Protokoll der Sitzung vom 01.02.2018

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Claudia Ravensburg (CDU))

Der Grundgedanke der Schulbündnisse ist schon grundsätzlich falsch. Eine Konstruktion wie Schwerpunktschulen kann nicht inklusiv sein. Das ist logisch: Exklusion schließt Inklusion notwendigerweise aus.

(Zuruf der Abg. Claudia Ravensburg (CDU))

Manchmal muss man es fünfmal sagen, sonst kommt es nicht an. Aber ich weiß, es ist nichts, was mit Verstehen zu tun hat. Es hat etwas mit Ideologie zu tun, und Ihr Bild von

Menschen und Menschen mit Behinderungen ist ein anderes als meines. So sieht die Welt aus.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU)

Das weiß ich, und deswegen sage ich das auch.

(Armin Schwarz (CDU): Damit wird es nicht besser!)

Dabei könnte man Inklusion tatsächlich angehen. Dafür muss als Erstes der Ressourcenvorbehalt fallen; das ist das A und O. Denn neue Aufgaben bedürfen neuer Mittel. Dann es ist möglich. Das kann man sehen, wenn man nach anderen Bundesländern schaut. In Bremen gibt es die Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen nicht mehr. Alle Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden inklusiv unterrichtet.

Dann sagen Sie immer, Bremen ist eine Stadt. Dann nehmen wir ein Flächenland: Niedersachsen. Dort sind die Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen im Primarbereich bereits ausgelaufen. Jetzt steht das Auslaufen dieser Schulform in der Sekundarstufe I an. Dann kann man noch Hamburg nehmen. Aber das erspare ich mir jetzt.

Es gibt also bereits Beispiele, die man sich ansehen kann, und wir haben es in den vergangenen Jahren immer eingefordert, dass man von jemand anderem etwas lernt. Irgendwie geht es woanders, und hier in Hessen geht es nicht. Da müsste man eigentlich einmal etwas lernen.

(Kurt Wiegel (CDU): Vielleicht ist es hier besser!)

Sie verteidigen lieber ein ungerechtes und unsoziales Schulsystem, das von vorneherein die Kinder begünstigt, die in die Norm passen und aus den sogenannten guten Elternhäusern stammen.

Da würde ich Ihnen vorschlagen: Lesen Sie noch einmal die UN-Behindertenrechtskonvention. Dort wird der Aufbau eines inklusiven Schulsystems als unverrückbares Menschenrecht gefordert. Von inklusiven Schulbündnissen und Ressourcenvorbehalten steht dort nichts.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass die CDU die Konvention nicht liest, erscheint mir noch irgendwie nachvollziehbar. Die haben so ein Bild. Das haben wir gerade wieder gehört. Aber diese UN-Konvention ist doch eine originär grüne Konvention. Ich frage also Sie von den GRÜNEN: Sind inklusive Schulbündnisse, Ressourcenvorbehalte und der Schulterschluss mit der CDU eine erfolgreiche grüne Bildungspolitik? Das müsste mir jemand beantworten. Ich verstehe nicht, wie man so ein Bündnis machen kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Frau Faulhaber. – Für die GRÜNEN hat sich jetzt Herr May zu Wort gemeldet.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Der erklärt dir das jetzt, Gabi!)

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns GRÜNE gilt: Die Inklusion von Kindern mit Behinderungen muss grundsätzlich allen Eltern ermöglicht

werden, die das wünschen. Wir sehen darin die Erfüllung eines Anspruchs, der den Eltern und den Kindern aus der UN-Behindertenrechtskonvention erwächst. Wir wollen erreichen, dass die Inklusion an unseren Schulen von der Ausnahme zur Regel werden kann.

Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention hat die hessischen Schulen und die Politik vor eine durchaus große Aufgabe gestellt, und wir stehen bei der Umsetzung dieser Zielvorgaben vor einem gewissen Spagat. Einerseits erwarten viele Eltern, die schon lange und intensiv mit ganzer Kraft für eine inklusive Beschulung ihrer Kinder kämpfen, dass es schneller vorangeht. Andererseits dürfen wir nur so schnell vorangehen, wie unser Schulsystem mit seiner jahrzehntelangen nicht inklusiven Tradition die Veränderung auch mitgehen und qualitativ umsetzen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Es geht also um die Kombination von Klarheit im Ziel und Augenmaß in der Umsetzung. Genau diesen Weg haben wir in Hessen eingeschlagen. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern haben wir deswegen nicht per Stichtag Förderschulen abgeschafft, ohne dabei zu berücksichtigen, ob die anderen Schulen schon hinreichend auf die inklusive Beschulung vorbereitet sind.

