Protokoll der Sitzung vom 26.04.2018

Ich sage es noch einmal: 3,7 Millionen Menschen minus 400.000 bis 500.000 Menschen. In den letzten Jahren sind es 100.000 Menschen weniger gewesen. In den nächsten zehn Jahren werden es 400.000 bis 500.000 Menschen weniger werden. – Alle schauen ganz gelangweilt drein. Mich erschreckt das. Was hat das für Auswirkungen auf das potenzielle Wachstum? Viele Vorgänge merken wir ja gar nicht, z. B. wenn ein Unternehmen zwar einen Entwicklungsingenieur einstellen würde, die Stelle aber gar nicht mehr ausschreibt, weil es auf dem Markt eh keinen gibt. Viele solcher Vorgänge, die Zukunftschancen in unserem Lande kosten, bekommen wir gar nicht mit.

(Beifall bei der FDP)

Darum mein Appell an die Landesregierung, daher mein Appell an die Fraktionen von CDU und GRÜNEN – vor allem an die GRÜNEN, weil ich weiß, dass wir inhaltlich beieinander sind –: Nehmen Sie das Thema ernst. Jeder Monat, den wir verstreichen lassen, jedes Jahr, das wir verstreichen lassen, ist angesichts der wenigen Jahre, die wir noch haben, bis die große Demografiewelle zuschlägt, ein verlorener Monat, ein verlorenes Jahr.

Herr Kollege Rock, Sie müssen zum Schluss kommen.

Darum hoffe ich, dass Sie dieses Thema positiv aufnehmen, dass wir im Ausschuss zu einem guten Ergebnis kommen und dass wir für Hessen etwas Gutes auf den Weg bringen können.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Als Nächster spricht Herr Kollege Di Benedetto von der SPD-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es freut mich, dass die hessische FDP bei einem so wichtigen Thema hartnäckig bleibt und immer wieder das für unsere Republik dringend benötigte Einwanderungsgesetz einfordert. Vielen Dank dafür, auch im Namen meiner Fraktion.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Mit Ihrem heute aufgerufenen Antrag rennen Sie bei uns offene Türen ein, meine Damen und Herren von der FDP; denn die SPD ist seit Jahren davon überzeugt, dass wir ein solches Gesetz in unserem Land brauchen. Vor gut einem Jahr haben wir im Rahmen einer Aktuellen Stunde letztmalig hier darüber diskutiert, und die Debatte hat einmal mehr gezeigt, dass sich, wie so oft, die schwarz-grüne Koalition in vielen wichtigen Fragen nicht einig ist und sich offensichtlich bis heute in diesem Punkt nicht einig ist.

Diese Uneinigkeit sollte damals in einem Gegenantrag der Koalition sogar manifestiert werden. In dem Antrag steht – ich zitiere –: „Der Landtag nimmt zur Kenntnis, dass es über Inhalt, Ziel und Zeitpunkt einer weiter gehenden Reform des Zuwanderungsrechts unterschiedliche Vorstellungen gibt.“ Gemeint ist: unterschiedliche Vorstellungen bei der schwarz-grünen Koalition. Das Ganze sollte vom Landtag auch noch beschlossen werden. Ich finde das absurd, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt hoffen wir, dass die schwarz-grüne Koalition in Hessen eher bereit ist, aus ihren Fehlern zu lernen, seit der Ministerpräsident Spargel gestochen hat. Der Titel einer dpaMeldung vom 12. April 2018 lautete: „Bouffier fordert in Zuwanderungsdebatte zu Nachdenken auf“. Weiter heißt es in dem Artikel: „Wir könnten keinen einzigen Spargel mehr stechen, wenn wir nicht die Saisonarbeiter aus der

Ukraine, aus Polen und aus anderen Ländern hätten.“ – Sie alle wissen sehr wohl, dass es hier nicht nur um die Spargelstecherinnen und -stecher geht. Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, nicht nur ihre diesbezügliche Blockadehaltung aufzugeben, sondern auch effektiv und konstruktiv an einem zeitgemäßen Einwanderungsgesetz mitzuarbeiten.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Es ist an der Zeit, dass diese Koalition mit Sachverstand und aus Verantwortung für unser Land, wie Herr Rock es eben beschrieben hat, schnellstmöglich ihren Teil in Berlin dazu beiträgt, dass ein solches Gesetz auf den Weg gebracht wird.

