Protokoll der Sitzung vom 05.02.2014

Dazu kommen wir jetzt. – Ein Aussetzen von Verhandlungen über transatlantische Bündnisse wäre auch nicht klug. Damit sind diejenigen, denen das gute transatlantische Verhältnis schon immer ein Dorn im Auge war, schnell bei der Hand. Aber wir sollten nicht rückwärtsgewandt, sondern vorwärtsgewandt diese Sache betrachten. Wir sollten als unser Ziel haben, dass unser hoher Standard, den wir in Hessen und in Deutschland haben, zur Grundlage der Rechtsentwicklung in der gesamten Europäischen Union wird. Dieser hohe Standard sollte auch Grundlage von internationalen Abkommen sein, die unser Staat über den Atlantik hinaus schließt.

Wir wissen, das ist eine große Herausforderung. Wir wissen gerade angesichts der Informationen aus den letzten Wochen und Monaten, dass man dazu einen Partner braucht, der die gleiche Bereitschaft dazu zeigt wie wir. Ein einheitlicher hoher Standard in Europa und irgendwann auf der ganzen Welt, das muss unser Ziel bei den Verhandlungen sein.

Wir haben bereits ein hervorragendes Datenschutzniveau. Hier im Haus waren wir uns in der vergangenen – hoffentlich auch in der jetzigen – Wahlperiode im zuständigen Fachausschuss immer einig, dass wir dieses hohe Niveau ausbauen und fortentwickeln wollen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, niemand hier ist so naiv, zu glauben, dass an uns 6 Millionen Hessen die ganze Welt genesen wird oder dass wir alleine die 500 Millionen Europäer beeindrucken werden. Unser Ziel ist und bleibt aber, dass, wenn immer Daten von Bürgern an andere Staaten geliefert werden, Transparenz gelten muss. Jeder Bürger muss das Recht haben, zu wissen, wie mit seinen Daten umgegangen wird. Er muss das Recht haben, dagegen vorzugehen, wenn dort etwas Irreguläres geschieht.

Das gemeinsame Verständnis von Datenschutz und Datensicherheit zwischen Staaten bleibt eine dauerhafte Aufgabe. Wenn man an die letzten Wochen denkt mit Stichworten wie No-Spy-Abkommen, Mindeststandards im Datenschutz im transatlantischen Handel oder Übermittlung von Bankdaten: Da liegen große Aufgaben vor uns. Dennoch reicht es nicht, nur „Haltet den Dieb“ zu schreien, sondern wir wollen die guten Beziehungen zwischen unserem Land und den Vereinigten Staaten erhalten. Wir wollen wechselseitige Rechts- und Vertragstreue. Wir wollen Vertrauen zurückgewinnen und den hohen Standard, den wir haben, fort- und weiterentwickeln und zur Grundlage von Verträgen und im Umgang mit anderen Staaten machen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Heinz. Das war eine Punktlandung. – Als nächste Rednerin spricht Frau Kollegin Hofmann von der SPD-Fraktion zu uns. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wer von Ihnen kennt ihn nicht, George Orwells Klassiker „1984“, den er bereits 1948 geschrieben hat, ein Roman, der als Warnung gedacht war? Das, was dort als Satire geschrieben ist, ist zur Chiffre für eine Welt des Totalitarismus geworden, des Überwachungsstaates, der absoluten Personenüberwachung, eine Chiffre, die George Orwells Schreckensvisionen längst überholt hat, die längst Realität geworden ist.

Wen von Ihnen im Raume wundern die neuen Enthüllungen? Auch das Handy des Altbundeskanzlers Gerhard Schröder soll abgehört worden sein. Wen im Raume wundert es? Das ist doch nur die Spitze des Eisbergs.