In Hessen ist stattdessen der Elternwille dafür maßgeblich, ob ein Kind zur Förderschule geht oder inklusiv beschult wird. Das hat dazu geführt, dass in den letzten Jahren sukzessive – behutsam, aber stetig – eine Verschiebung von den Förderschulen hin zum inklusiven Unterricht stattgefunden hat und dass wir fast allen Wünschen auf inklusive Beschulung stattgeben konnten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Wir sind nicht so vermessen, zu sagen, dass wir per Landtagsbeschluss die Probleme und Sorgen, die es dort gibt, einfach wegzaubern könnten. So etwas funktioniert vielleicht in der Fantasiewelt der Linkspartei. Aber wenn Sie reale Politik machen wollen, müssen Sie schauen, wie Sie die Dinge organisieren können.

Von daher hören wir ganz genau zu. Wir hören den Eltern zu, die wünschen, dass ihr Kind inklusiv beschult werden kann. Wir hören denjenigen Eltern zu, die ein Kind haben, wo Inklusion stattfinden wird. Wir hören den Lehrern zu, die mit einer neuen Aufgabe betraut sind. Wir hören denjenigen Förderschullehrern zu, die von einer Förderschule ins Regelschulwesen wechseln. Wir nehmen alles das, was wir dort hören, auf und setzen es in pragmatische und praktische Politik um.

Denn es gibt im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, wie man mit einer aktuellen Situation umgeht, die herausfordernd ist. Die eine Möglichkeit ist – das ist die Variante FDP –: Man hört auf mit der Umsetzung. Man steckt den Kopf in den Sand und verweigert die weitere Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. – Ich muss sagen, dass dieses Modell keines ist, das für uns GRÜNE trägt, sondern wir stehen zur UN-Behindertenrechtskonvention. Wir wollen diejenigen, die Inklusion wünschen, weiter unterstützen und die Schulen darin stärken. Von daher ist das, was Sie vorschlagen, für uns kein Modell,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

sondern wir haben uns dafür entschieden, Probleme und Sorgen ernst zu nehmen, aber auch Antworten zu entwickeln und richtige Lösungsansätze auf die Tagesordnung zu setzen.

Eines der Probleme war – der Kollege Degen hat es hier zu Recht als Problem vorgestellt –, dass wir festgestellt haben, dass Förderschullehrerinnen und Förderschullehrer, die in der Inklusion tätig sind, zu viel Zeit hinter dem Steuer oder in der Straßenbahn verbracht haben. Deswegen haben wir reagiert und im Schulgesetz die inklusiven Schulbündnisse eingeführt, die jetzt vor Ort nach und nach eingerichtet werden, um dafür zu sorgen, dass die Förderschullehrerinnen und Förderschullehrer nicht gezwungen sind, die ganze Zeit auf Achse zu sein, sondern dass sie möglichst fest an einer Schule verortet sind.

Ich frage Sie: Was ist Ihr Alternativkonzept? Oder stimmen Sie uns nicht zu, dass wir auf diese Art und Weise, indem wir den Förderschullehrern einen Einsatzort geben, genau auf diese Herausforderung reagiert haben? – Von daher müssten Sie doch zugeben, dass das Konzept der inklusiven Schulbündnisse, das wir eingeführt haben, eine gute Lösung für diese Sachfrage ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Wortmeldung des Abg. Christoph Degen (SPD))

Herr Präsident, ich würde die Zwischenfrage zulassen.

Herr Kollege May, danke schön. – Sind Sie denn der Ansicht, dass mit dem Ausbau der inklusiven Schulbündnisse die inklusive Schulentwicklung in Hessen abgeschlossen ist?

Herr May, Sie haben das Wort.

