Protokoll der Sitzung vom 12.12.2017

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden gleichzeitig – das werden wir morgen bei der Einzelplandebatte hören – auch darüber reden, wo wir Qualität verbessern. Das gehört in die Einzelplanlesung zum Kollegen Stefan Grüttner.

(René Rock (FDP): 08!)

Ich bin sehr sicher, dass Sie aufmerksam zuhören werden und vieles von dem, was Sie auch wollen, durchaus dort wiederfinden, wenngleich sich die Beträge möglicherweise ein bisschen unterscheiden.

Ein Teil Ihrer Rede, den ich sehr kritisch bewerte – das sage ich ausgerechnet und sehr bewusst in Richtung eines Liberalen –, ist der, in dem Sie über die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt in Hessen gesprochen haben. Sie haben, glaube ich, 14, 15 Unternehmen aufgezählt und gesagt: Schaut euch das an. Dort sind Arbeitsplätze abgebaut worden.

Ich nehme einmal die Beispiele Mundipharma und Siemens, von denen Sie sagen, diese Veränderungsprozesse hätten ausschließlich mit der Landesregierung zu tun.

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Nicht ausschließlich! Das haben wir nicht gesagt! Sie müssen schon zuhören!)

Wenn das so ist, dann würde ich im Umkehrschluss aber ebenso für diese Landesregierung reklamieren, dass 100.000 neue, zusätzliche Vollzeitarbeitsplätze mit dem Wirken der Landesregierung zu tun haben. Da wir das nicht zu 100 % unserer Leistung, sondern durchaus den sicherlich sinnvollen und klugen Rahmenbedingungen zuweisen, also eben nicht alleine für uns reklamieren, glaube ich, dass der Ansatz, den Sie gewählt haben, grottenfalsch ist.

(Zuruf des Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Denn Sie sind ein liberaler Politiker; die FDP reklamiert für sich die Lehre der sozialen Marktwirtschaft. Ein Grundprinzip der Marktwirtschaft ist es, dass sich Dinge verändern und dass Unternehmen beispielsweise Geschäftsfelder schließen, um neue zu eröffnen, also sich zukunftsgewandt ausrichten.

(Zuruf des Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Es gibt mittelständische Unternehmen unter dem Dach internationaler Holdings – da nehme ich einmal Mundipharma als Beispiel, weil Sie es genannt haben –, bei denen es Veränderungen gibt, die irgendjemand auf dem Chefsessel in New York bei irgendeinem der großen Investmentfonds veranlasst. Da kann man lange darüber streiten: Ist das in Ordnung? Ist das sozialpolitisch verantwortlich? Darüber streiten wir auch.

Gerade an dieser Baustelle waren übrigens nicht nur ich persönlich, sondern auch der Wirtschaftsminister und der Ministerpräsident an verschiedenen Stellen involviert. Wir haben sicherlich zu der jüngsten Nachricht aus diesem Unternehmen beigetragen, dass Verlagerungen jedenfalls nicht in diesem Umfang stattfinden werden und dass, wenn Verlagerungen stattfinden werden, sie in Richtung Frank

furt/Rhein-Main stattfinden. Das ist aber eine Unternehmensentscheidung.

Ich wundere mich ein bisschen, dass Sie als Liberaler sagen, dass man das als Unternehmen alles nicht darf, und Sie darin ein Versäumnis der Landesregierung sehen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ja, dieses Land ist in einem guten Zustand. Darauf ruhen wir uns nicht aus. Im Gegenteil: Das spornt uns noch mehr an, diese Politik – Sie haben den Koalitionsvertrag ja zitiert und bemüht – fortzusetzen. Ich bin guter Dinge, dass wir das auch werden tun können.

Ich habe die Arbeitsplatzsituation erwähnt, die erfreulich ist wie nie zuvor, sage aber gleich immer wieder dazu: Ja, es gibt durchaus auch Menschen, die am Erwerbsprozess nicht teilhaben und um die wir uns weiter kümmern müssen. Das gilt übrigens für Hessen wie für den Bund. Solange es noch 1,5 oder 2 Millionen Arbeitslose im Land gibt, sage ich: Das sind 1,5 oder 2 Millionen zu viel, wenngleich wir wissen, dass manches in dieser Statistik einfach der Statistik geschuldet ist. Aber viele in diesem Land sind nach heutigem Stand auch nicht in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, sind jedenfalls einem vollen Arbeitsplatz nicht gewachsen. Das ist Aufgabe der Sozialpolitik, und deswegen haben wir den Sozialetat enorm erhöht. Denn wir sehen, dass wir uns gerade auch um diese Menschen noch mehr kümmern müssen. Das gehört zu einer ausgewogenen, ausgeglichenen Politik, heißt aber nicht, dass wir in den Bemühungen um Neuansiedlungen nachlassen werden.

