Protokoll der Sitzung vom 05.02.2014

(Beifall bei der CDU)

Nicht nur bei der Bekämpfung von Kinderpornografie und der Gefahren gerade auch durch islamistischen Terrorismus, sondern auch bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und von Kapitaldelikten wie Mord und Totschlag, schwerem Raub und Erpressung – ich habe es eben gerade angedeutet – fehlen diese Ermittlungsmöglichkeiten. Das ist auf Dauer nicht hinnehmbar, das dient eben nicht der Sicherheit und damit übrigens auch nicht der Freiheit von Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land.

Obwohl das Bundesverfassungsgericht unter Berücksichtigung all der Aspekte, die der Antrag so wortreich aufzeigt, den Grundrechtseingriff im Grundsatz auch in seiner zeitlichen Dimension gebilligt hat, haben sich die Koalitionsfraktionen im Bund darauf geeinigt, in Brüssel auf eine Halbierung der Mindestspeicherfrist von derzeit sechs auf drei Monate hinzuwirken. Das ist gut, weil so eine Einigkeit über die Einführung der Vorratsdatenspeicherung ermöglicht wurde. Aus polizeilicher Sicht ist eine zu kurz bemessene Frist immer noch besser als insgesamt gar keine Vorratsdatenspeicherung. Der Bund will diese Forderungen an die EU herantragen, und die darüber hinaus skizzierten Rahmenbedingungen für die Speicherung der Daten auf Servern in Deutschland tragen dem zunehmend bedeutsamen Aspekt der Cybersicherheit hinreichend Rechnung und sind aus innenpolitischer Sicht uneingeschränkt zu begrüßen.

Deshalb gehen wir nicht von der Kernforderung nach Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ab, auch wenn sich unsere Koalition bekanntermaßen – Herr Kollege Frömmrich hat es ausgeführt – in diesem Punkt nur auf die Festschreibung eines Dissenses einigen konnte. Wir sind hier unterschiedlicher Auffassung, aber ich finde, wenn man in der Form damit umgeht, wie wir es auch in dieser Debatte tun, dann ist das akzeptabel.

Auf den ersten Blick erscheint es vernünftig, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs abzuwarten, auch das ist eben vorgetragen worden. Denn wenn die Richtlinie für rechtswidrig erklärt wird, entfällt natürlich die Verpflichtung zur Umsetzung. Eine solche Sicht der Dinge griffe allerdings auch zu kurz – ich glaube, das ist im Vortrag des Kollegen Bauer, der Kollegin Faeser und auch bei mir deutlich geworden –; denn wir brauchen die Vorratsdatenspeicherung, weil sie für Strafverfolgung und zur Gefahrenabwehr unentbehrlich ist. Sollte die EU-Richtlinie vom EuGH gekippt werden, hätte dies keinerlei Einfluss auf die Zulässigkeit einer deutschen Regelung. Deutschland wäre zwar nicht mehr verpflichtet, die Richtlinie umzusetzen, es wäre aber auch nicht gehindert, eine Vorratsdatenspeicherung in den vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Grenzen zu schaffen. Wir halten dies nach wie vor für sinnvoll, auch wenn wir in unserer Koalition an dieser Stelle unterschiedlicher Auffassung sind. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Staatsminister Beuth. – Es liegen sonst keine Wortmeldungen vor.

Ich gehe davon aus, dass beide Anträge an den Innenausschuss überwiesen werden sollen. – Dann machen wir das so. Wir überweisen die Anträge Drucks. 19/30 und 19/72 an den Innenausschuss.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE betreffend die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter – Drucks. 19/29 –

zusammen mit Tagesordnungspunkt 36:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Schutz der Grundrechte und des hessischen Datenschutzes – Überwachung durch ausländische Geheimdienste unterbinden – Drucks. 19/73 –

Vereinbarte Redezeit sind fünf Minuten. Als erster Redner hat sich Kollege Schaus von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit einer Strafanzeige beim Generalbundesanwalt haben in dieser Woche der Chaos Computer Club, die Internationale Liga für Menschenrechte und der Verein Digitalcourage den öffentlichen Druck im NSA-Skandal erhöht. Die Anzeige richtet sich gegen die Bundesregierung sowie gegen die Verantwortlichen der Geheimdienste und – ich sage es ausdrücklich dazu, weil es in der vorangegangen Diskussion keine Rolle gespielt hat und hier offensichtlich auch nicht spielen soll, wenn ich den zweiten Antrag betrachte – auch der deutschen Geheimdienste.