Warum sage ich „mit Sachverstand und aus Verantwortung für unser Land“? – Sie alle wissen, dass im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist, die Zuwanderung insgesamt effizienter und zeitgemäßer zu organisieren. Damit steht in einem Koalitionsvertrag endlich geschrieben, dass unser Land dringend eine neue rechtliche Grundlage braucht, um Migration und Integration zum Wohle aller sinnvoll und zukunftsweisend zu gestalten.

(Beifall bei der SPD)

Allerdings habe ich hieran meine Zweifel, wenn ich mir den heute vorgelegten Dringlichen Antrag anschaue, auf den man gerne hätte verzichten können. Wenn ich mir die entsprechende Passage im Koalitionsvertrag anschaue, dann stelle ich fest, dass man sich schon beim Verfassen der besagten Stelle offensichtlich nicht auf den Begriff „Einwanderungsgesetz“ einigen konnte. Stattdessen steht da – ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag –: „Deshalb werden wir ein Regelwerk zur Steuerung von Zuwanderung in den Arbeitsmarkt … erarbeiten, …“ Sie haben es gehört, meine Damen und Herren: Die Rede ist von einem „Regelwerk“, nicht von einem, wie ich finde, dringend notwendigen Einwanderungsgesetz.

Hier sind der Wahltermin in Bayern und die Eitelkeiten eines aus Bayern stammenden und verbannten Ministerpräsidenten deutlich erkennbar, der nun als Innenminister in Berlin neben den Heimatmuseen auch für dieses wichtige Politikfeld zuständig ist. Das ist mir nicht geheuer. Das will ich hier in aller Offenheit sagen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Immer wieder sympathisiert Herr Seehofer mit dem Rechtspopulisten Viktor Orban, immer sehr bewusst medienwirksam inszeniert, seit Neuestem auch als Innenminister unserer Republik und damit sicherlich nicht nur zur Freude seiner Kabinettschefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ich finde das beschämend und unerträglich,

(Beifall bei der SPD)

auch deshalb, weil es Herr Orban mit der Freiheit der Bürgerinnen und Bürger offensichtlich nicht so genau nimmt. Da gäbe es in Europa wahrlich andere Vorbilder für Herrn Seehofer.

Deshalb fordere ich die Landesregierung auf, dass sie in Berlin im Namen unseres Landes Hessen mit dafür sorgt, dass bei der Erarbeitung des dringend benötigten Einwanderungsgesetzes Vernunft und Sachverstand walten und nicht obskure und rückwärtsgewandte Haltungen, die nichts mit unserem demokratischen und freiheitlichen Errungenschaften zu tun haben.

(Beifall bei der SPD)

Unser Land wird in den kommenden Jahrzehnten massiv vom demografischen Wandel betroffen sein, was die deutsche Wirtschaft sowie die Sozial-, Gesundheits- und Rentensysteme vor enorme Herausforderungen stellen wird.

Eine Einwanderung allein aus Ländern der Europäischen Union wird nicht ausreichen. In den nächsten Jahren verliert Deutschland über 6 Millionen Erwerbstätige. Selbst eine systematische Qualifizierung und Ausschöpfung des in Deutschland verfügbaren Potenzials an Erwerbspersonen wird nicht ausreichen, um die enormen Lücken zu füllen.

Deutschland ist daher auf die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte auch aus Drittstaaten dringend angewiesen. Auch die Arbeitgeberverbände fordern das schon seit Jahren. Unser Land braucht klare und für alle Seiten transparente Regelungen, die für inländische Arbeitnehmer genauso wie für potenzielle Arbeitskräfte aus dem Ausland leicht verständlich und anwendbar sind und die Notwendigkeit von Zuwanderung innerhalb der Bevölkerung nachvollziehbar machen.

Lassen Sie mich auf einen Aspekt zu sprechen kommen, der meines Erachtens in diesem Zusammenhang auch zu erwähnen ist. Der sogenannte neue Aufstieg des Rechtspopulismus und der damit einhergehende Anstieg von rassistischer Gewalt in Deutschland erfordern ein klares Bekenntnis zu unserer Einwanderungsgesellschaft, die wir schon seit Jahrzehnten tagtäglich erleben. Wir stehen hinter den Menschen, die unser Land mit aufgebaut haben und unsere Gesellschaft seit Jahrzehnten bereichern. Wir stehen für ein offenes und tolerantes Deutschland – ein Deutschland, das sich nicht abschottet, sondern Einwanderung in kontrollierter und für alle nachvollziehbarer Weise erlaubt.

