Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Reul, es wäre schön, wenn es so wäre, aber ich bin mir nicht völlig sicher.
In der Grundzielsetzung, dass die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen ist, und zwar von allen staatlichen Ebenen einschließlich der Kommunen und bezogen auf jeden einzelnen Behinderten, kann man gar nicht unterschiedlicher Auffassung sein, weil das geltendes Recht ist.
Unsere Auffassungen unterscheiden sich aber leider nach wie vor in folgendem Punkt: Welche konkreten Verpflichtungen von Trägern bzw. von staatlichen Ebenen einerseits und welche konkreten Rechtsansprüche andererseits können von Menschen mit Behinderungen bzw. deren Vertretern geltend gemacht werden? Welche Maßnahmen sind angemessen und notwendig? Wo kann ein sogenannter Ressourcenvorbehalt geltend gemacht werden? Das ist die Kardinalfrage, über die wir uns auch im Zusammenhang mit der Kultus- bzw. Bildungspolitik sowie der Inklusionspolitik ständig auseinandersetzen und bei der wir leider unterschiedlicher Auffassung sind. Mir scheint es bei der einen oder anderen Formulierung des Gesetzentwurfs, den Sie vorgelegt haben, auch so zu sein.
Weil das so ist, ist es mehr als schade, dass dieser Gesetzentwurf heute auf dem Tisch des Hauses liegt; denn mir fehlt, ehrlich gesagt, jede Fantasie, wie dieser Gesetzentwurf in der verbleibenden Zeit in dieser Legislaturperiode noch angemessen behandelt werden kann,
gerade weil es – jedenfalls aus meiner Perspektive – nicht nur um mehr oder weniger technische Anpassungen an das Bundesgesetz geht, sondern weil eine der Kardinalfragen ist – ich werde das an zwei Punkten darlegen –, welche unmittelbaren Ansprüche Menschen mit Behinderungen haben und was beispielsweise für die Beteiligung der Kommunen – das ist einer der Streitpunkte – aus diesem Gesetz folgt.
Deswegen wäre ich dringend für Hinweise dankbar, wie Sie sich den weiteren Gang der Beratung vorstellen. Normalerweise hätte ich erwartet, dass dieses Gesetz – – Nachdem Sie vor drei Jahren – ich glaube, Kollegin Erfurth war es –,
als wir einen Gesetzentwurf vorgelegt hatten, gesagt hatten, dieser Gesetzentwurf käme zur Unzeit, muss ich sagen: Ihr Gesetzentwurf auch.
Wenn schon die Landesregierung nicht in der Lage ist – übrigens wie beim Bundesteilhabegesetz auch, das fast zeitgleich auf dem Tisch liegt und mit ähnlichen Problemlagen behaftet ist –, rechtzeitig einen Gesetzentwurf auf den Tisch zu legen, hätte ich wenigstens von Ihnen erwartet, dass Sie in dem Moment, in dem Sie ihn auf den Tisch legen, eine Sondersitzung des Sozial- und Integrationspolitischen Ausschusses für heute Abend anberaumen, um mit uns gemeinsam zu beraten, wie wir das noch in dieser Legislaturperiode unter Anlegung der üblichen und in diesem Falle besonders zu beachtenden Verfahrensregeln – schriftliche und mündliche Anhörung, ordnungsgemäße Beratung in einer ordnungsgemäß einberufenen Ausschusssitzung, zweite und gegebenenfalls dritte Lesung – bis zum 19. Januar in der verbleibenden Zeit hinbekommen sollen, wenn, wie ich gleichzeitig lese und höre, die Ausschusssitzungen im Oktober und November bereits gestrichen sind.
Das wüsste ich wirklich gern; das sage ich ohne jede Polemik. Denn wenn das nicht gewährleistet ist, können wir diesen Gesetzentwurf, Herr Kollege Reul, so bedeutsam er
Sie hatten das fünf Jahre lang in Ihrem Koalitionsvertrag stehen und kommen uns damit in der vorletzten Plenarsitzung vor der Landtagswahl und angesichts der von mir beschriebenen Lage mit einem Gesetzentwurf, der nicht trivial ist und den ich gern – da folge ich Ihnen – unstreitig gestellt hätte.
