Protokoll der Sitzung vom 05.02.2014

Meine Damen und Herren, die Grundproblematik ist doch: Wenn man etwas verändert, ist die Wahrscheinlichkeit nicht sehr groß, dass man Lob bekommt. Aber ich sage einmal sehr deutlich: Wenn Politik – und zwar parteiübergreifend – erkennt: „Wir haben einmal eine Entscheidung getroffen; es hat sich im Nachhinein herausgestellt, es ist vielleicht nicht optimal; wir haben Optimales gewollt, aber es ist vielleicht von der Wirkung her anders, zumindest begrenzt, gekommen“, was spricht denn eigentlich dagegen, dann zu erklären: „Ich nehme das auf und verändere das“? Für mich ist das kein Zeichen von Schwäche – im Gegenteil. Es ist ein Zeichen von Stärke, ein Zeichen von Führungskraft.

(Beifall bei der CDU)

Die Diskussion führen wir doch nicht allein in Hessen, um das auch einmal sehr deutlich zu sagen. Wir haben in Nordrhein-Westfalen eine andere politische Grundkonstellation.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh ja!)

Die dortige Landesregierung, ich sage das einmal zurückhaltend, lehnt es ab, G 8

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aufpassen!)

ich passe auf, keine Sorge – zu verändern. Die Landesregierung dort möchte G 8 behalten. Aber es gibt eine große Elterninitiative, die stetig an Bedeutung zunimmt, weil sie sagt: Das, was in Hessen möglich war, möchten wir im rotgrün regierten Nordrhein-Westfalen auch.

Die Diskussion führen sie in Nordrhein-Westfalen. Die Diskussion führen sie aktuell in Schleswig-Holstein, wo die dortige Landesregierung – rot-grün, wohlgemerkt – erklärt: Wir bleiben bei G 8. – Selbst in Baden-Württemberg erklärt der sozialdemokratische Kultusminister: Ja, wir haben 44 G-9-Angebote an den Gymnasien genehmigt, aber mehr gibt es nicht; alles andere muss bei G 8 bleiben. – Auch dort gibt es eine breite Bürgerbewegung.

Selbst in Bayern – CSU lässt grüßen – hat Spaenle als Kultusminister damals unsere Entscheidung nicht sonderlich euphorisch entgegengenommen. Auch er hat im Moment das Problem, dieses Thema in irgendeiner Form bewältigen zu müssen. Das heißt, es gibt eine breite Bewegung zumindest in westlichen Bundesländern, das einer Lösung zuzuführen. Wir haben das aus meiner Sicht Richtige geschafft.

Wir müssen im Umkehrschluss mittlerweile aufpassen, dass wir die Wahlfreiheit in der Tat herstellen. Ich nehme jetzt meinen Lahn-Dill-Kreis. Wir sind eine G-8-freie Zone. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir im Koalitionsvertrag beispielsweise festgehalten haben, dass wir – Kollege Greilich, was Sie angedeutet haben – schauen müssen, wie wir die Wahlfreiheit tatsächlich für diejenigen herstellen, deren Kinder G 8 machen können, wollen, sollen.

Das heißt, die Frage von Turboklassen, die wir schon einmal vor 15 Jahren hatten, müssen wir wieder neu deklinieren, denn wir möchten diese Wahlfreiheit, soweit es irgend geht, in allen Landkreisen herstellen – nicht nur im Hinblick auf G 9, sondern auch im Hinblick auf G 8.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ein Letztes. Wahlfreiheit. Kollege Wagner hat aus meiner Sicht zu Recht die rhetorische Frage gestellt: Wenn 85 % der Gymnasien erklärt haben, sie wollen G 9, warum muss man die anderen 15 %, die G 8 haben, auch noch unbedingt in G 9 pressen?

Meine Damen und Herren, das Grundproblem bei den Sozialdemokraten ist zumindest aus meiner Sicht, es gibt einen gewissen Hang zum Zentralismus, zur Bevormundung. Das ist genau das, was wir als Union nicht wollen. Wir wollen gemeinsam mit den GRÜNEN auch in Zukunft hessenweit Schulfreiheit und Schulformvielfalt.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Dadurch zeichnen sich diese Landesregierung und diese neue Koalition aus.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb glaube ich, dass wir heute einen guten Entschluss gefasst haben bzw. fassen werden.