Nicht nur dafür brauchen wir ein modernes Einwanderungsgesetz, sondern auch um klar zwischen Arbeitsmigration, Asyl und Zuwanderung aus anderen, z. B. humanitären Gründen scharf zu trennen.

(Beifall bei der SPD)

Die derzeit gültigen Regelungen für den legalen Zugang von Ausländern zum deutschen Arbeitsmarkt gleichen einem Chaos, und sie bringen eben nicht den gewünschten Erfolg. Sonst müssten wir uns nicht schon heute damit herumschlagen – das hat Herr Rock bereits gesagt –, dass letztendlich Hunderttausende von Fach- und Arbeitskräften in unserem Land fehlen.

Ein Einwanderungsgesetz im Sinne meiner Partei – das möchte ich hier in aller Deutlichkeit festhalten – berührt den gesamten Asylbereich in keiner Weise. Die Aufnahme von Geflüchteten bleibt weiterhin kategorisch eine humanitäre Verpflichtung. Das möchte ich hier noch einmal unterstrichen haben.

(Beifall bei der SPD und des Abg. René Rock (FDP))

Meine Damen und Herren, last, but not least: Die SPDFraktion hat am 21. November 2017 einen – wie ich finde – hervorragenden Entwurf für ein Einwanderungsgesetz im Bundestag eingebracht. Der Entwurf liegt dem Innenausschuss seit November vor. Ich fordere die schwarz-grüne Landesregierung auf, in Berlin konstruktiv und ohne Scheuklappen mitzuarbeiten, damit unser Land schnellst

möglich ein modernes Einwanderungsgesetz bekommt, das diesen Namen tatsächlich verdient.

Allerletzter Punkt. Ich finde es immer wieder unverschämt, wenn während der eigentlichen Debatte die Dringlichen Entschließungsanträge der Koalitionsfraktionen eingehen. Man hat keine Zeit, um sie sich anzuschauen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir hier schon von Kollegialität sprechen: Das ist nicht gerade kollegial.

Ich muss nach dem Überfliegen dieses Antrags leider hinzufügen, dass er in der Sache überflüssig ist; denn Sie haben überhaupt nichts Neues hineingeschrieben und auch nicht deutlich gemacht, dass Sie, was das betrifft, als Koalition für unser Land Hessen in Berlin mit einer Stimme sprechen.

(Holger Bellino (CDU): Ein bisschen weniger Arroganz!)

Das können wir so nicht stehen lassen. Deshalb fordern wir Sie auf, in Berlin konstruktiv für ein Einwanderungsgesetz einzutreten. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und auch für Ihr Lächeln, gerade auf der Seite der Kollegen von den GRÜNEN. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Di Benedetto. – Als nächste Rednerin spricht Frau Kollegin Bächle-Scholz von der CDU-Fraktion. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Zuwanderung, aber auch die Sicherung der Fachkräfte sind wichtige Themen. Wo bringt uns der Antrag der FDP hier weiter?

Zu Punkt 1 Ihres Antrags: Die Feststellung, dass es in den kommenden Jahren einen Fachkräftemangel geben wird, wird von kaum jemandem bestritten. Von kaum jemandem wird auch bestritten, dass eine der Lösungsmöglichkeiten die geregelte Zuwanderung von Fachkräften ist. Insofern hat das, was in dem Antrag der FDP-Fraktion steht, keinen neuen Erkenntniswert.

Auch die Forderung nach einem Gesetz zur Regelung der Fachkräftesicherung ist nicht neu. Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag der jetzigen Koalition in Berlin. Hier heißt es:

Deshalb werden wir

also die die Bundesregierung tragenden Parteien –

ein Regelwerk zur Steuerung von Zuwanderung in den Arbeitsmarkt und das damit verbundene Recht des Aufenthalts und der Rückkehr in einem Gesetzeswerk erarbeiten, das sich am Bedarf unserer Volkswirtschaft orientiert.