Protokoll der Sitzung vom 25.11.2014

Hier geht es aber um originäre Landesaufgaben zur Versorgung der Bevölkerung. Mit der letzten Novellierung des Landeskrankenhausgesetzes hat Hessen allerdings die Planungsmacht abgegeben, das Budget gedeckelt und budgetiert. Damit hat es sich jeglicher Verantwortung und Planungshoheit entzogen.

Die Krankenhäuser sind bezüglich der Investitionsmittel chronisch unterfinanziert. Der Verband der Ersatzkassen rechnet vor, dass der Anteil der Länder an der Krankenhausfinanzierung seit der Einführung der dualen Finanzierung in den Siebzigerjahren von über 20 % auf knapp 4 % gesunken ist. Laut „Ärztezeitung“ werden die Länder für Krankenhausbauten und Anschaffung medizinischer Großgeräte 2014 zusammen voraussichtlich weniger als 3 Milliarden € aufwenden. Das sind nach Ansicht von Krankenhausvertretern mindestens 3 Milliarden € im Jahr zu wenig. Ökonomen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung gehen davon aus, dass sich der Investitionsstau in den Kliniken bereits auf mehr als 15 Milliarden € beläuft. Die Krankenhausgesellschaft spricht von mehr.

Vor dem Hintergrund der Unterfinanzierung steigt in den Krankenhäusern der Anreiz zur Leistungsausweitung, um die Kosten zu decken. Da sind wir bei den nicht selten überflüssigen Operationen, ob es die neue Hüfte oder die Bandscheiben-OP ist. Weder dem Gesundheitssystem und überhaupt nicht den Patientinnen und Patienten ist es zuzumuten, sich unnötigen Eingriffen zu unterziehen, nur um die Finanzen des Krankenhauses in den Griff zu bekommen. So machen nicht nur Krankenhauskeime das Krankenhaus zu einem gefährlichen Ort für Menschen.

Wir sind gegen die Privatisierung von öffentlichen Krankenhäusern. Dass diese Einstellung richtig ist, kann man beispielsweise am Uniklinikum Gießen und Marburg sehen. Die Patientenversorgung leidet darunter. Es gibt zunehmend Überlastungen des Personals. Personalabbau wird durchgeführt und weiter angekündigt, und schließlich verzögert sich die vertraglich vereinbarte Partikeltherapie.

Helios hat bei den Horst-Schmidt-Kliniken in Wiesbaden den Abbau von weiteren 500 Stellen angekündigt. Wenn Sie, Herr Minister, an dieser Stelle vom Jobmotor der Krankenhäuser sprechen und dabei insbesondere Marburg und Gießen nennen, wenn gleichzeitig in den letzten Jahren die Schlagzeile immer wieder war, es wird Personal abgebaut, dann weiß ich nicht, ob wir hier in verschiedenen Ländern leben.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Ismail Tipi (CDU))

Als LINKE sind wir der Meinung, dass das Land in Absprache mit den Kommunen und den Gesundheitskonferenzen dafür Sorge zu tragen hat, dass eine ausreichende Versorgung im ganzen Land vorhanden ist. Auch in ländlichen Regionen müssen Menschen die Möglichkeit haben, in kürzerer Zeit eine geeignete Klinik zu erreichen. Gerade kleine Krankenhäuser vor Ort auf dem Land haben eine wichtige soziale Bedeutung. Sie sind wesentlich dafür, dass nicht immer mehr Menschen vom Land in die Stadt ziehen, weil sie sich Sorgen um ihre gesundheitliche Versorgung machen.

Allerdings müssen hierfür die Krankenhäuser neben der stationären auch an der ambulanten und pflegerischen Versorgung teilnehmen können. Dies wäre eine sinnvolle Aufgabe für die landesweite Planung und die regionalen Gesundheitskonferenzen, um eine an der Bevölkerung orientierte sektorübergreifende Gesundheitsversorgung zu installieren.

Das Problem sind doch die Schnittstellen. Wenn Sie die Leute schon viel zu früh aus dem Krankenhaus entlassen, müssen Sie wenigstens Sorge dafür tragen, dass anschließend eine ordnungsgemäße Versorgung zu Hause stattfinden kann, dass nicht die Leute nach Hause gehen und alles viel schlimmer wird, als es war, bevor sie je im Krankenhaus gewesen sind.