Die Bürgerrechtsgruppen werfen unter anderem der Bundesregierung vor, mit dem US-amerikanischen Geheimdienst NSA zusammengearbeitet und Daten weitergeleitet zu haben. Zudem bemühe sich die Bundesregierung nicht, den Skandal um die umfassende Überwachung durch die NSA aufzuklären.

Wir haben zu diesem wichtigen Thema bereits vor Erstattung der Strafanzeige einen Entschließungsantrag vorgelegt. Einfach gesagt, fordern wir darin alle Abgeordneten auf, ein Zeichen zu setzen; mehr wäre es erst einmal nicht, aber auch nicht weniger.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man den Beteuerungen aller Parteien Glauben schenken soll, dann müsste wirklich jeder und jede, egal welcher Partei, diesem Antrag uneingeschränkt zustimmen.

Der vorgelegte Antrag besagt, dass der Hessische Landtag eine digitale Massenüberwachung der Gesellschaft ablehnt, dass wir in unserem Handeln die Bürgerrechte stärken sollen und dass wir eine ständige Verletzung von Bürgerrechten nicht tatenlos hinnehmen werden.

Meine Damen und Herren, es zeichnet sich immer stärker ab, dass westliche Geheimdienste, insbesondere deutsche, englische und amerikanische, ein umfassendes Verbundsystem der digitalen Totalüberwachung geschaffen haben. Dazu gehören das Abgreifen sämtlicher Internetdaten an Knotenpunkten und von Internetkonzernen, das Abgreifen von 5 Milliarden Handydaten täglich, gezielte Computerausspähung über entsprechende Spionageprogramme wie XKeyscore und PRISM, gezielte Computer- und Serversteuerung – hunderttausendfach. Das heißt, Computer und Server kommen schon mit NSA-Spionagetechnik aus der Produktion; da ist alles schon drauf, was die brauchen. Da

von sind alle betroffen: Privatpersonen und gesellschaftliche Gruppen, genauso wie Unternehmen und internationale Konzerne, Behörden und politische Institutionen – von der EU über Botschaften bis hin zur Bundeskanzlerin.

Was hat das mit Hessen zu tun? – Sehr viel, meine ich. Das Rhein-Main-Gebiet wird von seriösen Journalisten als europäisches Geheimdienstzentrum bezeichnet. Der Dagger Complex in Darmstadt, das Headquarter in WiesbadenErbenheim, das Frankfurter US-Generalkonsulat und zahlreiche Geheimdienstunternehmen in Hessen spielen hierbei eine zentrale Rolle. Es geht dabei nicht nur um Spionage, es geht dabei auch um weltweite Kriegsführung, Drohnenkrieg und Logistik. 3 Milliarden gibt das US-Militär jedes Jahr in Deutschland aus. Das heißt doch auch, dass zwar nicht durch Hessen, aber von Hessen aus ein Krieg geführt wird, in dem scheinbar alle Schranken längst gefallen sind.

Als LINKE wollen wir, dass den vielen dramatischen Hinweisen, die in den letzten Wochen und Monaten publiziert wurden, im Einzelnen nachgegangen wird. Dass befreundete Staaten uns alle abhören und unsere Daten millionenfach sammeln, macht es nicht besser – auch deren Spionage ist und bleibt illegal.

