Zukunft wird aus Mut gemacht, aber nicht aus faulen Kompromissen, weder in Hessen noch in Berlin. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Schalauske. – Bevor es weitergeht, begrüße ich auf der Tribüne unseren ehemaligen Kollegen Peter Stephan. Er ist schon den dritten Tag hier – alle Achtung.
(Heiterkeit und Beifall – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Dann hätte er auch hier unten bleiben können!)
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen: Ich glaube, wir alle haben in den letzten Wochen sehr intensiv beobachtet, was in den Sondierungsverhandlungen in Berlin passiert. Ich will vorweg sagen: Ich ziehe vor all denen, die dort vier Wochen lang, nächtelang und tagelang, verhandelt haben, zunächst einmal meinen Hut.
Ich will ausdrücklich sagen: Das gilt ganz besonders für unseren Ministerpräsidenten, der eines der schwierigsten Themen zu verantworten hatte, nämlich das Thema Asylrecht, Flüchtlinge und Migrationspolitik. Lieber Herr Ministerpräsident, alle Achtung. Ich glaube, wir haben alle gemerkt, auch Sie sind bis an Ihre Grenzen gegangen, an die Grenzen dessen, was man einem Menschen zumuten
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schmitt (SPD): Er kriegt die Wilhelm-Leuschner-Medaille dafür!)
Herr Schmitt, ich glaube aber, so bedauerlich das Ergebnis ist: Wir sind nicht in einer Staatskrise, und es ist auch kein Weltuntergang. Wir haben ein politisches System, das sehr stabil ist. Wir haben eine Verfassung, die auch für diesen Fall klare Regeln vorsieht, auch wenn das seit 70 Jahren zum ersten Mal passiert, was zurzeit passiert. Wir haben einen sehr besonnenen Bundespräsidenten, das will ich ausdrücklich sagen. Wir haben eine geschäftsführende Bundesregierung und eine Bundeskanzlerin, die mit großer Erfahrung und Verantwortung ihre Aufgaben wahrnehmen. Wir haben ein arbeitsfähiges Parlament und nicht zuletzt einen funktionierenden Föderalismus.
Aber Mathias Wagner hat es zu Recht gesagt: Wir müssen auch darüber reden, wie wir denn zu dieser Situation gekommen sind. Ich will ausdrücklich nicht kritisieren, wie sich Sozialdemokraten und Liberale verhalten haben, auch wenn ich es falsch finde. Ich will darüber reden, was es in dieser Gesellschaft zum Hintergrund hat, dass wir ein solches Klima haben: ein Klima, in dem der Kompromiss sofort zum Verrat erklärt wird – dafür haben wir gerade von linker Seite einige Beispiele gehört –, ein Klima, in dem das Aufeinander-Zugehen zum Abrücken von Grundprinzipien als Schuldvorwurf formuliert wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir dies fortsetzen, dann haben wir ein Klima, in dem viele Parteien versucht sein werden, Kompromisse zu scheuen. Wir alle wissen, dass Kompromisse in Koalitionen nun einmal notwendig sind. Dann haben wir eine Situation, wie sie eben beschrieben worden ist, dass von sieben Parteien im Deutschen Bundestag vier Parteien erklären, dass sie lieber bei ihren Prinzipien bleiben, aber darauf verzichten, sie in einer Regierungsverantwortung umzusetzen. Wenn es vielen wichtiger ist, den eigenen Wählern zu erklären, dass man prinzipientreu ist, als den Menschen zu sagen: „Ja, wir übernehmen am Ende auch Verantwortung“, dann ist das schon eine schädliche Situation und ein schwieriges Klima in unserer Gesellschaft.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Begleitung durch die Medien – die ich nicht kritisieren will, denn das ist ihr Job – tut ein Übriges, dass dieses Klima verschärft wird. Wenn in einer „Hart aber fair“-Sendung danach gefragt werden kann und auch gefragt wird: „Wie konnten Sie nur Ihre Prinzipien aufgeben?“ – ich nenne als Beispiel die GRÜNEN, die dort mit dem Vorwurf konfrontiert wurden, dass sie ihre Haltung zur Frage der sicheren Herkunftsländer als Grundprinzip grüner Asylpolitik aufgegeben haben –, wenn die Union mit dem Vorwurf konfrontiert wird, dass wir die Vorratsdatenspeicherung als Ziel in einer Regierungsverantwortung aufgegeben haben, ja, wenn wir diese Begleitung haben, dann dürfen wir uns nicht wundern, dass viele Parteien dazu geneigt sind, dem Kompromiss und auch dem Konflikt in den eigenen Reihen aus dem Weg zu gehen. Das schadet unserer Demokratie.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich sage ausdrücklich: Die Union ist nicht entkernt und profillos, nur weil sie sich seinerzeit in der Großen Koalition auch dem Thema Mindestlohn genähert hat. In einer Jamaikakoalition ist es auch in Ordnung, dass man einen Kompromiss findet, wenn es um den Ausstieg aus der Kohleenergie geht. Ich akzeptiere und respektiere ausdrücklich die Haltung der GRÜNEN, aber ich achte und respektiere auch die Bewegungsfähigkeit der GRÜNEN. Ich könnte viele weitere Beispiele aller Beteiligten nennen, von denen ich sage: Ja, diese Bewegung und diese Kompromissbereitschaft sind nun einmal notwendig.
