Der Niedriglohnsektor hat sich in den letzten Jahren immer weiter ausgebreitet. Seit der Agenda 2010 hat er einen Boom erlebt – auf Kosten der Beschäftigten. Wir reden heute über 8 Millionen Niedriglöhner in Deutschland. In keinem anderen europäischen Land hat sich in den letzten Jahren ein solch riesiger Niedriglohnsektor entwickelt. Es muss hier ein Mindestlohn geschaffen werden, um eine verlässliche Untergrenze einzuziehen.
DIE LINKE tritt seit ihrer Gründung für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn ein, den praktisch alle Nachbarländer haben. Von einem Vollzeitjob muss man leben und später eine armutsfeste Rente beziehen können, und dafür reichen 8,50 € nicht aus. Der Mindestlohn muss existenzsichernd sein; denn in diesem reichen Land muss gelten: Von Arbeit muss man leben können.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Endlich kommt der Mindestlohn auch in Deutschland. Angesichts der beschämenden Situation, dass in unserem Land viele Men
schen trotz Erwerbstätigkeit auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind, und aufgrund des dramatischen Anwachsens des Niedriglohnsektors ist es längst an der Zeit, dass der Mindestlohn auch in Deutschland gesetzlich verankert wird. Das ist gut so, meine Damen und Herren.
Uns GRÜNE freut das besonders, denn wir haben seit zehn Jahren für dieses Ziel gekämpft. Es ist wirklich bedauerlich, dass die Einführung des Mindestlohns in Deutschland so lange politisch blockiert wurde, insbesondere von der FDP. Umso mehr begrüßen wir die für 2015 geplante Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 €. Wir werden ihn z. B. in unserem Hessischen Tariftreue- und Vergabegesetz verankern.
Wir brauchen den Mindestlohn als Haltlinie gegen Lohndumping und für einen fairen Wettbewerb. Von ihm können fünf Millionen Beschäftigte profitieren, darunter überproportional viele Frauen. Deshalb geht der Gesetzentwurf der Bundesregierung nach unserer Auffassung grundsätzlich in die richtige Richtung.
Meine Damen und Herren, es ist schon ein Fortschritt, dass wir inzwischen, jedenfalls überwiegend, nicht mehr über das Ob, sondern über das Wie der Einführung des Mindestlohns diskutieren. Wir GRÜNE haben gleichwohl einige Kritikpunkte an dem Gesetzentwurf, was beispielsweise die Zusammensetzung der Mindestlohnkommission oder die Evaluationsfristen betrifft. Wir haben auch durchaus die Hoffnung, dass sich an diesen Punkten noch etwas tut.
Aktuell wird aber, das ist auch heute der Fall, insbesondere über die Ausnahmen vom Mindestlohn diskutiert, die verschiedenerseits gefordert werden. In die Debatte geworfen sind derzeit z. B. Ausnahmen für Studierende, für Rentnerinnen und Rentner, für Minijobberinnen und Minijobber, für Zeitungsausträgerinnen und Zeitungsausträger, für Saisonarbeitskräfte, für Taxifahrerinnen und Taxifahrer oder Langzeitarbeitslose.
Jenseits der rechtlichen Zweifel, die wir, wie wir wissen, an der pauschalen Ausnahme großer Gruppen haben müssen, müssen wir doch vor allem eines sehen: Entscheidend für die Wirkungskraft des Mindestlohns ist seine Reichweite. Je mehr Ausnahmen zugelassen werden, desto weniger kann er als Schutz vor Lohndumping dienen.
Die Ausnahme großer Gruppen vom Geltungsbereich des Mindestlohns birgt gerade im Gegenteil die Gefahr, dass er systematisch unterlaufen werden kann und ein neuer Niedriglohnsektor unterhalb des Mindestlohns entsteht. Das wollen wir nicht.
