Protokoll der Sitzung vom 17.07.2014

(Beifall bei der SPD)

Dies gilt auch für die Entscheidung im Rahmen des Kompromisses um die Änderung des Art. 16 Grundgesetz für die Einführung des Instruments der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten. Wir wissen sehr wohl, welche Debatte es damals gab, wie schwierig sie war, auch in welch aufgeheiztem Umfeld sie stattgefunden hat, aber Fakt ist: Diese

Konstruktion existiert seit dem Jahr 1993 als ein Kompromiss im Rahmen der Verhandlungen um Art. 16.

Die jetzt vorgelegten Änderungen, die der Bundesrat in der Tat nicht sofort beschlossen, sondern in eine Verhandlungsrunde geschoben hat, betreffen vor allem mit Blick auf die sicheren Herkunftsstaaten drei Länder: Serbien, Mazedonien, Bosnien.

Die meisten Vorredner haben bereits darauf hingewiesen, dass wir uns mit diesen Ländern zu Teilen in Aufnahmeverhandlungen mit der Europäischen Union befinden. Es wurde darauf hingewiesen, dass wir seit dem 15. Oktober 2010 die Visumpflicht mit diesen Ländern aufgehoben haben und dass beispielsweise allein im Jahr 2014 die Quote der Erstanträge auf Asyl zu 20 % aus diesen Ländern kommt. Die Anerkennungsquote liegt derzeit bei 1 %. Die Aufnahme dieser drei Länder als sichere Herkunftsstaaten war in der Tat auch im Deutschen Bundestag und in der Großen Koalition umstritten.

Allerdings hat sich am Ende die Sozialdemokratie auch vor dem Hintergrund der Verabredungen im Koalitionsvertrag, zu denen ich gleich noch kommen werde, entschieden, dieser Regelung zuzustimmen – auch, und ich bin Herrn Greilich außerordentlich dankbar dafür, dass er noch einmal explizit darauf hingewiesen hat, weil die Aufnahme in das System der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten ausdrücklich nicht bedeutet, dass Menschen aus diesen Ländern, die von Verfolgung bedroht sind, keine Anträge auf Asyl in Deutschland stellen können, sondern dass sie im Einzelfall sehr genau und gewissenhaft zu prüfen sind. Ich will das sehr klar sagen: Mein Vertrauen in die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BAMF ist groß genug, dass sie diese in der gebotenen Sorgfalt prüfen und zu entsprechenden Ergebnissen kommen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP und der CDU)

Dies ändert ausdrücklich nichts daran, dass die Lage der Roma in diesen drei Ländern schwierig ist; aber nicht nur in diesen drei Ländern. Die Lage der Roma ist in nahezu allen Ländern der Europäischen Union schwierig. Die Roma sind die mit Abstand größte Minderheit in der Europäischen Union. Sie sind den unterschiedlichsten Formen der Diskriminierung ausgesetzt.

(Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken übernimmt den Vorsitz.)

Deswegen gibt es eine Reihe von politischen Debatten. Ich will es ausdrücklich nochmals sagen: Wir als Land Hessen haben einen Vertrag mit den Sinti und Roma abgeschlossen, um ein klares Signal zu setzen. Dies geschah in großer Einmütigkeit. Solche Signale brauchen wir.

Ich finde es ebenfalls richtig – unter anderem vom Kollegen Greilich wurde eben darauf hingewiesen –, dass daraus aber auch resultiert, dass wir als Europäische Union und als Bundesrepublik Deutschland eine Verpflichtung haben, mit unseren Möglichkeiten die Verbesserung der Lebensund Arbeitsbedingungen aller Menschen, auch und gerade in diesen Ländern, herbeizuführen. Das wird mir entschieden zu selten betont, außer in solchen Debatten. Dem müssen auch endlich Konsequenzen folgen.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben auch deshalb diesem Kompromiss zugestimmt, weil wir dafür in Koalitionsverhandlungen Dinge durchset

zen konnten, die uns wichtig waren. Dabei geht es um die Frage des Arbeitsrechts – ein Kompromiss, der der Union besonders schwergefallen ist –, um Kompromisse bei der Residenzpflicht, aber auch – und das ist für uns einer der wichtigsten Punkte gewesen –, dass wir endlich eine Bleiberechtsregelung verabreden konnten, die zukünftig ohne Stichtage auskommt. Das ist ein echter Fortschritt für Menschen, die hier jahrelang geduldet werden und dennoch keinerlei Sicherheit haben. Wenn das in dieser Großen Koalition umgesetzt wird, ist das ein echter zivilisatorischer Fortschritt.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen hat die Sozialdemokratie – mit vielen namentlichen Erklärungen – im Deutschen Bundestag den Weg für diesen Kompromiss freigemacht. Es ist ein Kompromiss.

