Protokoll der Sitzung vom 01.02.2018

Herr Kollege, wir haben tatsächlich die Möglichkeit der Aktuellen Stunde, aber am Ende einer Plenarwoche wollen Sie immer noch einen Punkt setzen. Das haben wir bisher immer sehr großzügig mitgetragen.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, immer noch einen Setzpunkt!)

Herr Schwarz, das kann ich Ihnen schon sagen: Der Änderungsantrag, den Sie mündlich vorgetragen haben, ist in der Sache sehr gut; und wir werden dem Antrag von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zustimmen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, zur Sache. Die Türkei verhält sich nicht mehr wie ein NATO-Verbündeter – das steht außer Zweifel –, und der Weg, den die Türkei eingeschlagen hat, wird aus der NATO herausführen. Er wird von der EU wegführen. Es ist ein Weg, den wir mit Sicherheit mit Bedauern wahrnehmen müssen. Der Weg aus der NATO hat eben auch für Rüstungsexporte erhebliche Konsequenzen. Das ist eine Grundsatzfrage, mit der sich die NATO-Gremien auseinandersetzen müssen. Die Bundestagsfraktion der FDP hat ihre Stellungnahmen entsprechend formuliert. Sie erwartet, dass die Bundesregierung auf die NATO-Gremien einwirkt, um entsprechende Gespräche mit der Türkei zu führen und zu klären, wo denn dieser Weg enden soll. Das Völkerrecht wird dort mit Füßen getreten.

Lassen Sie mich eine persönliche Meinung abgeben. Es stimmt, dass gerade die Kurden, was den IS anbelangt, einen hohen Preis bezahlt haben, dass die Kurden einer der wichtigsten Verbündeten in dieser Angelegenheit waren und dass dies die Bundesregierung nicht zuletzt damit gezeigt hat, dass sie den Kurden mit Waffen und Beratern geholfen hat.

(Lachen des Abg. Horst Klee (CDU))

Herr Klee, dass die Kurden irgendwann einen legitimen Anspruch erheben, einen eigenen Staat zu haben, kann ich persönlich sehr gut nachvollziehen. – Ich weiß auch nicht, wie die Völkergemeinschaft diesem Ansinnen nicht irgendwann entsprechen will. Ob das zur Befriedung der gesamten Region beitragen wird, weil dort mit der Türkei, dem Iran und dem Irak ganz unterschiedliche Interessen aufeinanderstoßen, weiß ich nicht. Meine Befürchtung ist, dass es den Konflikt eher verschärft. Aber wenn man mich fragt: Ja, ich glaube, die Kurden haben mittlerweile ein Recht auf einen eigenen Staat. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Lenders. – Als Nächste spricht zu uns Frau Kollegin Hammann für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem zynischen Namen „Operation Ölzweig“ startete die Türkei am 21. Januar dieses Jahres eine Militärintervention in Syrien, indem sie ihre Truppen in die nordsyrische Region Afrin einmarschieren ließ. Eine Ausweitung der Aktion in Richtung Irak wird von der Türkei ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Die türkische Region rechtfertigt dies mit dem Vorwurf der Terrorgefahr und mit ethnischen Säuberungen. Diesen Vorwurf macht sie der YPG, dem militärischen Arm der kurdisch-syrischen Partei, und der Demokratischen Union, der PYD, aber Belege für diese Vorwürfe hat die Türkei bisher in keiner Weise geliefert. Deshalb sind das Zurückdrängen der Kurden und das Zerstören der Ambitionen auf einen eigenen Staat wohl das eigentliche Ziel. Allein die Nähe der YPG zur Kurdischen Arbeiterpartei, PKK, ist keine Rechtfertigung für eine Militärintervention der Türkei in Syrien. Deshalb kann man feststellen, dass diese Militärintervention eine unverantwortliche Gewalteskalation vonseiten der türkischen Regierung ist.

(Beifall)

Damit hat die Türkei – Herr Kollege Lenders hat es schon gesagt – gegen das Völkerrecht verstoßen. Es ist potenziell völkerrechtswidrig, was vonseiten der Türkei gemacht wird. Für uns Deutsche ist dies problematisch, weil bei den Angriffen natürlich auch Panzer und Waffen aus deutscher Produktion verwendet werden. Mit diesen Waffen werden Menschen angegriffen, die noch – das muss man wissen – vor wenigen Monaten gegen den sogenannten Islamischen Staat, gegen den IS, gekämpft haben.

Zudem zählt Afrin zu den wenigen Gebieten, die bislang vom Krieg in Syrien weitgehend verschont geblieben sind. Afrin ist deshalb ein ganz wichtiges Rückzugsgebiet für Flüchtlinge und Binnenvertriebene innerhalb Syriens. Unzählige Menschen sind – das ist Ihnen bekannt – durch den Krieg des Assad-Regimes gegen seine eigene Bevölkerung und die barbarischen Verbrechen des IS bereits zur Flucht in dieses Gebiet gezwungen worden. Sie sind durch den türkischen Einmarsch erneut von Krieg und Vertreibung bedroht. Man kann feststellen: Bereits einige Tage nach dem Beginn der Intervention befanden sich mehr als 5.000 Menschen auf der Flucht vor der türkischen Offensive.

