Protokoll der Sitzung vom 18.12.2014

Nicht bei Amazon kaufen, gerne in die Innenstädte, gerne auch in die Stadtteile gehen und dort beim Einzelhandel kaufen. Diese Werbung finde ich völlig richtig. Genau das muss passieren.

Aber wir müssen vor allem aufpassen, wenn es Probleme bei der schwierigen Frage gibt, was überhaupt an Sonntagsarbeit möglich ist – wir denken an Ärzte, an Lokführer und an viele andere Berufe, die auch sonntags ausgeübt werden müssen –, dass Gerichte immer wieder vor der schwierigen Frage stehen: Was erlauben wir, und was erlauben wir nicht?

In dieser Situation ist Ihr Vorschlag völlig kontraproduktiv, weil Sie diese Prüfung auch noch reduzieren und damit eine weitere Ausweitung der Sonntagsarbeit erleichtern. Das ist doch absoluter Unfug, das müssen wir in diesem Haus ablehnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Dieser Gesetzentwurf ist nicht sehr umfangreich. Er beschäftigt sich genau mit diesen beiden Punkten. Das, was Herr Utter ausgeführt hat, teile ich ausdrücklich. Ich habe es nochmals ergänzt. Für uns ist der Sonntagsschutz ein hohes Gut. Das Bundesverfassungsgericht hat es nochmals unterstrichen, wie wichtig das für die Religionsfreiheit ist, für die Genesung, für die Heilung. Das wurde sogar explizit so benannt. Für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes ist es mit das höchste Gut. Es gilt, das zu schützen und zu verteidigen.

Dieser Gesetzentwurf, wenn er Realität würde, wäre ein völlig falscher Schritt einer Liberalisierung. Diese Zeiten sind vorbei. Die Menschen haben einmal einen Reiz dabei empfunden, sonntags shoppen zu gehen. Aber mehr und mehr erkennen sie den Wert der Familie, der Freizeit und der Erholung. Daran sollten wir festhalten. Ihr Gesetzentwurf, da bin ich mir sicher, wird in diesem Haus keine Mehrheit finden. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Das Wort hat Herr Abg. Schaus für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Sonntag ist kein Tag wie jeder andere. Deshalb erklärt das Grundgesetz ausdrücklich den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als „Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung [für] gesetzlich geschützt“.

Für Wirtschaft und Industrie werden aber immer mehr Ausnahmegenehmigungen zur Sonntagsarbeit erteilt. Längst wird aber nicht mehr nur in Krankenhäusern und Altenheimen, bei der Polizei und der Bahn, in Tankstellen und in der Gastronomie auch sonntags gearbeitet. Immer wieder wird in Teilen der Bevölkerung gefordert, auch an Sonntagen die Möglichkeit zu haben, umfassend alles einkaufen zu können: ganz so, als ob das Einkaufen rund um die Uhr und an allen Tagen als Hingabe an den Konsum für uns unverzichtbar sei.

Aber ohne einen richtigen Sonntag gibt es bald nur noch Werktage. Das aber kann niemand wollen.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Lothar Quanz (SPD))

Wenige Tage nach dem großen Erfolg der Gewerkschaft ver.di und der Kirchen durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Einschränkung pauschaler Genehmigungen von Sonntagsarbeit und nach weiteren Erfolgen der Allianz für den freien Sonntag schickt sich die FDP an, mit ihrem Gesetzentwurf den Sonntagsschutz, der durch die Gerichte gerade erst bekräftigt wurde, völlig aus den Angeln zu heben.

Die FDP-Landtagsfraktion fordert nun, die Ladenöffnungszeiten in Hessen neu zu regeln. Dabei tut sie so, als wären ihre vorgeschlagenen Änderungen nur von geringer Auswirkung. Aber der vorgelegte Gesetzentwurf stellt einen Generalangriff auf den verfassungsrechtlich geschützten freien Sonntag dar.

Die FDP versucht, unter Umgehung der bisherigen Rechtsprechung und der jüngst durch das Urteil zur Bedarfsgewerbeverordnung zur Sonntagsarbeit vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Grundsätze, Ladenöffnungen an sämtlichen Sonntagen zu ermöglichen. Die vorgesehene Streichung des Erfordernisses eines Sonderereignisses – also einer Kerb, einer Messe oder eines großen Stadtfestes – im derzeit geltenden Gesetz folgt einzig und allein dem Zweck, die großen Einzelhandelsunternehmen zu begünstigen.

Die Möglichkeit, Sonntagsöffnung nun viermal im Jahr anlassfrei sogar für einzelne Stadtteile und nicht nur für eine Stadt in ihrer Gesamtheit zu genehmigen, würde in allen großen Städten quasi zur uneingeschränkten Öffnung an fast allen Sonntagen des Jahres führen.

