Ich bin der festen Überzeugung, dass die Krise in der Ukraine nicht militärisch gelöst werden kann. Selbstverständlich brauchen wir wirtschaftliche Sanktionen. Das sind wirkungsvolle Maßnahmen, auch wenn sie schmerzhaft sind, für mehrere Seiten.
Eines aber ist auch klar: Der Gesprächsfaden darf nie abreißen. Mit einem „frozen conflict“ löst man keine Probleme. Und eines darf man bei aller kritischen Betrachtung dessen, wie Russland gehandelt hat, auch sagen: Wir wollen Sicherheit in Europa, und zwar gemeinsam mit Russland und nicht gegen Russland.
Ein weiteres wichtiges Thema der Gegenwart in Europa ist selbstverständlich das finanzielle Debakel Griechenlands. Nach wie vor pokert die neue Regierung. Statt konkrete Reformvorschläge zu machen und zu sagen, wie sie ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllen will, um ihr Defizit abzubauen, reiste der griechische Finanzminister durch die Welt und hoffte auf Geld von Russland oder China.
Ich sehe es als positives Zeichen, dass inzwischen die Verhandlungspartner in gewissem Umfang ausgetauscht wurden, die mit Europa und den Geldgebern verhandeln sollen. Man sieht leichte Zeichen der Hoffnung, dass unter Umständen ein Stück Einsicht vorhanden ist.
Denn eines ist klar: Die aktuelle Lage ist ernst. Es ist schon schwierig, dass inzwischen weniger über die Frage diskutiert wird, ob Griechenland aus dem Euro ausscheidet, sondern dass verstärkt darüber diskutiert wird, wann eigentlich Griechenland aus dem Euro aussteigt.
Ich halte es für vollkommen richtig, dass alle Möglichkeiten genutzt werden, um die griechische Regierung zur Einsicht zu bringen. Der Euro ist nicht nur die Währung, sondern der Euro ist wichtig für Europa. Der Euro sorgt dafür, dass wir politische Stabilität haben, und er sorgt für den Zusammenhalt. Deshalb ist es auch richtig, dass wir so lange wie möglich mit Griechenland im Gespräch sind.
Aber das ist auch noch aus einem anderen Grund heraus wichtig. Sehen Sie sich die Nachbarländer an, z. B. Spanien, Portugal und Irland. Diese Länder haben Sparanstrengungen unternommen. Unterhalten Sie sich mit Vertretern
aus Lettland. Lettland hat eine Finanz- und Wirtschaftskrise durchgestanden und hat alles getan, um endlich den Euro einführen zu können. Sehen Sie sich die Situation in Frankreich an, dann wissen Sie, welche Reformnotwendigkeiten dort noch vorhanden sind. Daher muss man sagen: Es ist wichtig, mit Griechenland zu reden, aber es ist auch wichtig, den Druck nicht nachzulassen. Den Druck nachzulassen wäre ein fatales Zeichen an alle, die viel hinter sich haben oder die noch viel vor sich haben.
Damit das nicht einen falschen Zungenschlag bekommt oder überheblich aussehen mag: Auch Deutschland hatte schon seine Probleme. Noch 15 Jahre nach der Wiedervereinigung wurde Deutschland auch als „kranker Mann Europas“ bezeichnet. In Deutschland ist vieles geschehen, wurden viele Strukturreformen durchgeführt. Man braucht nur folgende Stichworte zu nennen: soziale Einschnitte durch Lohnsenkung, faktische Rentenkürzungen, flexiblere Arbeitsbedingungen, Haushaltskonsolidierung, Einführung der Schuldenbremse. Und auch das muss man sagen: Das ging auch an den Menschen bei uns nicht ganz spurlos vorüber. Auch bei uns wird Sparen gespürt. Man kann aber auch dazusagen: Diese Reformbemühungen haben Erfolg gezeigt. Das zeigt, dass es sich lohnt, sich hier einzusetzen.
In diesem Zusammenhang: Die Mitglieder der Währungsunion haben sich gegenüber Griechenland immer solidarisch gezeigt. Die Regierung Griechenlands muss aber auch begreifen, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist. Ohne Reformen wird Griechenland keine Chance haben, Mitglied der Währungsunion zu bleiben. Ich bin aber auch der festen Überzeugung, ohne Reformen würde Griechenland auch keine Chance mit der Drachme haben.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vizepräsident Wolfgang Greilich über- nimmt den Vorsitz.)
Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich nun auf ein weiteres europäisches Thema eingehen. Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen, das Kommissionschef Juncker zu Beginn seiner Amtszeit brachte:
Ich wünsche mir eine Europäische Union, die in großen Fragen Größe und Ehrgeiz zeigt und sich in kleinen Fragen durch Zurückhaltung und Bescheidenheit auszeichnet.