Meine Damen und Herren, durch diese Militärintervention ist die Frage nach Waffenexporten aus Deutschland wieder in den öffentlichen Fokus geraten. Ich denke, das ist auch gut so. Deutschland hat daher eine Verantwortung. Deutschland muss als eine der führenden Nationen in Europa daher seiner Rolle gerecht werden und bei der Lösung des Konflikts eine Vorreiterrolle übernehmen. Dazu gehört auch konsequentes Handeln innerhalb der Bundesregierung. Konsequentes Handeln bedeutet, alle deutschen Rüstungsexporte in die Türkei müssen umgehend gestoppt werden. Sie müssen so lange gestoppt werden, bis die Türkei zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückkehrt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der LINKEN)

Es ist auch möglich, diese Exporte einzuschränken; es gibt dafür Beispiele. Der damalige Außenminister Guido Westerwelle hat dies nach der Revolution in Ägypten getan; und Lieferungen in die Türkei wurden bereits einmal begrenzt. Es ist also machbar. Das gilt auch für die von der türkischen Region geforderte Aufrüstung der Leopard-2Panzer, die gegenwärtig offenkundig in dieser türkischen Militäroffensive eingesetzt werden.

Ebenso, das finde ich ganz wichtig, müssen Vorhaben zur Beteiligung deutscher Unternehmen an Rüstungskonsortien, wie sie jüngst im Fall des Vorhabens der Rheinmetall AG zur Unterstützung des Aufbaus einer Panzerfabrik in der Türkei öffentlich wurden, beendet werden.

Zugleich muss auch wieder die Stunde der Diplomatie schlagen. Die Genfer Runde, die Friedensverhandlungen für Syrien in Genf, bietet eine absolut gute Gelegenheit dazu. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Deutschland muss diese Gespräche auch weiterhin unterstützen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Es ist auf Bundesebene angesichts der Lage in Syrien oft darüber gesprochen worden, die Fluchtursachen bekämpfen zu wollen. Am vorliegenden Fall lässt sich gut zeigen, dass Rüstungsimporte eine dieser Fluchtursachen sind. Hier wäre eine Geste der Humanität gefragt. Man kann Fluchtursachen nicht bekämpfen, wenn man den unangenehmen Wahrheiten, auch über eigene Verantwortlichkeit, nicht ins Auge schaut. Wer Fluchtursachen bekämpfen will, aber nur den Ausbau Europas zur Festung meint, hat die Werte unseres Grundgesetzes nicht verinnerlicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Land Hessen unterhält als einziges Bundesland eine Partnerschaft mit einer türkischen Region. Ich bin der Europaministerin sehr dankbar dafür, dass sie in diesen schwierigen Zeiten den Gesprächsfaden mit der Türkei nicht abreißen lässt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Allerdings müssen wir auch feststellen: Wir können keine Außenpolitik machen. Das ist Sache des Bundes. Die Bundesregierung muss sich daher für eine diplomatische Offensive gegenüber der Türkei und Vertreterinnen und Vertretern der kurdischen Bevölkerung in der Region einsetzen, um Druck für eine politische Regelung der Kurdenfrage aufbauen zu können.

Kollegin, bitte letzter Satz.

Letzter Satz: Gemeinsam muss es uns mit allen Kräften gelingen, ein weiteres Blutvergießen in Syrien zu verhindern. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU, der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hammann. – Als Nächste spricht Frau Kollegin Öztürk. Sie haben zweieinhalb Minuten. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist wichtig, dass wir im Hessischen Landtag auch die Situation in Nordsyrien diskutieren. Es handelt sich nicht um importierte Politik aus Nordsyrien nach Deutschland. Wir haben sehr viele Menschen mit kurdischen Wurzeln und kurdischer Identität, die hier leben, die hier demonstrieren und sich Sorgen um ihre Angehörigen machen. Auf der anderen Seite gibt es deutsche Waffen und deutsche Panzer, die dort gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden. Von daher müssen wir auch in Hessen darüber diskutieren, und von daher ist das auch der richtige Ort.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir über Nordsyrien reden, möchte ich nur daran erinnern, dass das die Region ist, in die viele Minderheiten aus Zentralsyrien, beispielsweise auch Aleppo, geflüchtet sind – es sind christliche Minderheiten, jesidische Minderheiten. Dieser Konflikt besteht nicht nur aus einem Konflikt zwischen Kurden und Türken. Dieser Kampf, dieser Krieg – ich möchte sagen: dieser Angriffskrieg – hat zur Folge, dass Minderheiten, die vor den Dschihadisten oder dem Assad-Regime geflohen sind und im Norden von Syrien Schutz gefunden haben, erneut Opfer werden. Wenn wir uns anschauen, was türkische Truppen mit der Freien Syrischen Armee verursachen – Freie Syrische Armee hört sich nach einer liberalen Armee an; dem ist nicht so, das sind eindeutig Dschihadisten, die in dieser Region eine ethnische Säuberung vollziehen und den Islamismus etablieren wollen –, dann kann das nicht das Ziel sein, und deswegen dürfen wir nicht wegschauen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass Erdogan mit dieser Politik nicht seine Grenzen schützen möchte. Es gibt keinen Angriff von syrischem Boden auf die Türkei. Er hat schon einmal versucht, in der NATO den Bündnisfall nach Art. 5 auszurufen, weil er in Syrien einmarschieren wollte. Jetzt kommt er mit dem Art. 51. Das sind durchscheinende Argumente. Sein eigentliches Ziel ist, für 2019 seine eigene Macht zur Präsidentschaftswahl zu etablieren. Sein einziges Ziel ist, alle oppositionellen Kräfte in der Türkei auszuschalten und sie mit dem Terrorvorwurf zu inhaftieren. Nichts anderes macht er momentan.

