Protokoll der Sitzung vom 23.11.2017

Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen das Ergebnis bekannt.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Mit Ja haben gestimmt 43, mit Nein haben gestimmt 60, enthalten haben sich fünf Kolleginnen und Kollegen. Damit ist der Antrag in namentlicher Abstimmung abgelehnt.

Ich rufe jetzt den Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucks. 19/5449, auf. Auch hierzu ist namentliche Abstimmung beantragt.

(Allgemeine Unruhe)

Meine Damen und Herren, seien Sie doch ruhig. Kollege Rudolph hat für die SPD-Fraktion die namentliche Abstimmung beantragt. Das ist doch gar nicht schlimm; da braucht man doch gar nicht erregt zu sein. Ich bin es zumindest auch nicht.

Deshalb werden wir jetzt auch in die namentliche Abstimmung eintreten. Ismail fängt mit dem Namensaufruf an; auf gehts.

(Namensaufruf – Abstimmungsliste siehe Anlage 2)

Meine Damen und Herren, sind alle aufgerufen worden? – Das ist der Fall. Dann bitte ich auszuzählen.

Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Mit Ja gestimmt haben 59 Kolleginnen und Kollegen. Mit Nein gestimmt haben 43 Kolleginnen und Kollegen. Enthalten haben sich sechs Kolleginnen und Kollegen. Damit ist der Dringliche Entschließungsantrag, Drucks. 19/5449, angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 67 auf:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde (Zukunft wird aus Mut gemacht und Demokratie aus Kompromissen – im Bund wie in Hessen) – Drucks. 19/5430 –

Es beginnt der Kollege Wagner, Fraktionsvorsitzender von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Ergebnis der Bundestagswahl und die Ereignisse danach müssen uns allen zu denken geben. Bereits vor der Wahl haben zwei Parteien gesagt, dass sie auf jeden Fall in die Opposition gehen werden. Sie haben sich um die Stimmen der Wählerinnen und Wähler beworben, obwohl sie nicht bereit sind, ihre Inhalte auch tatsächlich in Regierungsverantwortung umzusetzen. Diese beiden Parteien haben zusammen 22 % der Stimmen erhalten.

Eine Sekunde nach Schließung der Wahllokale hat eine weitere Partei erklärt, dass sie für eine Regierungsbildung nicht zur Verfügung steht. Seit Montagfrüh wissen wir, dass noch eine Partei mit der Bildung einer Regierung nichts mehr zu tun haben will. Mittlerweile hat also die Mehrheit der Parteien im Deutschen Bundestag erklärt, dass sie für eine Regierungsbildung nicht zur Verfügung steht.

Meine Damen und Herren, eine Demokratie, in der Parteien um jeden Preis regieren wollen, hat ein Problem. Eine Demokratie, in der die Mehrheit der Parteien des Deutschen Bundestages nicht regieren will, hat aber auch ein Problem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wie soll diese Situation aufgelöst werden? Kann es richtig sein, dass zwar alle Parteien um das Votum der Wählerinnen und Wähler bitten, aber am Ende nur noch eine Minderheit der Parteien bereit ist, den Wählerwillen auch in Regierungsverantwortung umzusetzen? Meine Damen und Herren, was soll durch eine mögliche Neuwahl an der Situation eigentlich besser werden? Wie soll ein nächster Wahlkampf gestaltet sein? Wie werden die Slogans der Parteien denn lauten, die nicht regieren wollen:

(Gerhard Merz (SPD): Das lassen Sie mal unsere Sorge sein!)

„Wählt uns, damit auch im nächsten Deutschen Bundestag keine Regierung zustande kommt“? „Wählt uns; aber nur, wenn eine uns genehme Koalition die Mehrheit bekommt, werden wir das Wählervotum auch akzeptieren“? „Wählt uns, damit sich weiter nichts verändert“? Soll das die Auseinandersetzung des nächsten Bundestagswahlkampfs sein? Ich glaube, damit wird deutlich: Durch ein solches Vorgehen hat eine Demokratie ein Problem, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Das ist aber nicht nur ein Problem der Parteien.

(Stephan Grüger (SPD): Wer hat sich denn vor vier Jahren in die Büsche geschlagen?)

Das geht tiefer, meine Damen und Herren. Das ist auch ein gesellschaftliches Problem. Warum glaubt denn die Mehrheit der Parteien im Deutschen Bundestag, dass es besser ist, nicht zu regieren, statt Verantwortung zu übernehmen? Sie tun das, weil sie glauben, dass das starre Festhalten an der eigenen Position auf mehr Zustimmung stößt als die mühsame Suche nach Kompromissen.

(Stephan Grüger (SPD): So wie bei den GRÜNEN vor vier Jahren!)

