Protokoll der Sitzung vom 28.09.2017

Ich will eine abschließende Bemerkung machen – ich glaube, sie gehört hierher –: Diese Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben Ihnen eine Kampagne in unserem Land vorgestellt, die „Hessen lebt Respekt“ heißt. Vielleicht passt es genau hierher. Den respektvollen Umgang miteinander immer wieder einzufordern ist nicht gleichzusetzen mit dem Wort zum Sonntag, sondern es ist eine Form des demokratischen Diskurses, der auch Unterschiedlichkeit aushält.

(Manfred Pentz (CDU): Ja!)

Man muss nicht einer Meinung sein, aber diejenigen, die mit Protest reagiert haben, wird man nicht mit pauschalen Diffamierungen erreichen. Es erscheint mir klug, sie ernst zu nehmen. Es ist nicht einfach und gelegentlich auch mühsam, zu respektieren, dass man unterschiedliche Meinungen hat, und von anderen zu erwarten, dass sie Regeln respektieren. Nach meiner Überzeugung ist das aber neben allen inhaltlichen Fragen auch ein Punkt, den man immer wieder einfordern muss. Deshalb werbe ich dafür.

Es gibt in diesem Hause – jedenfalls mit den meisten Fraktionen – viele Gemeinsamkeiten. Das habe ich in der heutigen Debatte gesehen. Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass der Weg nicht in den nächsten zwei, drei oder vier Wochen oder in den nächsten zwei Monaten erfolgreich beschritten werden kann. Das, was jetzt vor uns liegt – ob Jamaikakoalition oder eine andere Koalition –, ist

zum Teil den Umständen des Tages und diesem Wahlergebnis geschuldet. Das, was tiefer liegt, wird uns viel länger beschäftigen.

Meine Damen und Herren, Hessen ist ein Land, in dem die Menschen gut und gerne leben, in dem Demokratie und Freiheit keine leeren Versprechen sind, sondern gelebte Wirklichkeit. Das bleibt unsere Verpflichtung. Wenn wir es auch noch schaffen, miteinander so umzugehen, dass Unterschiedlichkeit ausgehalten werden kann, dann ist mir nicht bange; denn 87 % der Wähler haben Vertrauen in die etablierten Parteien. Eine Botschaft dieses Tages ist es auch: Diese Wähler dürfen wir jetzt nicht enttäuschen. Wenn wir nur noch über die vorhin erwähnten 13 % der Wähler reden und die anderen 87 % vergessen, machen wir etwas falsch.

(Beifall der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP)

Meine Damen und Herren, wir haben gemeinsam eine Menge zu tun. Dieses Wahlergebnis wird – wie auch immer – Folgen zeitigen. Ich habe mir lange überlegt, das zu sagen, aber es gehört dazu: Die einen sagen, die Sozialdemokraten haben eine Entscheidung getroffen, die natürlich zu respektieren ist; die anderen sagen, die Sozialdemokraten sind verantwortungslos. Ich will das nicht zum Thema des Tages erheben, nach dem Motto: Was ist taktisch klug oder unklug?

Aber dann lese ich: „Ab Morgen kriegen sie in die Fresse“. Das soll der Beginn der Auseinandersetzung sein.

(Zurufe von der SPD und der CDU)

Herr Kollege Schäfer-Gümbel, ich akzeptiere es ausdrücklich, dass es eine Überlegung der Sozialdemokratie ist, es ist auch ein staatspolitischer Auftrag, die Gegenposition zu bilden und aus dieser Großen Koalition herauszukommen.

(Zurufe von der SPD)

Das ist eine Position, die man gut vertreten kann. Aber was ich gerne hätte und was ich einfordere – nicht nur, weil wir lange genug gemeinsam regiert haben –, ist, nicht so miteinander umzugehen; denn sonst werden wir denjenigen, die durch Provokation bewusst alle Grenzen überschreiten, nicht glaubwürdig entgegentreten können.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir haben also Anlass, uns mit der Botschaft des Wahlsonntags intensiv auseinanderzusetzen – das ist wahr. Wir haben aber keinen Anlass, in Sack und Asche zu gehen. Das, was bis Sonntag galt, gilt auch am heutigen Donnerstag. Dies ist ein starkes Land. Dies ist ein Land, auf das die Millionen Menschen stolz sein dürfen, die hier in großartiger Weise arbeiten und die unser Land immer noch zu einem Vorbild für viele Länder der Welt machen.

