Protokoll der Sitzung vom 01.02.2018

Ich sage Ihnen: Kein Konzept am Ende der Wahlperiode zu haben, damit werden Sie nicht durchkommen. In der Mitte der Wahlperiode zu sagen, was an dem Konzept der Regierung noch ausbaufähig ist, wird Sie nicht durch den Wahlkampf tragen. Sie werden nicht umhinkommen, einmal Farbe zu bekennen, was Ihr Konzept ist. Darauf warten wir immer noch vergebens.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass Sie kein Konzept haben. Wir hingegen haben ein Konzept. Das werden wir Schritt für Schritt ausbauen. Wir werden den Weg in Rich

tung Inklusion weiterhin beschreiten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der Abg. Jürgen Frömmrich und Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der CDU)

Herr May, danke. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Greilich das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege May, wir haben vorhin mit einer Besuchergruppe schon einmal über das Thema Inklusion gesprochen. Ich sage gerne im Plenum noch einmal, was ich da schon zusammengefasst habe.

Ich glaube, es gibt in diesem Parlament keine Fraktion, die nicht an dem Ziel einer möglichst vollständigen Umsetzung der Inklusion in Hessen festhalten will. Sie verfolgen genau dieses.

Es gibt aber einen grundlegenden Unterschied zwischen Ihnen und uns in der Art und Weise, wie wir das machen wollen. Dazu stehe ich. Das will ich hier gerne noch einmal sehr deutlich erklären.

Wir haben uns mit den Kollegen der Union in der letzten Wahlperiode immer wieder anhören müssen, wir seien bei der Umsetzung der Inklusion nicht auseichend engagiert. Die Vorwürfe kamen gerade auch aus Ihrer Fraktion. Sie kamen aus der SPD-Fraktion.

Wir haben das damals schon zurückgewiesen. Herr Kollege Schwarz und ich waren uns da immer einig. Wir haben darauf hingewiesen: Ohne die notwendigen Ressourcen, ohne die notwendigen Lehrerstellen, also die personellen Ressourcen, und ohne die räumlichen Voraussetzungen, ist die Inklusion flächendeckend einfach nicht möglich. Solange wir diese Ressourcen nicht vollständig bereitstellen können, haben wir den Ressourcenvorbehalt.

Nun befindet sich die Union in einer Koalition mit den GRÜNEN. Seit vier Jahren ist das Chaos an den hessischen Schulen ausgebrochen. Sie haben die Inklusion mit der Brechstange verordnet. Das führt eben dazu, dass Inklusion auf Kosten der Schülerinnen und Schüler angeboten werden muss, und zwar sowohl auf Kosten derer mit besonderem Förderbedarf wie auch derer ohne besonderen Förderbedarf. Auf deren Rücken wird das ausgetragen.

Jeder, der sich einmal mit dem Thema beschäftigt hat und in den Unterricht hineingeschaut hat, weiß, dass die Inklusion letztlich nur gelingen kann, wenn sie zwei oder drei Inklusionsfälle in der Schule bzw. in der Klasse haben und wenn eine entsprechende Doppelbesetzung gewährleistet werden kann.

Unabhängig davon, ob Sie Inklusionsbündnisse oder was auch immer machen, nützt es überhaupt nichts, dass Sie vier oder fünf Stunden Doppelbesetzung bereitstellen und den Rest der Zeit die Klasse und die Lehrerin allein lassen. Das betrifft den Ressourcenvorbehalt. Er muss gelten. Ohne ihn fahren Sie die gesamten Inklusionsbemühungen an die Wand. Das ist das Problem, das uns alle immer wieder berichten.

(Beifall des Abg. René Rock (FDP))

Eigentlich geht es um die Antwort auf die Große Anfrage. Aber Herr May wollte das gerne noch einmal hören. Hinsichtlich der Antwort auf die Große Anfrage zum Umsetzungsstand der inklusiven Beschulung kann ich eigentlich nur das wiederholen, was ich vorhin schon ein paarmal gesagt habe. Das zeigt wieder das Motto dieser Landesregierung: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen.

(Zuruf)

Ich kann das noch so lange wiederholen, bis Sie es mitsprechen können. Das geht schon.

In großem Maße wird Auskunft über Zielsetzungen, Rechtsgrundlagen und Rahmenbedingungen gegeben, die, wenn das alles stimmt, was in der Antwort steht, zu einer weitestgehend problemlosen Umsetzung führen müssten. Dummerweise bekommen wir immer wieder andere Rückmeldungen von den Eltern, von den Lehrern und von den Verbänden. Demnach gibt es immer wieder Probleme, Einlassungen und Kritik. Ich hatte das eingangs schon an dem Beispiel des nicht mehr geltenden Ressourcenvorbehalts genannt.

