Das ist aber kein Grund, sich an den LINKEN abzuarbeiten und uns Dinge zu unterstellen, die überhaupt keine Grundlage haben, weil sie schlicht unwahr sind, Herr Wagner.
Vielen Dank. – Als Nächster hat sich Herr Abg. Merz für die Fraktion der Sozialdemokraten zu Wort gemeldet. Sie haben 15 Minuten Redezeit.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich nach dem Beitrag des Kollegen Wagner doch noch einmal aufgefordert gefühlt, ein paar Dinge zu sagen. Dabei will ich zwei Dinge vorweg sagen.
Erstens. Die Sozialdemokratische Partei hat in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland viermal eine Große Koalition mitgetragen. Die Sozialdemokratische Partei hat in der Weimarer Republik die letzte demokratische Regierung angeführt, das war eine Regierung der Großen Koalition. Danach ist in der Weimarer Republik im Wesentlichen mit Notverordnungen und unter Ausschaltung der Parlamente regiert worden. Die Sozialdemokratische Partei hat historisch von überhaupt niemandem Belehrungen darüber anzunehmen, was ihre Verantwortung gegenüber dem Land angeht.
Das habe ich vorweg gesagt: to whom it may concern. – Ich sage das auch gegenüber Vertretern von Medien, die seit Tagen nichts anderes kennen als „keine Parteien“, nur noch Deutsche, und meinen, die SPD solle unter allen Bedingungen und unter Zurückstellung aller Bedenken eine Große Koalition eingehen.
Zweitens. Es ist jetzt mehrfach von Österreich die Rede gewesen. Ich will einmal sagen, Österreich ist auch ein Beispiel dafür, dass nach einer Großen Koalition nicht unbedingt etwas Besseres kommen muss.
Österreich ist auch ein Beispiel dafür, dass es keiner Großen Koalition bedarf, damit Parteien ununterscheidbar werden. Österreich ist ein Beispiel dafür, was geschieht, wenn eine christdemokratische Partei sich einer rechtspopulistischen Partei – damit drücke ich mich jetzt sehr zurückhaltend aus – wie der FPÖ anbiedert und sich ihr an die Brust wirft. – So viel vorab dazu.
Herr Kollege Wagner, jetzt zu Ihnen, weil Sie wieder und wieder das Hohelied des Kompromisses gesungen haben – leider nur des Kompromisses, den Sie gerade einzugehen für richtig halten. Ich habe nicht vergessen und ich werde auch nicht vergessen, dass von der Fraktion DIE GRÜNEN in den letzten vier Jahren der Großen Koalition jeder, aber auch jeder Kompromiss, den die sozialdemokratische Partei in dieser Großen Koalition eingegangen ist, in diesem Landtag öffentlich denunziert wurde, aus Ihren Reihen und von diesem Pult aus, unter jeweiliger Aussparung des Anteils, den Ihr CDU-Koalitionspartner und unser Koalitionspartner in Berlin gerade hatte. Wer dies vier Jahre lang mit Hingabe und offensichtlich denunziatorischer Absicht betrieben hat, hat keinerlei Berechtigung mehr, hier anderen vorzuhalten, dass sie Kompromisse denunzieren. Dann muss man vor der eigenen Haustür kehren.
Es waren für uns schmerzhafte Kompromisse und auch ziemlich viele gute, von denen ich mir wünschte, meine Partei würde mit etwas mehr Verve vertreten, was wir in der Großen Koalition erreicht haben. Wenn Sie aber dann den Schmerzensmann machen, wenn man einen Kompromiss eingehen muss, und sich als Vertreter des Gemeinwohls hinstellen, der unter Zurückstellung der eigenen Interessen handelt, ist das völlig unglaubwürdig. Es gibt ein anderes Wort dafür, für das bin ich aber schon einmal gerügt worden, das will ich hier nicht wiederholen.
