Protokoll der Sitzung vom 05.02.2014

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, niemand würde in einer Demokratie auf die Idee kommen, auf einem Postamt zu notieren, wer an wen einen Brief geschrieben hat, um diese Daten in einem Tresor zu lagern, und niemand würde in einer Demokratie auf die Idee kommen, neben den Adressen gegebenenfalls auch den Inhalt der Briefe zu kopieren und sie sechs Monate oder auch nur eine Woche aufzuheben. Bloß weil es jetzt technisch machbar ist, dürfen Sie das noch lange nicht tun – zumindest so lange nicht, wie Sie weiterhin Interesse an einer freiheitlichen Gesellschaft und Demokratie haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Wilken. – Als nächste Rednerin spricht Frau Faeser für die SPD-Fraktion. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren“, so Benjamin Franklin vor 250 Jahren.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin der Auffassung, dass angesichts der aktuellen Lage der inneren Sicherheit dieses Zitat aktueller denn je ist, denn es geht bei der inneren Sicherheit immer um eine Abwägung zwischen den Freiheitsrechten auf der einen Seite und den Eingriffsbefugnissen auf der anderen Seite. Um diesen rechtsstaatlich geprägten Ausgleich geht es heute, nicht um einen möglichen Überwachungsstaat. Das ist völlig überhöht, meine Damen und Herren von der LINKEN.

(Beifall bei der CDU – Heiterkeit)

Innere Sicherheit umfasst nun einmal Unabhängigkeit und Verpflichtung, Freiheit und Verantwortung. Ziel unserer Demokratie muss es stets sein, die Freiheitsrechte zu stärken. Da lohnt im Moment in der Tat ein Blick in die aktuelle Weltgeschichte. Wir sehen tagtäglich, dass Menschen für ihre Freiheitsrechte auf die Straße gehen. Deshalb müssen auch wir besonderen Wert auf Freiheitsrechte legen. Daher ist die Sozialdemokratie für den umfassenden Schutz der informationellen Selbstbestimmung, wie er im Grundgesetz angelegt ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich will allerdings auch in Richtung der FDP, die den zur Beratung stehenden Antrag vorgelegt hat – früher kamen solche Initiativen von den GRÜNEN, aber so ändern sich eben die Debatten im Hessischen Landtag –, ganz deutlich sagen: Wir raten eindeutig zu mehr Gelassenheit in der Debatte. Ich glaube, das ist dem Thema angemessen. Schauen wir uns doch einmal die Tatsachen an. Es gibt eine europäische Richtlinie aus dem Jahre 2006. Warum eigentlich? Wegen der schlimmen Attentate 2004 in Spanien. Ich erinnere daran, dass damals Hunderte von Menschen gestorben sind. Danach gab es eine große Bewegung in den Staaten, die eine Regelung auf europäischer Ebene haben wollten, was ich nach wie vor für richtig halte. Es folgten unter anderem Vorschläge der schwarz-roten Bundesregierung für gesetzliche Neuregelungen zu § 113a und zu § 113b Telekommunikationsgesetz sowie zu § 100g StPO, die am 2. März 2010 aufgehoben wurden, denn die generelle Aufzeichnung und Verwertung von Kommunikationsdaten stellt einen Eingriff in Art. 10 Grundgesetz dar.

Herr Wilken, in der Debatte gerät aber völlig aus dem Fokus, dass das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung gerade nicht in Gänze für verfassungswidrig erklärt hat, sondern Eingriffe in das Telekommunikationsgeheimnis dann erlaubt, wenn die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt und die Eingriffe legitimen Gemeinwohlzwecken dienen.

(Wolfgang Greilich (FDP): Deshalb muss man es aber noch lange nicht machen!)

Das gilt laut Bundesverfassungsgericht sogar für eine bis zu sechsmonatige anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten, wenn sie im Rahmen der Strafverfolgung, der Gefahrenabwehr oder der Aufgaben der Nachrichtendienste qualifiziert verwendet werden. Hier gerät in der Debatte vieles durcheinander. Das, was Sie hier dargestellt haben, entspricht gerade nicht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das oberste Verfassungsgericht legt in seinem Urteil ausführlich die Voraussetzungen dar, unter denen bestimmte Daten gespeichert werden dürfen. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die verfahrensrechtliche Absicherung eines solchen Vorhabens gelegt.

