Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Staatsminister, ich glaube, dass es viel Einigkeit zwischen den Fraktionen im Hause gibt, dass wir bei der medizinischen Versorgung in vielen Bereichen unseres Landes vom Grundsatz her eine sehr gute Qualität haben. Das liegt nicht zunächst an der Landespolitik, auch wenn die Landespolitik in den letzten Jahren – auch aktuell; ich glaube, das darf auch eine Oppositionsfraktion sagen – an vielen Stellen versucht, Sachverhalte anzustoßen; vielleicht nicht immer mit Unterstützung der Opposition – dann sehen wir einiges anders –, aber der Wille ist ihr nicht abzusprechen. Es liegt vor allem an den Akteuren, die in diesem Bereich unterwegs sind.
Das will ich ausdrücklich sagen: Wir können froh sein, dass wir in Deutschland und auch in Hessen eine so hochwertige medizinische Ausbildung für Ärzte auf der einen Seite und für medizinisches Fachpersonal auf der anderen Seite haben, eine Struktur mit einem ambulanten und einem stationären Bereich, die sich an vielen Stellen gut ergänzen. An manchen Stellen gibt es Verbesserungsbedarf; auch das ist richtig. Aber richtig ist, dass wir mit den Institutionen, die wir in Deutschland haben, eine Qualität abbilden, die kaum ein anderes Land in Europa oder in der Welt hat. Das ist zunächst einmal etwas, was man begrüßen und nicht kritisieren sollte.
In dieser Diskussion sollten wir alles dafür tun, diese Entwicklung zu verbessern und einen Rahmen zu bilden, dass sich die Akteure im Gesundheitssystem letztendlich auch gut fortentwickeln können. Herr Staatsminister Grüttner, Sie haben in Ihrer Rede schon vieles gesagt, und ich gehe davon aus, dass mein geschätzter Kollege Dr. Bartelt auch noch einmal auf die hervorragende Politik der Landesregierung zu sprechen kommen wird. Man sieht Ihnen schon an, Herr Kollege, dass Sie das wahrscheinlich machen werden, was für eine Regierungsfraktion auch legitim ist.
Das ist unbestritten. Das würde ich jetzt auch nicht anders sagen, das würde ich auch nicht kritisieren. Damals war es aber auch noch richtig; heute kann man lange darüber streiten, ob es so ist. Das ist der einzige Unterschied.
Liebe Frau Kollegin Ravensburg, insofern muss man da vielleicht ein bisschen differenzieren. Ansonsten war der Zwischenruf richtig.
Die geplanten Maßnahmen werden jede für sich in den nächsten Monaten und Jahren in diesem Hause diskutiert werden – ob es das ist, was Stefan Grüttner als regionale Gesundheitsnetze bezeichnet, wo schon eine Vorarbeit geleistet ist, wo sich zeigen wird: „Ist das der richtige Weg?“, ob das die Entwicklung im Rahmen der Kassenärztlichen Vereinigung ist oder die Frage: Wie kann man Strukturen schaffen, um überhaupt Ärzte in diese demografisch schwierigen Regionen in unserem Land zu bringen und Anreize zu schaffen?
Lieber Stefan Grüttner, ich habe aber heute nicht vor, jeden Punkt, den Sie hier vorgetragen haben, mit Ihnen zu diskutieren. Ich glaube, dass wir uns über die Ergebnisse ausführlich unterhalten werden und dass es um die Grundsatz
Leider stelle ich immer mehr fest, dass wir in Deutschland, aber auch in Hessen die Situation haben, dass der Staat glaubt, er weiß es zum Schluss besser als die Akteure vor Ort. Das ist ein Trend, der mir Sorge macht. Das ist ein Trend zu weniger Freiheit für die Akteure, zu mehr staatlicher Kontrolle, auch zu mehr Misstrauen. Natürlich – die Kritik ist auch richtig – gibt es immer wieder Fälle, über die man diskutieren muss.
Aber ich will es unterstreichen: Die große Masse, der Grundsatz klappt hervorragend. Den müssen wir stärken. Wir dürfen unsere Politik nicht nach den Ausnahmen richten, sondern müssen sie nach der Regel richten. Da gibt es zurzeit auch hier in Hessen eine Tendenz, die eher in eine andere Richtung geht. Das halte ich nicht für klug.
Deshalb will ich mir etwas Zeit nehmen, um über das Versorgungsstärkungsgesetz im Bund zu sprechen. Kollege Grüttner sagte schon, als ich hier hoch kam, das werde ich bestimmt tun. Und es stimmt, das werde ich auch tun, weil ich fassungslos bin, dass die Union in einer Bundesregierung mit den Sozialdemokraten – – Hinter Herrn Gröhe stehen Herr Jens Spahn, den ich schätze, der ein kluger Kollege und Politiker auf Bundesebene ist, und Karl Lauterbach, auch ein Kollege aus Berlin.
