Protokoll der Sitzung vom 17.07.2014

Mazedonien erhielt vom Europäischen Rat bereits im Dezember 2005 den Status eines Beitrittskandidaten. Mit Bosnien-Herzegowina bestehen weitgehende Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, auch wenn hier noch – das will ich durchaus betonen – großer Nachholbedarf insbesondere hinsichtlich der Frage der politischen Teilhabe der Minderheiten besteht.

Ich möchte das hier sehr klar betonen. Allein diese politische Bestandsaufnahme bedeutet natürlich nicht per se, dass diese Länder bezüglich der gesellschaftlichen Grundordnung und der Gewährung rechtsstaatlicher Prinzipien keinen Nachholbedarf hätten. Das Problem der Ausgrenzung der Minderheiten, insbesondere der Roma, ist uns sehr wohl bewusst. Deren Situation dort ist gut vergleichbar mit der in Bulgarien, Rumänien oder auch in Ungarn, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union. Da muss sich dringend etwas ändern.

Da gilt es, vor allem im Beitrittsprozess und bei Assoziierungsabkommen etc. weiterhin Druck zur Verbesserung der Situation aufzubauen. Insbesondere eine bessere Integration der Minderheiten, aber auch das konsequentere Vorgehen gegen Schleuserbanden stellen hierbei wichtige Maßnahmen dar.

Die Zahlen unterstreichen das, was sich aus der politischen Bewertung der Europäischen Union ergibt. Die Europäische Union geht nicht leichtfertig mit Staaten um und räumt diesen den Status eines potenziellen Beitrittskandidaten ein. Das hat eine lange politische Beratung im Vorlauf.

Die Zahlen bei dem Asylverfahren, insbesondere das Verhältnis der gestellten Anträge zu letztlich positiven Bescheiden, sprechen eine ebenso klare Sprache. So ist die Zahl der in Deutschland von serbischen Staatsangehörigen gestellten Asylanträge von unter 1.000 im Jahr 2009 auf über 18.000 im Jahr 2013 massiv angewachsen. Aufgrund regelmäßig nicht vorliegender Asylgründe bei diesen 18.000 Anträgen lag der Anteil der Flüchtlingsanerkennung bei der Entscheidung zu serbischen Asylanträgen bei 0 %. Er lag bei sage und schreibe 0 %.

In den ersten fünf Monaten bis Mai 2014 sind schon wieder fast 8.000 Anträge eingegangen. Das ist ein Zuwachs um fast 150 % zum Vorjahreszeitraum. Das unterstreicht, warum es notwendig ist, hier zu handeln.

9.418 Mazedonier reisten 2013 nach Deutschland ein, um einen Asylantrag zu stellen. Auch da waren es nur Einzelfälle. Es waren 9.418 Fälle. Es ergaben sich zwei Asylberechtigte und vier Personen, denen Flüchtlingsschutz gewährt wurde. Elfmal wurde ein Abschiebeverbot ausge

sprochen. Das ist also auch eine vergleichsweise geringe Zahl.

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Anträgen aus Bosnien-Herzegowina. Ich will das hier nicht im Einzelnen ausführen.

Zweitens. Bereits aus dem Wortlaut des Art. 16a Grundgesetz wird deutlich, dass das Recht auf Asyl selbstverständlich auch nach der von der großen Koalition geplanten Einstufung Serbiens, Mazedoniens und Herzegowinas als sichere Herkunftsstaaten fortgilt. Das wird dadurch nicht ausgesetzt. Die Folge der geplanten Änderung ist lediglich, dass eine gesetzliche Vermutung dafür besteht, dass es keinen Asylgrund, also keine politische Verfolgung durch den Staat, für Menschen gibt, die aus einem der entsprechenden Länder kommen und einen Asylantrag stellen. Die Zahlen, die ich vorgetragen habe, unterstreichen, dass diese Vermutung in der Tat sehr naheliegend ist.

Die Folge ist dann nicht etwa die Ablehnung des Antrags. Vielmehr erfolgt die Ablehnung in der Regel. Wenn der Bewerber glaubhaft machen kann, dass in seinem Fall doch politische Verfolgung vorliegt, dann wird ihm nach wie vor Asyl gewährt werden. Genau das ist die rechtsstaatliche Vorgehensweise, die wir haben wollen.

(Beifall bei der FDP)

Ich komme zur Schlussfolgerung aus dem, was ich vorgetragen habe. Das, was ich eingangs gesagt habe, bestätigt sich bei näherer Befassung mit der Sache. Wir führen hier eine Scheindebatte. Die Behauptung, die Fälle würden nicht korrekt geprüft, entbehrt jeder Grundlage. Im Zweifelsfall ist das ein Affront gegenüber den Mitarbeitern der zuständigen Behörde, die dort sehr sorgfältig ihre Pflicht erfüllen.

Wahr ist, dass gerade in diesen Ländern, die Minderheiten betreffend, noch erheblicher Nachholbedarf besteht. Das betrifft sowohl die politische Teilhabe als auch die gesellschaftliche Eingliederung und Akzeptanz, die auch einem Beitritt zur Europäischen Union entgegenstehen.

