Darum sage ich: Ich habe Vertrauen zum Deutschen Bundestag, dass er kluge Entscheidungen trifft, und ich habe
auch Vertrauen zu den Fraktionen und Parteien, dass sie versuchen werden, aus diesem Wahlergebnis eine handlungsfähige Regierung herbeizuführen.
(Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das sagen Sie? – Weitere Zurufe – Glockenzeichen des Präsidenten)
Wir haben es probiert in Berlin, und jeder konnte vier oder fünf Wochen lang live im Fernsehen verfolgen, wie Vertrauen zerstört worden ist, wie Inhalte nach außen getragen geworden sind, wie Dinge durchgestochen worden sind. Wer Trittin mit in solch eine Verhandlungsdelegation nimmt und glaubt, er kann mit uns etwas Gemeinsames auf den Weg bringen, den kann man auch fragen, ob dies eine kluge Personalauswahl gewesen ist. Wir haben es erlebt. Wir haben es probiert. Wir sind enttäuscht von der Art und Weise, wie man mit uns umgegangen ist. Wir haben am Ende Deutschland vor einer – so glaube ich – nicht guten Regierung bewahrt. Das haben wir mit uns auszumachen. Das haben wir vor unseren Wählerinnen und Wählern zu vertreten. Das werden wir tun. Wir haben keine Angst vor Neuwahlen, und das ist auch sicher so.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn diese Aktuelle Stunde und die vorherigen Beiträge mir eines gezeigt haben, dann nur dies: dass ich froh bin, dass das Theater um die schwarze Ampel in Berlin endlich ein Ende hat.
Mir ist auch egal, wer in dem Schwarzer-Peter-Spiel gewinnen wird, das Sie hier veranstalten, in dem Kampf um die Deutungshoheit, wer letztlich für das Scheitern der als „Jamaika“ beschönigten Zusammenarbeit von FDP, GRÜNEN, CDU und CSU verantwortlich ist. Das ist mir ziemlich egal. Ich glaube im Übrigen auch, dass das vielen Menschen in diesem Land egal ist. Was mir allerdings nicht egal ist, ist das, was in diesem Land für eine Politik gemacht wird.
Da sind wir bei den Inhalten, und da sind Ihre mehr oder weniger staatstragenden Reden voll an der Sache vorbeigegangen. Reden wir doch einmal darüber, was die genannten Parteien in Berlin so lange verhandelt haben. Ich glaube, da können einem ein bisschen die Haare zu Berge stehen.
Reden wir über die Inhalte. Reden wir darüber, dass die GRÜNEN mit der Forderung nach einem Kohleausstieg bis 2030 in die Verhandlungen gegangen sind.
Reden wir darüber, was davon übrig geblieben ist: das Abschalten von Kohlekraftwerken mit einer Gesamtleistung von lediglich 8 bis 10 GW. Sie mussten von der NGO Campact darauf hingewiesen werden, dass das weniger als die Hälfte dessen ist, was zur Erreichung des Klimaschutzzieles 2020 nötig sei.
(Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was war Ihr Beitrag, Herr Schalauske? – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE): Wir waren bei Ende Gelände! – Glockenzeichen des Präsidenten)
Zehntausende Menschen sind in Bonn gegen die Klimakatastrophe und gegen die Zerstörung unseres Planeten auf die Straße gegangen. Was haben Sie gemacht? – Sie sind zugunsten der Lobby und zugunsten der Interessen der großen Energiekonzerne eingeknickt. In der Frage des Klimawandels kann es doch keine Kompromisse geben.
Meine Damen und Herren, einen Moment, bitte. – Herr Kollege Schalauske, schnaufen Sie einmal durch. – Denken Sie an mich, dann werden Sie wieder friedlich. Kollege Schalauske hat das Wort. Bitte.
Ich bin der festen Auffassung, in dieser Frage kann es doch keine Kompromisse geben. Entweder wir steuern jetzt um, oder wir setzen die Existenz unseres Planeten aufs Spiel.
Die Globalisierungskritikerin Naomi Klein hat es doch auf den Punkt gebracht. Wir alle müssen uns entscheiden: Wollen wir den Kapitalismus oder das Klima retten? – Sie haben sich leider längst dafür entschieden, den Kapitalismus retten zu wollen. Wir kämpfen lieber für das Klima.