Diesen Satz hat Jean-Claude Juncker zu einem Leitmotiv der neuen EU-Kommission gemacht. Das ist die Zielrichtung, wie Europa zukünftig handeln will und handeln wird. Das ist auch die Zielrichtung, die wir teilen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe zu Beginn meiner Rede die Themen Sicherheit, Frieden und Stabilität genannt. Wenn wir über Sicherheit, Frieden und Stabilität reden, gehört auch immer die wirtschaftliche Situation dazu. Eine stabile Wirtschaft trägt zu Sicherheit, Frieden und Stabilität bei. Deshalb ist eine gute Wirtschaft in Europa für uns so wichtig.
Dazu gehört auch das neue Arbeitsprogramm der EUKommission. Es setzt wichtige Impulse. Das 315-Milliarden-€-Investitionsprogramm ist ein richtiger und wichtiger Schritt für mehr Arbeitsplätze, Wachstum und Investitio
nen in Europa. Was in Europa investiert wird, kommt auch in Hessen an. Deshalb begrüßen wir dieses Programm.
Ich teile auch die Ansicht der Kommission, dass wir gerade in einem Zukunftsmarkt unter dem Stichwort „digitale Wirtschaft“ herausragende Möglichkeiten der digitalen und grenzenlosen Technologie haben. Gerade in Hessen können wir sie wesentlich besser nutzen: Hessen ist ein ITStandort. Hessen hat rund 120.000 Beschäftigte, in Hessen werden 40 Milliarden € umgesetzt, und es gibt rund 10.000 Unternehmen in diesem Bereich. Das ist für uns eine Branche von besonderer Bedeutung. Wir wissen, dass im digitalen Binnenmarkt riesige Potenziale stecken, und wir wissen, welches Wachstum mit den Zahlen im digitalen Binnenmarkt Europas verbunden ist. 340 Milliarden € Wachstum und Hunderttausende neue Arbeitsplätze werden damit in Zusammenhang gebracht.
Aber wir wissen auch, dass in diesem Bereich noch einiges zu tun ist, um die entsprechenden Möglichkeiten zu nutzen. Um das zu schaffen, brauchen wir die Freiheiten des EU-Binnenmarktes auch in der digitalen Wirtschaft. Interessant ist schon, wenn man sieht, dass wir die Grenzbäume auf den realen Verkehrswegen abgebaut, im digitalen Bereich aber noch stehen haben. Ich möchte Ihnen hierfür ein Beispiel nennen: das sogenannte Geoblocking, mit dem Angebote von Dienstleistern aus dem Ausland einfach ausgeblendet werden. Wir werden uns bestimmt noch lange mit den Fragen des Urheberrechts und der Reform des Telekommunikationsmarktes beschäftigen. Das heißt, die digitale Wirtschaft bietet uns Chancen, wenn wir Barrieren abbauen.
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt nennen, der auch für Hessen wichtig ist. Man kann in 20 Minuten nur wenige Dinge anreißen. Da möchte ich das viel diskutierte Transatlantische Freihandelsabkommen nennen, in der Öffentlichkeit ein schwieriges Thema, teilweise sehr emotional diskutiert, inzwischen erfreulicherweise ein Stück differenzierter. Was man auf alle Fälle feststellt: Dieses Thema bewegt viele Menschen. Aber wir wissen auch, dass ein Handelsabkommen eine Chance für die hessische Wirtschaft sein kann.
Wir kennen auch die Bedenken, die es vor mehr als 50 Jahren gegen den Europäischen Binnenmarkt gegeben hatte, indem man befürchtete, dass getroffene Handelsregeln unter Umständen zum Nachteil einzelner Mitgliedstaaten gereichen könnten. Das muss man an der Stelle immer sagen: Wenn Menschen Bedenken haben, dann soll man die Bedenken aufnehmen, offensiv damit umgehen und transparent darüber diskutieren. An der Stelle gab es in der Vergangenheit durchaus Defizite. Man muss aber auch klar sagen: Wo wären wir heute eigentlich, wenn wir den Europäischen Binnenmarkt nicht hätten, wenn wir die Marktchancen nicht genutzt hätten?
Insofern müssen wir uns heute auch die Frage stellen: Wo wären wir, wenn wir ein entsprechendes Handelsabkommen nicht abschließen würden? Das Handelsabkommen bietet große Chancen, Zölle und andere Handelsbarrieren abzubauen, gemeinsame Standards zu entwickeln, selbstverständlich immer mit der Prämisse, dass Standards, die
uns wichtig sind, nicht aufgegeben werden, sei es z. B. im Gesundheits-, Lebensmittel- oder Verbraucherschutz.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich glaube, dass wir angesichts der Chancen, die wir da haben, bei der Diskussion in der Vergangenheit einen Aspekt ein Stück weit vernachlässigt haben: Wenn wir über TTIP gesprochen haben, haben wir zu wenig über den geostrategischen Ansatz gesprochen. Wir haben meines Erachtens auch zu wenig darüber gesprochen, wie wichtig es ist, dass Europäer, wenn sie wollen, dass ihre Standards in der globalen Wirtschaft gelten, auch entsprechende Abkommen schließen, in denen diese Standards eine Rolle spielen. Wir wollen Geschäfte mit denen machen, die unsere Werte teilen.