Einige Themen will ich aber noch einmal gesondert hervorheben. Beispielsweise haben wir mit verschiedenen Initiativen bereits die Evaluationsergebnisse bzw. die Einschätzungen der Arbeit in der Modellregion angesprochen. Wir haben da auch auf Auswertungen bestanden. Die sind nach wie vor dünn.

Es ist schon bedauerlich, dass das Kultusministerium auch da nicht in der Lage oder nicht willens ist, die zentralen Ergebnisse und Erkenntnisse zusammenzufassen. Vielmehr wird auf Geschäftsberichte auf den Homepages verwiesen.

Da geht es letztlich um eine fachliche Einschätzung und Bewertung der Landesregierung. Die hätten wir gerne einmal gehört. Nur weil jetzt die Modellregionen auslaufen und in ein anderes Projekt überführt werden, wie es so schön heißt, ist es doch nicht irrelevant, zu erfahren, welche positiven Erfahrungen gemacht wurden und welche Problemlagen es gab bzw. gibt, die vielleicht mit Blick auf die Inklusionsbündnisse in Zukunft vermieden werden könnten. Das ist die eigentlich spannende Frage.

Man kann sich dann noch weiter mit der Antwort auf die Große Anfrage beschäftigen. Ich habe mir einmal die Antworten zu den Fragen 11 und 17 herausgegriffen. Dort heißt es ganz kurz und knapp, es lägen „keine belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse“ vor. Herr Minister, das mag zutreffen. Aber man hat nicht den Eindruck, dass sich mit den Fragestellungen intensiv beschäftigt wurde und dass es einen Erkenntnisgewinn gibt. – Ja, meine Kollegen aus der Fraktion, es darf geklatscht werden.

(Heiterkeit bei der SPD – Beifall der Abg. René Rock (FDP) und Christoph Degen (SPD) – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auch hier gilt das freie Mandat!)

Vielen Dank.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Stand das jetzt im Manuskript?)

Genau an dieser Stelle setzt der Handlungsbedarf an: Welche Schlüsse zieht das Kultusministerium denn aus der Studie? Wie können die aufgeworfenen und nicht beantworteten Fragen so aufgegriffen werden, dass es auch Kon

sequenzen daraus gibt? Welche Konsequenzen ergeben sich aus den Untersuchungen? – Dazu findet sich in den Antworten der Landesregierung erstaunlich wenig.

Erstaunlich ist auch die Antwort auf die Frage 21, die den Zusammenhang zwischen Förderquote und Förderschulbesuchsquote betrifft. Die Formulierung im letzten Absatz muss man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen, deshalb zitiere ich es wörtlich:

Erklärt wird der Anstieg der Förderquote mit dem von der Wissenschaft so genannten Ressourcen-Etikettierungs-Dilemma, d. h. dass durch individuelle Feststellungen eines Bedarfs personelle Ressourcen ausgelöst werden und dies einen Anreiz für die Feststellung eines Anspruchs darstellt. Die Gegensteuerung durch das Hessische Kultusministerium erfolgt hierzu über die Zusammenfassung der sonderpädagogischen Gesamtressource für Förderschule und inklusiven Unterricht im Rahmen der inklusiven Schulbündnisse (iSB) als garantierte und flexibel einsetzbare Förderschullehrerstellen und eine stärkere Ausrichtung der Lehrerzuweisung in Richtung schul- und aufgabenbezogener Versorgung.

Da stellt sich schon die Frage: Was will man uns eigentlich damit sagen?

(Beifall bei der FDP)

Was will man uns denn damit sagen? – Ich kann nur sagen, das ist wieder das, was ich schon ein paarmal kritisiert habe: nichts hören, nichts sagen, aber viele Worte darum herum verlieren, ohne dass konkrete Aussagen kommen, die Antworten auf die Fragen geben, die sich stellen.

Herr Kollege Reif, leider zieht sich der angesprochene Duktus durch die gesamte Antwort. Es sind über 200 Fragen und Antworten. Es lohnt sich, das zu lesen; dann sind Sie am Wochenende beschäftigt.

Das Ganze findet seinen Höhepunkt in der Antwort auf Frage 219, in der explizit nach dem Umgang mit den Beanstandungen gefragt wurde. Darin werden noch einmal gebetsmühlenartig die bekannten Maßnahmen vorgestellt, die auch nicht angezweifelt werden. Aber die Frage, wie sich das in der Praxis auswirkt und wie mit Problemen umgegangen wird, bleibt offen und wird nicht beantwortet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, man könnte sich jetzt mit jeder einzelnen Frage beschäftigen. Schon Herr Kollege Degen hat gesagt, dass Sie vielleicht ein paar Fragen zu viel gestellt haben. Nein, so haben Sie es nicht gesagt, aber die Masse an Fragen erschlägt einen förmlich.

