Protokoll der Sitzung vom 05.02.2014

(Beifall des Abg. Holger Bellino (CDU) und bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): Aber später? – Gerhard Merz (SPD): Wenn man es lange genug macht! Dann kommt der Spaltpilz der SPD!)

Meine Damen und Herren, Sie alle haben es vernommen: Gestern wurde Facebook zehn Jahre alt. Die Mitgliederzahlen dieses sozialen Netzwerks sind rasant in die Höhe geschossen. Angefangen mit einem kleinen Bilderbuch von Collegeabsolventen hatte Facebook im Jahre 2008 100 Millionen Mitglieder. Nur fünf Jahre später sind es mehr als 1,2 Milliarden. Ein Ende ist nicht in Sicht, auch wenn die Attraktivität gerade bei der jungen Generation zugegebenermaßen mittlerweile nachlässt.

Das rasante Wachstum von Facebook und Internet ist für mich nur ein Beispiel für den gewaltigen Anstieg verarbeiteter personenbezogener Daten. Niemand will dieses Wachstum ernsthaft aufhalten. Energieeinsparung, Elektromobilität, digitale Partizipation, Meinungsäußerungen, soziale Netzwerke und vieles mehr sind ohne die massenhafte Verarbeitung und Vernetzung von Daten nicht möglich. Durch den technischen Fortschritt werden die Daten insgesamt zunehmend personenbeziehbarer.

In Hessen sind wir uns über die Bedeutung des Datenschutzes schon lange einig. Nicht erst seit den Veröffentlichungen von Herrn Snowden seit gut zwei Jahren haben wir die Wichtigkeit dieses Themas erkannt und daher den Unterausschuss Datenschutz ins Leben gerufen.

(Demonstrativer Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier diskutieren wir immer wieder den Zwiespalt, man könnte auch sagen: den Konflikt zwischen der informationellen Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger auf der einen und den Gefahren von Terrorismus und Kriminalität, welche die Vorteile der modernen Technik zu schätzen wissen und sich ihrer bedienen, auf der anderen Seite.

Das spezielle Thema Vorratsdatenspeicherung beschäftigt die Politik in unserem Land schon seit Jahren und hat zu manchen Kontroversen geführt. Kollege Greilich hat die Historie schon geschildert. Seit dem Jahr 2006 müssen die EU-Staaten sicherstellen, dass die Telekommunikationsunternehmen Verbindungsdaten von Telefonaten und E-Mails auch ohne Anfangsverdacht sammeln. Zwei Jahre später wurde ein sich darauf beziehendes Gesetz des Bundes für verfassungswidrig erklärt.

In der ansonsten gut funktionierenden Koalitionsregierung von Union und FDP in Berlin gab es dazu zwischen dem Bundesinnenministerium und dem Bundesjustizministerium derart große Meinungsverschiedenheiten, dass es zur Verabschiedung einer Neufassung dieses Gesetzes nicht kam.

In ihren Koalitionsverhandlungen hat sich die Große Koalition darauf geeinigt, die EU-Richtlinie jetzt endlich umzusetzen. Das Problem dabei ist jedoch, dass diese EURichtlinie vom Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs inzwischen verworfen wurde. Damit liegt er voll auf der Linie des Bundesverfassungsgerichts, das für ein derartiges deutsches Gesetz eine Verkürzung der Speicherfristen sowie einen Schutz der gespeicherten Daten während der Speicherfrist fordert. Zudem dürfen diese Daten nur zur Verfolgung von Schwerkriminalität herangezogen werden.

Nun sieht es so aus, dass man in Berlin das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg abwarten will. Es ist auch absehbar, dass man in Luxemburg Änderungen anmahnen wird und welche das sein werden. Denn die Forderungen des Generalanwalts entsprechen, wie gesagt, den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts.

Meine Damen und Herren, wir von der CDU-Fraktion sprechen uns für eine solche Regelung aus. Wir sind der Auffassung, nichts gewährleistet Schutz und Sicherheit der Daten besser als ein Gesetz.