(Beifall bei der CDU – Hermann Schaus (DIE LIN- KE): Wer hat denn ausschließlich G 8 eingeführt?)

Das Wort hat die Landesregierung, Herr Staatsminister Lorz.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der kleine Überblick von Herrn Abg. Irmer über die Lage in Deutschland allgemein hat es noch einmal belegt. Die Buchstabenkombination G 8/G 9 ist in den letzten Jahren geradezu zu einer Chiffre für eines der am heftigsten beackerten und umstrittenen Felder der Schulpolitik geworden. Ob zu Recht oder zu Unrecht, spielt hier aber keine weitere Rolle.

Entscheidend ist etwas anderes. Entscheidend ist, dass wir jetzt, jedenfalls zu diesem Thema, die Chance haben, die unfruchtbaren Schulform- und Strukturdebatten zu einem versöhnlichen Ende zu bringen. Wir können uns auf den wesentlichen Punkt konzentrieren, nämlich den bestmöglichen Lernerfolg für unsere Kinder und die bestmögliche Förderung jeder einzelnen Schülerin und jedes einzelnen Schülers.

Frau Abg. Cárdenas, Herr Abg. Degen, da sind wir jedenfalls hinsichtlich der Zielvorstellung gar nicht auseinander. Wir werden in diesem Hause noch sehr viel über die Wege zu streiten haben, ganz bestimmt. Aber ich glaube, dass das der wesentliche Punkt ist, darauf können wir uns einigen.

Meine Damen und Herren, ich weiß, hinsichtlich der Mittel liegen wir schon wieder auseinander. Das Mittel dafür ist die Wahlfreiheit der einzelnen Schule, das heißt also der Schulgemeinde. Denn das sichert die Vielfalt der schulischen Bildung auf der Grundlage eines offenen Dialogs zwischen den Eltern, den Kollegien, dem Schulträger und der Bildungsverwaltung. Das nimmt den Elternwillen als Richtschnur ernst. Das fördert die Eigenverantwortung der Schule und die Entwicklung zur selbstständigen Schule.

(Beifall bei der CDU sowie der Abg. Daniel May und Eva Goldbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Der Oppositionsführer hat gestern hier viel Heiterkeit erzeugt, als er das Dschungelcamp ins Spiel brachte. Herr Schäfer-Gümbel, das lässt übrigens interessante Rückschlüsse auf Ihre Fernsehgewohnheiten zu.

(Heiterkeit des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Ich finde es schön, dass Sie sich auf dieser Seite des Saales so viele Gedanken darüber machen, wer hier die größten Kröten zu schlucken hat. Ich glaube, die Wortbeiträge von Ihrer Seite heute zeigen, dass die Wahlfreiheit, die wir geschaffen haben und die wir weiter stärken wollen, für Sie die größte Kröte ist, die Sie in der Schulpolitik zu schlucken haben.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Schä- fer-Gümbel (SPD): Ui, ui, ui!)

Den Weg zur Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 hat bereits die vorherige Landesregierung bestritten. Herr Abg. Greilich, das ist in der Tat richtig. Das geschah schon damals mit der Unterstützung der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN dieses Hohen Hauses. Deswegen gab es da für niemanden eine Kröte zu schlucken. – Es ist nur konsequent, dass jetzt auch die neue schwarz-grüne Landesregierung diesen Weg entschlossen fortsetzt und die Wahlfreiheit weiter stärkt.

Das lohnt sich. Wir sehen schon jetzt: Die Einführung der Wahlfreiheit ist der richtige Weg. – Ich will die Zahlen nicht wiederholen, die Herr Fraktionsvorsitzender Wagner schon genannt hat und die deutlich belegen, dass sich in Hessen bereits eine ausgewogene Schullandschaft herausbildet. Sie sind auch noch nicht endgültig. An einigen Schulen steht die Entscheidung noch aus.

Ich möchte aber hervorheben: Die Entscheidungsprozesse, die an den einzelnen Schulen laufen, zeigen uns gerade, dass die Schulen sehr verantwortungsvoll mit dieser Wahlfreiheit umgehen. Es finden sehr gründliche Diskussionen und Abwägungen in den Schulgemeinden statt, um für die Schülerinnen und Schüler dort die richtige Entscheidung zu treffen. So, wie sich die Schullandschaft jetzt herausbildet, wird sie damit auch den Elternwillen verwirklichen.