Das ist mehr als bedauerlich. Das ist eine Art und Weise, wie man die dringend notwendige parteiübergreifende Zusammenarbeit in diesem Feld nicht herstellt oder von vornherein erschwert; ich will das vorsichtig ausdrücken.
Die Frage des Wunsch- und Wahlrechts von Menschen mit Behinderungen ist eine der Kardinalfragen bei der Ausgestaltung von Hilfen für Menschen mit Behinderungen. Die Frage ist, ob das in Ihrem Gesetz uneingeschränkt vorhanden ist. Derzeit steht dort – das soll nicht geändert werden –:
Menschen mit Behinderungen soll im Rahmen der individuellen Hilfeplanung ihren Wünschen entsprechend die Möglichkeit gegeben werden, auch bei wachsendem Hilfebedarf in dem ihnen vertrauten Wohnumfeld zu verbleiben.
Das ist eine Regelung mit sehr vielen Einschränkungen. Ich glaube, in einer Zeit, in der von Wunsch- und Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen zu Recht mehr gesprochen wird als zu jeder anderen, hätte es sich gehört, diese Norm einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen und sich zu fragen, ob dies das letzte Wort sei. Wir hatten seinerzeit, 2015, in unserem zur Unzeit gekommenen Entwurf vorgeschlagen: Menschen mit Behinderungen sind uneingeschränkt berechtigt, ihren Wohnsitz und ihr Wohnkonzept zu bestimmen. Dies gilt auch für Menschen mit erhöhtem Assistenzbedarf. Angebote des selbstständigen Wohnens sowie der ambulanten Tagesförderung haben Vorrang vor stationären Betreuungsformen.
Diese Debatte wäre im Grundsatz zu führen. Ich weiß nicht, wie wir sie in der jetzt noch verbleibenden Zeit führen sollen.
Der zweite Punkt – ich habe es bereits angedeutet – ist die Frage der Einbeziehung der Kommunen in das Regelungswerk. Sie haben die wesentlichen Formulierungen auf die Träger öffentlicher Belange bezogen. Soweit ich das beurteilen kann, schließt das die Kommunen aus. Ich halte das für falsch. Ich weiß, warum Sie die Formulierung so gewählt haben, wie Sie sie gewählt haben, nämlich weil Sie Konnexitätsfolgen fürchten.
Es stellt sich also erstens die Frage, ob Konnexitätsfolgen tatsächlich zu befürchten sind. Zweitens stellt sich die Frage, wie man mit Konnexitätsfolgen umgeht, sofern man diese befürchtet. Das wäre eine Grundsatzfrage gewesen, über die in diesem Zusammenhang zu diskutieren wäre.
Ich glaube nicht, dass Konnexitätsfolgen zwingend sind. Hierzu gibt es unterschiedliche Rechtsauffassungen. Wenn es aber so wäre, dann müssten wir hier eine politische Entscheidung darüber treffen, ob wir das in Kauf nehmen wol
len oder nicht. Es kann nicht sein, dass ohne Weiteres die Lebenslage der Menschen in den Kommunen – – Wir sollten uns einig sein, zumal es an dieser Stelle evident ist, dass die Masse der Probleme, über die wir hier reden, das Alltagsleben betrifft. Notwendigerweise müssen die Kommunen an dieser Stelle mitgestalten.
Ich komme zum Ende, Herr Präsident. – Das alles können wir hier weder im Grundsatz noch im Detail diskutieren. Das ist jammerschade. Ich warte auf eine Antwort von irgendjemandem, wie Sie sich den weiteren Gang der Beratung und die Beschlussfassung vorstellen. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Merz. – Das Wort hat der Abg. René Rock, Fraktionsvorsitzender der FDP, Seligenstadt.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Merz, ich glaube nicht, dass die Regierung nicht in der Lage war, den Gesetzentwurf vorzulegen. Ich glaube, da gibt es andere Implikationen, die hierbei eine Rolle gespielt haben dürften. Ich glaube schon, dass die Landesregierung in der Lage gewesen wäre, einen qualitativ hochwertigen Gesetzentwurf vorzulegen.