Aber wir GRÜNE finden es richtig, keinen Anspruch auf den Mindestlohn für Lehrlinge, Ehrenamtliche und Praktika im Rahmen von Schule, Ausbildung oder Studium zu verankern. Für Praktika nach dem Ausbildungs- und Studienabschluss muss der Mindestlohn aus unserer Sicht dagegen auch gezahlt werden. Deshalb muss sehr behutsam abgewogen werden, welche Ausnahmen man vom Mindestlohn definiert.
Gestatten Sie mir, abschließend noch ein Wort zur Rolle der FDP in dieser Frage zu sagen. Frau Beer, ich finde es abenteuerlich, dass hier ausgerechnet die FDP Krokodilstränen über die vermeintlichen Nachteile des Mindestlohns für Jugendliche vergießt. Sie wollen den Mindestlohn, wie es ihn in den allermeisten europäischen Staaten gibt, und damit ein Stück mehr Gerechtigkeit in diesem Land doch überhaupt nicht. Das haben Sie beiläufig gesagt.
Frau Beer, es mag sein, dass Sie das heute nicht diskutieren wollen, aber es drang doch aus jedem Ihrer Sätze durch. Sie wollen den Mindestlohn überhaupt nicht; insofern sind Sie an dieser Stelle einfach ein schlechter Zeuge. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Klose. – Ich frage, ob noch jemand das Wort wünscht. – Dann kommt Herr Minister Al-Wazir. Bitte sehr.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir haben in der Debatte gemerkt, dass der Mindestlohn jetzt vor der Tür steht und dass die FDP diese Aktuelle Stunde beantragt hat, weil – das hat Herr Abg. Klose gerade ausdrücklich und zutreffend gesagt – sie den Mindestlohn überhaupt nicht will. Es ist aber so, dass sich alle im Bundestag vertretenen Fraktionen für einen Mindestlohn ausgesprochen haben. Ich glaube, dass das unter dem Strich für die soziale Marktwirtschaft in Deutschland gut ist.
Wenn man sich einmal überlegt, worin denn das Versprechen der sozialen Marktwirtschaft besteht, dann ist es durchaus so, dass sich das in den Sechzigerjahren einmal in einem Satz niedergeschlagen hat, der da heißt: Leistung muss sich lohnen.
Wir haben in Deutschland einen sehr großen Niedriglohnbereich, in dem sich Leistung in den letzten Jahren eben nicht gelohnt hat. Menschen haben zwar Vollzeit gearbeitet, mussten aber am Ende des Monats zum Amt gehen und um staatliche Unterstützung bitten. Das ist unterm Strich für die soziale Marktwirtschaft in Deutschland keine gute Nachricht, sondern eine Gefahr gewesen. Ich glaube, dass ein Mindestlohn von 8,50 € Deutschland am Ende nicht weniger wettbewerbsfähig machen wird, sondern dass er ein wirkungsvolles Instrument ist, um die Löhne am unteren Ende der Skala anzuheben und damit klar zu machen, dass die Idee der sozialen Marktwirtschaft nicht nur Zukunft hat, sondern auch mit neuem Leben gefüllt wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu gehört aber auch, dass man das mit Augenmaß macht. Dazu will ich in Richtung der Linkspartei ausdrücklich sagen: Wer dann mit Ideen um die Ecke kommt, sofort über 10, 12 oder 13 € pro Stunde zu reden, würde am Ende alle Vorurteile erfüllen. Er würde am Ende wirklich in Gefahr kommen, dass
ein solcher Mindestlohn, wenn er denn zu hoch angesetzt wird, all die negativen Effekte haben könnte, die von den Gegnern immer vorgebracht werden.
Deswegen würde ich jetzt wirklich vorschlagen, dass wir mit 8,50 € pro Stunde beginnen. Am Ende müssen die Tarifparteien in der Mindestlohnkommission natürlich auch die Auswirkungen beachten, um zu sehen, ob man nachsteuern muss.
Was bei der Debatte in Deutschland ein bisschen schwierig ist, ist der ständige Alarmismus, also beständig ist alles katastrophal und fatal.