In diesem Zusammenspiel werden zurzeit viele der Ideen, die Sozialdemokraten auch in einer Auseinandersetzung im Rahmen der Wahldebatte gebracht haben, und diese Ankündigungen umgesetzt.
Ich gebe zu, das macht mir Angst. Das macht mir deshalb Angst, weil wir in Deutschland erlebt haben, was passiert, wenn planwirtschaftliche Strukturen Grundlage für unser Gesundheitssystem sind. Das war Ulla Schmidt. Frau Wissler, Sie erinnern sich, Sie freuen sich beim Namen Ulla Schmidt. Da reagiert jeder anders. Ich kann diese Freude bei mir nicht erkennen.
Ulla Schmidt hat versucht, Deutschland mehr an Großbritannien, an einem Staatsmedizinsystem zu organisieren, wo planwirtschaftlich zugeteilt wird, welche Ressourcen es gibt.
Das Versprechen war immer: Jeder darf alles haben. – Rationiert wurde durch die Hintertür. Mediziner mussten vor Ort dem Patienten erklären, dass es Leistungen nicht mehr gibt. Das war feige Politik. Das war Politik gegen die Patienten. Es war Politik gegen eine gute Versorgungsstruktur.
Ich glaube, dass wir in den vier Jahren der Koalition von CDU und FDP dort einiges verbessert haben, aber sicherlich nicht alles. Dass jedoch jetzt mit dem Versorgungsstärkungsgesetz eine Struktur implementiert wird, im Dezember im Bundesrat beraten wird, die dafür Sorge tragen soll, dass man auf dem Reißbrett festlegt, wo welcher Arztsitz in Hessen ist, das ist nicht nur in der Vergangenheit gescheitert, wenn wir in den östlichen Teil unserer Bundesrepublik schauen, wo versucht worden ist, planwirtschaft
lich zu strukturieren, wer welchen Arzt zu welcher Zeit besucht. Auch die Erfahrungen aus der jüngsten Zeit in unserem Land zeigen, dass solche Projekte zum Scheitern verurteilt sind.
Frau Wissler, ja, da haben Sie recht, sie demotivieren Mediziner vor Ort, sie demotivieren Freiberufler.
Wir wollen aber motivierte Ärzte vor Ort, die ihre Arbeit gern machen. Wir wollen, dass es sich für den, der mehr arbeitet, auch lohnt, wenn er mehr arbeitet, und er nicht in eine planwirtschaftliche Kastenstruktur gesteckt wird, die letztendlich dafür Sorge trägt, dass er demotiviert an seine Arbeit geht und vor allen Dingen – das ist doch das Wichtige – dann auch so dem Patienten gegenübertritt. Dieses System, das Sie vorgelegt haben, kann nicht funktionieren.
Ich will für die Bürger, die heute da sind, erklären, worum es geht. Die Kollegen in Berlin haben sich überlegt, dass es in jedem Land Regionen gibt, wo wir nach der Grundverteilung mehr Ärzte und wo wir weniger Ärzte haben. Jetzt versucht man es über die Kassenärztliche Vereinigung. Die bringt man in eine ganz schwierige Lage, weil man sie zwingt – natürlich als Körperschaft des öffentlichen Rechts, da hat Kollege Dr. Spies recht –, in die Struktur jetzt noch über den gesetzlichen Auftrag hinaus, den sie bisher schon hat, einzugreifen
ich sage nicht: „zu Recht“; wenn Sie mir weiter zuhören, werden Sie mir gleich zustimmen –, d. h. dort, wo es Kassensitze gibt, die zurückgegeben werden, diese nicht mehr frei weiterzugeben und diese Freiheit den Ärzten zu belassen und zu schauen, wo es Nachfrage nach ärztlicher Behandlung gibt, sondern die Kassenärztliche Vereinigung Hessen wird verpflichtet, diese Arztsitze zurückzukaufen und dann neu zu verteilen. Wie? Diese Frage würde ich Ihnen gern stellen, auch dem Kollegen Grüttner.
Das ist unser wunderschönes Land. Dass jetzt da rot-grüne Farben sind, hat sich die Kassenärztliche Vereinigung ausgedacht, nicht wir. Das ist nur das Zeichen dafür, grün sind eher unterversorgte Regionen, rot sind überversorgte Regionen. Jetzt passiert Folgendes. In den überversorgten Regionen werden diese Sitze von der Kassenärztlichen Vereinigung aufgekauft. Dann frage ich einmal: Was passiert denn mit diesen Sitzen? Wie werden die neu verteilt? Wie wird die Struktur dieses neuen Modells aussehen?