Lieber Kollege Degen, ich glaube, jeder Politiker, der sagt, dass eine Entwicklung mit irgendetwas abgeschlossen ist, hat seinen Beruf verfehlt. Das würde ich so sagen. Abgeschlossene Vorstellungen, abgeschlossene Weltbilder, die Idee, dass alles auf ein Ergebnis hinläuft, das kennt man im Marxismus. Ich werde mir diese Ansicht nicht zu eigen machen.

(Beifall des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei Abgeordneten der CDU)

Wir haben den Wunsch der Eltern nach mehr inklusiver Beschulung aufgenommen. Wir haben deswegen mehr Kindern die Möglichkeit gegeben, an inklusiver Beschulung teilzunehmen. Wir haben die Anzahl der Kinder, die inklusiv beschult werden, in den letzten Jahren um 24,2 % gesteigert.

Wir haben darauf reagiert und mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt. Wir haben mehr Lehrkräfte zur Verfügung gestellt. Wir haben in dem gleichen Zeitraum, also bis zum letzten Schuljahresbeginn, die Zahl der Lehrerstellen um 46,2 % gesteigert.

Ich sage das noch einmal zum Vergleich. Die Steigerung der Anzahl der inklusiv beschulten Schülerinnen und Schüler beträgt 24,2 %. Die Steigerung der Anzahl der Lehrkräfte dafür beträgt 46,2 %. Das zeigt sehr deutlich, wie ernst wir die Herausforderung nehmen und wie sehr wir die Schulen vor Ort unterstützen.

(Beifall des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei Abgeordneten der CDU)

Wir gehen diesen Weg noch weiter. Wir werden mit dem Doppelhaushalt noch einmal 120 Stellen hinzufügen. Wir haben zusätzlich 700 Stellen für die Sozialarbeit zur Verfügung gestellt. Wir haben letztes Jahr schon neue Studienplätze eingerichtet. Mit dem Doppelhaushalt werden noch einmal weitere eingerichtet werden. Wir haben die Weiterbildung eingerichtet. Das alles zeigt deutlich, dass wir die Ressourcen und die Unterstützung der Schulen für die Inklusion weiter aufbauen.

Herr Kollege Degen, jetzt haben Sie in der vorhergehenden Debatte und eben gerade noch einmal gesagt: Na ja, da sind einige mit dabei, die kein zweites Staatsexamen für das Lehramt, in diesem Fall für das Förderschullehramt, haben. – Ich glaube, es war eine unzulässige Verkürzung, dass Sie gesagt haben, dass dort Menschen ohne Ausbildung tätig seien. Denn fast alle dieser Menschen haben eine Ausbildung. Sie haben vielleicht kein zweites Staatsexamen für das Lehramt an Förderschulen. Aber sie haben andere Berufsausbildungen, die durchaus von sehr großem Nutzen sein können.

In der Enquetekommission sind wir uns eigentlich einig, dass die Zielsetzung für die Zukunft sein muss, mehr Multiprofessionalität an den Schulen einzurichten. Dann zu sagen, bloß weil jemand nicht das zweite Staatsexamen habe, sei das ein Manko, deswegen könne er keine richtige Aufgabe an einer Förderschule wahrnehmen, ist etwas, worüber Sie noch einmal nachdenken sollten. Ich glaube, dass es keine gute Schlussfolgerung ist, die Sie da getroffen haben.

(Beifall der Abg. Jürgen Frömmrich und Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der CDU)

Sie haben mit der Großen Anfrage eine echte Fleißarbeit hingelegt. Das will ich Ihnen zubilligen. Lieber Kollege Degen, wie ich Sie kenne, sind Sie im Förderschulwesen und in der Inklusion sehr bewandert. Umso bedauerlicher finde ich es, dass Sie versäumt haben, einmal ein Konzept vorzustellen, wie Sie es machen würden.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Decker (SPD))

Nein, da habe ich die Ohren gespitzt. Da war ich schon in freudiger Erwartung. Aber leider kam da überhaupt nichts.

Ich sage Ihnen: Kein Konzept am Ende der Wahlperiode zu haben, damit werden Sie nicht durchkommen. In der Mitte der Wahlperiode zu sagen, was an dem Konzept der Regierung noch ausbaufähig ist, wird Sie nicht durch den Wahlkampf tragen. Sie werden nicht umhinkommen, einmal Farbe zu bekennen, was Ihr Konzept ist. Darauf warten wir immer noch vergebens.