Da ist es die Aufgabe der deutschen und der europäischen Politik, im Rahmen der weiteren Verhandlungen die Situation vor Ort zu verbessern. Das wird auch gelingen. Da bin ich zuversichtlich. Denn es gibt den großen Wunsch, die Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu erreichen. Da wird man sich bewegen müssen.

Lieber Michael, ich will es noch einmal sagen: Ich teile in diesem Fall die Position deines Parteifreundes Thomas de Maizière, der während einer Bundestagsdebatte etwas sagte, das so zutreffend wie nichts anderes ist:

Das Asylrecht ist nicht der richtige Ort, der zweifellos schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Lage in bestimmten Herkunftsländern zu begegnen und die damit verbundenen Fragen zu lösen.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): So einfach!)

Herr Kollege van Ooyen, so einfach ist es. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen, wenn Sie sich hinsichtlich dieser Frage nicht von dem verabschieden wollen, was der Rechtsstaat da geregelt hat und wie es in unserem Grundgesetz festgelegt ist.

Hinsichtlich des Dringlichen Entschließungsantrags der Fraktionen der CDU und der GRÜNEN kann ich wieder etwas weniger versöhnlich sein. Dazu habe ich bislang

nichts gesagt. Ich werde inhaltlich auch nichts dazu sagen. Soweit Sie es noch nicht getan haben, sollten Sie ihn lesen. Dann werden Sie feststellen, dass das ein völlig inhaltsleerer Versuch ist, der eines klar entlarvt, nämlich dass sich diese Koalition wieder einmal nicht einig ist. Hessen hat sich deshalb im Bundesrat der Stimme enthalten. Es wird sich auch weiterhin der Stimme enthalten. Das ist ein absoluter Feigenblattantrag, den Sie sich besser schlichtweg erspart hätten. Für die Feststellung, dass es bei Ihnen einen Dissens gibt, brauchen wir keine extra vorgelegten Anträge in diesem Parlament.

(Beifall bei der FDP)

Wir werden folgerichtig für die Ablehnung Ihres Antrags wie auch den der LINKEN stimmen.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Greilich, vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht Frau Kollegin Öztürk für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Frau Kollegin, bitte sehr, Sie haben das Wort.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte feststellen, dass für uns, die Mitglieder des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, das Grundrecht auf Asyl ein sehr hohes Gut ist, dass Asylsuchende natürlich Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren haben und dass asylrechtliche Entscheidungen immer zügig und anhand klarer Kriterien abzuwägen und dann umzusetzen sind.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Ich möchte aber auch festhalten, dass wir das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten generell für schwierig erachten. Das ist ein Konzept, das wir auch in der Vergangenheit sehr kritisch bewertet haben und in der Gegenwart kritisch bewerten, weil es eben die Gefahr birgt, dass pauschal Flüchtlinge aus bestimmten Herkunftsländern als offensichtlich unbegründete Asylbewerber abgelehnt werden und man damit unter Umständen dem Schutzbedarf des einzelnen Flüchtlings nicht gerecht wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein so sensibles Thema wie die Einstufung der sicheren Herkunftsstaaten muss daher umfassend und verantwortungsbewusst erörtert werden, mit Ruhe und ohne Polemik, sondern einfach mit der Gelassenheit, die notwendig ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Deshalb haben BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und alle von ihnen mitregierten Länder, auch die SPD-grün-regierten Länder, dafür gesorgt, dass am 13. Juni im Bundesrat mit einer Enthaltung dieser Gesetzentwurf nicht beschlossen worden ist, sondern weiter im Beratungsverfahren geblieben ist. Das ist ein Erfolg, den wir als GRÜNE gemeinsam in diesen Ländern verabredet und besprochen haben. In einem ersten Schritt haben wir durchgesetzt, dass diesem

Gesetz noch nicht zugestimmt worden ist, sondern dass es weiter in den Beratungen ist.

Wir haben auch in allen sieben grünmitregierten Ländern wie in Brandenburg eine einheitliche Position hinbekommen können, weil wir uns darüber klar waren, dass dieses Gesetzesvorhaben sehr problematisch ist und dass es auch weitere problematische ausländerrechtliche Gesetzesvorhaben gibt, die man sich genauer anschauen muss.

Es geht dabei um die Einschränkung von EU-Freizügigkeit, um höchst problematische Änderungen bei der Ausweisung von ausländischen Staatsangehörigen, um Verschärfung der Inhaftierungsmöglichkeiten von Asylsuchenden, es geht aber auch um Vorhaben wie: endlich eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung hinzubekommen, endlich einen erleichterten Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge hinzubekommen, aber auch Veränderungen im Asylbewerberleistungsgesetz hinzubekommen. Das heißt, sowohl die schwierigen Themen als auch die durchaus positiven Themen sind miteinander verknüpft worden und sollen jetzt bis Herbst miteinander diskutiert und in einem ausgewogenen Bereich entschieden werden.

