Wir diskutieren ein gesellschaftlich sehr umstrittenes Thema, und das schon seit 20 Jahren. Ich bin 1993 in die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung eingezogen. Dort haben wir unter Rot-Grün den sog. „Frankfurter Weg“ beschlossen, der für viele Menschen, die diese Politik vor 20 Jahren gestaltet haben, sehr schwierig war, sowohl öffentlich als auch politisch. Er beinhaltete, auch unkonventionelle Gedanken zuzulassen. Er beinhaltete, in der Sache neue Wege zu gehen, denn in der Sache geht es um eines: Wir wollen den Menschen, den Konsumenten von Drogen, helfen. Das ist das oberste Ziel.
Übermäßiger Konsum von Alkohol und die Abhängigkeit von Drogen kann – lassen Sie mich das noch einmal sagen, obwohl es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte – zu erheblichen Schädigungen der Gesundheit führen. Daher darf es keine Bagatellisierung und kein Vertun geben, und ich füge hinzu: Es muss alles getan werden, um Süchtigen zu helfen und sie vor gesundheitlichen Schäden und Risiken zu schützen. – Deswegen bedarf es einer Suchtund Drogenpolitik, bei der diese Elemente im Vordergrund stehen: Prävention, Beratung, Behandlung und Ausstiegshilfen. Darüber müsste es in diesem Hause eine große Einigkeit geben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, worum es nun geht, ist doch: Es geht um das Ringen in Verbindung eines neuen Problems, nämlich um das Thema Cannabis. Dabei geht es auch um die Frage: Wie werden wir einen Weg beschreiten, um den Konsum zu verringern und dem Konsumenten zu helfen? – Um dieses Ringen geht es.
Ich teile die Auffassung, dass es dazu im Hause, quer durch alle Fraktionen, unterschiedliche Auffassungen gibt. Ich betone für unsere Fraktion noch einmal gern: Wir finden das auch gar nicht schlimm. Diesen Prozess haben wir
Wir werden darum ringen und fragen müssen: Welche Lösungen finden wir, damit die Menschen, die zu viel von diesen Drogen konsumieren, davon wegkommen? Wie schaffen wir es, dass weniger konsumiert wird? Wie kann ihnen geholfen werden, wenn sie gesundheitliche Probleme bekommen? Um diesen klugen Weg ringen wir, und dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Es ist gut, dass es so ist; das macht Politik nämlich spannend.
Lange Zeit ist die Diskussion über Cannabis eine sehr festgefahrene Diskussion gewesen. Nun kommt Bewegung hinein. Auf der einen Seite gibt es die Sorge, dass die Liberalisierung von Drogen oder die Entkriminalisierung von weichen Drogen den Zugang erleichtert. Diese Sorge gibt es, und dies ist meines Erachtens auch begründet.
Auf der anderen Seite gibt es die Einsicht, dass eine repressive Haltung zunehmend weniger Antworten darauf gibt, wie man die Anzahl der Konsumenten reduziert oder das kriminelle Umfeld eindämmt. Beide Seiten stehen vor mehr Fragen, als sie Antworten haben. Daher finde ich es gut, dass nun Bewegung hineinkommt.
Seien wir chronologisch. Es fing alles mit der Schildower Erklärung an; von 122 Strafrechtsprofessoren, das ist nun fast die Hälfte dieses Personenkreises, wurde gesagt: Es scheint so, dass die Entkriminalisierungspolitik in dieser Frage nicht zielführend ist. – Nachdem diese Personen diese Erklärung abgegeben hatten, gab es am 4. November im Bundestag eine Anhörung von enormer Tragweite und, wie ich finde, fachlicher Tiefe. Dort wurden diese Fragen diskutiert. Es wurde über Kriminalität diskutiert; dort wurde mit Polizisten sowie mit Medizinern und Wissenschaftlern gesprochen. Auch Politiker kamen zu Wort.