Sie haben die Start-ups angesprochen, Herr Kollege Rock. Wir haben Start-ups in allen Bereichen. Ich weiß nicht, wo Sie diese Zahlen herhaben; die müssen Sie mir einmal geben. Ich will jetzt nicht ins Detail gehen, aber zu Berlin haben Sie, glaube ich, gesagt, es gebe dort 1 Milliarde € Invest in Start-ups in einem Jahr und in Hessen 49 Millionen €. Diese Statistik würde ich gerne einmal sehen. Wenn das staatliche Mittel sind, kann es sein, dass die Berliner Senatsverwaltung so viel Geld aus dem Länderfinanzausgleich nimmt. Das glaube ich aber wiederum auch nicht. Die Summen scheinen mir also sehr schräg zu sein.

Wenn Sie sagen, dass in Hessen Start-ups in einem Jahr 49 Millionen € Invest hatten, müssen wir mal über die Frage reden: Was ist für Sie eigentlich ein Start-up-Unternehmen? Für mich ist das nicht nur Hightech und „digital industry“, sondern für mich ist das auch Handwerk um die Ecke.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Noch mehr!)

Ich wäre dankbar, wenn wir uns darüber einmal in Ruhe austauschen könnten. Ich kann mir sicher nicht vorstellen, dass das eine solche Schieflage hat, wie Sie sie hier beschrieben haben.

Um nur ein Beispiel herauszunehmen: Stichwort Fintech, eine tolle Entwicklung.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Genau!)

Da kann man sagen: Die Berliner haben die Nase vorn. Das stimmt. Das hat aber etwas mit dem Charme dieser Stadt zu tun, die einmal einen Regierenden Bürgermeister hatte, der die Überschrift gewählt hat: „Arm, aber sexy.“ International haben das mittlerweile viele Menschen als im wahrsten Sinne des Wortes für sie attraktiv empfunden,

und sie gehen dorthin, weil die Stadt einfach prosperiert und spannend ist. Alfred Biolek hat mir einmal gesagt, Berlin sei das New York der Achtziger. Das ist vielleicht gar nicht so falsch.

Wir sind zwar keine Altruisten, aber trotzdem darf man sagen: Ich freue mich über eine positive Entwicklung in der Stadt Berlin, wenngleich es eine Senatsregierung gibt, die alles daransetzt, dass die Stadt nicht weiter prosperiert. Aber das ist ein anderes Thema.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben dort beispielsweise eine Start-up-Szene im Bereich der Finanzdienstleistungswirtschaft, die sehr spannend ist. Wir haben diese Szene mittlerweile aber auch in Frankfurt am Main. Ich bin vor zwei oder drei Wochen im Fintech-Zentrum im Pollux-Gebäude in Frankfurt gewesen und freue mich sehr darüber, dass nach zwei Etagen jetzt die dritte Etage schon ausgebucht ist und wir räumlich schon aus allen Nähten platzen. Ich glaube, mittlerweile sind es 70 oder 80 Unternehmen in einer gerade für uns sehr spannenden Industrie, nämlich der Finanzdienstleistungsindustrie.

Was mich am meisten freut, ist, dass die sogenannten etablierten großen Banken und Geldhäuser sagen: Das ist nicht nur keine Konkurrenz, sondern ganz im Gegenteil: Wir profitieren von deren Kreativität.

Insofern erhoffe ich mir und erhoffen wir uns dort eine tolle Symbiose junger Start-up-Unternehmen mit einer durchaus teilweise jahrhundertealten Branche, nämlich der Finanzdienstleistungsindustrie. Das funktioniert toll.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Erfreulich ist für mich die Tatsache, dass, wenn es ernst wird, d. h. Start-up-Unternehmen auch in Berlin ein tolles Produkt kreiert haben und dann in eine Wachstumsphase kommen und dafür Geld brauchen – das ist übrigens ein Thema, über das wir durchaus noch reden können, aber auch dort tut sich in Hessen eine ganze Menge –, die, die dort Verantwortung tragen, sagen: Dann gehe ich doch lieber dorthin, wo die Musik spielt. – Dann kommen sie und klopfen auch und gerade an Frankfurter Türen. Das ist eine schöne Entwicklung.

