Protokoll der Sitzung vom 22.08.2018

(Beifall bei der LINKEN)

Dass man auch jetzt noch einen Gesetzentwurf einbringen kann – sofern denn die Notwendigkeit besteht und man es tun muss –, das muss auch sichergestellt sein. Diesen Gesetzentwurf hätten wir schon lange haben können. Diesen Gesetzentwurf hätten wir schon lange abarbeiten können. Dann wäre für Menschen mit Behinderungen vielleicht

auch das eine oder andere besser geworden in diesem Land.

Wenn ich aber den Entwurf lese und mich mit den Inhalten beschäftige, dann kommen mir erhebliche Zweifel. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, bereits an dieser Stelle ein bisschen ins Detail zu gehen. Ich möchte Ihnen einmal ein Schmeckewöhlerchen vorlesen.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber nur vorlesen!)

Da steht nämlich in § 18, dass die Beauftragte oder der Beauftragte der Landesregierung durch geeignete Maßnahmen darauf hinzuwirken hat, „dass das Land Hessen die Beschäftigungspflicht nach den §§ 154 bis 156 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch erfüllt“. Das heißt – und ich finde es richtig gut, dass Sie das tun –, Sie schreiben sich hier auf, dass die Beauftragte für Menschen mit Behinderungen darauf achtet, dass die Landesregierung Gesetze erfüllt.

(Ismail Tipi (CDU): Sie müssen nicht schreien!)

Wow, dafür muss man schon ganz schön Chuzpe haben. – Ich schreie noch gar nicht. Wenn ich schreie, hören Sie das.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt, das kann ich bestätigen!)

Das heißt, dass Sie diese Regelungen gar nicht erfüllen. Das ist doch ein unglaubliches Armutszeugnis für dieses Land.

Bleiben wir bei der Beauftragten der Landesregierung. Die Beauftragte wird eingesetzt. Das kann man so tun. Das muss man nicht so tun. Die Beauftragte arbeitet ehrenamtlich. Bei allem Respekt vor der Arbeit von Frau MüllerErichsen: Ich finde es großartig, was sie macht, und das muss man an dieser Stelle auch einmal sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Hier braucht man aber ein Hauptamt mit allem, was dazu gehört. Man braucht nicht nur einen Menschen, sondern möglichst mehrere Menschen. Wir sprechen hier von Tausenden von Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen, unterschiedlichsten Betroffenheiten und damit auch unterschiedlichsten Bedürfnissen. Dem muss Rechnung getragen werden. Das geht nicht im Ehrenamt, sondern nur im Hauptamt.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Beauftragten stellen Sie den Inklusionsbeirat zur Seite, also den, der die Beauftragte auswählt. Ich glaube, noch mehr „durchregieren“ kann man nicht. Wo ist denn hier die Beteiligung der Menschen mit Behinderungen? Diese werden dann von der freundlicherweise von der Landesregierung eingesetzten Beauftragten wiederum ernannt. Ist das eine demokratische Beteiligung von Menschen mit Behinderungen für ein Gremium, das bei allen wesentlichen Fragen über Behinderung mit dieser Regierung reden soll? – Nein. Das ist definitiv nicht der Fall.

An dieser Stelle gehen Sie doch vollkommen an den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention vorbei. Das ist für mich die Hauptkritik an diesem Gesetzentwurf.

Es gibt noch viele andere Punkte, über die wir hier reden könnten. Man könnte beispielsweise einmal über eine Beweislastumkehr nachdenken. Das wäre eine wesentliche

Hilfe für die Menschen mit Behinderungen. Wenn ein gehörloser Mensch oder gar ein Verein für gehörlose Menschen mit den Abgeordneten vor Ort reden will und dafür einen Dolmetscher braucht, wer bezahlt denn dann den Dolmetscher? Die Gehörlosen aus ihrer privaten Tasche? Das kann es doch nicht sein. Oder aber Sie sind so freundlich und bezahlen das, weil Sie in der Regel über das höhere Einkommen verfügen.

Aber es gibt keine Institution, die sagt: Du hast das Recht, mit deinem Abgeordneten, mit den Menschen vor Ort, die dich politisch vertreten, zu reden, und kriegst die dafür notwendigen Hilfsmittel finanziert. – Das ist deshalb der Fall, weil sich die Landesregierung an der Stelle nicht angemessen kümmert.

Das Wort „taubblind“ kommt im Entwurf nicht angemessen vor, und es ist immer noch nicht dafür Sorge getragen, entsprechende Regelungen zu treffen.