Dann kam die Stadt Frankfurt nicht umhin, zu sagen: Angesichts dieser Diskussion werden wir in Frankfurt eine Fachtagung machen. – Ich war dort. Frau Schott, ich habe Sie dort auch gesehen. Der Saal platzte aus allen Nähten. Es waren über 700 Personen anwesend. Vielen, die teilnehmen wollten, musste abgesagt werden; das hat die Organisatorin noch einmal gesagt. Es gibt bei diesem Thema ein enormes Diskussionsbedürfnis.
Es stellt sich die Frage: Wir haben Hunderttausende Konsumenten von Cannabisprodukten in diesem Lande; warum sinkt die Zahl trotz einer Kriminalisierung offensichtlich nicht? Sie gefährden sich und andere. Auch das ist unbestritten. Es ist ein Problem, dass sie nicht wissen, welche Stoffe sie konsumieren, und dass sie sich damit auch gesundheitlich gefährden. Sie können sich selten helfen lassen, weil eine Repressionspolitik offensichtlich nicht dazu beiträgt, dass sie sich melden und um Hilfe bitten.
Daher wiederhole ich es noch einmal: Uns alle treibt die Sorge um die Gesundheit dieser Menschen um. Wir wollen, dass weniger Drogen konsumiert werden. Wir wissen auch, dass eine Abstinenzkultur allein diesem Ziel nicht gedient hat.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vi- zepräsident Dr. Ulrich Wilken übernimmt den Vor- sitz.)
Die Aufforderung nach Verzicht allein hat offensichtlich nicht dazu geführt, dass heute weniger konsumiert wird,
sondern der Cannabiskonsum seit Jahren konstant bleibt. Wir wollen, und da hoffe ich, dass wir uns einig sind, dass die Dealer strafrechtlich verfolgt werden und den Kriminellen das Handwerk gelegt wird. Offensichtlich hat die Fachtagung gezeigt, dass das nur mäßig gelingt. Wir brauchen, das hat Frankfurt gezeigt, mehr Präventionsangebote, und wir brauchen eine Gesellschaft, die die polarisierten Positionen verlässt, damit wir mit einer rationalen Drogenpolitik all die Ziele, die wir haben, auch tatsächlich realisieren können.
Ich wünsche mir, dass wir die unterschiedlich polarisierten Gräben verlassen können. Ich will das jetzt nicht namentlich benennen. Ich will Ihnen nur sagen: Die Widerstände, die es 1993 bei der Heroin- oder Methadonabgabe zu überwinden galt, waren enorm. Ich will daran einmal erinnern. Wozu hat das geführt? Wir hatten im Jahr 1993 150.000 Drogentote aufgrund von Heroinabhängigkeit. Wenige Jahre später waren es nur noch 33.000 Tote.
Jeder Tote ist einer zu viel, aber die Reduzierung auf fünfmal so wenig Tote war der Erfolg eines mutigen Schritts, nämlich den einer akzeptierenden Drogenpolitik, die nicht nur die Junkies aus der Taunusanlage vertreibt. Neben einer Repressionspolitik braucht man unbedingt Angebote an Prävention und Hilfen. Das scheint mir die Lehre aus Frankfurt zu sein.
Ich bin über all die kritischen Argumente, die auf der Fachtagung vorgetragen wurden, sehr nachdenklich geworden, beispielsweise bei den Argumenten von Prof. Auwärter von der Uniklinik Freiburg. Oft wird bagatellisiert, welche Auswirkungen Haschisch- oder Cannabisprodukte haben. Er hat gesagt, den Zugang zu erleichtern, sei keine leichte Nummer, das sei nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.
Ich bitte beide Positionen, die, die für ein Verbot eintreten, und die, die für die Freigabe eintreten, einen angemessenen verantwortlichen Weg zu beschreiten. Das kann uns gelingen, wenn wir die Anhörung im Bundestag und die Fachtagung in Frankfurt intensiv auswerten. Vielleicht gelingt uns ein Modellversuch.
