Vergessen Sie endlich die angeblichen Selbstheilungskräfte der Wirtschaft. Die funktionieren nicht. Deshalb brauchen wir klare und faire Regelungen. Gehen Sie endlich mit uns den Weg der Vernunft, und – ich darf an alle Fraktionen in diesem Hause appellieren – unterstützen Sie die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass die Opposition das Thema Mindestlohn in einer Aktuellen Stunde aufruft, verwundert nicht wirklich. Dass wir uns als CDU in der Verantwortung einer Großen Koalition in Berlin vorhalten lassen müssen, dass gerade die Partei Ludwig Erhards – mit dem Anspruch, die Partei für eine freie und soziale Marktwirtschaft zu sein – in dieser Diskussion ihre Prinzipien aufgibt, das gehört zu den Spielregeln der Politik.
Gewiss finden Sie viele Aussagen aus den zurückliegenden Jahren, in denen Vertreter der CDU – egal ob auf Landesoder Bundesebene – vor der Einführung eines Mindestlohns gewarnt haben. Dazu muss man deutlich sagen: Die
se Sorgen und Warnungen sind nicht deshalb vom Tisch, weil wir in Berlin eine Große Koalition haben. Ganz im Gegenteil, sie haben Einfluss auf die schwierigen Koalitionsverhandlungen genommen, an deren Ende – das wissen Sie von der FDP selbst ganz genau – Kompromisse stehen. Die Einführung des Mindestlohns war und ist ein solcher Kompromiss.
Die Vorbereitungen zur Einführung des Tarifpaketes, das den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn beinhaltet, haben so viel Zeit in Anspruch genommen, weil es eben nicht ganz trivial ist, allen Ansprüchen gerecht zu werden, und weil es beim ersten Hinsehen tatsächlich einen Eingriff in die Tarifautonomie darzustellen scheint. Teile des Gesetzentwurfs der Bundesregierung – auch das muss man deutlich sagen – sind vor diesem Hintergrund durchaus mit Sorge zu sehen und machen aus unserer Sicht Anpassungen bei den Plänen der Bundesarbeitsministerin notwendig.
Durch die Einführung kluger Stellschrauben aber, wie etwa nach erstmaliger Festsetzung des Mindestlohns auf 8,50 € pro Stunde eine von Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch besetzte Mindestlohnkommission einzurichten, bleibt die Tarifautonomie bestehen. Auch die Tarifbindung von Branchen und Betrieben wird erhöht, und gute Tarifverträge sorgen für gute Löhne. Sie sind ein Markenzeichen des Erfolgs der sozialen Marktwirtschaft.
Herr Decker hat darauf hingewiesen, dass die negativen Auswirkungen auf die Arbeitsplätze sehr gering bleiben werden. Das belegen verschiedene wissenschaftliche Studien zu den bereits geltenden Branchenmindestlöhnen, und das wird auch durch die Fortschreibung des Mindestlohns auf sozialpartnerschaftlicher Basis künftig gewährleistet.
Da es zur Stunde nur Branchenmindestlöhne gibt – im Übrigen kamen alle bisherigen Branchenmindestlöhne in der Regierungszeit von CDU-Kanzlern zustande –, ist das Tarifpaket sozusagen der Anschub dafür, dass die Beschäftigten im Allgemeinen fair entlohnt werden, geleitet von dem Ziel, dass Menschen davon leben können und Anerkennung und Wertschätzung für ihre Arbeit erhalten. Ich glaube, in diesem Hause sollte es keinen Zweifel daran geben.
In betrieblicher Hinsicht ergeben sich für die überwältigende Anzahl von verantwortungsvollen Unternehmern, die ihren Mitarbeitern schon heute faire und anständige Löhne zahlen, Mechanismen, die vor Lohndumping und wettbewerbsverzerrenden Löhnen schützen.
Liebe Frau Beer, dennoch sind Ihre mahnenden Worte damit nicht vom Tisch gefegt, im Gegenteil. Die Einführung eines Mindestlohns muss mit Bedacht erfolgen, und er muss mit der notwendigen Weitsicht eingesetzt werden. Wenn wir wollen, dass unsere Wirtschaftskraft und unsere Unternehmen nicht unter einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn leiden, müssen wir erkennbar Belastungen schnell aufgreifen und aus dem Weg räumen.