Es gäbe damit auch die Chance, eher gesundheitsfördernde Aspekte ins Gesundheitswesen einfließen zu lassen, statt lediglich auf Bettenzahlen und Einnahmesteigerungen durch Eingriffe zu achten. Patientenorientierte Qualitätsergebnisse wären beispielsweise die Verringerung der Sterblichkeit, die Erhaltung von Gesundheit, der Grad der Wiederherstellung von Gesundheit, die Angemessenheit von genutzten Ressourcen usw.

Schließlich sind wir mit Prof. Wulf Dietrich, dem Vorsitzenden des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte, einig, dass Krankenhäuser in öffentliche Hand gehören und nicht privaten Trägern überlassen werden dürfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Fortschritt in der Medizin darf nicht vom Gewinndenken privater Konzerne und von der Dividendenerwartung der Aktionäre abhängen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dies wären schon ausreichende Gründe, um an dem System etwas zu ändern. Ganz besonders deutlich wird es aber, wenn es um Kinder geht. Wie der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Prof. Dr. Norbert Wagner, betont, wird es besonders bei der Pädiatrie deutlich, dass das marktwirtschaftliche System nicht funktioniert. Lukrativ sind planbare Prozeduren. Dazu gehört die Kinder- und Jugendmedizin, die zu 50 % aus Notfällen besteht, nun einmal nicht. Da ist es nicht verwunderlich, wenn der Träger der Klinik die gewinnbringenden Stationen auf Kosten der weniger gewinnträchtigen ausbaut.

Die Unterfinanzierung ist bei den Kinderkliniken besonders hoch. Herr Wagner macht eine düstere Rechnung auf.

… zwei Drittel der Kliniken [waren] im vergangenen Jahr defizitär …, 11 % der Klinken weisen einen Verlust von mehr als 20 % auf den Umsatz aus, die

se Kliniken, und darunter sind auch Universitätskinderkliniken, sind per definitionem insolvent! In der Konsequenz wird an allen Ecken und Enden gespart, sodass es quietscht. Und in der Kinder- und Jugendmedizin bedeutet das Personalabbau. Natürlich wird jedes Kind im Notfall versorgt, aber die Zeit fehlt: um das Kind in Ruhe gemeinsam mit Assistenz des Pflegepersonals zu untersuchen, die Blutentnahme unter ruhigen Bedingungen, das ausführliche Gespräch mit den Eltern über Diagnose und Therapie, die Einschätzung des psychosozialen Hintergrunds, der so wichtig ist, wie wir … wissen; all das ist eben nicht ausreichend möglich.

So weit Herr Wagner.

Es darf nicht sein, dass kranke Kinder und Jugendliche die Verlierer in einem schlecht überlegten Krankenhausfinanzierungssystem sind, welches auf falsche Anreize setzt. „Rettet die Kinderstation“ ist die Überschrift eines Plakats einer Kampagne, welches in vielen Kliniken aushängt und auf die bedrohliche Lage hinweist. Der Erhalt der Kinderkrankenpflege ist ein wichtiges Thema für die Kinderärztinnen und -ärzte. Es müssen aber auch eine flächendeckende allgemeinpädiatrische Versorgung sowie die spezialärztliche ambulante Versorgung chronisch kranker Kinder realisiert werden.

Bei diesem wichtigen Thema ist es betrüblich, dass unsere Große Anfrage zum Thema Kindergesundheit aus dem Juli dieses Jahres immer noch nicht beantwortet ist. Vielleicht wäre Ihnen die Antwort vor dem heutigen Tag nicht so recht gewesen.

Nicht zuletzt und Gott sei Dank werden die Menschen immer älter. Somit nimmt auch die Pflegebedürftigkeit zu. In Hessen werden ca. drei Viertel der ungefähr 200.000 Pflegebedürftigen zu Hause versorgt. Mehr als die Hälfte aller Pflegebedürftigen wird ausschließlich von Angehörigen und Bekannten versorgt. Dies ist eine ungeheure Leistung, die weitgehend von Frauen erbracht wird, häufig von denjenigen, die sich ebenfalls um eigene Kinder kümmern müssen und oft genug berufstätig sind.