Wenn wir die Erkenntnisse zusammentragen, dann sollten wir im Landtag schauen, welche Fragen offen geblieben sind und was wir im Land noch tun müssen. Wir wollen weniger Konsum, weniger Gesundheitsschäden, stärkere Prävention und stärkere Suchthilfen. Das wird dazu führen, dass wir uns diesem brisanten Thema stellen. Ich bin froh, dass sich die Kolleginnen und Kollegen der CDU und meine Kollegin von den GRÜNEN diesem Thema so mutig stellen werden. Wir werden das diskutieren, und wir werden uns nicht wegducken, weil es ein gesellschaftliches Problem ist. Ich bin mir sicher, dass wir uns hier zu einer Anhörung wiedersehen werden. So ein Thema gehört im Landtag diskutiert.
Ich komme zum Schluss. Als Person, die über 20 Jahre in diesem Feld arbeitet, sehe ich, dass man Menschen immer wieder neu davon überzeugen muss, dass es keine einfachen Antworten auf komplizierte Fragen gibt. Weder ist Cannabis auf die leichte Schulter zu nehmen, noch helfen uns alleine Verbote. Wir müssen eine eigenständige Position erarbeiten. Wir müssen klug darauf achten, dass wir begleitende präventive Maßnahmen entwickeln. Wir müssen
darüber offen, frei, fachlich und sachlich diskutieren. Wir sind auf einem guten Weg. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die aktuelle Debatte hatte ihren Ursprung darin, dass in zwei amerikanischen Bundesstaaten durch Volksentscheid mit jeweils eindeutigen Mehrheiten beschlossen wurde, das Verbot von Cannabisprodukten aufzuheben und es durch ein legales reglementiertes Verkaufsmodell zu ersetzen.
Wenn wir heute über die Anträge der LINKEN, der FDP, aber auch der Koalitionsfraktionen reden, dann muss das wichtigste Ziel in dieser Auseinandersetzung sein, mit mehr Rationalität und deutlich weniger Moralisieren und deutlich weniger Ideologie heranzugehen.
Keine Gesellschaft kommt ohne Drogen aus, ob es sich um legale Suchtmittel wie Alkohol, Kaffee, Nikotin handelt oder um Rauschgifte wie Kokain, Heroin oder das sicherlich gefährliche Extasy und Crystal Meth. Offenkundig gibt es ein fundamentales Bedürfnis nach bewusstseinsveränderten Substanzen in allen Kulturen. Auffällig allerdings ist, dass sich das, was eine Kultur für zulässig hält, und das, was sie für sanktionsbedürftig hält, nicht nur in zeitlichem Zusammenhang wandelt, sondern in der Regel auch aus der Chemie der Substanz nur sehr eingeschränkt herzuleiten ist.
In Europa, beispielsweise hier bei uns in Deutschland, waren bis Ende des 19. Jahrhunderts Heroin und Cannabis frei handelbare Substanzen, während der Genuss von Kaffee und Alkohol im 18. und dann im 20. Jahrhundert streng sanktioniert wurde. War der Konsum von Nikotin eine Zeit lang in, à la mode, völlig selbstverständlich in den Fünfzigerjahren, so haben wir heute einen sehr anderen Zugang dazu. Offenkundig ist die Frage, was Droge und was Medizin ist, viel stärker von kulturellen Fragen abhängig.
Cäsar beschrieb beispielsweise, wie sich die Germanen, für ihn völlig unverständlich, weigerten, sich mit Wein abzugeben. Wein ließen sie nicht einführen, weil er ihrer Meinung nach die Widerstandskraft der Menschen bricht und die Männer so schwächlich wie Frauen macht.
Es scheint mir ein relevanter Gesichtspunkt zu sein, den der Präsident der Berliner Ärztekammer deutlich gemacht hat: Alkohol sei deutlich gefährlicher als Cannabis. – Tatsächlich sind also viele unserer Einschätzungen von Droge und dem Umgang damit vielmehr von der kulturellen Betrachtung abhängig und nicht so sehr Gegenstand rationaler Erwägungen.