Völlig unabhängig davon sind die grundsätzlichen Fragen der europäischen Flüchtlingspolitik. Ausdrücklich sind die in dem Antrag der Fraktion DIE LINKE hier nicht aufgerufen. Wie gehen wir mit dem schwierigen Verhältnis von politischer Verfolgung auf der einen Seite und den im Kern nicht minder schwerwiegenden Gründen von Armutsflucht um? Das sind Fragen, die im Moment in unserem Asylrecht nicht hinreichend und abschließend geklärt sind. Im Übrigen sind sie politisch hochgradig umstritten. Wäre Ihr Weg konsequent, dann hätten Sie heute hier beantragen müssen, dass das System der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten vollständig aufgehoben wird.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das stimmt!)

Denn die Teilung zwischen Herkunftsstaaten auf der einen Seite und den Dreien, die hier beschrieben sind – – Das aber tun Sie nicht. Sie sagen ausdrücklich nur, diese Drei sollen nicht aufgenommen werden. Herr van Ooyen, ich will das deswegen sagen, weil Ihr Antrag nur ein Hilfsmittel ist und einen Teilaspekt betont, statt die Grundsatzfragen aufzurufen, die hier aufrufungsbedürftig sind.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ob wir am Ende zu gemeinsamen Lösungen kommen, da bin ich allerdings sehr skeptisch, angesichts mancher Debatten, die wir führen. Im Übrigen gilt das auch mit Blick auf die Lebens- und Arbeitssituation von vielen Flüchtlingen in der Europäischen Union.

In den letzten Jahren haben wir es erlebt, wie sich die Lage der Flüchtlinge beispielsweise in Griechenland entwickelt hat, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, der eine Außengrenze verwaltet. In den letzten Monaten haben wir das immer und immer wieder vor Italiens Küsten erlebt, auch an der nordafrikanischen Seite, an den beiden Grenzstädten Spaniens. Dort laufen die Flüchtlingsströme auf. Die Grenzländer, insbesondere Griechenland, Italien und Spanien – auch vor dem Hintergrund der Verabredungen in der Europäischen Union – befinden sich in einer außerordentlich schwierigen Situation. Die bundesdeutsche Debatte macht es sich da manchmal sehr, sehr leicht, wenn sie sagt: Nach unseren Regeln ist das das Problem von Italien, Spanien und Griechenland – und wir dabei so tun, als hätten wir damit gar nichts zu schaffen. Aus meiner Sicht muss dieses Problem zwingend aufgerufen werden.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen halten wir es ausdrücklich für richtig, dass wir hier eine grundsätzlichere Debatte um die Asylpolitik in diesem Land, die Flüchtlingspolitik, aber auch über den

weiteren Umgang mit der Armutswanderung, mit Armutsund Kriegssituationen, auch im europäischen Umfeld, beispielsweise in Syrien, in Libyen und in anderen Ländern der Welt, aufrufen und führen.

Ich glaube nicht, dass sich der jetzige Gesetzentwurf dafür eignet – es sei denn, es geht um den Versuch, zwei Fraktionen in diesem Haus, aus unterschiedlichen Gründen, zu sagen: Ihr habt einen schwierigen Kompromiss gemacht, einmal der SPD für die Bundessituation, und auf der anderen Seite den GRÜNEN für die Landessituation. Im Übrigen führt mich das zum eigentlichen Problem, zu dem ich am Ende noch einen kurzen Satz sagen werde. Aber zuvor will ich noch eine Bemerkung machen.