Somit ist die FDP-Forderung gleichermaßen eine Kampfansage an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ihrer Gewerkschaften wie auch an kleine und mittelständische Betriebe, deren Interessen die Rest-FDP bisher immer besonders hervorgehoben hat. Große Einzelhandelskonzerne haben die Sonntagsöffnung längst als ein Instrument zur Verdrängung kleiner und mittelständischer Betriebe aus dem Markt genutzt und tun dies auch weiterhin.

Würden aber die Sonntagsöffnungszeiten so, wie es die FDP will, noch mehr ausgeweitet, drohte vielen kleinen Läden der Ruin.

Unter Guido Westerwelle und seinen ebenso unrühmlichen Nachfolgern hat sich die FDP zu einer marktradikalen Klientelpartei entwickelt. Dieses Bild will die hessische FDPFraktion offensichtlich leider weiter pflegen.

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Mit dieser Gesetzesinitiative hält sie nicht nur an ihren alten neoliberalen Grundsätzen fest. Das Ganze ist zudem noch eine familienpolitische Bankrotterklärung. Denn weit über 70 % der Einzelhandelsbeschäftigten, die zur Sonntagsarbeit gezwungen werden sollen, sind Frauen und Mütter, für die der Sonntag bisher der einzige sichere arbeitsfreie Tag in der Woche darstellt. Das können sich die Herren von der FDP aber anscheinend nicht vorstellen und auch nicht nachvollziehen.

In Hessen vollzieht sich seit Jahren eine schleichende Aushöhlung des Verbots der Sonntags- und Feiertagsarbeit. In immer mehr Bereichen wird an Sonn- und Feiertagen gear

beitet. Mit der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten hat die Zahl der verkaufsoffenen Sonntage sprunghaft zugenommen.

Wir sind inzwischen an einem Punkt angekommen, an dem alle gesellschaftlichen Kräfte gebündelt werden müssen, um der weiteren Aushöhlung des Sonn- und Feiertagsschutzes ein Ende zu setzen. Wir lehnen deshalb den Gesetzentwurf der FDP-Fraktion ab und plädieren im Gegenteil dafür, den Sonntagsschutz weiter auszubauen und die Ladenöffnungszeiten auch an den Werktagen zeitlich wieder zu begrenzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat Herr Sozialminister Grüttner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Landesregierung hat der Schutz des Sonntags einen hohen Stellenwert, und wir werden alles tun, um den Schutz des Sonntags auch in Zukunft zu gewährleisten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden aber auch darauf schauen, welche Notwendigkeiten sich in einer sich verändernden Gesellschaft ergeben, ohne dass die besondere Bedeutung des Sonntags und der Feiertage infrage gestellt wird. Dieses tun wir in einem intensiven Dialog, insbesondere mit den Vertretern der Kirchen am Sitz der Landesregierung.

Ich denke, dass es zu weit führen würde, diesen Gesetzentwurf der FDP-Fraktion als Diskreditierung der Familien zu bezeichnen. Ich denke, dass dieser Gesetzentwurf von der Fragestellung getragen wird, ob es nicht einfacher wäre, anstatt eines Anlassbezugs eine etwas andere Regelung zu ergreifen. Das ist legitim, führt aber nach Ansicht der Landesregierung nicht weit genug.

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Berliner Ladenöffnungsgesetz ist völlig klar – dies bleibt unverrückbar –: Der Anlassbezug für Sonntagsöffnungszeiten muss gewahrt bleiben. Eine Streichung des Anlassbezugs, wie in dem Gesetzentwurf vorgesehen, ist nach Auffassung der Hessischen Landesregierung mit deEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht vereinbar und deshalb auch nicht zu akzeptieren.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Regel, dass Sonn- und Feiertage Tage der Arbeitsruhe sind, muss erkennbar beibehalten werden, und Ausnahmen müssen Ausnahmen bleiben. Deswegen brauchen wir ein Kriterium, um diese Ausnahmen zu definieren. Der Anlassbezug im Hessischen Ladenöffnungsgesetz ist ein solches Kriterium. Er hat sich bewährt, weil damit auch einhergeht – das war ja Gegenstand einzelner Gerichtsurteile –, dass der Anlassbezug nicht durch kreative Maßnahmen der Kommunen ausgehebelt werden darf.

Wer ein Fest zu einem Traditionsfest erhebt, obwohl es das erste Mal stattfindet, um damit zu begründen, dass an einem Sonntag die Läden geöffnet sind, der hat den falschen Weg gewählt. Wer Öffnungszeiten an einem Sonn- oder

Feiertag beantragt, weil in einem Stadtteil ein Markt stattfindet, der eine Tradition hat und Kundenströme zu diesem Markt leitet, hat ein Recht, das zu tun. Wer aber den Antrag so ausweitet, dass auch in einem 10 km entfernten Stadtteil die Läden geöffnet sein dürfen, der hat das Gesetz falsch ausgelegt.