(Beifall bei der SPD – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Merz, Sie machen es wieder! Man ist nur glaubwürdig, wenn man etwas daraus lernt!)
Meine Damen und Herren, mir liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Damit ist auch diese Aktuelle Stunde abgehalten.
Antrag der Fraktion der FDP betreffend eine Aktuelle Stunde (Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Hessen leidet unter Schwarz-Grün – Standortschlie- ßung bei Siemens leider kein Einzelfall) – Drucks. 19/ 5431 –
Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend eine Aktuelle Stunde (Massenentlassung trotz Milliardengewinn: Solidarität mit den Beschäftigten bei Siemens in Offen- bach und an den anderen Standorten) – Drucks. 19/ 5432 –
Das Wort hat zunächst der Abg. Lenders für die Fraktion der Freien Demokraten. Bitte schön. – Ich sage noch dazu: Redezeit 7,5 Minuten, weil wir die beiden Aktuellen Stunden zusammen aufrufen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist sicherlich schwierig für das gesamte Plenum, jetzt wieder zur Sachpolitik zurückzukehren. Ich glaube aber, dass es richtig und notwendig ist. Nach den Meldungen, die uns erreicht haben, dass der Siemens-Konzern in erheblichem Umfang, nicht nur in Hessen, sondern in ganz Deutschland, Stellen abbauen will, müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, welche Rolle die Industrie in Deutschland spielt.
Ich kann mich gut an Zeiten erinnern, in denen man gesagt hat, die Industrie habe ausgedient, man solle sich mehr dem Dienstleistungssektor zuwenden. Meine Damen und Herren, was das bedeutet, haben wir in England gesehen. England hat sozusagen keine Industrie mehr, auf jeden Fall nicht mehr in nennenswertem Umfang. Dort hat man ziemlich konzentriert auf Dienstleistungen gesetzt und irgendwann einmal feststellen müssen, gerade in der Finanzmarktkrise, dass das ein Land ziemlich nah an den Rand des Abgrunds bringen kann.
Meine Damen und Herren, Industrie bedeutet echte Wertschöpfung und vor allen Dingen Arbeitsplätze. Es waren die industriellen Kerne, die uns in Hessen, aber auch in Deutschland aus der besagten Finanzmarktkrise herausgehoben haben und Deutschland so gut dastehen lassen, wie Deutschland heute dasteht.
Es gibt eine Studie der Industrie- und Handelskammer zum Netzwerk der Industrie in Frankfurt, die zu dem Schluss kommt, dass rund die Hälfte aller Arbeitsplätze in der Region der Industrie- und Handelskammer in der Industrie zu suchen ist. Das zeigt sich auch in anderen Industrieländern.
Hessen erlebt derzeit eine beispiellose Welle der Deindustrialisierung. Das Wella-Werk in Hünfeld: 400 Arbeitsplätze weg. Mundipharma in Limburg: Ende der Produktion, 600 Jobs weg. Sanofi im Industriepark Höchst: 600 Jobs weg. Spezialguss in Wetzlar: in der Insolvenz, 140 Arbeitsplätze weg. Carl Zeiss in Wetzlar: 220 Stellen weg. Bosch Rexroth: 150 Arbeitsplätze weg. Schließung Rodenstock: 140 Arbeitsplätze weg. Abwicklung des Au
tozulieferers Johnson Controls: 700 Beschäftigte betroffen. Autozulieferer Continental in Karben: 160 Jobs weg.
Und jetzt zuletzt die Hiobsbotschaft zu Siemens, Standort Offenbach: 700 hoch qualifizierte Arbeitsplätze aus dem Ingenieur- und Entwicklungsbereich sind bedroht.
Wenn wir dann die Meldung „Noch ein Opfer der Energiewende“ dazu lesen – das war die Überschrift der „FAZ“ zur geplanten Schließung von Siemens –, muss man sagen, dass eine ideologisch getriebene Energiewende am Ende – was die Kanzlerin einmal als „Dekarbonisierung der Industrie“ ausgegeben hat – eben nicht zu diesem Wirtschaftswunder führt, das uns so viele gerne glauben machen wollen, vielmehr kostet das massiv Arbeitsplätze, auch in Hessen. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu.