Meinerseits und für die hessische SPD will ich sagen: Im Rahmen der Verhandlungen sollten wir eine Chance ergreifen, die sich jetzt schon andeutet; Kollegin Öztürk hat es eben angesprochen. Ich fände es gut, wenn im Rahmen der Verhandlungen, die jetzt zwischen den Bundesländern und dem Bundestag stattfinden werden, am Ende endlich auch die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und die Überführung in das Regelsystem stattfinden würde. Das wäre ein echter Fortschritt.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hätte mich gefreut, wenn genau das Gegenstand des Antrags der Koalitionsfraktionen gewesen wäre. Wenn Sie in diesen Koalitionsantrag hineingeschrieben hätten: Wir haben völlig unterschiedliche Auffassungen, kommen deswegen zu keinem gemeinsamen Ergebnis und versuchen deswegen, hier ein bisschen Prosa zu verbreiten, dann wäre das deutlich ehrlicher als dieses Rumgeeiere in diesem Antrag.

Ich komme zum Schluss, vorletzter Satz.

Was Sie hier an Rumgeeiere produzieren, ist nicht sonderlich hilfreich. Denn am Ende ist Ihr Problem dasselbe wie unseres: Mit denen kommen wir in diesen Fragen grundsätzlich selten weiter. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ist auch gut so!)

Danke, Herr Schäfer-Gümbel. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen – –

(Wortmeldung des Ministers Peter Beuth)

Doch, Entschuldigung. Herr Beuth, selbstverständlich.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will kurz für die Landesregierung Stellung nehmen.

In der Tat ist es so, dass wir im Rahmen der Beratungen im Bundesrat zu diesem wichtigen Gesetzentwurf noch viele Punkte miteinander zu klären haben. Die beziehen sich nicht nur auf den hier vorgelegten Regelungskreis der sicheren Herkunftsstaaten, sondern befassen sich auch noch mit vielen anderen Fragen. Insofern ist es richtig, dass wir uns die Zeit nehmen, in aller Seelenruhe bis zum September zu erörtern, wie wir eine gute Lösung für das Land finden.

Herr Kollege Schäfer-Gümbel, Sie haben es gerade angedeutet und gesagt, Armutsflucht ist im Asylrecht nicht geklärt. Seien Sie mir bitte nicht böse. Ich finde, das Asylrecht ist nicht der richtige Platz, um das Thema Armutsflucht gesetzlich zu regeln.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Herr Innenminister, das meinte ich damit!)

Ich bin der Auffassung, das Asylrecht hat eine wirklich herausragende und wichtige Funktion in unserem Land. Im Jahr 1993, als es den Asylkompromiss gegeben hat, hatten wir in den Städten und Gemeinden, in den Landkreisen eine sehr schwierige Situation – nicht nur in Hessen, sondern weit darüber hinaus. Damals haben wir viele Menschen aufgenommen. Wir haben sie aufgenommen, weil wir eine Verpflichtung dieses Landes sehen, aus Humanität und Hilfsbereitschaft Menschen, die in großer Not sind, die in ihren Heimatstaaten verfolgt werden oder die am Ende – so war es zumindest in den Neunzigerjahren – vor kriegerischen Auseinandersetzungen in ihrem Heimatland geflohen sind, bei uns Unterschlupf zu bieten. Das ist der Kern dessen, was wir jetzt im Asylrecht haben. Im Rahmen der Nationen nimmt Deutschland seine Aufgabe ganz hervorragend wahr.

Das ist auch richtig und klug. Wir haben eine besondere Verpflichtung, die wir aus unserer Geschichte heraus begründen. Aber wir müssen schon aufpassen. Das haben wir 1993 gesehen, als wir den Asylkompromiss geschlossen haben, und das müssen wir heute beachten. Für diese Position, diese Hilfsbereitschaft, diese Aufnahmebereitschaft für Menschen in unserem Land brauchen wir am Ende auch die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung in diesem Land. Wir müssen zusehen, dass wir den Rahmen so wählen, dass wir die Menschen im Land nicht überfordern. Deswegen ist es richtig, diesen konkreten Teil, nämlich zukünftig diese drei Länder im Katalog der sicheren Herkunftsstaaten zu führen, gesondert anzugehen.