Die Koalitionsvereinbarung sieht daher vor, das Hessische Behinderten-Gleichstellungsgesetz (HessBGG) an die Bestimmungen der UN-BRK vom 13. Dezember 2006 anzupassen.
So erkennt man, woher die Initiative kommt. Sie haben das im Koalitionsvertrag stehen, und Sie wollen sich wahrscheinlich nicht vorwerfen lassen, sich fünf Jahre lang nicht um dieses Thema gekümmert zu haben. Darum haben Sie diesen Gesetzentwurf nun eingebracht. Das stellt uns vor Probleme bei der Abarbeitung dieses Gesetzentwurfs, zumal es sich hierbei um ein sehr sensibles Thema handelt.
Herr Reul hat darauf hingewiesen. Ich muss hier nicht alles wiederholen. Der Gesetzentwurf gibt das eigentlich auch noch gar nicht her. Darin ist die Rede von Modellregionen und von einem Inklusionsbeirat. Das kann man nicht kritisieren.
Wenn aber die Verbindlichkeit des vorliegenden Gesetzentwurfs zur Sprache kommt, dann bin ich gespannt, wie sich die Verbände, sofern es eine Anhörung dazu gibt, zu dieser Verbindlichkeit äußern.
Man könnte in diesem Bereich unendlich viel Geld ausgeben. Wenn man das verbindlich bis zur kommunalen Ebene herunterbricht und auf die Privatwirtschaft ausdehnt, kann man gigantische Geldsummen ausgeben. Dass das nicht möglich ist und dass wir Prioritäten setzen wollen, das will ich für die FDP-Fraktion bereits an dieser Stelle sagen. Ich will aber auch nicht so hart in die Kritik gehen und sagen: Man hätte das und das alles verbindlich ins Gesetz schreiben müssen. – Wenn man einen Gesetzentwurf vorlegt, dann stellt sich die Frage, was man regelt. Sie sagen selbst, dass die UN-Behindertenrechtskonvention ohnehin für alle Fachbereiche der Regierung gilt und dass Sie deshalb die entscheidenden Punkte bereits in den Fachgesetzen regeln. Das schreiben Sie selbst.
Sie machen relativ viele gesetzliche Anregungen, aber mit einer geringen Verbindlichkeit. Daher weiß ich nicht, wie intensiv ich mich damit beschäftigen muss, zumal ich nicht weiß, ob überhaupt eine Chance besteht, dass dieser Gesetzentwurf in dieser Legislaturperiode zum Gesetz erhoben wird. Dazu werden Sie bestimmt noch etwas sagen, Kollegin Erfurth. Außerdem ist nicht klar, in welche Tiefe der Regelung wir uns begeben werden.
Wir werden uns diesem Thema natürlich sachlich nähern. Wir haben Zielkonflikte. Wir haben heute schon über Mieten und Bauen gesprochen sowie über die Kosten, die entstehen, wenn man das tut. Die Barrierefreiheit muss in diesem Zielkonflikt sicherlich diskutiert werden. Wir sind interessiert daran, zu erfahren, was bei der Anhörung herauskommt, sofern es denn eine Anhörung gibt. Dann werden wir uns entsprechend verhalten.
Ähnlich wie Herr Merz halte auch ich es für kritisch, den Gesetzentwurf jetzt vorzulegen. Vielleicht haben Sie aber auch einen klugen Vorschlag, wie wir das hier mit Anstand behandeln können. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Kritik über die Art und Weise, wie dieser Gesetzentwurf vorgelegt worden ist, schließe ich mich vollumfänglich an. Das muss ich jetzt nicht noch einmal in aller Breite beschreiben.
Ich finde es schon gut, wenn wir als Parlament auch bis zum Ende der Legislaturperiode arbeiten. Das sollten wir auch. Dass aber gleichzeitig gesagt wird, dass aufgrund von Wahlkampfaktivitäten die Ausschusssitzungen nicht stattfinden, ist das eigentliche Problem für mich. Dass wir hier unsere Arbeit machen, ist eine Selbstverständlichkeit.