Ich will auf einen Punkt eingehen, den Herr Rentsch vorhin erwähnte. Es gibt den statistischen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Cannabisprodukten und einer
späteren Opiatabhängigkeit, die tatsächlich eine gefährliche Sache ist. Was wir aber gar nicht so genau wissen, ist, ob das an der Substanz hängt oder an der Tatsache, dass der, der einem heute Cannabis verkauft, der illegale Drogenhändler ist, der einem viel lieber Heroin verkaufen möchte, weil er damit richtige Abhängigkeiten erzeugt. Das ist ein ganz schwieriges Feld.
Genau diese Rationalität gilt es zu klären. Insofern bin ich ein wenig enttäuscht, das muss ich zugeben, aber es erklärt sich aus der kulturellen Abhängigkeit unserer Einschätzung, über den Antrag der Koalition. Er bleibt arg belanglos und oberflächlich. Aber vielleicht liegt diese Oberflächlichkeit gerade in der kulturellen Spannung der unterschiedlichen Einschätzung des Umgangs mit Cannabisprodukten, die Ihr Papier förmlich zu zerreißen scheint.
Jedenfalls muss die Frage lauten: Ist die Prohibition, also das Verbot, der richtige Weg, um das eigentliche Ziel, nämlich die bestmögliche Gesundheit für alle und den geringstmöglichen Schaden für Menschen in Gesellschaften, die immer wieder Drogen nutzen, zu erreichen? Was ist der beste Weg?
Die „Washington Post“ hat etwa vor zwei Jahren ihre Titelseite damit gefüllt, dass sie Richard Nixons Krieg gegen die Drogen für komplett gescheitert erklärte. Die „New York Times“ hat im Herbst dieses Jahres eine Woche lang jeden Tag Argumente für die Legalisierung von Cannabis gebracht.
Es ist an der Zeit, dass auch wir eine sehr kritische Frage stellen. Wir müssen herausfinden, wie gefährlich diese Substanz im Vergleich zu anderen Betäubungsmitteln ist, die – Herr Bartelt wird mir das bestätigen – manche von uns regelmäßig medizinisch anwenden. Wie gefährlich ist es im Vergleich zu anderen Substanzen wie einfachen Medikamenten oder zu frei verkäuflichen Substanzen wie Alkohol? Die Berliner Ärztekammer hat dazu eine Position: Es ist gefährlich und bedeutet Suchtgefahr, Vergiftungsgefahr, schädliche Nebenwirkungen usw.
Und erst danach, wenn wir uns der Substanzfrage angenähert haben und sie mit Rationalität betrachten, können wir zu der Frage kommen, was denn die kriminalpolitisch richtige Verfahrensweise ist, um den geringstmöglichen Schaden anzurichten. Dazu ist eine Anhörung sinnvoll, meine Damen und Herren.
Tatsache ist, alle Drogen sind gefährlich: Alle psychoaktiven Substanzen – seien sie verordenbare Medikamente wie Benzodiazepine, Valium – sind nicht völlig harmlos, oder Medikamente, die nicht einmal verordnet werden müssen und bei denen trotzdem eine Schachtel reicht, um sich umzubringen, seien es illegale Drogen oder legale, ja bei uns kulturell gefeierte Substanzen, wie es Alkohol ist.
Wir müssen also sehen: Sie sind alle gefährlich, jeder Konsum birgt ein Risiko. – Die Frage ist: Welche Politik reduziert den Schaden am meisten? – Deshalb ist Drogenpolitik zuallererst Gesundheitspolitik. Erst, wenn damit nicht endgültig etwas erreicht werden kann, muss die Frage des kriminalpolitischen Umgangs geklärt werden; denn die Frage, ob ein selektives Drogenverbot Menschen schützt oder ihnen schadet und sie gefährdet, ist jedenfalls aus den Erfahrungen der amerikanischen Prohibition aus den Dreißiger
jahren in eine ganz andere Richtung beantwortet worden, als wir es im heutigen Umgang mit den bei uns illegalen Drogen sehen.