Wir machen das, was wir uns vorgenommen haben, nicht nur im Asylrecht, sondern auch im Arbeitsrecht und beim Bleiberecht. Wir werden die noch offenen Fragen bis September miteinander klären – natürlich im Interesse der Flüchtlinge, Frau Kollegin Öztürk. Wir müssen das tun, wir werden es auch tun, und ich bin sicher, dass wir es gemeinsam tun werden, weil wir es auch im Interesse Deutschlands machen müssen. Wir werden auch im Interesse der Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft Antworten geben müssen. Der Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft sind Grenzen gesetzt. Wir werden das Elend dieser Welt nicht allein bei uns in Deutschland lösen können. Das müssen wir uns eingestehen, auch in einer solchen Debatte.

Meine Damen und Herren, seit der Aufhebung der Visumpflicht für die Länder Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina ist die Zahl der Asylerstanträge sprunghaft gestiegen. Das ist schon angedeutet worden. Wir bekamen im Jahre 2012 allein aus diesen drei Ländern über 15.000 Anträge. Im Jahre 2013 waren es bereits rund 21.000 Anträge, und bis Ende April dieses Jahres waren es schon über 8.000 Anträge – allein aus diesen drei Ländern.

Es wurde schon angedeutet, aber ich will es noch ein bisschen konkretisieren: Wir haben bei diesen Asylanträgen eine Anerkennungsquote von unter 1 %, eine Anerkennungsquote, die nicht wirklich wahrnehmbar ist. In den letzten zwei Jahren, von 2012 bis zum 30. April 2014, ergab sich bei über 30.000 Entscheidungen über Asylanträge

aus Serbien ein einziger Anerkennungsfall. Es gibt darüber hinaus Abschiebeschutzfälle, das will ich nicht in Abrede stellen, aber auch deren Zahl ist eigentlich vernachlässigbar – nicht als Einzelfall, sondern als Gesamtzahl betrachtet. Daher müssen wir feststellen, dass es in Serbien keine Verfolgung gibt. Somit können wir Serbien in den Katalog der sicheren Herkunftsstaaten aufnehmen, uns dadurch bei Verfahren erheblichen Aufwand ersparen und unsere Kapazitäten, unsere Kraft denen zuwenden, die unserer Hilfe und einer schnellen Entscheidung tatsächlich bedürfen.

Wir haben bei Mazedonien eine ähnliche Situation: zwar nicht ganz so viele, aber immerhin über 15.000 Entscheidungen, aber nur zwei Anerkennungsfälle. Bei BosnienHerzegowina haben wir die Situation, dass es knapp 10.000 Entscheidungen und keinen einzigen Anerkennungsfall gibt.

Wenn wir eine solche Situation haben, wenn wir drei Länder ausmachen können, aus denen zwar sehr viele Asylanträge kommen, in denen es nach den Feststellungen unseres Bundesamtes, das sehr gewissenhaft und ordentlich arbeitet – da stimme ich mit dem Kollegen Schäfer-Gümbel völlig überein –, aber weder Verfolgung noch Folter, noch unmenschliche Behandlung, also keinen Asylgrund gibt, dann müssen wir auch die Kraft haben, zu sagen: Wir schneiden niemandem den Rechtsweg ab, jeder hat auch weiterhin die Chance, zu erklären, warum ausgerechnet er doch ein besonderer Fall ist. Aber für die Masse der Anträge können wir entscheiden: Wer aus einem sicheren Herkunftsland – das scheinen diese drei Länder zu sein – kommt, der muss kein ausgiebiges Verfahren durchlaufen.

Ich glaube, das ist ein kluger Vorschlag, weil er uns die Kraft gibt, uns auf diejenigen zu konzentrieren, die tatsächlich unserer schnellen Entscheidung bedürfen. Unter diesem Gesichtspunkt sollten wir die Diskussion bis zum September weiterführen und eine Lösung im Interesse der Flüchtlinge, aber eben auch im Interesse Deutschlands herbeiführen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Herr Minister Beuth. – Jetzt liegen wirklich keine weiteren Wortmeldungen vor.

Mir ist signalisiert worden, dass beide Anträge an den Innenausschuss überwiesen werden sollen. – Dann machen wir das so. Der Antrag, Drucks. 19/630, und der Dringliche Entschließungsantrag, Drucks. 19/698, werden dem Innenausschuss überwiesen.