Über 300 Personen sind inhaftiert worden, weil sie sich in den Social Media für den Frieden und gegen den Krieg ausgesprochen haben. Es werden Ärzte von führenden Ärzteorganisationen inhaftiert, weil sie sagen, dass auch die Zivilbevölkerung dort umgebracht wird.

Einem kurdischen Fußballer, der in Deutschland spielt, Naki, wurde ein Fußballverbot in der Türkei auferlegt, weil er sich für die kurdische Identität starkgemacht hat. Deutsche Politiker mit kurdischen Wurzeln werden in der Türkei bedroht.

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme zum Schluss. – Es wird leider in DITIB-Moscheen zum Gebet für den Sieg in diesem Heiligen Krieg aufgerufen. Von daher sind wir betroffen, und es ist wichtig, dass wir wachsam sind. Wir müssen auch in dieser Situation den Anfängen wehren. Vor 100 Jahren hat der Verbündete, das Osmanische Reich, den Massenmord an den Armeniern vollzogen.

Allerletzter Satz.

Deswegen müssen wir hinschauen. – Herzlichen Dank, auch, dass ich überziehen durfte.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Öztürk. – Als Nächster spricht der Abg. Stephan Grüger für die Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zu später Stunde ein kompliziertes Thema. Es geht vordergründig um die Situation, die wir im Augenblick in Syrien mit dem Einmarsch türkischer Truppen erleben. Dahinter geht es aber eigentlich um viel mehr. Es geht um die Frage, wie eine weltweite Friedensordnung wieder oder überhaupt etabliert werden kann.

Da nutzt es nichts, Waffenexporte auf Kassel oder auf Krauss-Maffei Wegmann zurückzuführen. Es geht darum, zu einer Lösung zu kommen, wie wir insgesamt wieder zu einer vernünftigen Abrüstung in unserer Welt und natürlich auch in den betroffenen Konfliktregionen kommen.

(Beifall bei der SPD)

Es macht keinen Sinn, jedes Mal, wenn wieder irgendetwas in der Welt passiert, zu beklagen, dass wieder deutsche Waffen oder amerikanische Waffen beteiligt sind, oder wie auch immer, in der Zwischenzeit aber keine vernünftige Lösung dafür zu finden, wie wir eine vernünftige Friedensordnung aufbauen können.

Es würde jetzt ein längeres Fachreferat bedeuten, wenn man ausarbeiten wollte, woher eigentlich dieser Krieg, diese Konfliktsituation in Syrien herrührt und wie sich der IS entwickelt hat. Da müsste man über den völkerrechtswidrigen Einmarsch im Irak reden, usw. usf. Das sind aber die Themen, über die man im Ganzen reden muss, wenn man sich am Schluss die Folgen, wie in diesem Fall, ansehen muss.

(Beifall bei der SPD)

Die Türkei war ein verlässlicher Bündnispartner der NATO, übrigens auch in Zeiten, in denen es um die Demokratie in der Türkei nicht so gut stand. Das vergessen viele, die sagen, es handele sich jetzt um eine besondere Situation. Das ist damals, zu Zeiten von Militärputschen, eine schwierige Situation gewesen. Es ist auch heute eine schwierige Situation, weil die Südostflanke der NATO nach wie vor eine wichtige Rolle spielt. Man kann sich nicht einfach hinstellen und sagen: Das ist uns egal. Die Türkei hat in der NATO nichts zu suchen.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Vielleicht sollten wir eher darauf hinwirken, dass die Türkei mit ihren demokratischen Institutionen wieder mehr dem entspricht, was wir in der NATO als verbindliches gemeinsames Wertesystem empfinden. Das ist der schwierigere Weg.