Vor diesem Hintergrund haben wir GRÜNE und die grünmitregierten Länder Gesprächsangebote der Großen Koalition angenommen. Wir sind jetzt mit ihnen in Verhandlung und versuchen einmal, herauszufinden, was denn die eigentlichen Vorhaben bezwecken und was sie wollen. Wir wollen auch da ganz klar versuchen, im Interesse der Flüchtlinge, die bei uns Schutz suchen, so viel wie möglich herauszuholen und Rechte für diese Menschen hinzubekommen, damit ihre Lebenssituation in Deutschland verbessert wird.

Das zum Thema, was gerade aktuell passiert ist. Deswegen habe ich mich gewundert, als der Antrag von der LINKEN kam. Denn ich habe mir gedacht: Das ist doch alles das, was wir GRÜNEN gemacht haben. Wollen Sie unsere Verhandlungsposition stärken oder schwächen, es für sich noch einmal politisch instrumentalisieren oder belehren? – Ich habe das nicht ganz verstanden, weil wir ganz genau wissen, wie wir mit dieser Thematik sehr sensibel umzugehen haben und wie wir unsere Haltung dazu klargemacht haben.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Erklären Sie es der Frau Wallmann noch einmal!)

Deswegen ist auch, wie gesagt, im Bundesrat am 13. Juni genau das entschieden worden, was entschieden worden ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte aber auch klarmachen, dass wir in dieser Frage sehr sensibel miteinander umgehen müssen. Wenn wir über das Thema sichere Herkunftsstaaten Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina reden, möchte ich nicht, dass wir uns das leicht machen. Auf der einen Seite gibt es auch einen CDU-Politiker wie Herrn Professor Dr. Schwarz-Schilling, der anmahnt, die Situation vor Ort sei katastrophal und wir dürften sie nicht außer Acht lassen. Aber es gibt auch einen SPD-Politiker wie Rüdiger Veit, der da sehr kritisch ist, und es gibt auch die GRÜNEN, die da sehr kritisch sind.

Ich möchte aber auch nicht verhehlen, dass wir in dieser Diskussion sehen müssen, dass bundesrechtliche Gesetzgebungen in Zukunft so erlassen werden, dass wir den Menschen, die bei uns Schutz suchen, auf jeden Fall bessere

Lebensmöglichkeiten, einen besseren Arbeitsmarktzugang und eine bessere soziale Teilhabe organisieren können.

Ich finde aber auch, dass man nicht das Spiel spielen sollte, die verschiedenen Gruppen gegeneinander aufzuwiegen oder abzuwägen. Trotzdem bin ich sicher – so, wie die Bundesregierung jetzt ihr Gesprächsangebot gemacht hat und wie sich die Landesregierung hier aus Hessen im Bundesrat verhalten hat –, dass man sehr sorgsam mit dieser Frage umgehen wird, dass man sehr sorgsam alles abwägen wird, um verschiedene Entwicklungen und gesetzliche Verbesserungen zu erzielen, ohne dabei die eine Gruppe gegen die andere auszuspielen. In diesem Sinne habe ich vollstes Vertrauen, dass das, was im Herbst dabei herauskommen wird, im Interesse aller Flüchtlinge in Deutschland sein wird. Dass natürlich eine europaweite Lösung für die Roma gefunden werden muss, ist keine Frage. Ob das unbedingt über das Asylrecht geregelt werden muss, werden wir noch diskutieren.

Mehr habe ich dem nicht hinzuzufügen. Wichtig sind Gelassenheit und Nichtinstrumentalisierung der Situation der Menschen. Das, was im Herbst entschieden wird, sollte für uns alle gemeinsam tragbar sein, damit den Menschen, den Flüchtlingen hier in Hessen, die höchste und beste Möglichkeit der Teilhabe organisiert wird. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner spricht Herr Schäfer-Gümbel von der SPD-Fraktion. Bitte schön.

Frau Präsidentin, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst will ich mich bei der Fraktion DIE LINKE herzlich bedanken, dass sie Gelegenheit gibt, diesen Punkt der Flüchtlingspolitik in Deutschland hier im Hessischen Landtag zu diskutieren.

Ich glaube, dass die Debatte allerdings sehr sauber und klar in zwei Bereiche getrennt werden muss. Das sind die grundsätzlichen Herausforderungen, Probleme und auch Schwierigkeiten in der Flüchtlingspolitik in Deutschland wie auch in Europa auf der einen Seite und auf der anderen Seite das, was gerade als konkretes Gesetz mit der Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten auf dem Tisch liegt.

Ich will zu Beginn sehr klar für meine Partei und meine Fraktion sagen, dass der damalige Kompromiss um Art. 16 Grundgesetz, das Grundrecht auf Asyl, bis heute tiefe Wunden in meiner Mitgliedschaft, der Mitgliedschaft meiner Partei und der vieler Unterstützerinnen und Unterstützer geschlagen hat, weil die Auseinandersetzung um die Reform des Asylrechts damals hochgradig umstritten war.

(Beifall bei der SPD)