Wenn wir dies völlig unter den Tisch fallen lassen, dann reagieren auch wir falsch. Unsere Leistungen anzuerkennen, gleichzeitig aber sensibel zu bleiben für die Herausforderungen, die noch zu lösen sind, das ist die Agenda. Das wollen wir tun durch gute Politik; und in Hessen haben wir dies nach meiner Überzeugung in den letzten vier Jahren herausragend bewiesen. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Meine Damen und Herren, es ist jetzt so, dass alle Fraktionen zusätzlich elf Minuten Redezeit erhalten. Ich stelle fest: Wir sind in der Aktuellen Stunde; jede Fraktion hat diese Redezeit. Mir ist vorhin zugerufen worden, dass man vereinbart hätte, dass auch die Fraktionsvorsitzenden in eine zweite Runde gehen können. Das ist zwar gegen die Geschäftsordnung, aber wenn wir uns alle einig sind, dann gilt immer: Die Mehrheit ist ab und zu noch klüger als die Geschäftsordnung. Wenn wir uns alle einig sind, dann kann das so sein.

Daher darf ich jetzt als Erste Frau Kollegin Wissler aufrufen. Sie haben maximal elf Minuten. Bitte sehr.

(Holger Bellino (CDU): Das werde ich mir merken! Das gilt dann auch für die parlamentarischen Geschäftsführer!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will doch noch einmal ein paar Fakten in diese Debatte einbringen, auch in Erwiderung auf das, was der Ministerpräsident gerade gesagt hat.

(Michael Boddenberg (CDU): Jetzt zu Frau Wagenknecht! – Anhaltende Unruhe bei der CDU – Glockenzeichen des Präsidenten)

Herr Boddenberg, ich möchte mit den Wählerwanderungen anfangen. – Die meisten Stimmen bekam die AfD, und das muss uns allen Sorgen machen, von den Nichtwählern. Die meisten Stimmen kommen mit Abstand von den Nichtwählern, die in vielen Fällen enttäuschte Wähler von Wir-wissen-nicht-von-wem sind. Danach kommt mit über 1 Million Stimmen erst einmal die Union. Danach kommt erst einmal gar nichts. Dann kommen die sonstigen Parteien.

(Anhaltende Unruhe bei der CDU – Glockenzeichen des Präsidenten)

Dann kommt die SPD, und danach kommt DIE LINKE.

(Holger Bellino (CDU): Sie können nicht rechnen! 6. Schuljahr, Prozentrechnung!)

So zu tun, als seien wir für das Erstarken der AfD verantwortlich, halte ich wirklich für lächerlich.

(Beifall bei der LINKEN – Anhaltende Zurufe von der CDU)

Jetzt schauen wir uns das einmal an.

(Anhaltende Zurufe von der CDU)

Einen Moment, bitte, Frau Kollegin. – Meine Damen und Herren, seien Sie doch so lieb und lassen die Redner ausreden. Zwischenrufe sind zulässig, aber ein Chor von dauerhaften Zwischenrufen stört die Rednerin natürlich auch.

(Anhaltende Zurufe von der CDU)

Lassen Sie vor allem erst einmal mich ausreden. – Frau Kollegin Wissler hat das Wort.

Vielen Dank.

(Clemens Reif (CDU): Demut!)

„Demut“ ruft Herr Reif dazwischen. Das ist ja auch bemerkenswert.

Dann schauen wir uns erst einmal die Verteilung an. Im gesamten Westen, wo DIE LINKE angeblich so ganz besonders radikal ist, hat DIE LINKE flächendeckend zugelegt, so auch in Berlin. Wir haben nichts an die AfD abgegeben, sondern wir haben zugelegt – beispielsweise in Hessen von 6 auf 8,1 %.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU: Lei- der! – Dr. Frank Blechschmidt (FDP): Ein Riesenfehler! – Anhaltende Unruhe bei der CDU – Glockenzeichen des Präsidenten)