Dazu gehören die Regelungen für Auszubildende – Sie haben es angesprochen –, die Regelungen für Praktikanten, die Altersgrenze bei Jugendlichen, die Regelungen für den klassischen Zeitungsausträger, über die diskutiert wird, die Regelungen für ehrenamtlich Tätige oder auch die besonderen Regelungen zur Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen – um hier nur einige Beispiele zu nennen, die es notwendig machen, darüber nachzudenken.
Wir dürfen nur nicht – das ist wichtig – das Kind mit dem Bade ausschütten und mit einer undifferenzierten Regelung Arbeitsplätze gefährden, den Einstieg junger Menschen in das Berufsleben erschweren oder studentische Praktika unmöglich machen.
Die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich, wo es einen hohen Mindestlohn gibt, ist für uns ein mahnendes Beispiel.
Deshalb setzen wir auf drei Punkte: auf einen verantwortungsvollen Umgang der Tarifvertragsparteien mit diesem Instrument, auch unter Berücksichtigung saisonaler und lagebedingter Fragestellungen, auf längere Übergangsregelungen für einen sanften Übergang auf tarifliche Regelungen und auf die Bereitschaft, Fehlentwicklungen unterwegs zu korrigieren, also bei erkennbar negativen Folgen zügig und effektiv nachzusteuern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so betrachtet sehen wir im Allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn einen Ausdruck der Wertschätzung für die geleistete Arbeit und keinen Grund für ein Angstszenario im Hinblick auf die Zukunft junger Menschen. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die FDP hat diese Aktuelle Stunde beantragt, weil sie sich angeblich um die Zukunftschancen junger Menschen sorgt, die sie ausgerechnet durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns bedroht sieht. Wenn Sie aber junge Menschen fragen, welche Zukunftssorgen sie haben, werden Sie wohl kaum hören, dass sie Angst vor dem Mindestlohn haben.
Wovor junge Menschen aber tatsächlich Angst haben, ist, dass sie keine Chance auf einen sicheren Job haben. Viele Menschen kämpfen mit ständigen Befristungen, die mittelfristige Planungen oder gar eine Familiengründung unmöglich machen, und viele arbeiten zu Niedriglöhnen.
Das wirkliche Problem ist, dass Hunderttausende in Praktika stecken, die, wenn überhaupt, eher symbolisch bezahlt werden. In der Hoffnung, in ein reguläres Arbeitsverhältnis übernommen zu werden, arbeiten sie teilweise jahrelang in aneinandergereihten Praktika, ohne davon wirklich leben zu können.
Deshalb: Wenn sich die FDP wirklich Sorgen um die Perspektiven junger Menschen machen würde, sollte sie einmal eine Aktuelle Stunde zu prekärer Beschäftigung, zu Kettenbefristungen und zu Lohndumping beantragen, statt hier absurde Horrorszenarien zum Mindestlohn zu konstruieren.
Gerade erst am Montag hat das Institut für Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen eine Studie zu den Folgen des Mindestlohns vorgestellt. Diese kommt zu
dem Schluss, dass der Mindestlohn in anderen Ländern keinerlei negative Beschäftigungseffekte hat, genauso wenig wie die hierzulande bereits existierenden Branchenmindestlöhne. Im Gegenteil, die Mindestlöhne seien im Kampf gegen das Lohndumping wichtig.
Frau Beer, Sie glauben doch nicht allen Ernstes, dass junge Menschen keine Ausbildung mehr machen, weil im Gelegenheitsjob ein Lohn von 8,50 € pro Stunde lockt. Das Problem ist vielmehr, dass viele Menschen überhaupt keinen Ausbildungsplatz finden.