Im Vordergrund müssen daher die Anforderungen eines rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und seiner Ausprägung der Datensicherheit, der Transparenz, der Sicherheit und auch der Rechtsschutzmöglichkeit für den betroffenen Bürger stehen.

Anders als bei der Speicherung dieser Verkehrsdaten sieht das Gericht jedoch weniger strenge Voraussetzungen bei der mittelbaren Nutzung von IP-Adressen vor, weil diese gerade keine systemische Ausforschung der Betroffenen und auch keine Erstellung von Bewegungsprofilen zulassen. Eine Erstellung von Bewegungsprofilen gilt es nämlich in der Tat zu verhindern.

Um welche Daten geht es hier? Es geht um die Daten, die von den Telekommunikationsanbietern ohnehin zu Abrechungszwecken gespeichert werden. Die Daten umfassen Angaben darüber, mit wem man telefoniert hat, wie lange das Gespräch gedauert hat und wie teuer es ist. Die Daten, über die wir hier reden, werden bereits gespeichert, und zwar von privaten Unternehmen.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So ist es!)

Das gerät in der Debatte leider völlig aus dem Fokus. Sind denn diejenigen, die die Vorratsdatenspeicherung ablehnen, wirklich der Auffassung, dass es so, wie es jetzt ist, nämlich dass die Daten ohne gesetzliche Bestimmungen und ohne rechtsstaatliche Grenzen bei privaten Anbietern gespeichert werden, besser ist? Das kann nicht Ihr Ernst sein. Wir brauchen hier rechtsstaatliche Regelungen und einen Richtervorbehalt.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Manfred Pentz (CDU))

Es ist im Sinne des Schutzes der Bürgerinnen und Bürger, wenn wir einen Zugriff auf die Daten nur im Fall schwerster Kriminalität erlauben, einen Richtervorbehalt einziehen sowie für eine Überprüfbarkeit und auch für eine Mitteilung an die Betroffenen sorgen, statt nichts zu regeln und die Daten einfach bei den privaten Anbietern zu lassen.

(Beifall bei der SPD)

Wir erkennen die Vorratsdatenspeicherung ausdrücklich als ein Instrumentarium polizeilicher Ermittlungen an. Herr Wilken, ich könnte hier viele Beispiele aufführen, möchte es aber nur anhand eines sehr schlimmen Beispiels verdeutlichen. Im Fall von Kindesmissbrauch, der in einem Chat bekannt wird, hat man einfach keine andere Möglichkeit, als auf die IP-Adresse zurückzugreifen.

(Manfred Pentz (CDU): Genau!)

Es geht nun einmal nicht anders, und deswegen braucht man dieses Instrumentarium. Aber – das haben die Redner der CDU-Fraktion heute auch gesagt – wir brauchen rechtdstaatlich sichere Regeln, um die Bürger zu schützen. Ihnen von der FDP-Fraktion sage ich jetzt einmal: Ich finde es schon erstaunlich, dass Sie es seit 2010 – das sind immerhin vier Jahre – nicht hinbekommen haben, eine rechtsstaatlich sichere Regelung auf den Weg zu bringen.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist richtig!)

Die FDP-Fraktion hat unseren Justizminister Heiko Maas angesprochen: Ja, es ist klug, nun sehr genau auf die europäische Ebene zu schauen, wo ein wegweisendes Urteil zur Mindestspeicherfrist zu erwarten ist. Deshalb stimmen wir der FDP in diesem Punkt ausdrücklich zu.

Hier gibt es aber auch keinen Dissens mit der CDU; denn im Gegensatz zur vorherigen Regierung auf der Bundesebene wird es in einer sozialdemokratisch und christdemokratisch geführten Regierung ein Abstimmen zwischen dem Justizminister und dem Innenminister geben, und es wird zu einer rechtsstaatlichen Lösung in diesem Bereich kommen. Das ist Handlungsfähigkeit – aber nicht das andere, nämlich einfach nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe es Ihnen schon gesagt: Wir wollen eine grundrechtskonforme Ausgestaltung, vor allen Dingen mit einem Richtervorbehalt, einer zeitlichen Begrenzung und auch einer Überprüfbarkeit. Das sind aus unserer Sicht die entscheidenden Parameter für eine ordentliche Grundlage für die Ermittlungsarbeit, die das Bundesverfassungsgericht – ich sage es gern noch einmal – im Übrigen sehr präzise vorgegeben hat.