Wenn es um Erweiterungsbauten geht: Was sind Erweiterungsbauten? Ich will gar nicht von Umbauten sprechen. Bei Umbauten kann es tatsächlich an der einen oder anderen Stelle sehr schwierig sein. Aber was sind Erweiterungsbauten anderes als Neubauten, die an bestehende Gebäude angehängt werden? Erweiterungsbauten haben, bitte schön, in jeder Form behindertengerecht zu sein, und zwar ohne Einschränkungen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das steht im Entwurf aber nicht. Dort ist eine Ausnahmeregelung formuliert. Es gibt aber keinen Grund, eine Ausnahmeregelung für Erweiterungsbauten zu schaffen.

(Zuruf der Abg. Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich würde noch einmal nachlesen, was Sie in den Entwurf geschrieben haben. – Man sollte prüfen, ob man alles von der Haushaltslage abhängig macht oder ob man sagt: Wenn umgebaut wird, dann ist klar und eindeutig auf Behindertengerechtigkeit zu achten.

Wie ist es mit dem lebenslangen Lernen, das wir an allen Stellen fordern? Ein lebenslanges Lernen von Menschen mit Behinderungen setzt voraus, dass diese die entsprechenden Räume erreichen können. Auch dafür muss mit Nachdruck gesorgt werden.

Es gibt in dem Entwurf viele unklare Formulierungen. Wann ist z. B. eine wirtschaftliche Belastung „unangemessen“? Das ist ein schwammiger Ausdruck. Der eine findet es schon unangemessen, wenn etwas 3,50 € mehr kostet. Das kann man nicht so formulieren.

Es sind Unterstützungsregelungen für sehbehinderte Menschen zur Wahl vorgesehen. An einer anderen Stelle findet sich die Aufforderung, Sachverhalte in Leichter Sprache darzustellen. Warum gibt es die Unterstützungsregelungen zur Wahl nicht auch in Leichter Sprache? Auch das könnte man hier aufnehmen, weil die Nichtverwendung Leichter Sprache eines der Probleme ist, mit denen wir es immer wieder zu tun haben.

In dem Entwurf sind also ganz große Baustellen enthalten. Wie wir diese praktisch abarbeiten sollen, weiß ich nicht. Vielleicht sollten wir hier und heute beschließen, die gestrichenen Ausschusssitzungen doch stattfinden zu lassen. Ich denke, wir müssen über diesen Gesetzentwurf gut und intensiv beraten. Wir müssen die betroffenen Menschen anhören, und wir brauchen eine Beteiligung auf allen

rechtlichen Ebenen: basisdemokratische Beteiligung statt Goodwill und Von-oben-Durchregieren. Das sieht der Gesetzentwurf leider überhaupt nicht vor. Damit erfüllt er die Voraussetzungen der UN-Konvention an der Stelle gar nicht. Das ist ein großes Manko.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schott. – Das Wort hat Frau Abg. Erfurth, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Hessische Behinderten-Gleichstellungsgesetz war schon mehrfach Gegenstand von Erörterungen hier im Plenarsaal. Im Jahr 2015 hat die SPD-Fraktion hierzu einen Gesetzentwurf eingebracht; der Kollege Merz hat darauf hingewiesen. Wir haben eine Anhörung zu dem Entwurf durchgeführt. Dieser hatte ein relativ geteiltes Echo gefunden. Damals haben sich die Regierungsfraktionen dafür entschieden, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen, weil das Bundesteilhabegesetz noch in den Beratungen steckte und wir abwarten wollten, was sich konkret verändern werden würde. Der Gesetzgebungsprozess auf der Bundesebene ist abgeschlossen. Dabei wurde z. B. auch das Wunsch- und Wahlrecht geregelt, auf das Sie hier Bezug genommen haben, Herr Merz. Von daher brauchen wir das im hessischen Ausführungsgesetz nicht mehr zu regeln.

Es zeigt sich, es machte durchaus Sinn, dass wir den Gesetzgebungsprozess auf der Bundesebene abgewartet haben. Der Prozess ist jetzt abgeschlossen. Wir beraten jetzt über das hessische Ausführungsgesetz zum Bundesteilhabegesetz. Es ist ein politisches Anliegen der Fraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, das hessische Ausführungsgesetz noch in dieser Wahlperiode zu beschließen. Herr Kollege Merz und auch die anderen Kollegen haben viel Redezeit darauf verwandt, sich zu überlegen, wie das eigentlich gehen kann. Wir sind bis zum Zusammentritt des nächsten Parlaments am 18. Januar 2019 gewählte Abgeordnete. Bis dahin sollten wir willens sein, zu arbeiten. Die Sitzungen im Oktober sind zwar abgesagt, aber danach gibt es durchaus Möglichkeiten, sich zu Sitzungen zusammenzufinden. Von daher gesehen, könnte man das hinbekommen, wenn Sie alle willens sind, gemeinsam mit uns diesen Gesetzentwurf ordnungsgemäß zu beraten. Das bieten wir Ihnen an. Wenn Sie das ebenso sehen, kann man das auch hinbekommen.

