Protokoll der Sitzung vom 24.04.2018

Um eine ganzheitliche und individuelle Förderung aller Kinder zu erreichen, ist mehr qualifiziertes Personal in den Kitas notwendig. Das erreicht man aber nur dann, wenn man die Arbeitsbedingungen in den Kitas verbessert. Wir haben jedoch eine Situation, in der die Erzieherinnen und Erzieher ihre Arbeitszeit verkürzen, früher aus dem Beruf aussteigen und sich andere Beschäftigungen suchen, weil die Bedingungen so sind, wie sie sind. Das heißt, wenn wir den Personalmangel beklagen, dann müssen wir an den Bedingungen arbeiten. Wir müssen den Beruf attraktiver machen.

Deshalb müssen die Erzieherinnen und Erzieher die Wertschätzung erfahren, die der Beruf eigentlich mit sich bringen müsste. Das halte ich für eine sehr wichtige Stellschraube. Wir müssen das so attraktiv machen, damit Menschen das auch wirklich wollen. Wir wollen nicht, dass die

Menschen, die sich für diesen Beruf entscheiden, eine fünfjährige Ausbildung durchlaufen und am Ende der Ausbildung sagen: Nein, die Arbeitsbedingungen sind so, dass ich damit lieber etwas anderes anfange. – Das ist doch die Realität in diesem Land. Fast 25 % der jungen Erzieherinnen und Erzieher gehen wieder aufgrund dieser Bedingungen. Das müssen wir ändern.

(Beifall bei der LINKEN)

Ferner müssen wir es hinbekommen, das Ganze mit weniger Bürokratie für die Kommunen zu veranstalten und so, dass es finanzierbar ist. Auch das beinhaltet der SPD-Vorschlag. Insofern wären wir an dieser Stelle einen wichtigen Schritt weiter. Man muss ganz anders darüber reden, wie man das, was die Anzuhörenden sagen, aufnimmt und umsetzt. Man muss nicht nur feststellen, dass es große Sympathien dafür gibt. Das sind nicht nur Sympathien, sondern das ist tatsächlich Zustimmung, weil das Lösungsansätze sind, mit denen wir an dieser Stelle weiterkommen.

Mit dem, den Sie vorgelegt haben, kommen wir jedenfalls nicht weiter, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Frau Schott. – Für die FDP-Fraktion hat sich ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Rock, zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Es fällt schwer, die vielen Gesetzentwürfe zu diesem Thema in einem Redebeitrag gleichzeitig zu behandeln. Ich versuche daher, konkret bei dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zu bleiben. Ich finde es sehr wichtig, dass wir diese Plenarwoche dazu nutzen, uns mit dem Thema frühkindliche Bildung intensiv auseinanderzusetzen, weil sich die Anforderungen gerade in diesem Bereich in unserem Land geändert haben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Gerade bei der frühkindlichen Bildung, gerade in der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und gerade bei der Betreuung der Kleinsten, der Kinder bis zu sechs Jahren, hat sich viel getan. Zugleich ist die Frage der Qualität in den Mittelpunkt gerückt.

Warum ist das so gekommen? Das liegt ganz einfach daran, dass immer längere Betreuungszeiten für die Kinder in unseren Krippen und Kitas nachgefragt werden. Mittlerweile werden über 60 % der Kinder in den Kitas mehr als 35 Stunden in der Woche betreut, verbringen also sozusagen eine „normale Arbeitswoche“ in der Kita. Das stellt an unser bisheriges System höhere Anforderungen. Dem kann man sich ideologisch zwar verweigern, man kann vor der Situation, vor der Realität die Augen verschließen, aber das wird nichts nutzen. Wenn man der Realität nicht ins Auge blickt, dann werden nicht wir die Leidtragenden sein, sondern die Kinder in unserem Land. Sie wären die Leidtragenden ignoranten Verhaltens.

(Beifall bei der FDP)

Die Entwicklung geht sogar noch weiter. Erhebungen wissenschaftlicher Institute machen deutlich, dass uns in Hes

sen 10.000 Ganztagsplätze in Kitas und 23.000 Krippenplätze fehlen. Vor den Kommunen liegt die gigantische Leistung, diesen quantitativen Ausbau zu stemmen. Vielleicht ist der Ausbau auch noch nicht am Ende, vielleicht wächst der Bedarf sogar noch auf. Darum ist es richtig und wichtig, dass wir uns einig sind, dass deutlich mehr in den Bereich frühkindliche Bildung investiert werden muss.

(Beifall bei der FDP)

Es muss auch in die Qualität investiert werden. Was sind die Merkmale für Qualität? – Es beginnt beim Betreuungsschlüssel: Wie viele Erzieher pro Kind? Das ist die Kernfrage. Der Betreuungsschlüssel ist das Entscheidende. Wenn ein Kind sieben oder zehn Stunden in einer Einrichtung ist, dann ist ein beziehungsvoller Umgang mit dem Kind wichtig. Das Kind braucht eine Bezugsperson. Das stellt viel höhere Anforderungen, als es vielleicht früher der Fall war, als ein Kind nur drei oder vier Stunden in einer Kita war.