Meine sehr geehrten Kollegen von der FDP, Sie wären auch kein Umfaller in den Augen Ihrer Wähler, wenn Sie erklären würden, dass der Soli nicht von heute auf morgen, sondern in Schritten abgeschafft wird.
Ich glaube, all das sollten wir uns einmal vornehmen, und wir alle sollten das verteidigen, was in solchen tage- und nächtelangen Verhandlungen am Ende als Kompromiss erzielt wird.
Unser herzlicher Appell ist, dass wir im Hessischen Landtag gemeinsam – in den hessischen Parteien, aber natürlich erst recht in den Parteien auf Bundesebene – genau über diese Frage nachdenken und vielleicht am Ende doch noch zu einem Fenster der Kompromissbereitschaft, zumindest der Gesprächsbereitschaft, zurückkehren.
Wenn ich das sagen darf: Die SPD wird sich sehr wahrscheinlich dazu äußern, aber heute ist in den Zeitungen zu lesen – wie ich finde, nicht ganz zu Unrecht –, dass es auch in der SPD eine Diskussion über genau diese grundsätzlichen Fragen gibt. Der Landesvorsitzende und stellvertretende Bundesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel lässt erkennen, dass es eine gewisse Bewegung, auch bei ihm selbst, gibt.
Ich akzeptiere es ausdrücklich, dass das eine schwierige Phase für die Sozialdemokraten ist. Aber ich glaube, dass es das wert ist, dass wir uns dieser Mühe unterziehen. Ich glaube, dass es das wert ist, dass wir uns dieser Verantwortung, diesen Aufgaben stellen, so wie es die Haltung des Bundespräsidenten ist, der sehr besonnen agiert – das wiederhole ich ausdrücklich. So kann am Ende immer noch etwas Gutes für unser Land, für unsere Zukunft herauskommen.
Auf der Besuchertribüne sitzen einige Schülerinnen und Schüler, die bei einer sehr spannenden Phase der Politik live dabei sein können. All das, was ich gesagt habe – ich appelliere an die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme –, ist der Mühen wert und dient unserem Land und der Zukunft unserer Kinder. – Herzlichen Dank fürs Zuhören.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin ein wenig darüber verwundert, dass die Sozialdemokratische Partei in dieser, alle Menschen und Parteien bewegenden, Frage offenkundig nichts zu sagen hat.
Meine Damen und Herren, ich hatte die Freude und die Ehre – wahrscheinlich als Einziger dieses Landtags, wenn ich das richtig sehe –, die Jamaikaverhandlungen von Anfang an zu verfolgen und sie mitzugestalten. Bis auf zwei Gespräche war ich bei allen Gesprächen dabei. Ich kann mir also ein Urteil erlauben.
Ich möchte zunächst sagen, dass wir gelegentlich eine paradoxe Situation haben. Man hat im Bundestagswahlkampf z. B. die Diagnose gehört: Irgendwie sind sich die Parteien alle ähnlich. Der Bürger kann kaum mehr unterscheiden. Es bedarf klarer Konturen. – Dann kommen vier Parteien zusammen, die höchst unterschiedliche Positionen und auch beachtliche unterschiedliche Kulturen haben. Die einen oder anderen Themen haben wir auch in diesem Haus miteinander besprochen. Ich darf Ihnen sagen – mein Respekt gilt uneingeschränkt allen Kolleginnen und Kollegen –: Wir haben teilweise 20 Stunden am Stück verhandelt.