Wenn Familien weiter auseinanderdriften, wie es bereits zu beobachten ist, wenn die Anzahl der Demenzerkrankungen zunimmt, die oftmals nicht mehr in der Familie betreut werden können, dann ist absehbar, dass ein weiterer Bedarf an Pflegekräften entstehen wird.

(Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken übernimmt den Vorsitz.)

Bereits jetzt ist absehbar, dass die Pflege durch die Familie nicht mehr in dem bisherigen Maß geleistet werden kann. Laut einer aktuellen Untersuchung der TK pflegt jeder Vierte allein; lediglich ein Drittel von diesen gibt seinen eigenen Gesundheitszustand als gut oder sehr gut an. Die Hälfte aller im häuslichen Umfeld Pflegenden fühlt sich oft körperlich erschöpft. 60 % geben an, dass es sie sehr viel von ihrer eigenen Kraft kostet. Mehr als ein Drittel fühlt sich hin- und hergerissen zwischen den Anforderungen der Pflege und dem Job sowie der eigenen Familie.

Ausschlaggebend für die Übernahme der Pflege ist für die Hälfte der Pflegenden das Pflichtgefühl; bei den über 66-Jährigen sind es sogar 61 %. Dieses Pflichtgefühl und der familiäre Zusammenhalt nehmen aber bei der jüngeren Generation ab. Gerade die zunehmende Anzahl an De

menzerkrankungen fordert Pflegende enorm. In Hessen sollen dies bis 2020 125.000 Personen sein.

Die bisherige Unterstützung von Pflegenden ist nicht ausreichend, um diese kräftezehrende Aufgabe weiterhin zu leisten. Notwendig sind Strategien zur Vereinbarung von Familie und Pflege und Beruf. Ganze 135 Pflegende von mehr als 2 Millionen bundesweit nutzten im Jahr die Möglichkeit des Familienpflegezeitgesetzes, sich von der Arbeit für die Pflege von Angehörigen freistellen zu lassen. Das ist genauso wenig der große Wurf wie die Charta des Landes zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege, bei der 50 Unternehmen eine unverbindliche Absichtserklärung unterzeichnet haben. Zumindest gibt es schon mal eine Website.

Wir brauchen Pflegeversicherungsleistungen, mit denen tatsächlich gute Unterstützungsleistungen für häusliche Pflege organisiert werden können. Es muss mehr und bessere Ansprüche auf professionelle Pflege und Assistenzarbeit geben, die die Pflegenden unterstützt, damit die Verantwortung nicht einseitig den Familien und letztlich vor allem Frauen zugeschoben wird. Es führt deshalb kein Weg daran vorbei, die Leistungen der Pflegeversicherung auszubauen und anzuheben. Eine gerechte und solidarische Finanzierung über die solidarische Gesundheitsversicherung schafft die Grundlage dafür.

Wir fordern eine sechswöchige bezahlte Pflegezeit für Erwerbstätige, wenn ein Pflegefall neu in der Familie auftritt, Teilzeitvereinbarungen und flexible Arbeitszeitregelungen für diejenigen, die dauerhaft die Pflege übernehmen wollen. Nur mit einer echten Arbeitszeitverkürzung unter Lohnausgleich ist die Sorge für Kinder und Pflegebedürftige tatsächlich zu erbringen.

(Beifall bei der LINKEN)

Pflegebedürftige und ihre Angehörigen brauchen unabhängige wohnortnahe flächendeckende Beratung. Da reichen die Pflegestützpunkte in Hessen nicht aus.