Ja, ich habe die Rede von Frau Kollegin Beer genau gehört. – Vielleicht können wir doch einmal sagen: Es gibt jetzt eine Übereinkunft, wo alle im Deutschen Bundestag sagen: „Wir fangen damit an“, und natürlich werden wir sehen müssen, ob Teile der alarmistischen Forderungen, der an die Wand gemalten Kassandrarufe, Realität werden oder nicht.
Ich bin davon überzeugt, dass es am Ende nicht der Fall sein wird. Ich will ausdrücklich sagen – eigentlich lautet der Titel der Aktuellen Stunde: „Was passiert mit jungen Menschen?“ –: Ich glaube, dass es richtig ist, dass die Ausbildung an sich davon nicht erfasst wird. Ich bin auch davon überzeugt, dass es den Jugendlichen und den Eltern sehr bewusst ist, dass ein kurzfristiger Mehrverdienst in einem Aushilfsjob zulasten einer nachhaltigen Qualifikation teuer erkauft wäre.
Die Landesregierung wirbt darum, dass es rationale Entscheidungen gibt. „Rationale Entscheidungen“ heißt: Es ist immer besser, einen Ausbildungsberuf zu erlernen und eine Ausbildung abzuschließen, als in einem Aushilfsjob zu sein. Wir fördern dies mit zahlreichen Maßnahmen wie mit dem Ausbau der Berufsorientierung in den Schulen, mit der Verbesserung des Übergangs von der Schule in den Beruf und mit der Optimierung der Ausbildungsplatzvermittlung. An diesem Punkt will ich auch sagen: Wir wollen auch einen neuen Anlauf starten für bessere Rahmenbedingungen – mit einem neuen Bündnis für Ausbildung in Hessen. Ich bin davon überzeugt, dass wir es damit hinbekommen, mehr jungen Leuten eine Chance auf eine qualifizierte Ausbildung zu geben.
Ich setze auch darauf, dass wir, was die Praktika angeht, natürlich Ausnahmen in diesem Gesetz haben werden, die auch sinnvoll sind. Alle Praktika, die gesetzlich vorgeschrieben sind, sind ausgenommen, also im Rahmen von Schule und Studium. Alle Praktika, die weniger als sechs Wochen lang dauern, sind ebenfalls ausgenommen. Es ist so, da müssten wir uns eigentlich einig sein, dass Praktika, die teilweise über Jahre gehen und nicht vergütet werden, in Zukunft natürlich nicht mehr möglich sein werden, weil das ein Ausweichtatbestand wäre, den wir alle miteinander nicht wünschen können.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Natürlich werden wir gemeinsam ganz genau beobachten müssen, ob es unerwünschte Nebeneffekte gibt. Aber ich sage ausdrücklich: Ein Mindestlohn macht nur dann Sinn, wenn er nicht so viele Umgehungstatbestände beinhaltet, dass er keine Wirkung entfalten kann.
Lassen Sie uns das jetzt beginnen, und dann werden wir schauen, ob die ganzen alarmistischen Reden am Ende des Tages Wirklichkeit werden. Ich bin davon überzeugt, dass der Mindestlohn am Ende eine gute, eine positive Auswirkung auf den Wirtschaftsstandort Deutschland haben wird. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Minister. – Es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Damit ist Tagesordnungspunkt 67 erledigt.
Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde (Woche der Entschei- dung im Bundestag – auch das neue EEG muss den Ausbau der erneuerbaren Energien in Hessen fördern und nicht bremsen) – Drucks. 19/538 –
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Selten war eine Aktuelle Stunde so aktuell wie diese, denn wir befinden uns unmittelbar in genau der Woche, in der die Beratungen im Deutschen Bundestag stattfinden. Am Dienstag hat sich der Ausschuss ausgiebig mit dem Thema befasst. Wie Sie alle wissen, steht das Thema morgen in Berlin auf der Plenartagesordnung. Es ist damit zu rechnen, dass das Gesetz verabschiedet wird.