Machen Sie sich für einen Moment klar, wenn Sie ernsthaft miteinander reden: Die einen wollen die Mütterrente und eine Reform des Rentenrechts, und die anderen sagen, dass eine Reform des Rentenrechts zwar richtig ist, man aber zuerst über die Fragen reden muss, wie man mit denen umgeht, die berufsunfähig sind, und was man mit der Mindestrente macht. Dann kommt sofort die Frage: Machen wir eine Bürgerversicherung, oder nicht? – Das alles haben wir auch in diesem Haus diskutiert. Das sind höchst unterschiedliche Fragen, die man nicht in zwei Minuten abräumen kann.
Reden wir über unser Steuersystem und darüber, was das für das Land Hessen bedeutet. Hessen ist stolz und erfolgreich, aber natürlich auch in die Bundesrepublik eingebettet. Uns muss es doch interessieren, wie es in dem Land weitergeht. Wenn wir über Steuern, von Soli bis Einkommensteuerreform, über energetische Sanierung, über Forschungsförderung und über die Frage, wie es mit dem Hochschulpakt weitergeht – zwölf hessische Hochschulen stellen sich darauf ein, dass das weitergeht –, reden, dann haben wir Ausgaben in Höhe von Milliarden Euro. Ganz nebenbei: Wie würde der Hessische Landtag entscheiden, wenn wir über diese Steuern reden würden, wenn am Ende in aller Regel die Länder die Hälfte der Steuerausfälle zu tragen haben? Wer von 15 Milliarden € Einkommensteuerreduzierung spricht, muss wissen, die Hälfte kommt hier an. Wir hätten dann darüber zu diskutieren, wie wir damit umgehen.
Meine Damen und Herren, weil das so ist, breche ich die Lanze: Es ist nicht wahr. Es gibt zwei Welten. Es gibt die
Welt, die man öffentlich wahrnimmt, und es gibt die Welt, die man nicht wahrnimmt, z. B. wie es bei den Verhandlungsgesprächen aussah. Wir haben hart, intensiv und sehr erfolgreich miteinander gerungen. Dass die Freien Demokraten am Ende erklärt haben: „Für uns reicht das nicht“, ist zu respektieren. Wir haben immer gesagt – das gilt für jede Partei –: Geeint ist erst dann alles, wenn alles geeint ist. Das ist bei jeder Koalitionsverhandlung so. In der Zwischenzeit schauen wir, wie weit wir kommen können.
Ich bin anderer Auffassung als die Freien Demokraten. Noch in dieser Nacht um 23 Uhr – ich selbst saß in dem sehr kleinen Kreis dabei – hätten wir zum Ziel kommen können. Das ist meine feste Überzeugung. Wir waren praktisch durch. Die Freien Demokraten haben sich anders entschieden. Ich sage bewusst, dass das zu respektieren ist. Ich teile die Meinung ausdrücklich nicht, dass wir nicht erfolgreich gewesen wären. Ich füge auch hinzu: Ich bedauere, dass das nicht gelungen ist.
Ich bedauere es aus mehreren Gründen. Ich will mich aus Zeitgründen auf einige Punkte konzentrieren. Ich hatte die Ehre und die Freude – wenn Sie wollen, auch das Pech –, die Arbeitsgruppe zu leiten, die sich mit dem Thema Flüchtlinge, Asyl und anderem, was mit dem Thema zu tun hat, befasst hat – mit vielen Persönlichkeiten, die Sie kennen, und vielen Leidenschaften. Wenn einem dann jeder mit dem Hinweis begegnet: „Wir haben auf dem Parteitag beschlossen, …“, kommen Sie zu genau dem Problem, das Kollege Boddenberg und Kollege Wagner angesprochen haben.