Gleichwohl haben wir unterschiedliche Auffassungen, auch die unseres Koalitionspartners hier, zur Kenntnis zu nehmen. Deshalb legen wir Ihnen auch mit der Drucks. 19/72 einen differenzierten Antrag vor, der die vier aus unserer Sicht wesentlichen Punkte zu diesem Thema beschreibt.

Zu Beginn wird festgestellt – und aus unserer Sicht steht das nicht ohne Grund an erster Stelle –, „dass der Schutz vor Kriminalität es erfordert, dass die Sicherheitsbehörden mit deren sich wandelnden Ausprägungen Schritt halten“ können. Deshalb sprechen sich CDU und GRÜNE auch unmissverständlich für die Anwendung modernster Ermittlungs- und Fahndungsmethoden in der Strafverfolgung aus. Insbesondere sind hierbei auch Vorhaben auf europäischer Ebene sinnvoll.

Zweitens betont der Antrag zu Recht die europäische Dimension dieses Themenkomplexes. Zum Erhalt von Frieden und Freiheit „muss verbindliches Gemeinschaftsrecht geschaffen werden. Bindende Vorgaben der Europäischen Union erfordern jedoch eine grundrechtskonforme Umsetzung. Grundlage hierfür können ausschließlich die europäische und die deutsche Rechtsprechung sein.“

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜN- DISSES 90/DIE GRÜNEN)

Im dritten Punkt bekräftigen CDU und BÜNDIS 90/DIE GRÜNEN, „dass dem Schutz der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger höchster Stellenwert zukommt“. Wir sind uns doch hoffentlich einig: „Ein Grundrechtseingriff darf nur zum Schutz hochrangiger Rechtsgüter erfolgen und muss verhältnismäßig sein.“ Natürlich liegt hier unser aller besonderes Augenmerk auf dem Datenschutz. „Es muss verhindert werden, dass Daten missbraucht werden können oder eine pauschale flächendeckende vorsorgliche Speicherung entsteht. Sicherheit und Transparenz sind für die Datenerhebung durch die Sicherheitsbehörden unverzichtbar.“

Meine Damen und Herren, dann kommt der vierte Aspekt. Hier können Sie zur Kenntnis nehmen, dass die Regierungskoalitionsfraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN hinsichtlich der Thematik der Vorratsdatenspeicherung unterschiedlicher Auffassung sind. Falls wir im Bundesrat den Gesetzentwurf vorgelegt bekommen, wird sich das Land Hessen der Stimme enthalten. Das ist eine klare Ansage. Hier wird nichts geglättet, sondern hier werden Differenzen herausgearbeitet. Trotzdem aber kann man in der Sache gut zusammenarbeiten.

Wir als CDU – dafür darf ich sprechen – werden uns auf Bundesebene dafür einsetzen, dass die Vorratsdatenspeicherung unbeschadet der unterschiedlichen Positionen der Regierungsparteien hier in Hessen auf der Grundlage der europäischen und der deutschen Rechtsprechung ausgestaltet wird. Nach unserer Auffassung gibt es dafür gute Grün

de. Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist eine Speicherungspflicht nicht von vornherein verfassungswidrig. Es ist Kernaufgabe des Staates, Sicherheit für seine Bürgerinnen und Bürger zu schaffen, damit ein Leben in Freiheit überhaupt erst möglich ist.

Meine Damen und Herren, das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Auch im Internet muss es Verbrechensbekämpfung geben. Die Praktiker der Strafverfolgung, die Polizei also, fordern dieses Instrumentarium, denn oftmals sind Vorratsdaten der einzige Ermittlungsansatz.

Die Auswertung von Vorratsdaten hat übrigens in der Vergangenheit nachweislich schon häufig entscheidend zur Aufklärung schwerer Verbrechen beigetragen.