Zweiter Punkt, Herr Kollege Dr. Spies. Das ist eigentlich etwas, was mich am meisten fassungslos macht. Sie zwingen die Kassenärztliche Vereinigung, mit dem Geld der Ärzte, das sie eingenommen hat, um Ärzte zu bezahlen, diese Kassensitze zu kaufen. Das Geld fehlt letztendlich den Ärzten. Das heißt, die Ärzte zahlen ihr eigenes Praxissterben auch noch selbst. Ich muss sagen: Da hat sich Herr Lauterbach wirklich Grandioses ausgedacht,
Deshalb will ich Ihnen offen sagen: Wer von besserer Versorgung spricht, wer es schaffen will – darüber können wir gern diskutieren, Sie haben an vielen Stellen viel Fachwissen und auch recht, Herr Kollege Dr. Spies, dass es darum geht –, in ländlichen Strukturen in unserem Land auch Facharztversorgung zu organisieren, der schafft das doch nicht durch planwirtschaftliche Modelle, mit Zwang und damit, die Ärzte auch noch dafür bezahlen zu lassen. Der schafft es zum Schluss durch Anreiz, diese Region für Ärzte auch lukrativ zu machen, damit man dorthin geht, und nicht andersherum.
Das sind Modelle aus der Steinzeit, hier eine Änderung vorzunehmen, dass die Kassenärztliche Vereinigung in diesen bisher Bereich eingreifen konnte und jetzt eingreifen muss. Insofern sind in Deutschland 25.000 Praxen betroffen. Das wird nachher den Patienten in der Versorgung fehlen. Wer sich die hessischen Zahlen anschaut, sieht, dass bei 2.100 Praxen, die betroffen sein können, allein 164 Hausärzte dabei sind.
Wer jetzt schon sieht, wie angespannt die Versorgungsstruktur dort ist und dass sich auch in den überversorgten Regionen diese Ärzte nicht durch Langeweile auszeichnen, sondern dadurch, dass sie volle Praxen haben, der darf doch einmal die Frage stellen: Wer soll eigentlich die Patienten behandeln, die nachher keine Praxis mehr vor Ort haben? Sie lösen die Praxis auf und glauben, dass sich der Patient auch in Luft auflöst, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Das ist wirklich Politik, wie wir sie von einer Großen Koalition gewohnt sind. Deshalb werden wir mit diesem Schritt keine flächendeckende ambulante Versorgung mehr haben. Wir haben ein fatales Signal an junge niederlassungswillige Mediziner. Und die Ärzteschaft muss diese Zwangskäufe auch noch mit ihrem eigenen Geld bezahlen. Das ist wirklich Politik, die genau zum Gegenteil dessen führt, was Sie eigentlich beabsichtigen. Es ist eben so: Gut gemeint ist nicht gut gemacht. – Das scheint das Credo dieser Koalition zu sein.
Das Ganze bekommt noch einen besonderen Drive, wenn man sich anschaut, wie Sie sich vorgestellt haben, wie man eigentlich das Problem der Terminvergabe neu ordnen kann. Es gibt viele Fernsehsendungen wie „hart aber fair“. Es gibt ja keine Sendung, die sich nicht damit beschäftigt, Tests zu machen, wenn der Arzt einem GKV-Patienten einen Termin angeboten hat. Man wird auch definitiv Fälle finden – das ist völlig okay, wenn man diskutiert –, wo das nicht klappt, wo die Ärzte versuchen, andere Wege zu gehen, die sehr lange Terminwartezeiten zur Folge haben. Es gibt aber auch viele Fälle, wo das hervorragend klappt und nicht darüber berichtet wird, wie das häufig bei solchen Schwarz-Weiß-Betrachtungen der Fall ist.
Was mich wirklich stört, ist, dass Sie jetzt glauben, man könnte auch hier gesetzlich eine Abhilfe schaffen. Ich will das einmal auf einen anderen Bereich übertragen. Es würde in keinem anderen Bereich in unserem Land versucht werden, ein Angebotsproblem, weil es anscheinend in einigen
Regionen zu wenige Ärzte gibt, mit der Variante zu lösen, dass der Staat das Angebot selbst ordnet und einfach sagt: Wenn du bei der Kassenärztlichen Vereinigung anrufst, dann organisieren die dir einen Termin.
Herr Kollege Dr. Spies, es hat keiner jemals beschrieben, wie dieses Verfahren laufen soll. Wenn Kalender voll sind, dann sind sie voll. Einmal angenommen, Sie wollten in dieser Woche Ihre Reifen wechseln lassen,
(Janine Wissler (DIE LINKE): Ein kleiner Unterschied zwischen Gesundheitsversorgung und Reifenwechsel!)