Wo das vielleicht zum kommenden Schuljahr noch nicht der Fall sein mag, werden wir uns das in der Tat vonseiten der Landesregierung bzw. vonseiten des Kultusministeriums weiterhin anschauen und versuchen, im Dialog mit den Beteiligten vor Ort eine Lösung zu finden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Regierungsfraktionen und die Landesregierung wollen diesen Weg jetzt konsequent weiterbeschreiten, und zwar mit der Möglichkeit, beim Wechsel zu G 9 auch die laufenden Jahrgangsstufen 5 und 6 einzubeziehen. In der Tat hatten wir dazu schon vor eineinhalb Jahren eine intensive Diskussion in diesem Haus. Am Ende hat die Mehrheit in diesem Hohen Haus die Entscheidung getroffen, den Wechsel nur für die neu hinzukommenden Jahrgangsstufen zuzulassen.

Das war keine leichte Entscheidung. Ich glaube, alle, die damals involviert waren, können sich noch sehr gut an diesen zum Teil wirklich quälenden Abwägungs- und Entscheidungsprozess erinnern. Das war keine leichte Entscheidung, weil schulorganisatorisch die Mitnahme der 5. und 6. Jahrgangsstufe durchaus möglich ist.

Nebenbei bemerkt: Für höhere Klassen, wie es die Fraktion DIE LINKE fordert, ist das nun wirklich nicht sinnvoll. Denn das würde am Ende eine Art zwangsweise verordnetes Sitzenbleiben bedeuten. Dazu hatten wir im letzten Jahr auch schon eine Diskussion mit durchaus etwas anderem Tenor in diesem Haus.

Ich möchte mir noch den Hinweis erlauben, dass in der damaligen Diskussion über die Frage der Mitnahme der laufenden Jahrgangsstufen 5 und 6 die Mitnahme anderer Jahrgangsstufen nie ein Thema war, und zwar von keiner Seite, auch von keiner Fraktion dieses Hauses. Deswegen finde ich es jetzt schon interessant, dass die Diskussion von dieser Seite aus einen merkwürdigen neuen Drall bekommen hat.

Es geht auch um Vertrauensschutz. Es geht um die Vermeidung von Mobbingsituationen, wie wir sie bei der Umstellung der kooperativen Gesamtschulen von G 8 auf G 9 erlebt haben. Daraus hat die Mehrheit des Landtags damals die Konsequenz gezogen, einen klaren Schnitt zu vollziehen und zu sagen: Wir machen den Wechsel nur ab der neu hinzukommenden Jahrgangsstufe 5.

Das Argument des Vertrauensschutzes ist heute noch so gültig wie damals. Wir haben aber auch erkennen müssen, dass für sehr viele Eltern diese Kröte doch zu groß war oder ist. Deswegen ist es die Aufgabe der Politik, nach einer Möglichkeit zu suchen, die berechtigten Interessen beider Seiten besser zur Deckung zu bringen. Das wird keine leichte Aufgabe werden. Aber die Politik ist nicht dafür da, es sich leicht zu machen.

Ich glaube, dass der Weg der anonymisierten Elternbefragung durch die Schulämter, so wie er in dem Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN skizziert wird, grundsätzlich ein gangbarer ist. Wir werden jedenfalls den Auftrag dieses Hauses, eine entsprechende Lösung zu entwickeln bzw. an ihr mitzuarbeiten, zuversichtlich und entschlossen annehmen. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache zu den Tagesordnungspunkten 18 und 26 beendet.

Die Initiativen, Drucks. 19/33, 19/62 und 19/50, werden zur weiteren Beratung dem Kulturpolitischen Ausschuss überwiesen.

Ich begrüße auf der Tribüne unseren ehemaligen Kollegen und jetzigen Bürgermeister, Herrn Rafael Reißer. Herzlich willkommen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:

Antrag der Fraktion der FDP betreffend Recht auf informationelle Selbstbestimmung stärken – klares „Nein“ zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung – Drucks. 19/30 –

Dazu wird Tagesordnungspunkt 35 aufgerufen:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend