Protokoll der Sitzung vom 05.02.2014

Schutz der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger bei Speicherung und Verwertung von Kommunikationsdaten ist unverzichtbar – Drucks. 19/72 –

Die erste Wortmeldung stammt von Herrn Greilich.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Pläne der Großen Koalition im Deutschen Bundestag zur Wiedereinführung der anlasslosen, verdachtsunabhängigen und massenweisen Vorratsdatenspeicherung sind eine Bedrohung für die Freiheit unserer Bürger. Sie sind unverhältnismäßig. Sie blenden die jüngsten Erkenntnisse insbesondere aus der NSA-Spähaffäre aus. Es ist gerade so, als ob es ein Unterschied wäre, welcher Datenkrake sich der Daten unserer Bürger bemächtigt. Wenn man das alles verfolgt, fragt man sich, ob die Fans der Datensammelwut die letzten Monate überhaupt wachen Sinnes verfolgt haben.

(Beifall bei der FDP)

Worum geht es? In der Richtlinie 2006/24/EG vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung der Daten heißt es:

Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die in Art. 5 angegebenen Datenkategorien …

Die Verweisung muss man erklären. Das betrifft alle Telekommunikationsdaten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste bzw. -netze erzeugt oder verarbeitet werden. Das heißt, das betrifft Telefon, Festnetz, Mobiltelefon inklusive MMS und SMS, das Internet und insbesondere die E-Mails. Alle diese Daten werden „für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten … ab dem Zeitpunkt der Kommunikation auf Vorrat gespeichert“.

Was heißt das in der Praxis? – Diese anlasslose Speicherung sämtlicher denkbarer Telekommunikationsdaten stellt unbescholtene Bürger der Bundesrepublik Deutschland unter Generalverdacht. Zwar wird der Inhalt der Kommunikation nicht erfasst, aber alle Verkehrs- und Standortdaten werden erfasst. Sie werden gespeichert, sodass ohne Weiteres die lückenlose Überwachung jedweder Kommunikation möglich wäre. Es können Bewegungsprofile hinsichtlich der Fragen erstellt werden, wer wann wo war.

Das alles wäre unkontrollierbar. Die Enthüllungen des Herrn Snowden haben gezeigt: Keiner weiß, was letztlich von wem abgezapft wird, wenn die Daten erst einmal vorhanden sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist die wesentliche Erkenntnis. Nur Daten, die nicht vorhanden sind, die nicht gesammelt worden sind, sind auch sicher. Die kann keiner missbrauchen.

Die Missbrauchsgefahr ist immens. Die Daten werden bei Telekommunikationsunternehmen gespeichert. Unklar ist, was dort damit geschieht, ob sie nach der Speicherzeit tatsächlich vernichtet werden und wer letztlich darauf zugreifen kann. Ich kann nur sagen: Die NSA lässt grüßen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP – Vizepräsidentin Ursula Ham- mann übernimmt den Vorsitz.)

Die begeisterten Datensammler, insbesondere aus vielen Verbänden im Polizeibereich, rechtfertigen die schweren

Eingriffe in die Bürgerrechte mit dem Hinweis auf den Zweck, der angeblich die Mittel heiligt – zum Glück keine Sozialdemokraten. Aber der frühere CSU-Bundesinnenminister hat sogar ein „Supergrundrecht auf Sicherheit“ kreieren wollen, das zwar keine Anknüpfungspunkte im Grundgesetz findet, aber offenkundig in der politischen Vorstellung konservativer Politiker.

Meine Damen und Herren, was soll der Zweck der Vorratsdatenspeicherung sein? – Die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten und Terrorismus. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Wird dieses Ziel mit den bisher vorgelegten Gesetzesvorhaben erreicht? – Ich komme zu dem Ergebnis: Der Nutzen, der hier erwirkt wird, ist nicht verhältnismäßig. Die Speicherung von Verkehrsdaten ist notwendigerweise vergangenheitsbezogen; die zukünftigen gibt es nun einmal noch nicht. Sie kann daher im Wesentlichen nur zur nachträglichen Aufklärung bereits begangener Straftaten dienen. Eine abschreckende Wirkung durch ein höheres Entdeckungsrisiko ist nicht nachweisbar und in Staaten, in denen eine Vorratsdatenspeicherung erfolgt, wo man jetzt über die Abschaffung nachdenkt, auch nicht zu beobachten.

Ich wiederhole: Die Verhältnismäßigkeit ist nicht gegeben. Die Vorratsdatenspeicherung nimmt zu viel und gibt zu wenig. Deshalb darf sie nicht kommen. Diese Erkenntnis der FDP setzt sich außerhalb Deutschlands immer mehr durch, nur leider nicht in den Koalitionen in Berlin und hier in Wiesbaden.

Ich darf einen kleinen Abriss der Entwicklung geben: Im November 2007 hat die damalige Große Koalition die Vorratsdatenspeicherung eingeführt. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Umsetzung am 2. März 2010 für verfassungswidrig. Seitdem darf in Deutschland eben nicht mehr ohne Anlass auf Vorrat gespeichert werden, da es an einer entsprechenden Gesetzesgrundlage fehlt.

Im Februar 2011 – die Diskussion zwischen den Koalitionspartnern CDU und FDP tobte damals heftig – stellte der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages, also nicht irgendein Fraktionsbüro oder was auch immer, in einem Rechtsgutachten fest, es lasse sich – so heißt es dort wörtlich – „zweifelsfrei keine Ausgestaltung dieser Richtlinie umschreiben, die eine Vereinbarkeit mit der Grundrechtecharta sicherstellte.“ Weiter heißt es: „Zweck und Mittel stehen hier zumindest nicht in einem ausgewogenen Verhältnis.“ Meine Damen und Herren, deshalb hat die frühere Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger die Einführung der Vorratsdatenspeicherung erfolgreich verhindert, und zwar, wie sich zeigt, zu Recht.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Frank Lortz (CDU))

Wie sieht die Situation jetzt aus? – Die fragliche Richtlinie 2006/24/EG liegt beim Europäischen Gerichtshof zur Überprüfung vor. Das Spannendste dabei ist: Inzwischen gibt es das Gutachten des Generalanwalts zu dieser Frage, wonach die Richtlinie nicht vereinbar mit der Grundrechtecharta ist – das Gleiche, was 2011, wie ich schon sagte, der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages feststellte. Nach allen Erfahrungen folgt der Europäische Gerichtshof in 90 % der Verfahren, würde ich behaupten, dem Antrag des Generalanwalts. Trotz der Erkenntnis, dass die Richtlinie demnächst wahrscheinlich kassiert wird, hat die Große Ko

alition vereinbart, die Vorratsdatenspeicherung gemäß der Richtlinie umzusetzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gab dann einen Hoffnungsschimmer. Der Nachfolger der Bürgerrechtsschützerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, der neue Bundesjustizminister Heiko Maas, hat angekündigt, die Entscheidung des EuGH abwarten zu wollen. Oberflächlich hat er sich damit zunächst durchgesetzt. Leider ist er dann wieder eingefangen worden. Für die Koalition hat der Bundesinnenminister verkündet, dass „gilt, was im Koalitionsvertrag steht“, und die Vorratsdatenspeicherung komme. Der Sinneswandel hat also keine sieben Tage angehalten. Offensichtlich hat der Mut, der Herrn Maas befallen hatte, ihn dann schon wieder verlassen.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich habe Sie leider nicht verstanden, Herr Kollege Frömmrich. Aber wir kommen ja sicherlich noch in den Genuss Ihrer Rede.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir kommen noch dazu!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir hätten uns gewünscht, dass Herr Maas die gleiche Standhaftigkeit gegenüber der Union bewiesen hätte, wie es Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vier Jahre lang getan hat, die vier Jahre erfolgreich dagegengehalten hat.

Nach breiter Sympathie der SPD für die Vorratsdatenspeicherung, wie sie uns Frau Kollegin Faeser hier schon immer dokumentiert hat, konnte man allerdings nicht damit rechnen, dass sich die SPD dauerhaft eines Besseren besinnt. Wunder gibt es in der Politik relativ selten.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Schade und bedauerlich ist es, dass wir als diejenigen, die gegen die Vorratsdatenspeicherung stehen, leider keine Verbündeten mehr in der Politik haben, jedenfalls in Deutschland.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Doch, doch!)

So? Ja, gut, Herr Schaus.

(Heiterkeit bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): 1 : 0! DIE LINKE ist fest an Ihrer Seite!)

Ich will das im Interesse des neuen Stils hier im Hause nicht weiter bewerten und kommentieren. Ich stelle fest: Wir sehen keine Verbündeten. Die GRÜNEN waren diejenigen, die sich immer wieder gerne als Freiheitspartei gerieren wollten. Die Frage ist, was das bringt. Wir haben jetzt eine Koalition, in der die GRÜNEN in Hessen mitregieren, und wir haben einen Antrag zur Kenntnis nehmen dürfen, der bei mir erst mal Hoffnung geweckt hat, als ich in Ziffer 3 gelesen habe: „Es muss verhindert werden, dass Daten missbraucht werden können“ – so weit, so gut – „oder eine pauschale flächendeckende vorsorgliche Speicherung entsteht.“ Ich nenne so etwas Vorratsdatenspeicherung. Hier steht: Das muss verhindert werden. – Haben Sie Ihren Koalitionspartner dazu gebracht, einzusehen, dass das getan werden muss?

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Frage brauchen wir von Ihnen, glaube ich, keinen Nachhilfeunterricht!)

Nur, Herr Kollege Frömmrich, warum steht dann im nächsten Absatz: „Im Falle eines Zustimmungsgesetzes zur Vorratsdatenspeicherung geht der Landtag davon aus, dass sich die Landesregierung im Bundesrat der Stimme enthält“?

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, und?)

Sie werden uns nachher sicherlich erklären, warum Sie einerseits Ihre Freunde aus der Union dazu bringen, einen Satz gegen die Vorratsdatenspeicherung zu unterschreiben, sie dann in der Sache aber doch nicht folgen müssen; da wird sich enthalten. Das ist keine Lösung, abgesehen davon,

(Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Kollege Greilich, kommen Sie bitte zum Ende.

dass es nicht Sache des Landtags ist, sich per Beschluss mit den inneren Befindlichkeiten der Koalition auseinanderzusetzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von den GRÜNEN, hier in Hessen geben wir Ihnen die Gelegenheit, ein klares Nein zur Vorratsdatenspeicherung zu sprechen.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dafür brauchen wir Sie nicht!)

Tun Sie das. Zeigen Sie Bekennermut. Zeigen Sie einmal Rückgrat. Zeigen Sie Mut vor Königsthronen.

(Beifall bei der FDP – Jürgen Frömmrich (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Müssen gerade Sie sagen!)

Vielen Dank, Herr Kollege Greilich. – Als nächster Redner spricht Kollege Bauer von der CDU-Fraktion. Bitte schön, Herr Bauer, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Greilich, das war ja ein netter Versuch der FDP, sich das Etikett der Bürgerrechtspartei umzuhängen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann Ihnen gleich sagen, dass Ihr Spaltpilzantrag keine Frucht tragen wird; denn wir hatten auch mit Ihrer Partei eine schwierige Auseinandersetzung zu diesem Thema und haben trotzdem fünf Jahre lang gut und erfolgreich zusammengearbeitet.

(Nancy Faeser (SPD): Aber nicht in der Frage!)

Das werden wir auch mit den Kollegen der GRÜNEN hinbekommen, die in dem schwierigen Punkt eine andere Auffassung vertreten als wir. Daher wird es nicht gelingen, zu einem frühen Zeitpunkt wie diesem hier Zwietracht zu säen.