Es ist auch ein Märchen, dass es die sogenannten Unqualifizierten sind, die auf einen Niedriglohnsektor angewiesen sind. Auch hier hilft ein Blick in die Studie: Mehr als drei Viertel aller Betroffenen mit Stundenlöhnen unter 8,50 € haben eine abgeschlossene Berufsausbildung, teilweise sogar einen akademischen Abschluss. Frau Beer, die tatsächlich niedrig qualifizierten jungen Menschen brauchen doch keine Billigjobs und keine schlecht bezahlten Praktika, sondern Ausbildungsplätze.
Statt die vermeintlichen Risiken des Mindestlohns zu beschwören, sollten Sie sich einmal mit den Risiken und Nebenwirkungen des Niedriglohns befassen; denn Niedriglöhne bedeuten ein Leben in Armut und Unsicherheit, gerade auch im Alter.
Meine Damen und Herren von der FDP, ich finde es zynisch, den Mindestlohn abzulehnen, wenn man selbst weich gebettet ist und erst gestern die eigenen Diäten erhöht wurden.
Wenn man selbst abgesichert ist, ist es sehr leicht, so darüber zu reden. Es ist genau dieser Wohlstandschauvinismus, der die FDP zutiefst unsympathisch macht und dafür gesorgt hat, dass sie aus dem Bundestag geflogen ist.
Frau Beer, ich finde, Sie sollten sich die Frage stellen, ob Sie bereit wären, für 5, für 6 oder für 7 € in der Stunde zu arbeiten, ob Sie jeden Morgen für ein Leben auf Sozialhilfeniveau aufstehen würden,
und wie es Ihnen ginge, wenn Sie den anderen beim Leben zuschauen und Ihren Kindern immer erklären müssten, dass ein Kinobesuch, Eisessen oder gar ein Urlaub ein Luxus ist, den Sie sich nicht leisten können. Wenn Sie Freundschaften verlieren würden, weil Sie sich den abendlichen Kneipenbesuch nicht mehr leisten können und sich schämen, das Ihren Freunden gegenüber zuzugeben.
Versetzen Sie sich einmal in die Lage von jemandem, der Vollzeit arbeitet und trotzdem aufstocken muss. Wenn Arbeit so wenig wert ist wie Dreck, nimmt man den Menschen nicht nur die materielle Grundlage, sondern man raubt ihnen auch noch die Würde.
Das sollten Sie sich einmal für sich selbst vorstellen, bevor Sie anderen Leuten erzählen, dass sie zu Hungerlöhnen arbeiten sollen, und das auch noch als Chance verkaufen.
Nein, die FDP sorgt sich nicht um junge Arbeitnehmer; denn die sind durch den Mindestlohn überhaupt nicht in Gefahr. Der Mindestlohn ist vielmehr eine Gefahr für Niedriglöhne und vor allem für die Gewinne derjenigen, deren Geschäftsmodell genau darauf basiert, dass sie Dumpinglöhne zahlen. Sie machen sich zum Anwalt von Unternehmen, die Dumpinglöhne zahlen und ihr Geschäftsmodell genau darauf gründen.
Deshalb sage ich: Ja, wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn, und zwar ohne Ausnahmen und Schlupflöcher.
Das fordern auch die Gewerkschaften. Es darf keine Beschäftigten zweiter Klasse geben. Der Lohn muss von der Arbeit abhängig sein; er darf nicht vom Status abhängig sein. Deswegen muss der Mindestlohn auch für Langzeiterwerbslose und für junge Menschen gelten. Jede zusätzliche Ausnahme erschwert Kontrollen, schafft Ungerechtigkeiten und eröffnet die Möglichkeit, den Wettbewerb doch wieder nach unten zu treiben, wie es heute schon durch Leiharbeit und Werkverträge geschieht.
Der Niedriglohnsektor hat sich in den letzten Jahren immer weiter ausgebreitet. Seit der Agenda 2010 hat er einen Boom erlebt – auf Kosten der Beschäftigten. Wir reden heute über 8 Millionen Niedriglöhner in Deutschland. In keinem anderen europäischen Land hat sich in den letzten Jahren ein solch riesiger Niedriglohnsektor entwickelt. Es muss hier ein Mindestlohn geschaffen werden, um eine verlässliche Untergrenze einzuziehen.