Deswegen möchte ich nur abschließend etwas sagen, um das ganze Thema einzuordnen: Inklusion ist ein Beispiel für die zunehmende Heterogenität in den Schulen. Wir müssen das durch die steigende Heterogenität, den Ausbau von Ganztagsschulangeboten, die Integration von Seiteneinsteigern und die Inklusion veränderte Aufgabenspektrum für die Schulen anerkennen und endlich auch in den Fokus des politischen Handelns rücken.

Wir müssen konkrete Unterstützungsmaßnahmen insbesondere für Lehrkräfte und Schulen auf den Weg bringen, die mit der derzeitigen Situation Probleme haben. Entscheidend ist dabei die tatsächliche Unterstützung und Begleitung, sodass Schulen auch weiterhin den Mut aufbringen können, sich mit ihren Problemlagen auseinanderzusetzen und diese zu artikulieren.

Der von der Landesregierung verfolgte Weg der Durchsetzung der Inklusion mit der Brechstange bewirkt das Gegenteil. Er schadet, wie ich schon gesagt habe, gleichermaßen Schülerinnen und Schülern mit und ohne besonderen Förderbedarf sowie Lehrerinnen und Lehrern. Das sollten Sie zügig ändern.

(Beifall bei der FDP)

Danke, Herr Greilich. – Für die Landesregierung spricht Staatsminister Lorz vom Kultusministerium.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und damit natürlich auch der Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie wird uns noch lange begleiten. Die Schulen können dieses Vorhaben nicht allein bewältigen – darauf lege ich großen Wert –, wenngleich sie natürlich einen großen Beitrag in diesem kooperativen Prozess leisten können.

Diese Landesregierung verfolgt den Weg, Inklusion schrittweise und mit Augenmaß voranzubringen; denn nur so lässt sich Inklusion qualitätsvoll verwirklichen. Das wissen wir.

Im Zentrum allen Handelns steht für die Hessische Landesregierung das Kindeswohl. Die Richtschnur dafür ist primär der Elternwille. Das bedeutet, vor Ort sind die Interessenlagen, aber auch die Zuständigkeiten, die Aufgaben und die Voraussetzungen aufseiten der Eltern, der Schule und des Schulträgers zu bedenken und zu berücksichtigen. Aus diesem Gedanken heraus setzt die Landesregierung auf dezentrale Entscheidungsfindung, und aus diesem Gedanken heraus ist das Konzept der inklusiven Schulbündnisse entstanden.

Wir verordnen eben nicht von oben, wie Inklusion flächendeckend in Hessen auszusehen hat, weil wir wissen, dass die Verhältnisse vor Ort immer ganz besonders sind und individuell beurteilt werden müssen. Verehrter Abg. Greilich, deswegen müssen Sie sich schon entscheiden: Entweder werfen Sie uns vor, nichts zu tun – nichts hören, nichts sehen usw. –, oder Sie werfen uns vor, Inklusion mit der Brechstange zu machen.

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Hilfsweise! Hilfsweise!)

Aber Sie können nicht gleichzeitig sagen: „Sie machen nichts“, und: „Sie machen zu viel“. Beide Vorwürfe gleichzeitig zu erheben, geht einfach nicht.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es ist das Ziel der Landesregierung, Kinder ganz selbstverständlich in Regelklassen aufzunehmen und sie dafür auch nicht unnötigerweise mit dem Etikett „Anspruch auf sonderpädagogische Förderung“ zu versehen.

Wir setzen ganz stark auf Prävention. „Prävention vor Feststellung“ ist unsere Maxime. Mehr als 30.000 Maßnahmen für Schülerinnen und Schüler werden inzwischen an Regelschulen durchgeführt, durch die Schülerinnen und

Schüler angemessen gefördert werden, ohne dass sie mit einem Stempel versehen werden.

Diese Förderung, die eine herausragende gemeinsame Leistung der Lehrkräfte der allgemeinen Schulen auf der einen Seite und der Beratungs- und Förderzentren auf der anderen Seite ist, wird seit Jahren von der Landesregierung auch mit einem großen Ressourceneinsatz unterstützt. Wir können das Ergebnis besichtigen. Es spiegelt sich nämlich beispielsweise in den KMK-Zahlen der Förderquote. Sie gibt darüber Auskunft, bei wie vielen Schülerinnen und Schülern in einem Bundesland ein Anspruch auf sonderpädagogische Förderung festgestellt wurde. Hier liegt Hessen auf einem sehr guten Platz. Das zeigt, unsere enormen Anstrengungen tragen Früchte, meine Damen und Herren.