Wie sich die Unterwerfung des Gesundheitssystems unter die Gesetze des freien Marktes – oder sagen wir lieber: des Kapitalismus – darstellt, sehen wir im Zusammenhang mit dem Freihandelsabkommen TTIP mit den USA. Nur einige Hinweise, was auf uns und die Kosten im Gesundheitswesen zukommt, wenn TTIP unterschrieben wird:

Beispielsweise ist die Laufzeit von Patenten in den USA meistens länger. Somit ist zu befürchten, dass auch hier die Laufzeiten der Patente verlängert werden und diese vor den wesentlich günstigeren Generika geschützt sind. Das kostet die Krankenkassen und die Verbraucherinnen und Verbraucher eine Menge Geld. Nicht einmal die Pharmahersteller bestreiten, dass nach zehn Jahren die Kosten für Entwicklung und Markteinführung hereingekommen sind; bei einigen Präparaten spricht man sogar davon, dass sich die Investition bereits nach wenigen Jahren amortisiert hat.

Weiterhin ist zu befürchten, dass durch TTIP das hohe Niveau des Arbeitsschutzes auf die niedrigeren US-Standards abgesenkt und auf betriebliche Prävention verzichtet werden könnte. Vorstellbar sind auch hier Klagen von Unternehmen vor Schiedsgerichten. Schließlich kostet der Arbeits- und Gesundheitsschutz die Unternehmen viel Geld.

Es ist zu befürchten, dass das Werbeverbot für Medikamente – darüber sollten Sie einmal ernsthaft nachdenken –, das in den USA nicht gilt, aufgehoben wird. Außerdem ist es fraglich, ob die höheren Standards bei der Zulassung

von Medikamenten und Hilfsmitteln erhalten werden können.

Das sind sehr ernsthafte und sehr drängende Fragen in diesem Zusammenhang. Aber die führen Sie nur dazu, dass Sie darüber lachen.

Statt das Gesundheitswesen den Bedingungen des Marktes zu unterwerfen, fordern wir ein Gesundheitssystem, das sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert:

Wir brauchen eine Umwelt ohne ständig hohe Lärm- und Schadstoffemissionen, die uns erlaubt, gesund zu bleiben. Das geht nicht bei einem ständigen Ausbau des Flughafens und der Ablagerung von Salzhalden – um nur zwei Beispiele zu nennen.

Wir brauchen eine soziale Infrastruktur, sodass Familien und Lebensgemeinschaften in der Lage sind, sich gesund zu ernähren, sich um ihre Kinder zu kümmern und ohne ständigen Druck ihr Leben zu gestalten. Das geht nicht bei einem Hartz-IV-Satz, von dem man nicht leben kann, bei Arbeitsverhältnissen, die schlecht bezahlt und krank machend sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen ein Gesundheitssystem, das die notwendigen Leistungen erbringt, sodass Menschen gesund bleiben oder gesund werden können. Das geht nicht, wenn wir mehr Geld für technische Apparate statt für Diagnose und sprechende Medizin ausgeben.

Wir brauchen den Arzt, die Ärztin und die Gemeindepflegekraft vor Ort, die den Patientinnen und Patienten helfen, sich im Gesundheitsdschungel zurechtzufinden. Das geht nicht, wenn es keine Anreize für Medizinstudierende gibt, eine Allgemeinmedizinpraxis zu übernehmen.

Wir brauchen Hebammen, die Frauen auf die Geburt vorbereiten, die die Geburtshilfe und Nachsorge machen können. Das geht nicht, wenn die Hebammen so schlecht bezahlt werden und von dem schmalen Salär immense Versicherungsbeiträge zahlen müssen.

(Dr. Walter Arnold (CDU): Das stimmt!)

Wir brauchen genügend gut ausgebildetes und gut bezahltes Pflegepersonal, das seine Aufgaben in der Alten- wie in der Krankenpflege ohne Druck wahrnehmen kann. Das geht nicht, wenn auf Kosten des Personals gespart wird.

Wir brauchen Allgemeinkrankenhäuser in allen Kreisen, die kommunal sind, die gut vernetzt sind, die finanziert sind, und spezialisierte Häuser mit hoher Qualität für besondere Erkrankungen. Das geht nicht, wenn das Land den Kliniken zu wenig Geld für die Investitionen zur Verfügung stellt.

Wir brauchen ein Gesundheitssystem, das nicht dem Markt, sondern den Menschen gehorcht. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Frau Schott. – Für die FDP-Fraktion hat sich Herr Rentsch zu Wort gemeldet.