Es wird bei einer rechtsstaatlichen Fassung dieser Regelung auch darum gehen, dass die Speicherung dieser Daten für zivilrechtliche Zwecke rechtssicher ausgeschlossen wird. Auch das ist jetzt nicht der Fall. Weiterhin ist es aus unserer Sicht zwingend, dass keine Bewegungsprofile erstellt werden dürfen. Es soll auf Antrag der Staatsanwaltschaft richterlich darüber entscheiden werden, ob die Daten durch Ermittlungsbehörden genutzt werden können und abgerufen werden sollen. Dies gilt es dann zu protokollieren, und es soll eine Auskunft über den Datenabruf gegeben werden. Das ist ein rechtsstaatliches Verfahren, nicht aber der Zustand, den wir jetzt haben.

Die Mindestspeicherfrist von sechs Monaten in der europäischen Richtlinie halten wir ausdrücklich für zu lang. Die Praxis belegt, dass eine deutlich kürzere Speicherfrist völlig ausreichend ist. Wir wollen die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass schwerste Kriminalität, terroristische Taten und organisierte Kriminalität wirksam bekämpft werden können.

Wir sind mit der Mindestspeicherfrist eben nicht auf dem Weg in einen Überwachungsstaat. Hören Sie auf, diese Debatte mit der Debatte über die NSA zu verwechseln.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Der NSA-Skandal hat doch gerade gezeigt, dass wir, damit es nicht beim jetzigen Zustand bleibt, ein Mehr und nicht ein Weniger an rechtsstaatlichen Regelungen brauchen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte zum Schluss an alle appellieren, die Debatte deutlich sachlicher und gelassener zu führen und sie nicht in einer Art und Weise zu überhöhen, dass vieles miteinander vermengt wird, was nicht zusammengehört. Ich glaube, es würde dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger wesentlich mehr dienen, wenn man es etwas sachlicher betrachtete. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Astrid Wallmann (CDU))

Vielen Dank, Frau Kollegin Faeser. – Als nächster Redner spricht Herr Frömmrich von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der FDP-Fraktion sehr dankbar dafür, dass sie dieses Thema in der heutigen Plenarsitzung zum Setzpunkt gemacht hat, gibt uns das doch die Möglichkeit, die Position von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Vorratsdatenspeicherung, aber auch die Haltung der Regierungskoalition in dieser Frage noch einmal zu verdeutlichen.

Herr Kollege Greilich, ich sage Ihnen mit Sicherheit nichts Neues: Wir GRÜNE lehnen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ab. Sie birgt das Risiko des Datenmissbrauchs und stellt nach unserer Auffassung einen tiefen Eingriff in die Privatsphäre jedes Einzelnen dar.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Massenhaft Kommunikationsdaten zu speichern und damit alle unbescholtenen Bürger unter Generalverdacht zu stellen, kann von uns nicht akzeptiert, geschweige denn gutgeheißen werden. Wir sehen uns da im Übrigen in guter Gesellschaft mit dem Bundesverfassungsgericht und zuletzt auch mit dem EU-Generalanwalt, der diese ablehnende Haltung vor Kurzem vor dem Europäischen Gerichtshof klargestellt hat. – So viel zur Klarheit der Position der GRÜNEN in dieser Frage.

Herr Kollege Greilich, ich weiß natürlich auch, dass der eigentliche Zweck der heutigen Debatte der Versuch ist, einen Keil zwischen die Mitglieder der neuen schwarz-grünen Regierung zu treiben. Aber seien Sie sich gewiss, es wird Ihnen nicht gelingen. Wir sind in dieser Frage sehr klar. Das braucht man eigentlich nicht zu betonen, aber ich sage es noch einmal für Sie – vielleicht ist das Ihnen persönlich noch nicht richtig klar –: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die CDU sind zwei unterschiedliche Parteien

(Zuruf von der SPD: Ach nee!)

mit zwei unterschiedlichen Grundhaltungen in dieser Frage. Im Übrigen waren wir im Gegensatz zu Ihnen so mutig, das auch in die Koalitionsvereinbarung zu schreiben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Meine Damen und Herren, wir haben im Koalitionsvertrag sehr deutlich vereinbart, dass wir uns im Bundesrat bei der Abstimmung über ein zustimmungspflichtiges Gesetz der

Stimme enthalten. Das können Sie nachlesen – ich zitiere –:

Bezüglich der Umsetzung der Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung auf Bundesebene stimmen CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht überein.