Eine Sondersitzung heute Abend würde uns nichts nützen, Herr Kollege Merz; denn bis zur nächsten Sitzung des Sozialausschusses hätten wir keine vernünftige Anhörung organisieren können. Von daher gesehen, können wir die Vorlage im normalen Beratungsgang behandeln.

(Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Wir hätten doch nicht ernsthaft beschließen können, in drei Wochen eine mündliche Anhörung durchzuführen. Das wäre für die Anzuhörenden nicht leistbar gewesen.

(René Rock (FDP): Wir haben hier im Landtag schon einiges erlebt! – Zurufe von der SPD)

Wenn Sie das wollen, dann machen wir das. Aber es wäre doch keine ernsthafte Sache. Von daher mache ich Ihnen

ein Angebot: Wenn wir das gemeinsam wollen, dann bekommen wir das in einem sehr guten Verfahren geregelt. – So viel zu den organisatorischen Maßnahmen.

Wir legen Ihnen einen Gesetzentwurf vor, der sich aus unserer Sicht an den Belangen behinderter Menschen orientiert und der die nötigen Anpassungen an die UN-Behindertenrechtskonvention vornimmt. Er ist daran ausgerichtet, allen Menschen die Teilhabe am wirtschaftlichen Leben zu ermöglichen. Er schaut dabei auf die Belange behinderter Menschen und geht auch auf die besondere Situation von Frauen mit Behinderungen ein. Das ist im Gesetzentwurf enthalten; Frau Kollegin Schott, das haben Sie vielleicht überlesen.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Ich habe nichts Gegenteiliges behauptet!)

Ich habe es vielleicht falsch verstanden. Ich hatte verstanden, dass Sie kritisiert haben, dass das nicht enthalten sei.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Das habe ich nicht gesagt!)

Wir nehmen mit dem Gesetzentwurf wichtige Anpassungen und wichtige Begriffsbestimmungen in der Behindertenpolitik vor. Der Kollege Reul hat es ausgeführt: Was ist unter „Behinderungen“, unter „Barrierefreiheit“ zu verstehen, was sind „Benachteiligungen“ im Sinne der UN-Konvention? Es ist an der Zeit, dass wir uns bei diesem Gesetzentwurf mit diesen Fragen befassen.

Ich will nur noch ein paar Punkte erwähnen. Besondere Aufmerksamkeit legt dieser Gesetzentwurf auf das Thema Kommunikation. So sollen öffentliche Stellen vermehrt in Leichter Sprache kommunizieren. Das finde ich einen ganz wichtigen Punkt. Es gibt bereits Broschüren in Leichter Sprache zur Wahl, herausgegeben vom Sozialministerium. Wir wollen, dass künftig jede Behörde verpflichtet wird, Broschüren und Erklärtexte in Leichter Sprache zu verfassen. Ich wage die Prognose, dass es sicher auch Menschen, die keine geistige Behinderung haben, entgegenkommt, etwas in einer verständlichen und einfachen Sprache erklärt zu bekommen. Ich finde das jedenfalls erhellend.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Für hörgeschädigte Menschen weiten wir in diesem Gesetzentwurf die Möglichkeiten der Kommunikation mit öffentlichen Stellen aus. Wir schauen insbesondere auf taubblinde Menschen, für die die Gebärdensprache nicht die Lösung ist, um mit einer Behörde zu kommunizieren. Hier gilt es, Ansprüche auf bestimmte Formen der Kommunikation für behinderte Menschen abzubilden, damit sie ein geeignetes Kommunikationsmittel zur Verfügung haben. Ich finde, das ist gut und richtig so.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Außerdem haben wir die Verpflichtung, die EU-Richtlinie 2016/2102 auf allen staatlichen Ebenen umzusetzen. Diese Richtlinie verpflichtet alle staatlichen Stellen, für barrierefreie Informationstechnik zu sorgen. Das heißt, dass Websites und Apps möglichst barrierefrei zu sein haben. Das klingt zwar einfach, ist aber nicht trivial; denn Sie alle wissen, wie schnell sich die Technik weiterentwickelt. Deshalb schlagen wir vor, dass wir hier eine Verordnungsermächtigung in das Gesetz aufnehmen, damit wir entspre

chende Anpassungen vornehmen können. Das ist ein wichtiger Punkt; denn das Internet ist auch für behinderte Menschen ein ganz wichtiges Instrument, um auf Informationen zuzugreifen. Es ist sicherlich auch für ältere Menschen ein Vorteil, wenn Websites leserfreundlicher gestaltet sind und auch andere Tools, die barrierefreie Kommunikation ermöglichen, eingebaut werden. Das finde ich einen sehr wichtigen Schritt, auch in der Kommunikation mit den Nutzern.