Hierbei können die Metallerstreiks auch für die Beschäftigten in anderen Bereichen wichtige Impulse setzen. In diesem Sinne haben die Streikenden unsere Solidarität.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch unser Gruß gilt den Vertretern der Gewerkschaft, die heute auf der Tribüne sitzen.
Kollegin Wissler, ich will mir heute Morgen den Hinweis ersparen, dass wir uns aus Tarifauseinandersetzungen eigentlich heraushalten,
will aber gleichzeitig meiner großen Freude Ausdruck verleihen, dass ich die Position der SPD-Fraktion hier und heute klarmachen darf. Ebenso wie bei der FSC-Zertifizierung ist unsere Haltung auch hier klar: Wir stehen in dieser Auseinandersetzung klar an der Seite der Beschäftigten.
Nach meiner Erinnerung sind das die ersten 24-stündigen Warnstreiks seit 1984. Damals ging es nicht nur um wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Entscheidungen, sondern auch um eine gesellschaftspolitische Festlegung, nämlich um die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche. Heute geht es ebenfalls um eine Weichenstellung gesellschaftspolitischer Art. Es geht nicht nur um die Durchsetzung höherer Löhne. Ein Lohnplus von 6 % wird gefordert. Angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung ist das eine klare und auch vollkommen berechtigte Forderung. Es geht aber vor allem um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie um den Erhalt der Gesundheit der Schichtarbeitnehmerinnen und Schichtarbeiternehmer.
Es geht vor allem um die verkürzte Vollzeitarbeit, die von der IG Metall gefordert wird. Dabei geht es insbesondere um die Forderung eines Teilentgeltausgleichs für Schichtarbeit, für Kinderbetreuung und für die Pflege von Angehörigen. Es soll die Möglichkeit eröffnet werden, die Arbeitszeit auf 28 Stunden zu senken, allerdings mit entsprechenden Entgeltverlusten. Daran entzündet sich natürlich der Konflikt mit der Arbeitgeberseite.
Um die Sache beurteilen zu können, muss man sich einmal die Entwicklung der letzten Jahre vor Augen führen. Jeder von uns erkennt dabei, dass sich der Umfang der Schichtarbeit enorm ausgeweitet hat. Ich nehme als Beispiel das Daimler-Werk in Kassel. Dort werden Lkw-Achsen gebaut. Dort arbeitet inzwischen ein Drittel der in der Produktion Beschäftigten in einem 20- oder 21-Schichtmodell und in diversen Wochenend-Arbeitzeitmodellen. Ich muss hier niemandem erklären, dass das zulasten der Gesundheit, des Familienlebens und des Privatlebens geht. Die Belastungen sind enorm. Ich habe daran noch sehr wache Kindheitserinnerungen; denn mein Vater hat 20 Jahre lang bei Volkswagen im Zweischichtbetrieb gearbeitet. Er hat zwar sehr viel Geld verdient, aber ich weiß, was der Schichtbetrieb aus einem Menschen machen kann.
Auf der einen Seite wäre eine Rückführung der Arbeitszeitmodelle aus Wettbewerbsgründen ein unkalkulierbares Risiko für die Arbeitsplätze und für die Standorte. Auf der
anderen Seite muss es aber eine Chance geben, kürzerzutreten, zu regenerieren und die Arbeitskraft zu erhalten, gerade in Zeiten immer höherer Arbeitsverdichtung und ständig steigender Anforderungen an jeden Einzelnen an seinem Arbeitsplatz. Dies gilt vor allem für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Zur Klarstellung: Es wir ja nur ein Teillohnausgleich gefordert. Davon wird ohnehin nicht jeder Arbeitnehmer, jede Arbeitnehmerin Gebrauch machen wollen und können, weil sie es sich finanziell vielleicht nicht leisten können oder nicht leisten wollen. In jedem Fall muss es aber eine Chance geben, wegen Kinderbetreuung oder Pflege der Eltern bzw. der Großeltern die Arbeitszeit auf 28 Stunden zu senken.
Um in Zahlen zu sprechen: 750 € im Jahr für jemanden, der aus Altersgründen abspecken muss, und 250 € im Monat für jemanden, der wegen Kinderbetreuung oder wegen der Pflege der Eltern kürzertreten muss. Dabei ist auch klar, dass die Betroffenen einen erheblichen Teil der Einkommenseinbußen selbst schultern müssen. Das ist insofern also keineswegs ein „Gang ins Schlaraffenland“, wie von der Arbeitgeberseite gern deklariert wird.
Die Arbeitgeber argumentieren – jetzt wird es spannend –, dass die Unterstützung von Pflege und Betreuung Aufgabe des Staates sei, nicht ihre Aufgabe. Diese Argumentation kommt mir bekannt vor. Das haben wir auch an anderer Stelle schon mehrfach gehört. Meine Damen und Herren, dazu sagen wir ganz klar: Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der sich auch die Arbeitgeberseite nicht entziehen darf.