Meine Damen und Herren, deshalb ist unsere Auffassung: Der Schutz vor Kriminalität erfordert es, dass die Sicherheitsbehörden mit deren sich wandelnden Ausprägungen, insbesondere im Hinblick auf moderne Kommunikationsmittel, Schritt halten können. Die Verwertung von Kommunikationsdaten mittels der Vorratsdatenspeicherung kann hierbei ein wichtiges Instrumentarium sein. Für uns steht jedoch auch außer Zweifel: Es muss verhindert werden, dass Daten missbraucht werden können oder eine pauschale flächendeckende vorsorgliche Speicherung entsteht. Dem Schutz der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger kommt deshalb nach wie vor höchster Stellenwert zu.

Ich bin mir sicher, wir finden eine einvernehmliche Lösung, mit der am Ende alle leben können. – Besten Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Bauer. – Als nächster Redner spricht Herr Dr. Wilken für die Fraktion DIE LINKE. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Bauer, Sie haben gerade – und tun das auch in dem gemeinsamen Antrag von CDU und GRÜNEN – beständig wieder von Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung geredet. Wir reden von Freiheitsrechten, dem Menschenrecht auf Privatsphäre und informationeller Selbstbestimmung.

Meine Herren von der FDP, wenn Sie sich auf wichtige Teile Ihrer Geschichte, nämlich die Verteidigung der Rechte von Bürgerinnen und Bürgern, zurückbesinnen, begrüße ich das sehr. Sie müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass Sie damit durchaus in eine Nähe unserer Position, der LINKEN-Position, rücken. Vielleicht teilen Sie das Ihrem Fraktionsvorsitzenden einmal mit, damit er das im nächsten Interview auch klarstellt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sagen, zusammen mit Bürgerrechtsorganisationen, Datenschutzbeauftragten und dem Verfassungsgericht: Die massenhafte Überwachung gefährdet die Fundamente unserer Demokratie. Ob offen oder verdeckt – wer überwacht wird, ist nicht frei.

Eine Gesellschaft ist nicht frei, wenn sie die Totalprotokollierung des menschlichen Kommunikationsverhaltens vor

nimmt. Sie, die Verfechter der Vorratsdatenspeicherung, bleiben zudem jedweden Nachweis ihrer Effizienz schuldig.

Herr Bauer, Sie haben gerade aus dem gemeinsamen Antrag von GRÜNEN und CDU zitiert und weisen darauf hin, dass es verhältnismäßig sein muss, wie Sie überwachen.

Vielleicht wäre es günstig, sich auch einmal zu fragen: Ist es eigentlich zielführend, was Sie mit dieser Überwachung vorhaben?

Eine Expertise des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, erstellt im Auftrag des Bundesjustizministeriums – also jedweden Linksradikalismus‘ unverdächtig –, kommt zu dem Schluss, dass das, was Sie gerade wieder behauptet haben, Herr Bauer, durch nichts belegt sei: dass die Verhinderung oder Aufklärung von Straftaten durch den Wegfall der Speicherpflicht gelitten hätte. Das ist durch nichts belegt.

(Nancy Faeser (SPD): Natürlich!)

Ich zitiere die Expertise des Freiburger Max-Planck-Instituts.

Die Gutachter entlarven stattdessen viele dieser Warnungen als politische Rhetorik. So gebe es keinerlei Hinweise darauf, dass auf Vorrat gespeicherte Daten in den vergangenen Jahren zur Verhinderung eines islamistischen Terroranschlages geführt hätten. Ein in der Studie gezogener Vergleich mit der Schweiz – dort werden seit zehn Jahren Vorratsdaten gespeichert – kommt beim Vergleich mehrerer Deliktgruppen zu dem Fazit: Bei aller Vorsicht könne man feststellen, „dass die Aufklärungsquote in Deutschland in keinem Fall unter den für die Schweiz mitgeteilten Aufklärungsquoten liegt“.