Ich rede mit Ihnen auch gern einmal über den Osten. Dort sieht es nämlich in der Tat anders aus. Reden wir einmal über den Osten; reden wir z. B. über sächsische Zustände. Wer regiert denn seit der Wende in Sachsen? Wer lässt denn zu, dass es in Sachsen rechtsextreme Umtriebe gibt, und geht dagegen nicht vor? – Ich will einmal deutlich machen, welche Situation wir in Sachsen haben. Dort stehen Genossinnen und Genossen unserer Partei vor Gericht, weil sie friedlich gegen Neonazis demonstriert haben, während gegen Neonazis nicht vorgegangen wird. Sachsen ist der Ort, von dem wir wissen, dass sich dort das NSU-Trio sehr lange versteckt hat. Ich finde, wenn man darüber redet, was im Osten falsch läuft, dann muss man über Landesregierungen wie die sächsische reden, die eine so rechte Politik machen, dass sie damit natürlich die AfD stark machen.

(Beifall bei der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Das ist Unsinn!)

Wenn wir über den Osten reden, dann reden wir als Nächstes doch einmal über Sachsen-Anhalt. Was ist denn in Sachsen-Anhalt los? – Dort hat die CDU, die sich übrigens in einer Koalition mit SPD und GRÜNEN befindet, gemeinsam mit der AfD im Landtag eine Enquetekommission gegen Linksextremismus eingesetzt. Ich habe mich gefreut, dass die Kanzlerin dazu sehr deutliche Worte gefunden und gesagt hat, eine solche Zusammenarbeit lehne sie ab. Nur, was passiert denn dort? – Wenn die CDU als regierende Partei in Sachsen-Anhalt mit der AfD eine Kommission gegen Linksextremismus einsetzt, wenn dort rechte Gewalt zunimmt, dann relativiert sie die Dinge und macht die AfD doch erst hoffähig.

Ich finde, genau das ist auch wieder das Problem Ihrer Rede gewesen; die Gleichsetzung zwischen rechts und links ist hochgefährlich. Seit 1990 sind über 180 Menschen durch rechte Gewalt ums Leben gekommen. Daher kann man sich nicht hinstellen und sagen: Rechts und links, das ist alles das Gleiche; das sind die Ränder. – Wir brauchen endlich einen konsequenten Kampf gegen rechte Gewalt und gegen rechte Hetze und keine Gleichsetzung, die relativierend wirkt.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Holger Bel- lino (CDU): Das machen Sie schon in Ihren Anträgen!)

Ich will noch einmal darauf hinweisen, unter welchen Bedingungen die Menschen im Osten Wahlkampf machen, und zwar nicht nur Mitglieder der LINKEN, sondern auch

anderer Parteien: Sie bekommen Morddrohungen. Sie werden an Wahlkampfständen angefeindet, und ihre Büros werden angegriffen. Ich will es einmal so sagen: Hätte es seit den Neunzigerjahren nicht eine starke PDS im Osten gegeben, kann sich jeder einmal fragen, ob wir nicht bereits seit 20 Jahren in allen Parlamenten eine Rechtsaußenpartei hätten.

(Beifall bei der LINKEN – Manfred Pentz (CDU): Das ist eine steile These, Frau Kollegin!)

Ich glaube, dass die PDS einen großen Anteil daran hatte, dass man vor Ort, in Parlamenten sowie außerhalb, gegen rechts gekämpft und linke Alternativen aufgezeigt hat.

(Holger Bellino (CDU): Kommt jetzt auch noch Honecker? – Anhaltende Unruhe bei der CDU – Glockenzeichen des Präsidenten)

Dann reden wir doch einmal über jemanden wie den CDUBundestagsabgeordneten Willsch, der vor einiger Zeit darüber schwadronierte, man könne doch mit der AfD zusammenarbeiten; man könnte doch eine Koalition machen. Es ist doch nicht so, dass Sie uns dieses Problem zuschieben können. Denn woher kommt eigentlich die Führungsriege der AfD?

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Aus Hessen! Aus der CDU!)

Wo kommt denn der Gauland her? – Aus der Hessischen Staatskanzlei, von der CDU. Wo kommen denn Hemzal, Glaser oder Adam her? – Hohmann ist jetzt wieder im Bundestag. Das ist doch alles hessische CDU gewesen. Jetzt so zu tun, als ob das unser Problem sei, ist doch absurd. Die hessische CDU war offensichtlich eine Brutstätte für die Führungsriege der AfD.