Die Gewerkschaften, Kollegin Wissler hat darauf hingewiesen, haben schon an anderer Stelle große Dinge durchgesetzt, z. B. die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Ich weiß, dass die Solidarität in diesem Hause heute Morgen sehr geteilt sein wird und dass die gewerkschaftlichen Forderungen in unterschiedlichem Maße auf Freude und Unterstützung stoßen werden. Ich sage für meine Fraktion: Es lohnt sich, auch diesmal hart zu verhandeln.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, werte Gewerkschaftsvertreter! Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Sie von der LINKEN das Bedürfnis haben, sich heute zum Thema „Streik der IG Metall“ zu äußern und Ihre Solidarität zum Ausdruck zu bringen.
Ich möchte es aber auch einmal von einem anderen Aspekt her beleuchten. Dazu erlaube ich mir die Frage: Ist es wirklich sinnvoll, dass sich der Hessische Landtag in die laufenden Tarifverhandlungen zwischen den Arbeitgebern und den Gewerkschaften einmischt?
In Hessen – wie in ganz Deutschland – gilt die Tarifautonomie, also das verfassungsrechtlich durch Art. 9 Grundgesetz geschützte Recht – hören Sie zu, dann verstehen Sie es –, dass Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften miteinander Vereinbarungen treffen, um die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu regeln, und zwar frei von der Einflussnahme des Staates. Insofern wird sich auch die Hessische Landesregierung in diesem Verfassungsrahmen neutral verhalten. Das wollen Sie nicht wahrhaben.
Diese grundgesetzlich geschützte Übereinkunft hat im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft einen wesentlichen Beitrag zu unserem wirtschaftlichen Erfolg und damit auch zu unserem Wohlstand geleistet. Für uns ist die Tarifautonomie ein hohes Gut, das mit Recht Verfassungsrang besitzt. Zur Tarifautonomie gehört auch, dass die Tarifvertragsparteien die Verhandlungen führen. Jede Partei kann ihre Position darstellen und für ihre Position kämpfen. Zu diesem Kampf gehört aufseiten der Gewerkschaften auch das Mittel des Streiks, selbstverständlich im Rahmen der Gesetze.
Ich kann die Position der IG Metall und ihre Forderung nach einer Gehaltserhöhung und gleichzeitig der Möglichkeit einer individuellen und befristeten Arbeitszeitverkürzung auf 28 Stunden bei einem monatlichen Zuschuss durch den Arbeitgeber durchaus nachvollziehen.
Allerdings gehört es auch zu den Verhandlungen, dass im konkreten Fall der Arbeitgeber aufzeigt, was aus seiner Sicht geht bzw. nicht geht. Am Ende der Verhandlungen – gegebenenfalls auch nach einem Arbeitskampf, der ja begonnen hat – wird es wie immer zu einem Ergebnis und somit zu einem Tarifvertrag kommen.
Da die beiden Seiten auf Augenhöhe miteinander verhandeln, erscheint es mir nicht einsichtig – ich betone es noch einmal –, warum sich die Politik, vor allem aber der Hessische Landtag, einmischen soll bzw. müsste.
Gerade dann, wenn einzelne Personen oder Verbände in der Lage sind, ihre Probleme selbst zu lösen, tun wir als Politiker gut daran, uns nicht einzumischen. Wir tun gut daran, uns nur dann zu Wort zu melden, wenn Probleme von den Beteiligten nicht eigenständig gelöst werden können und ein Ungleichgewicht der Verhandlungspartner gegeben ist.
In Anbetracht der Stärke der IG Metall glaube ich nicht, dass sie zur Durchsetzung der Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Schützenhilfe seitens des Hessischen Landtags benötigt.
Da dem aber so ist, sollten wir uns – wie es gute Tradition ist – aus den Verhandlungen zwischen den Vertragsparteien schlicht und einfach heraushalten und sie das Geschäft betreiben lassen, von dem sie bewiesen haben, dass sie es am besten verstehen.
Da für uns die Neutralität des Staates, also das Nichteingreifen in die Tarifautonomie, ein hohes, ein verfassungsrechtliches Gut ist, werden wir den Antrag der LINKEN heute ablehnen.
Das heißt aber nicht, dass wir nicht an der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen. – Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das stammt noch von der letzten Rede! – Jan Schalauske (DIE LINKE): Sie lehnen einfach alles ab! – Janine Wissler (DIE LINKE): Sie lehnen einfach alles ab, auch wenn wir keinen Antrag gestellt haben!)
Vielen Dank, Frau Kollegin Bächle-Scholz. – Als nächste Rednerin spricht Frau Kinkel von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Auch die Damen und Herren von der Gewerkschaft heiße ich herzlich willkommen. DIE LINKE nimmt den Streik der IG Metall zum Anlass, eine Aktuelle Stunde zum Thema Arbeitszeitverkürzung auf die Tagesordnung zu bringen. Dazu eine Vorbemerkung: Soziale Markwirtschaft bedeutet, dass wirtschaftliche Aktivitäten kein Selbstzweck sind. Soziale Marktwirtschaft bedeutet immer, dass alle davon profitieren – natürlich auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ihre Gehälter müssen ermöglichen, dass sie sich ihr Leben auch leisten können.