Diesem nicht nachgewiesenen Nutzen stehen andererseits erhebliche Einschränkungen von Menschenrechten gegenüber.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine Vorratsdatenspeicherung diskriminiert die Nutzer von Telefon, Mobiltelefon und Internet gegenüber anderen Kommunikationsformen. Eine Vorratsdatenspeicherung beeinträchtigt politische, unternehmerische und berufliche Aktivitäten, die Vertraulichkeit erfordern, z. B. in Politik, Journalismus, Kirche, Recht und Medizin, und steht damit im Widerspruch zu Menschenrechten und Demokratie.

Die Verbindungsdaten, die gespeichert werden sollen, lassen sich mit modernen Programmen strukturiert auswerten und lassen einfache Rückschlüsse zu, z. B. auf soziale, politische und berufliche Netzwerke und damit auch auf Gesprächsinhalte. Bereits die Verbindungsdaten von Telefongesprächen sind extrem aufschlussreich. Im einfachsten Fall reicht die Zuordnung einer Telefonnummer zu einer Schwangerschafts-, Drogen- oder Spielsuchtberatung, um von Metadaten auf Inhalte zu schließen. SMS-Nachrichten an bestimmte Nummern können Spenden an Kirchen, an eine Familienberatungsstelle oder eben auch an politische Kandidaten entblößen. Es handelt sich also um intimste Daten. Diese müssen vertraulich bleiben. Ansonsten ist freie Kommunikation nicht mehr möglich.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich sage in aller Deutlichkeit: Es kann keine datenschutzkonforme Vorratsdatenspeicherung geben.

(Nancy Faeser (SPD): Doch, natürlich!)

Haben Sie nicht gelesen, was die NSA getan hat? Haben Sie nicht gelesen, was Snowden der Öffentlichkeit mitgeteilt hat? Es kann keine datenschutzkonforme Vorratsdatenspeicherung geben. Der deutsche Versuch, sie einzuführen, ist am Bundesverfassungsgericht gescheitert. Der europäische Versuch, sie einzuführen, steht kurz davor, vom Europäischen Gerichtshof kassiert zu werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 2. März 2010 deutlich positioniert und erinnert uns mahnend daran, „dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf“. Dies gehöre „zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland, für deren Wahrung sich die Bundesrepublik in europäischen und internationalen Zusammenhängen einsetzen muss“. Richtig haben die Richter Recht gesprochen.

Meine Damen und Herren, wir haben viele dringende und wichtige zukünftige Aufgaben und Themen im Datenschutz. Die Umsetzung einer Vorratsdatenspeicherung, zu welchem Zweck auch immer, gehört nicht dazu.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bundesregierung ist zu diesem Thema zwar mit einem Coup des Justizministers gestartet – Herr Greilich hat darauf hingewiesen –, das ändert allerdings nichts an der prinzipiellen Zustimmung der SPD zur Vorratsdatenspeicherung. Dass es die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten der Bevölkerung auf Vorrat überhaupt in den Koalitionsvertrag geschafft hat, ist angesichts der ausufernden Überwachung der Bevölkerung in der ganzen Welt schon an sich ein Skandal. Ich kann nur hoffen, dass dem formalen Denken des Bundesjustizministers die politische Erkenntnis in der SPD folgt, das bisher befürwortete Überwachungsprojekt aufzugeben. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

Festzuhalten bleibt, dass SPD und CDU beim Thema Vorratsdatenspeicherung im Koalitionsvertrag das Grundgesetz und die darin verbrieften Bürgerrechte eindeutig verletzen. Angesichts der im Zuge der Snowden-Enthüllungen zutage getretenen Totalüberwachung der Bevölkerung durch die Geheimdienste ist eine Kehrtwende in der Innenund Rechtspolitik erforderlich, auch in der Positionierung der Hessischen Landesregierung. Die Bundesregierung bräuchte eigentlich nicht auf Gerichtsentscheidungen zu warten und könnte sich schon jetzt in Europa an die Spitze der Überwachungsverweigerer setzen. Sie sollte als ersten Schritt eine Initiative auf der EU-Ebene starten, um die Vorratsdatenspeicherung politisch gänzlich zu beerdigen. Dafür sollte sich auch die Hessische Landesregierung einsetzen.