(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos) – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, Sie kämpfen für gar nichts, Sie kämpfen fürs Rechthaben! – Glockenzeichen des Präsidenten)
Aber auch in der Flüchtlingspolitik haben Sie sich doch von CDU, CSU und FDP vor sich hertreiben lassen. Egal, wie Sie es nennen – nennen Sie es atmenden Deckel oder atmenden Rahmen –, die Zahl von 200.000 Geflüchteten pro Jahr ist nichts anderes als eine Obergrenze light. Das sagt nicht DIE LINKE, sondern das sagt Ihre Jugendorganisation, die Grüne Jugend.
Dann die CDU, die in diesen Verhandlungen volle Kraft gegeben hat, gemeinsam mit der CSU und der FDP den Familiennachzug für subsidiär Geschützte zu verhindern – das ist doch ein Trauerspiel für eine Partei, die ihr christliches Familienbild zumindest in Sonntagsreden immer im Munde führt. Nehmen Sie sich einmal die Worte Ihres früheren Ministers Norbert Blüm zu Herzen. Der hat gesagt, das Verbot von Familiennachzug ist wie „staatlich erzwungene Scheidung“.
Aber zurück zu den GRÜNEN. Das Tragische ist doch: Ihnen ist keine Kröte zu groß, um sie auf dem Weg nach Jamaika zu schlucken. Sie konnten gar nicht schnell genug in die Karibik rudern, um endlich auf den Regierungsbänken Platz zu nehmen.
Cem Özdemir begründet das sogar noch mit Patriotismus – was für eine grüne Partei, die das mit Patriotismus begründet.
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was für eine Partei ist die LINKE, die nichts verändern will? Nur Sprüche!)
Was hat aber in den Gesprächen überhaupt keine Rolle gespielt? – Dass Millionen Menschen zu Niedriglöhnen schuften müssen, weil der Mindestlohn nicht zum Leben reicht; dass Millionen Menschen von Altersarmut bedroht sind, weil die gesetzliche Rente gekürzt wird; dass in den Ballungsräumen und Universitätsstädten eine Wohnungsnot droht;
(Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Wahre und Gute ist so schön! Jammern, jammern, aber nichts machen wollen!)
dass die öffentliche Infrastruktur, unsere Schulen, Kitas, Krankenhäuser, immer weiter dem Verfall preisgegeben werden.
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was sind Sie so froh, nichts ändern zu wollen! – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE): Jetzt hört doch einmal zu! – Glockenzeichen des Präsidenten)
Der ländliche Raum droht abgehängt zu werden. Die Paradise Papers, über die wir heute noch sprechen werden, haben erneut aufgedeckt, dass Superreiche ihr Vermögen am Fiskus vorbei in Steueroasen parken.
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie gut, dass DIE LINKE daran nichts ändern will! – Glockenzeichen des Präsidenten)
Wir leben in einem Land, das tief geprägt ist von sozialer Spaltung. Während einige wenige immer reicher werden, werden immer mehr Menschen abgehängt.
Aber zu all diesen Problemen haben wir von den an den Sondierungen beteiligten Parteien überhaupt nichts gehört.
Mit einer Minderheitsregierung haben wir in Hessen gute Erfahrungen gemacht. Da gab es eine Mehrheit von SPD, GRÜNEN und LINKEN. Die hat z. B., getragen von einer breiten gesellschaftlichen Bewegung, die Studiengebühren abgeschafft.
Das Problem ist nur: Eine solche Mehrheit gibt es in Berlin nicht mehr. Wir hatten sie in der letzten Legislaturperiode, wir hätten sie mal öfter nutzen können. Wir haben zwar gemeinsam die Ehe für alle durchgesetzt, aber wir hätten auch an anderer Stelle ordentliche Beschlüsse fassen müssen.
Aber natürlich warne ich auch vor der Begeisterung für Neuwahlen. Das ist ein schwieriger Weg, darauf ist hingewiesen worden.
Es kann doch nicht das Prinzip gelten: Es wird hier so lange gewählt, bis am Ende das Ergebnis passt.
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie regieren Sie denn gerade? Das wollen Sie doch gar nicht! – Glockenzeichen des Präsidenten)
Ich bin der Auffassung, ja, Zukunft wird aus Mut gemacht. Zukunft wird aus Mut gemacht für einen sozialen Aufbruch, für eine Politik, die sich den Problemen unserer Welt, wachsender sozialer Ungleichheit, Klimakatastrophe, Kriegen und Krisen, stellt.