Schon allein aus dieser Situation ergibt sich die Forderung nach einer Verbesserung des Betreuungsschlüssels – die zentrale Frage der Qualität der Einrichtungen.

Was macht eine Bildungseinrichtung aus? – Eine Bildungseinrichtung macht aus, dass sie eine freigestellte Leitung hat, die sich mit pädagogischen Konzepten auseinandersetzen kann. Wir brauchen zusätzliche Zeit für die Erzieherinnen und Erzieher, damit sie die pädagogischen Überlegungen vor- und nachbereiten können. Das sind zwei Merkmale der Qualität der Einrichtungen.

(Beifall bei der FDP)

Es kommen zwei weitere Qualitätsmerkmale hinzu, zum einen die Frage der Aktivitäten im großen Umfeld des pädagogischen Grundkonzepts der Einrichtungen und zum anderen die Frage der Materialien, mit denen diese Einrichtungen arbeiten können.

Die Wissenschaft sagt: Die genannten fünf Kriterien machen die Qualität eine Einrichtung aus. – Die SPD-Fraktion arbeitet sich an mindestens drei dieser Kriterien ab, und zwar positiv. Das will ich honorieren. Darum haben wir uns im Ausschuss dafür entschieden, den SPD-Gesetzentwurf nicht abzulehnen, sondern uns der Stimme zu enthalten.

Sie wollen allerdings wieder einmal einen Systemwechsel herbeiführen. Die leidigen Systemdebatten, die wir aus der Schulpolitik kennen, kosten unnötigerweise Ressourcen. Wenn man sich entschieden hat, das System der kindbezogenen Förderung beizubehalten – die Regierung hat sich dafür entschieden –, dann sollte man das nicht umzuwerfen versuchen, sondern überlegen, wie man dieses System optimieren kann.

(Beifall bei der FDP)

Mir tut die Debatte ein wenig weh, die in dem Zusammenhang über das nötige Geld geführt wird. Da hört man nämlich auch folgendes Argument: Wieso 1 Milliarde € für unsere Kinder ausgeben? Das ist viel zu viel Geld; das haben wir nicht, das wollen und können wir nicht ausgeben. – Ich sage Ihnen: Deutschland steht bei den Ausgaben für Bildung – im Verhältnis zu seinem Bruttoinlandsprodukt – in Europa auf Platz 27. Bildung hat in der Politik in Deutschland anscheinend keine Lobby, zumindest in ökonomischer Hinsicht nicht. Sonst stünde Deutschland nicht auf Platz 27 in Europa.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Wenn wir massiv in die Bildung investieren, dann investieren wir in die Zukunft und vor allem in die Köpfe unserer Kinder. Ich glaube, das ist der genau richtige Weg. Dafür muss mehr Geld bereitgestellt werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Ich möchte mich gar nicht so sehr daran abarbeiten, warum wir dem Gesetzentwurf in der Frage des Geldes nicht zustimmen konnten, weil das ein Totschlagargument ist. Ich will im Hinblick auf unseren Gesetzentwurf, auf den ich später zu sprechen komme, trotzdem sagen, dass die Hausnummern, die im Gesetzentwurf der SPD-Fraktion stehen, zumindest für mich nicht ganz nachvollziehbar sind. Wenn man in einem Gesetzentwurf 25 % mehr Personal fordert – aufgrund von Ausfallzeiten und der Einführung einer Vorbereitungszeit –, dann muss man auch auf die Kosten 25 % obendrauf legen. Wenn man die Zahlen des Statistischen Bundesamts glauben mag – die mögen nicht völlig falsch sein –, dann entstehen Mehrkosten in Höhe von knapp 2,1 Milliarden €. Wenn das Land zwei Drittel davon übernimmt, hat es Mehrkosten in Höhe von etwa 1,3 Milliarden €. An der Stelle müsste Sie in Ihrem Gesetzentwurf noch ein bisschen nacharbeiten.

Herr Merz, ein weiteres wichtiges Thema dürfen Sie nicht aus dem Auge verlieren: Wenn man 25 % mehr Personal für die Einrichtungen fordert – in unseren Einrichtungen sind rund 50.000 Menschen beschäftigt, wahrscheinlich sind es mittlerweile schon mehr –, dann braucht man innerhalb von vier bis fünf Jahren 10.000 bis 12.000 zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher. Das ist auch bei unseren Überlegungen das Problem. Wir haben einen Begleitantrag eingebracht, um dieses Thema anzugehen. Aber die Antwort auf die Frage, ob wir die Qualität unser Einrichtungen verbessern können, wird nicht unbedingt und zwingend das Geld sein – das ist politischer Wille und politische Schwerpunktsetzung –, sondern die Antwort hängt von der Frage ab, ob wir in relativ kurzer Zeit, vergleichbar der Dauer einer Legislaturperiode, in ausreichendem Maße Fachkräfte gewinnen können. Wenn man sich die Dauer der Ausbildungszeit einer Fachkraft anschaut, stellt sich die Frage, ob wir das schaffen können. Das ist in Wirklichkeit die Achillesferse dieser Überlegungen.