Wir reden uns teilweise wirklich besoffen, wenn es darum geht, was die erneuerbaren Energien alles an Chancen bieten. Meine Damen und Herren, wer da von den Chancen redet, muss eben auch klar sagen, dass es angestammte Wirtschaftsbereiche sind, die darunter zu leiden haben, und dass es Entscheidungen von Konzernen sind, die dann harte Einschnitte eben auch bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zur Folge haben.
Was ich Ihnen eben vorgelesen habe ist am Ende auch eine Bilanz eines hessischen Wirtschaftsministers – Herr AlWazir, das ist Ihre Bilanz, und diese Bilanz ist nicht gut.
Ich will ausdrücklich sagen: Als es in den Koalitionsverhandlungen um den Ausstieg aus der Kohleindustrie ging, hat es einen Masterplan für einen Ausstieg aus der Subvention für die Steinkohle gegeben. Es waren Tausende von Arbeitsplätzen im Revier, die von Kohle und Stahl abhängig sind. Es hat einen jahrzehntelangen Prozess gebraucht, um diesen Strukturwandel zu ermöglichen. Ich kann mich gut daran erinnern: Es war die FDP, es waren die Freien Demokraten, die gesagt haben: „Wir steigen aus dieser Steinkohlesubvention aus“. Dabei haben wir aber geliefert, eben auch diesen Strukturwandel, dass sich eine Industrie, ein ganzes Revier umstellen kann. Was die GRÜNEN aber in den Verhandlungen wollten, war das Abschalten der Kohleindustrie von heute auf morgen – damit wären ebenfalls Tausende von Arbeitsplätzen verloren gegangen. Das ist unverantwortlich.
Aber zum Thema „Unverantwortung“. Bei all den Fragen – man kann es politisch diskutieren, dass solche Strukturprozesse begleitet werden müssen – zu dem, was der SiemensKonzern an dieser Stelle tut – nämlich über 3.000 Arbeitsplätze infrage zu stellen, davon 700 Arbeitsplätze in Offenbach –, ist der Siemens-Konzern ein Konzern mit Milliardengewinnen. Dass dieser Konzern, der so viel Eigenkapital hat, dass er sich vom Fleck weg selbst kaufen könnte, am Ende eine Bank mit einem angeschlossenen Elektrogroßhandel ist, der so viele Perspektiven hat, keine Perspektive für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufzeigt, sondern einfach in den Strukturwandel reingeht und sagt: „Das wars, wir bauen ab“ – das versteht selbst ein Freier Demokrat nicht mehr.
(Beifall der Abg. Nancy Faeser und Wolfgang Decker (SPD) – Janine Wissler (DIE LINKE): Das will etwas heißen!)
Wir rufen dazu auf, dass die Leitung dieses Konzerns Perspektiven und Strukturwandel begleitet und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vertrauensvoll mitnimmt und ihnen eine Perspektive bietet. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Lenders. – Als Nächste spricht Frau Kollegin Wissler für die Fraktion DIE LINKE.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil es nicht sein darf, dass ein Konzern wie Siemens Milliardengewinne macht und gleichzeitig massiv Stellen abbauen will.
Ich freue mich, dass Vertreter des Betriebsrates von Siemens in Offenbach heute hier im Landtag auf der Besuchertribüne zu Gast sind. Herzlich willkommen und solidarische Grüße an die Kolleginnen und Kollegen in Offenbach, die um ihre Arbeitsplätze kämpfen.
Solidarische Grüße auch nach Berlin, wo gerade Tausende Siemens-Beschäftigte aus dem ganzen Bundesgebiet für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze demonstrieren – auch von hier herzliche Grüße dorthin.