Meine Damen und Herren, wir brauchen nicht erst George Orwells „1984“, sondern auch die aktuellen, immer neuen Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden lassen uns gerade einmal erahnen, in welcher Art und Weise tagtäglich Bürgerrechte und Datenschutzrechte jedes einzelnen Bürgers womöglich verletzt und mit Füßen getreten werden.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

In der Tat sind viele Bürgerinnen und Bürger, Institutionen, Behörden und Verbände betroffen, und auch in dieser Frage geht es um sehr viel Geld. Es ist richtig, dass sich namhafte Schriftsteller aus aller Welt, z. B. Umberto Eco, zu diesem Aufruf zusammengeschlossen haben. Sie haben gesagt: Wir wollen die informationellen Selbstbestimmungsrechte der Bürger mit diesem Aufruf verteidigen und uns gegen die Verletzung dieser Rechte entschieden wehren. – Dieser Aufruf kritisiert und geißelt die massenhafte Überwachung des einzelnen Individuums. Ich finde auch, dass es in der Tat dem Hessischen Landtag, diesem Hause, gut zu Gesicht stehen würde, sich diesem Aufruf anzuschließen; denn er ist im Kern voll zutreffend und richtig.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ich darf daran erinnern, dass das höchste Gericht in unserem Lande, das Bundesverfassungsgericht, bereits Anfang der Achtzigerjahre aus den Grundrechten von Art. 1 und 2 Grundgesetz das eigene Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung entwickelt hat. Dieses Grundrecht gewährleistet die Befugnis jedes Einzelnen, selbst die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Dieses Grundrecht gilt es zu verteidigen und zu schützen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Dieses Grundrecht jedes Einzelnen von uns wird auf unerträgliche Art und Weise verletzt, wenn Staaten, Institutionen, Behörden und Private die aktuellen technologischen Entwicklungen zum Teil schamlos ausnutzen, um massive Überwachung zu betreiben. Gerade im digitalen Zeitalter müssen wir diese Bürgerrechte wahren und verteidigen.

Deshalb ist es richtig, nicht nur hier groß zu parlieren, in Deckung zu gehen, dieses Problem zu negieren, wie es üb

rigens auch der frühere Bundesinnenminister gemacht hat – oder die Bundeskanzlerin, die immer eine schöne Handbewegung macht und dann schweigt. Nein, es geht auch darum, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, etwa die internationale Konvention der digitalen Rechte endlich zu verabschieden oder die Generalstaatsanwaltschaft damit zu beauftragen und alle rechtsstaatlichen Mittel ausschöpfen zu lassen, um Straftaten im Zusammenhang mit der Abhöraffäre endlich zu bekämpfen,

(Beifall bei der SPD)

oder auch das Freihandelsabkommen mit den USA angesichts dieser Entwicklungen einer kritischen Überprüfung zu unterziehen,

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Jetzt noch mehr!)

etwa auch – dann will ich ein drittes Beispiel nennen, man könnte viele weitere Beispiele benennen – das sogenannte SWIFT-Abkommen entsprechend zu überprüfen und mit dem EU-Datenschutzrecht in Einklang zu bringen. Das sind alles einzelne Maßnahmen, und es gibt noch viele weitere, die es angesichts dieser Entwicklungen endlich abzuklären gilt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Sie müssen zum Ende kommen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ein Mensch unter Beobachtung ist niemals frei. Eine Gesellschaft unter ständiger Beobachtung ist keine demokratische mehr. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hofmann. – Als nächste Rednerin spricht zu uns Frau Goldbach von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren! Eine Sache ist interessant. Wir alle haben durch Edward Snowden erfahren, dass unsere Daten gesammelt, dass wir überwacht werden. Und wir wissen nicht, was mit diesen Daten geschieht. Aber wollen wir das denn so genau wissen? – Obwohl täglich neue Enthüllungen über die Datensammelwut von Geheimdiensten und Privaten ans Licht kommen, ist das Interesse der Deutschen an diesem politischen Thema mäßig. Es liegt aktuell auf Platz 4 bis 5.