Wenn in Berlin die Leute zunächst einmal ihr Kreativpotenzial möglicherweise nicht nur im beruflichen Umfeld, sondern auch im privaten Umfeld vollends ausleben, aber dann, wenn sie mit ihrer Idee reifen und vielleicht auch als Unternehmer reifen, nach Frankfurt, nach Hessen kommen, halte ich das, wie gesagt, für eine erfreuliche Entwicklung. Die sollten wir nicht beklagen.

Insofern sind Ihre Zahlen natürlich völliger Nonsens; denn das, was hier abgeht, ist gerade wirklich im wahrsten Sinne des Wortes hoch spannend. Es wird die gesamte Region und damit immer das ganze Land voranbringen, und darüber freue ich mich.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt habe ich mich aber, glaube ich, genug mit der FDP beschäftigt.

(René Rock (FDP): Schade!)

Ja, aber ich habe gesagt, ich will nichts wiederholen. Sie bieten natürlich auch Anlass, dass man sich mit Ihnen beschäftigt.

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Lieber mit der FDP als mit der SPD!)

Dann will ich mich noch einem Punkt zuwenden, lieber Herr Kollege Hahn, bei dem ich einfach einmal sagen muss: Nachhaltigkeit sollte tatsächlich auch eine Politik beinhalten, die über längere Zeiträume verlässlich ist. Ich komme noch einmal zur Energiepolitik; das ist übrigens ein Teil unserer Wirtschaft, der auch eine der Zukunftsbranchen ist.

Wir haben nun Gott sei Dank in Hessen eine Reihe guter Beispiele dafür, wie viele Unternehmen und wie viele Arbeitsplätze im Sektor der regenerativen Energien entstanden sind – bei allem Auf und Ab aufgrund der großen Volatilität der Umsätze, aufgrund der Volatilität der Politik im Bereich der Energiewende. Es ist aber immerhin eine Branche, bei der wir sagen können: Da sind die Unternehmen in Hessen weltweit sehr weit vorn, um nicht zu sagen: an vielen Stellen auf Platz 1 und Weltmarktführer.

Wenn man so etwas haben will, muss Politik auch verlässlich sein. Herr Kollege Rock, sagen Sie doch einfach zu dieser gesamten politischen Frage immer wieder dazu, dass Sie noch vor wenigen Jahren die Welt völlig anders gesehen haben und eine völlig gegensätzliche Position vertreten haben, die Sie jetzt verlassen. Man könnte angesichts von Wahlauseinandersetzungsterminen vermuten, warum Sie das tun.

2011 wurde in Bundestag und Bundesrat eine Energiewende beschlossen. Bei anderer Gelegenheit können wir gerne noch einmal über all das reden, was davor passiert ist, und auch darüber reden, dass es auch in meiner Partei aufgrund von Fukushima Veränderungsprozesse gegeben hat. Das will ich vorwegnehmen, weil sonst gleich der Zwischenruf kommt.

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Och nö!)

Aber Sie sollten und müssen einmal sagen, was sich seit 2011 mit Blick auf die ursprüngliche Motivation verändert hat, 2011 diesen Beschluss zu fassen, nämlich bis 2022 aus der Kernenergie und sukzessive auch aus fossilen Brennstoffen auszusteigen. Aus meiner Sicht hat sich an der klimatischen Situation und an der Situation in unserer Gesellschaft gar nichts geändert. Der Einzige, der eine 180-GradKehrtwende vollzogen hat, ist die FDP.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn Herr Rock hat zu diesem Zeitpunkt einen Satz gesagt, den ich Ihnen nicht vorenthalten will – ich habe es mir eben noch einmal ausdrucken lassen –:

Deutschland ist das einzige Industrieland der Welt, das die Energiewende ernsthaft und mit einem breiten Konsens der politischen Parteien betreibt. … Aber ich glaube, es besteht ein Gesamtkonsens darüber, dass wir diesen Weg gehen. Darüber gibt es keinen Streit mehr.

(Zuruf von der CDU: Aha!)

Von daher glaube ich auch, dass Deutschland eine ganz besondere Verantwortung hat. Auch das Land