie besseren Lese- und Rechtschreibfähigkeiten führen wird? Brauchen wir nicht vielmehr die Lehrerinnen und Lehrer? Brauchen die nicht mehr Freiraum für individuelle Förderung und für ihr Kerngeschäft, nämlich das Unterrichten?

Wir sind der Überzeugung, dass der zuletzt genannte Aspekt der wichtigste und der richtige ist. Dazu muss unseren Lehrerinnen und Lehrern der Rücken von unnötiger Büro

kratie, von der Kontrollwut der Landesregierung und von Aufgaben, die sie alleine nicht neben ihren Kernaufgaben leisten können, freigehalten werden.

Es geht um die bedarfsgerechte und angemessene Personalausstattung bei der Inklusion und um die Arbeit mit heterogenen Schülergruppen. Viele Aufgaben werden an die Schulen abgegeben. Davon redeten wir bereits beim Bildungsgipfel, den Sie so „erfolgreich“ gegen die Wand gefahren haben. In großer Ausführlichkeit redeten wir immer wieder über die verschiedenen Themengebiete der Enquetekommission „Bildung“, bei der ich insbesondere die aufmerksame Beobachtung durch das Kultusministerium immer wieder vermisst habe.

Auch diese Erkenntnisse, die Sie teilweise einfach nicht zur Kenntnis genommen haben, haben Sie nicht dazu bewegen können, möglichst frühzeitig zu reagieren und Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Sie tun zunächst immer so, als ginge Sie das alles nichts an, weil die Zahlen auf den ersten Blick eine andere Sprache sprechen. Sie bilden aber leider nicht die Realität an unseren Schulen ab.

(Beifall bei der FDP)

Wenn Ihre Antwort auf Fragen nach Problemlagen an unseren Schulen immer noch lautet: „Die vom Fragesteller dargelegten Probleme bestehen in dieser Form nicht“, dann verschließen Sie und einige Teile Ihres Ministeriums sich auch jetzt noch der Realität. Das ist doch kein Wunder. Denn während der mehr als dreieinhalb Jahre schwarz-grüner Bildungspolitik konnte Hessen als Bildungsland keinen Schritt nach vorne machen. Die Situation an Hessens Schulen ist schwieriger denn je.

(Beifall bei der FDP)

Auch vor für Sie vielleicht neuen Themen drücken Sie sich. Der Herausforderung der Digitalisierung der Bildung verschließen Sie sich ebenso wie große Teile der Regierungsfraktionen. Sie haben heute verkündet:

Weiterhin haben wir in Hessen entschieden, eine groß angelegte Initiative zur Fortbildung aller Lehrkräfte im Bereich der digitalen Bildung mit dem Ziel umzusetzen, unsere Schülerinnen und Schüler auf die Anforderungen in der Arbeitswelt von morgen vorzubereiten.

Auf die genaue Ausgestaltung der Initiative werden wir gespannt blicken. Wir hoffen, dass es mehr als die angekündigten Maßnahmen im Rahmen des neuen Konzepts zur Schulevaluation und Fortbildung sind. Denn das wird nicht ausreichen.

Vor allem gilt – das ist meines Erachtens das Entscheidende –: Ein klares Bekenntnis zur Digitalisierung ist aus Ihren Darstellungen auch jetzt nicht abzuleiten. – Ich muss sagen: Das wundert mich allerdings schon lange nicht mehr. Das ist vielmehr klar, wenn man bedenkt, dass einige von Ihnen in der Koalition es als zukunftsweisend erachten würden, wenn die Computer aus den Schulen wieder herausgetragen würden und keine Onlineanbindung möglich wäre.

Ich komme zu den Anhörungen in der Enquetekommission. Herr Kollege Reif, es wäre nett, wenn Sie ab und zu dorthin gekommen wären, insbesondere wenn es um spannende Themen ging. Ich glaube, Frau Kollegin Wolff hat dazu ihre eigene Meinung.

Die Anhörungen in der Enquetekommission in Hessen waren denkwürdig. Gerade mit Blick auf die Anhörung im Oktober 2016 zeigte sich, dass eine einheitliche Stimme bzw. Richtung bei Ihnen nicht einmal ansatzweise zu erkennen ist. Das gilt für die CDU, von der man vielleicht nichts anderes erwarten kann.

Erschrocken bin ich aber vor allem über die offenkundig auch in diesem Bereich schlicht fortschrittsfeindliche Haltung der GRÜNEN, denen nichts Besseres einfiel, als den bekennenden Digitalisierungsfeind Prof. Spitzer als Sachverständigen zu benennen. Wer das zur Kenntnis nehmen musste, wundert sich bei dieser Koalition über nichts mehr.

(Beifall bei der FDP)

Mit Ihnen kann man die Zukunft also offenkundig nicht gestalten. Das gilt unabhängig davon, dass der Ministerpräsident – vielleicht hört er irgendwo zu – heute erklärt hat, warum Schwarz-Grün in Hessen seiner Meinung nach erfolgreich läuft: Die CDU will bestimmen, der Bestimmer sein. Der kleinere Koalitionspartner soll sich zurückhalten.