(Beifall bei der FDP)

Ich will noch zu zwei oder drei Punkten kommen, die mir an dem Gesetzentwurf verbesserungswürdig erscheinen. Zum einen haben wir bei § 28 einen Grundsatzstreit, über den Sie vielleicht noch einmal nachdenken sollten. Es geht dabei um das Recht der Eltern, zu entscheiden, wo sie ihr Kind betreuen lassen. Das ist für uns ein zentrales Recht. Dafür haben wir in unserem Gesetzentwurf eine eigene Bestimmung formuliert. Ich glaube, dass wir an der Stelle im Sinne der Eltern und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf handeln. Wir haben schon gehört, dass die Kinderarmut ganz eng mit der Frage verbunden ist, ob man in einem Alleinverdienerhaushalt lebt. Wenn eine Alleinerziehende, ein Alleinerziehender Arbeit findet, dann sollte auch ein Betreuungsplatz zur Verfügung stehen. An der Stelle sind Sie einen anderen Weg gegangen, den ich nicht mitgehen kann.

Ich komme zu der Frage der qualifizierten Schulvorbereitung, also zum Übergang von der Kita zur Grundschule.

Das ist für uns eine Schlüsselfrage der Zukunftschancen von Kindern. Das ist in Ihrem Gesetzentwurf nicht explizit aufgeführt. Ich bitte Sie, in sich zu gehen und auf die wichtige Frage, wie man Kinder auf die Schule vorbereitet, ein größeres Augenmerk zu legen.

Mittlerweile werden wir in vielen wissenschaftlichen Berichten darauf hingewiesen, wie unterschiedlich sich die Bildungschancen in den Kindertagesstätten entwickeln. Zentral zum Tragen kommt das in der Schule.

Herr Kollege Rock, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dieser Übergang – die Vorbereitung auf die Schule – ist für mich ein ganz wichtiger Punkt. Er fehlt in Ihrem Gesetzentwurf, und darum können wir uns nicht dazu entschließen, ihm zuzustimmen. Wir werden uns enthalten. Es gibt gute Ansätze bei der Qualität. Aber Ihre Schwerpunktsetzung ist aus unserer Sicht nicht ausreichend. Darum werden wir uns enthalten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Danke, Herr Rock. – Für die Landesregierung spricht Staatsminister Grüttner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ab dem 1. August 2018 wird die Stadt Frankfurt den Kindergartenbesuch für alle Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren kostenfrei stellen. Laut Auskunft des SPD-Oberbürgermeisters von Frankfurt, Peter Feldmann, sind die Pauschalen, die das Land der Stadt gewährt, so auskömmlich, dass keine Mehrkosten für die Stadt entstehen werden.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD und der FDP)

Ich habe heute an keiner Stelle Kritik an der Qualität der Arbeit in den Frankfurter Kindertagesstätten gehört. Da muss also irgendetwas nicht stimmen.

Zu dem Gesetzentwurf der FDP, den der Kollege Rock gerade vorgestellt hat – über den wir morgen noch diskutieren werden –, möchte ich nur zwei Sätze sagen. Erstens. Die FDP ist einer der Väter des Hessischen Kinderförderungsgesetzes mit den Qualitätspauschalen.

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Jawohl!)

Zweitens. Er sagt – das ist schlicht und einfach eine Tatsache –, dass noch eine ganze Menge Geld in den Ausbau der Kindertagesstätten investiert werden muss. Wir stellen den Kommunen 86 Millionen € zur Förderung des Ausbaus der Kindertagesstätten zur Verfügung; ganze 4 Millionen € sind momentan gebunden. Wo sind die 82 Millionen €, die da noch fehlen?

(Zurufe von der FDP)

An dieser Stelle muss sich die FDP die Frage gefallen lassen, wie sie damit umgeht, dass Mittel zur Verfügung stehen, aber nicht abgerufen werden.

Einen einführenden Satz möchte ich zu den Bemerkungen des Kollegen Merz sagen: Hätten Sie, wie es bei einem anderen Gesetzentwurf der Fall war, die Hilfe der Hessischen Landesregierung in Anspruch genommen, wäre er besser geworden. So ist er schlicht und einfach nicht tragbar.

Die Wahrheit ist, dass Sie, trotz der Anhörungen, eine selektive Wahrnehmung haben. Herr Kollege Bocklet hat schon darauf hingewiesen. Was die selektive Wahrnehmung betrifft, will ich Ihnen ein paar Sachen sagen. Es wurde mehrfach moniert, dass die Finanzierbarkeit des Gesetzentwurfs ungeklärt sei. Das ist eines der Kernprobleme Ihres Gesetzentwurfs. Im Doppelhaushalt des Landes Hessen für die Jahre 2018 und 2019 stehen insgesamt 1,5 Milliarden € zur Verfügung.

Mittlerweile bilden Ihre Vorstellungen im Hinblick auf Freistellungen für die Leitungstätigkeit und für mittelbare pädagogische Arbeit sowie die Beitragsfreistellungen auch bei der Betreuung der unter Dreijährigen ein Milliardenprogramm, das nicht finanzierbar ist. Wer jedem alles verspricht, kann kein Versprechen halten.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)