Wir müssen uns fragen, wie weit unsere Verantwortung als Politiker geht. Ich glaube, unsere Verantwortung ist deswegen sehr hoch. Was bedeutet das im Alltag? – Heute waren ganz viele Schülergruppen da. Ich selbst habe auch halbwüchsige Kinder. Wir haben inzwischen eine Generation, deren Leben fast komplett dokumentiert und gespeichert ist.

Die meisten von uns hier hatten noch eine internetfreie Kindheit und Jugend. Es gibt noch ein paar alte Fotos. Und was uns heute nicht mehr genehm ist, das können wir getrost vergessen. Auch das ist Freiheit.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), erheitert: Auf den Kollegen Klee trifft das immer zu! – Gegenruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Ich frage mich, was mit den Daten der jetzigen jungen Generation geschehen wird, mit den Leuten, die sich in Facebook einloggen, sich auf Instagram oder XING Nachrichten ziehen. Was passiert mit diesen Daten? Passiert es vielleicht, dass sie eines Tages bei einem Bewerbungsgespräch sitzen, und dann hat der Arbeitgeber ein komplettes Profil und beurteilt, ohne diese Person jemals gesehen zu haben, ob dieser junge Mensch den Job bekommt oder nicht? Das wäre fatal.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Deswegen darf das Internet kein rechtsfreier Raum sein.

Zum Appell. Dieser Appell, der von 562 Schriftstellerinnen und Schriftstellern unterzeichnet wurde, ist richtig.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Welcher Formulierung können Sie nicht folgen?)

Hören Sie mir erst einmal zu, und dann können Sie vielleicht nachher auch noch eine Zwischenfrage stellen. Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Dieser Appell ist deshalb so richtig und wichtig, weil die inhaltliche Debatte in der Öffentlichkeit zuletzt durch den Skandal des Abhörens der Kanzlerin etwas überdeckt wurde. Sie hat gesagt: „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.“ – Da hat sie recht. Das ist inakzeptabel. Aber das eigentliche Problem ist ein gesellschaftliches, nämlich das Ausspionieren von Millionen von Bürgern. Das ist das eigentliche Problem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Horst Klee (CDU))

Dieser Appell der Schriftsteller hat den Fokus wieder darauf gerichtet. Deshalb haben unsere Kollegen im Bundestag schnell und richtig reagiert und als Erste diesen Appell in Form des Antrags, den Sie hier auch eingebracht haben, in den Bundestag eingebracht.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Ja, bravo!)

Wir fragen uns, was jetzt daraus folgt. Wir müssen eine Debatte darüber führen, wo wir beim Verbraucherschutz und beim Datenschutz die Grenzen ziehen und wie wir erreichen, dass diese auch weltweit anerkannt und geschützt werden. Wir werden diese Debatte auch in Hessen führen, obwohl wir das Problem hier nicht allein lösen können; denn die Daten sind global. Deshalb muss auch der Datenschutz global sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir haben andere Ansatzpunkte. Die Regierungen in Land, Bund und EU müssen sich dafür einsetzen, und zwar bei den britischen und amerikanischen Freunden, dass die bisherigen Maßnahmen offengelegt und beendet werden. Wir müssen in der EU dafür kämpfen, dass hier eine wahre

Kernkompetenz der EU endlich zum Vorschein kommt, nämlich eine gemeinsame europäische Außen- und Bürgerrechtspolitik.

Dieses Jahr geht die EU-Datenschutzreform in die Zielgerade. Das ist der richtige Anlass, um europaweit wesentliche Verbesserungen für den Datenschutz zu initiieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Unsere Aufgabe wird es auch sein, dieses Thema Datenschutz im Europawahlkampf zum Thema zu machen. Auch wenn das Interesse an diesem wichtigen Thema nicht groß genug ist, müssen wir dafür sorgen, dass das in den Fokus rückt und dass die Bürger entscheiden, in welchem Europa sie leben wollen – in einem Europa der Freiheit, das dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des einzelnen Bürgers Geltung verschafft.

Kommen Sie bitte zum Ende.