Wie gehen wir mit der Monstranz „Wir haben beschlossen, …“ um, die jeder vor sich herträgt? Dann kann man eigentlich sagen: Sparen wir uns die Zeit. Wenn wir nur zusammenkommen, um uns wechselweise zu erklären, dass der andere unrecht hat, dann sollten wir nach Hause gehen. – Die hessische Koalition von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gründet auf einer Grundüberlegung. Wir haben damals gesagt, dass wir nur in der Überlegung zueinanderkommen: Es könnte sein, dass ihr recht habt. Was wir von euch erwarten, ist, dass ihr die gleiche Überlegung anstellt. Nur so kommen wir weiter.
Es gibt eine Seuche. Diese Seuche heißt Twitter und anderes mehr. Die Verhandlungen sind dadurch extrem belastet worden, dass ununterbrochen irgendeiner irgendetwas herausgegeben hat – mal vor Fernsehkameras, noch viel häufiger über Twitter. Einen Großteil unserer Zeit haben wir damit verbracht, dass immer einer gesagt hat: Ich lese gerade Folgendes. – So kann man nicht vertrauensvoll arbeiten. Ich sage Ihnen: Ja, ich habe mich bodenlos geärgert. Sie werden von mir niemals eine einzige Äußerung dieser Art gehört haben.
Wie soll man denn zusammenkommen, wenn draußen jeder erklärt – zur Befriedigung seines eigenen Anhangs –, was er gerade wieder kraftvoll gemacht hat, um wieder hereinzukommen und zu sagen: Jetzt müssen wir uns doch verständigen. – Wenn A erklärt „Unerträglich“, muss B auch vor die Kameras treten und sagen „Jetzt erst recht“.
Dann sitzen noch zwei da und sagen: „Na ja, wenn die alle so etwas sagen“; und dann fragen unsere eigenen Leute: „Habt ihr keine Meinung?“ Dann heißt es: Was sagt denn die CDU dazu? Habt ihr mehr in petto als die Wahl der Kanzlerin? – Das ist doch irre. Meine Damen und Herren, die Kanzlerin hat einen super Job gemacht. Sie hat sich bemüht.
Die Union ist die mit Abstand stärkste Kraft in Deutschland. Sie ist der stabile Faktor. Wenn jetzt jemand kommt, der die Verhandlungen führt und der mehr als jede andere Person in der ganzen Welt für Deutschland steht, zuallererst vor die Kameras tritt und erklärt: „Ich fordere Folgendes“, was sollen denn dann die anderen machen? Das ist doch barer Unsinn.
Deshalb will ich einmal als Zwischenfazit festhalten: Man kann nicht auf der einen Seite jammern und beklagen, man sei nicht mehr unterscheidbar, und der Bürger könne nicht mehr auswählen, dann aber, wenn vier Parteien sehr intensiv ringen, rufen: „Was machen die denn, außer vom Balkon zu grüßen?“ – Ganz nebenbei bemerkt: Nach acht, zehn oder 15 Stunden sei es jedem gegönnt, dass er auch einmal zehn Minuten lang auf den Balkon gehen kann. – Daher müssen wir uns in diesem Land wieder mit den demokratischen Riten und Spielregeln auseinandersetzen; und wir müssen uns mit Respekt begegnen. Es hat keinen Sinn, dem anderen jeweils immer einen überzuprügeln. Man sieht sich im Leben gelegentlich zweimal.
Meine Damen und Herren, weil das, gerade in dem von mir besonders zu verantwortenden Bereich, so ist, bedauere ich, dass es nicht gelungen ist, Antworten auf die Fragen zu geben: Wie wird das werden? Wird unser Land nicht überfordert werden durch die Menschen, die alle zu uns gekommen sind? Bleibt das noch unser Land? – Ich hätte mich gefreut, wenn es gelungen wäre, auf diese Fragen, die die Menschen in unserer Gesellschaft bewegen, Antworten zu geben.
Wenn ich Briefe bekomme mit dem Inhalt: „Herr Ministerpräsident, wir haben Angst“, „Wann sind Sie das letzte Mal abends mit der S-Bahn gefahren?“, wenn ich aus meiner Heimatstadt Briefe bekomme, dem größten Standort Deutschlands, und gefragt werde: „Wissen Sie eigentlich, was hier los ist?“, dann kann ich nicht jedem persönlich schreiben, aber dann nehme ich das sehr ernst. Diese Verbindung hätte die Chance gehabt, den Menschen lagerübergreifend eine Antwort zu geben.