(Beifall bei der LINKEN)

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat bereits einen gleichlautenden Antrag in den Bundestag eingebracht. Im Kern werden hier die Forderungen eines weltweit erscheinenden Autorenaufrufs aufgegriffen. Wir sind der Meinung, dass die Schriftsteller – darunter Nobelpreisträger – recht haben, wenn sie dazu aufrufen, die Bürgerrechte im digitalen Zeitalter endlich aufzugreifen, und dass der Aufruf, der in Deutschland hunderttausendfach unterschrieben wird, auch von diesem Landtag unterstützt werden sollte.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, insofern richte ich an die Koalition und insbesondere an die Fraktion der GRÜNEN noch einmal die Frage: Wieso fällt es Ihnen so schwer, dem Antrag Ihrer eigenen Bundestagsfraktion zuzustimmen? Ich würde sehr darum bitten, da Sie in Ihrem Antrag schreiben

Sie müssen zum Ende kommen.

ich komme zum Ende, Frau Präsidentin –, dass Sie nicht jede Formulierung dieses Antrags und des Aufrufs der Schriftstellerinnen und Schriftsteller vollinhaltlich teilen können, zu sagen, was davon Sie nicht teilen können. Ich glaube, das wäre eine interessante Frage, die hier erörtert werden sollte. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schaus. – Als nächster Redner hat sich Herr Kollege Heinz von der CDU-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Beziehungen zwischen Deutschland und Amerika sind eng. Sie sind freundschaftlich, sie sind gut und partnerschaftlich.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Sie sind ganz eng!)

Uns verbindet eine kulturelle, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Beziehung, und das – Herr Schaus, das kann einem passen oder nicht – seit fast sieben Jahrzehnten.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Darum geht es gar nicht!)

Wir sind Teil eines sehr gut funktionierenden Bündnisses. Dieses Bündnis ist auf Dauer angelegt, und es beruht – hören Sie zu – auf gemeinsamen Werten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Als historische Erinnerung: Man braucht nicht nur an die jahrzehntelange kommunistische Bedrohung aus Mittelund Osteuropa zu denken. Auch in der jüngsten Zeit haben wir im Kampf gegen den Terrorismus eng zusammengestanden.

Meine Damen und Herren, dieses gute Verhältnis ist aber seit Bekanntwerden der massenhaften Ausspähung durch den Geheimdienst NSA beeinträchtigt. Leider haben die schlechte Informationspolitik und die Weigerung der USRegierung, auf diese Ausspähung in Deutschland künftig zu verzichten, hierzu erheblich beigetragen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Freiheit und Sicherheit müssen immer in der richtigen Balance bleiben. Das Problem ist überhaupt nicht, dass Daten zur Terror- und Kriminalitätsbekämpfung erhoben werden. Damit haben wir im Grunde kein Problem. Die Frage ist vielmehr, in welchem Umfang, mit welchen Mitteln und auf welcher Grundlage die Daten erhoben werden. Die Grenzen der Verhältnismäßigkeit gelten immer und überall. Auch im Kampf gegen Terrorismus und schwerste Straftaten darf niemals der Zweck die Mittel heiligen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Torsten Warnecke (SPD))

Das Internet und alle uns zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel bilden selbstverständlich – das hat der Innenminister schon beim letzten Punkt ausgeführt – keinen rechtsfreien Raum. Deswegen sagen wir als CDUFraktion glasklar: Die massenhafte und anlasslose Überwachung der Onlinekommunikation ist inakzeptabel.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Gehen Sie jetzt nach Erbenheim?)

Trotz aller Betroffenheit über diese Vorgehensweise rate ich Ihnen aber dringend zu einer differenzierten Vorgehens- und Betrachtungsweise.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Dank nachrichtendienstlicher Mittel ist es in der Vergangenheit auch in Deutschland gelungen, schwerste Anschläge zu verhindern. Zur Wahrheit gehört auch: Auch unser Auslandsgeheimdienst BND arbeitet selbstverständlich mit nachrichtendienstlichen Mitteln, um Angriffe und Bedro

hungen für die deutsche Bevölkerung abzuwenden. Das ist rechtsstaatlich auch völlig in Ordnung.

Die NSA-Affäre hat großes Vertrauen gekostet, Vertrauen, das wieder zurückgewonnen werden muss. Das kann durch Aufklärung, Überprüfung, Ergänzung und Überarbeitung von Verträgen und Abkommen geschehen. Wut, Empörung und Aufrufe allein werden nicht ausreichen, zu dem Ziel zu kommen. Das ist ein erster Schritt, sich zu solidarisieren und aufzurufen.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Jetzt machen Sie einen Vorschlag!)