Insofern ist die Regelung in dem Gesetzentwurf, eine sonnund feiertägliche Ladenöffnung bezirksbezogen zu ermöglichen, nicht der richtige Weg. Angesichts der 43 Stadtteile Frankfurts würde eine bezirksbezogenen Öffnung der Läden an Sonntagen bedeuten, dass in Frankfurt im Wechsel an jedem Sonntag in einem Bezirk die Läden offen wären. Das kann nicht sein, und ich glaube, das kann auch nicht gewollt sein.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insofern muss man ganz genau danach schauen, wo es Interpretationsschwierigkeiten gibt und wo man Hilfestellung leisten möchte, diese Interpretationsschwierigkeiten zu überwinden, ohne das berühmte Kind mit dem Bade auszuschütten und Regelungen zu treffen, die einer generellen Öffnung Tür und Tor aufmachen. Ich denke, das muss nicht Inhalt eines Gesetzentwurfs sein.

Im Übrigen sieht dies auch der Hessische Einzelhandelsverband so, mit dem ich in dieser Woche ein Gespräch geführt habe. Wir haben uns sehr intensiv über diese Fragestellungen auseinandergesetzt.

Insofern sehe ich einer Anhörung zu diesem Gesetzentwurf mit großem Interesse entgegen, gehe aber davon aus, dass in dieser Anhörung auch die Vertreter der Kirchen, der Arbeitnehmer und andere gehört werden, damit wir ein differenziertes Bild zu diesem Gesetzentwurf erhalten.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Abg. Rentsch, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Staatsminister, ich will, weil Sie aus meiner Sicht viel Richtiges geäußert haben – in der Bewertung kann man unterschiedlicher Auffassung sein –, sagen, dass mir die Pressemitteilung des Hessischen Einzelhandelsverbandes vorliegt, der unseren Gesetzentwurf lobt. Auf die Anhörung freue ich mich daher definitiv. Ich glaube, wir können beruhigt in diese Anhörung gehen.

(Beifall bei der FDP)

Staatsminister Grüttner hat den Bürgerinnen und Bürgern, die heute im Hessischen Landtag zu Gast sind, erklärt – ich will es noch einmal unterstreichen –: Die gesetzliche Grundlage sieht in Hessen zurzeit die Möglichkeit vor, dass die Kommunen vier „Einkaufssonntage“ im Jahr beschließen können, wenn es ein sogenanntes Sonderereignis gibt. Die Kommunen führen zu diesem Zweck besondere Festivitäten durch. Diese Festivitäten sollen eigentlich tradiert, also althergebracht, sein. Deshalb haben einige Gerichte, die von Herrn Schaus und den Gewerkschaften beauftragt worden sind – –

(Zurufe von der LINKEN)

Ich habe Herrn Schaus mehrfach in Kolloquien mit den Gewerkschaften erlebt, wie er für den Schutz des Sonntags und gegen Arbeitsplätze gekämpft hat. Insofern wird das doch gar nicht bestritten. Ist es denn so schlimm, dass Sie in einer Phalanx mit den Gewerkschaften agieren?

(Zurufe von der LINKEN)

Herr Kollege Schaus, Fakt ist, dass z. B. das Verwaltungsgericht in Darmstadt gesagt hat: Der Markt, den die Kommune macht, ist eine Extra-Kreation, damit man einen „Einkaufssonntag“ durchführen kann. Deshalb sagen wir: Es ist wirklich althergebracht und nicht zukunftsgewandt, wenn man eine solche Regelung, eine solche rechtliche Unsicherheit in einem hessischen Gesetz stehen lässt. Deshalb muss der Anlassbezug gestrichen werden.

(Beifall bei der FDP)

Zweitens. Der Anlassbezug kann gestrichen werden, wenn die Regeln des Verfassungsgerichts eingehalten werden. Das Verfassungsgericht hat in seiner Grundsatzentscheidung – Kollege Lenders hat sie vorhin hervorragend zitiert, leider sind die nachfolgenden Redner darauf aber nicht eingegangen – klar gesagt, dass das Regel-Ausnahme-Verhältnis von Ladenöffnungen an Sonn- und Feiertagen und von Ladenöffnungen an Wochentagen gewährleistet bleiben muss. Es darf keine Gleichstellung der Sonn- und Feiertage mit den Werktagen geben. Im Rahmen der Abwägung muss es sich also immer um eine Ausnahme handeln.