Der Zusammenhalt einer vielfältigen und komplexen Gesellschaft kann aber nur funktionieren, wenn nicht immer mehr Menschen nur noch um sich und ihre Überzeugung kreisen, wenn sie nicht nur in ihrer Meinungsblase leben und wenn ein Brückenschlag zu Andersdenkenden nicht nur nicht gewollt, sondern teilweise sogar aggressiv bekämpft wird. Eine solche Gesellschaft werden wir nicht zusammenhalten können, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wozu eine solche Verhärtung der politischen Debatte und des gesellschaftlichen Klimas führt, sehen wir gerade in den USA. Das führt in ein tief gespaltenes Land. Das kann aber nicht die Perspektive für Deutschland sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Deshalb gilt es, zu widersprechen, wenn immer mehr Menschen sagen, es sei nur dann Demokratie, wenn sie recht bekämen, wenn ihren Anliegen stattgegeben werde, wenn sich ihre Meinung durchsetze. Vielmehr ist es dann Demokratie, wenn wir uns ernsthaft um den Ausgleich von Interessen bemühen. Dafür braucht es Kompromisse, keine faulen Kompromisse, sondern faire Kompromisse in der Sache. Dafür braucht es Mut, mehr Mut zum Kompromiss, mehr Mut zur Demokratie. Zukunft wird aus Mut gemacht und Demokratie aus Kompromissen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Kollege Wagner. – Meine Damen und Herren, ich nehme nicht an, dass Sie sich der Debatte verweigern wollen. Ich habe keine weiteren Wortmeldungen. – Kollege René Rock, zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben jetzt die Sichtweise der GRÜNEN auf Politik erlebt.

(Zuruf von der SPD)

Ich stimme in einem Punkt Kollegen Wagner natürlich zu: Man wird dafür gewählt, dass man versucht, etwas umzusetzen. Aber es ist nicht so, dass man einfach nur um des Regierens willen gewählt wird, sondern man wird für Überzeugungen und Inhalte gewählt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben heute schon einmal in einer vorhergehenden Debatte den Ausspruch gehört: Wer mit dem Finger auf andere deutet, muss immer daran denken, dass eine Anzahl Finger auf einen selbst deutet.

(Holger Bellino (CDU): Drei!)

Darum bin ich auch der Meinung, Neuwahlen sind eine Ausnahmesituation in einer Demokratie, aber sie sind auch immer eine Option. Aus meiner Sicht kann eine Neuwahl in unserem Land auch eine veränderte Mehrheit oder ein verändertes Ergebnis hervorbringen. Dazu müssen viel

leicht noch ein paar Personalentscheidungen getroffen werden, und es ist auch eine andere Situation, ob man aus einer Regierungskoalition in einen Wahlkampf einsteigt.

(Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Unruhe bei der CDU – Glockenzeichen des Präsidenten)

Wenn ich mich jetzt zurückerinnere an den Wahlkampf, den wir in Deutschland erlebt haben, dann war das ein Schlafwagenwahlkampf, den wir da erlebt haben und der erst auf den letzten Metern ein bisschen Fahrt aufgenommen hat.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Ich kann mir einen viel engagierteren Wahlkampf bei Neuwahlen vorstellen, als es der letzte war. Dann können die Bürgerinnen und Bürger – sie haben ja erkennen können, wie man in den Verhandlungen aufgetreten ist, wie man für Kompromisse eingetreten ist – darüber entscheiden, ob man Parteien, die erklärt haben, sie sind an ihre Schmerzgrenze gegangen und noch darüber hinaus, vertraut, dass sie Politik umsetzen, oder denen, die sagen: Uns war ein Finanzministerium und eine Vizekanzlerschaft nicht ausreichend, um unsere Inhalte über Bord zu werfen. – Darüber können dann die Wählerinnen und Wähler entscheiden.

(Beifall bei der FDP)

Man kann hinter der staatsbürgerlichen Pflicht nicht verstecken, dass eine Demokratie auch von Unterschieden lebt und dass man Bürgerinnen und Bürgern eben auch ein Angebot machen muss.

Ich glaube auch, mit diesem immer wieder aufgeführtem Thema – man muss auf die womöglich besseren Wahlergebnisse von Parteien am rechten Rand achten – wird übersehen, dass es ein Konjunkturprogramm für Parteien am politischen Rand ist, wenn die Mitte bis zur Unkenntlichkeit verschwommen ist. Ich glaube, das ist deutlich gefährlicher für unsere Demokratie, als wenn man für Inhalte eintritt, für die wirbt und dann kämpft und sich dann auch zur Wahl stellt. Davor haben wir Freie Demokraten keine Angst.

(Beifall bei der FDP)

Aber das ist ein Schritt, vor dem wir vielleicht erst nächstes Jahr stehen, über den die Fraktionen und Parteien nächstes Jahr irgendwann entscheiden müssen.

Momentan ist es sicherlich so, dass der Bundespräsident überlegt – und das zu Recht –, wie er denn aus diesem Wahlergebnis mit einem Einwirken auf die Parteien und die Fraktionen noch eine Regierungsbildung – vielleicht auch eine Minderheitsregierung – auf den Weg bringt. Unser demokratisches System ermöglicht auch das. Wir als Hessen haben es doch auch schon einmal erlebt. Wir haben doch schon einmal ein Jahr ohne Regierungsmehrheit hier in Hessen – ja – Parlament und Regierung zusammengebracht. Hat die hessische Demokratie durch dieses Jahr Schaden genommen?

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))