Sehr geehrte Damen und Herren, im Herbst wird es im Landtag eine Anhörung zu TTIP geben, Experten werden ihre fundierten Einschätzungen hierzu abgeben. Ich glaube, dass wir an dieser Stelle auch die Chancen für die mittelständische Wirtschaft noch ein Stück deutlicher machen sollten.
Hessische Unternehmen exportieren für mehr als 6 Milliarden € in die USA. Speziell Unternehmen aus dem Bereich der Pharma- und der Chemieindustrie haben hier Chancen, weil einheitliche Zulassungen und die Reduzierung von bürokratischem Aufwand bedeuten, dass man Kosten sparen und diese Mittel wiederum in die Forschung investieren kann. Insofern lassen Sie uns über dieses Thema in einer Art und Weise diskutieren, dass wir Chancen und Risiken erkennen, es aber nicht von vornherein ablehnen.
Sehr geehrte Damen und Herren, 20 Minuten sind schnell um. Lassen Sie mich nur noch auf einige wenige Punkte eingehen. Hessen ist ein wirtschaftsstarkes Land. Wir sind eine der wirtschaftsstärksten Regionen innerhalb Europas. Bezogen auf die Einwohnerzahl ist Hessen größer als zwölf andere EU-Mitgliedstaaten. Wir haben eine größere Wirtschaftskraft als Dänemark oder Österreich. Wenn Sie sich das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner ansehen, liegt Hessen innerhalb des Rankings der EU-Mitgliedstaaten auf Platz 4. Damit kann man zum Ausdruck bringen, warum die Wirtschaft für uns so wichtig ist.
Sie kennen den Standort Rhein-Main: Flughafen, Europäische Zentralbank, Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen, Finanzplatz, IT-Standort. Das zeigt, dass das Rhein-Main-Gebiet, insbesondere Frankfurt, ein Standort von besonderer Bedeutung ist. Nicht umsonst wird Frankfurt häufig auch als vierte Hauptstadt Europas bezeichnet.
Das bedeutet wiederum, dass für uns als Hessische Landesregierung der Bereich der Wirtschaft besonders ist, wenn wir in Europa entsprechende Dinge erreichen wollen. Dafür ist die Europastrategie der Landesregierung maßgebend, die im Moment in der Aufstellung ist und die sich an
Ich möchte nur drei Stichworte nennen: Selbstverständlich ist für uns das Subsidiaritätsprinzip maßgeblich. Deswegen sagen wir, Europa ist groß im Großen, und wir sind stark in dem, was wir besonders gut können. Als Land können wir beweisen, wie erfolgreich Föderalismus ist. Wir wollen im Bereich der dualen Ausbildung, dass der Meisterbrief weiter Bestand hat.
Ein sehr drängendes Thema ist die Arbeitsmigration. Wir brauchen eine Strategie zur Arbeitsmigration, um dem demografischen Wandel zu begegnen und den Fachkräftemangel ausgleichen zu können.
Sehr geehrte Damen und Herren, deshalb: Ja, wir vertreten unsere Interessen, indem die Landesregierung sie gemeinsam formuliert, aber auch gemeinsam in Brüssel vertritt, über die Landesvertretung oder auch durch Besuche der politisch Verantwortlichen, der Ressortminister, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesvertretung, von Staatssekretär Weinmeister und mir.
Abschließend möchte ich sagen: Europa ist für uns wichtig, wir haben in Europa Interessen; ich habe ein paar Punkte formuliert. Man muss Europa aber auch ein Stück weit im Herzen tragen.
Wenn wir wollen, das Europa gelebt wird, dann müssen sich Menschen für Europa engagieren, z. B. in den Partnerschaftsvereinen und in den Bereichen, in denen Öffentlichkeitsarbeit gemacht wird. Viele Akteure betreiben Öffentlichkeitsarbeit für Europa. Hierzu zählen beispielsweise die Europa-Union, die Landeszentrale für politische Bildung, das Europakomitee und Europaschulen. Wir wissen, dass es viele gibt, die den europäischen Gedanken tragen, die sich engagieren und andere dazu bringen, sich zu engagieren. Wir wollen zukünftig alle, die in diesen Bereichen aktiv sind, in einer besonderen Art und Weise vernetzen. Wir wollen ein „Netzwerk für Europa“ in Hessen schaffen, um ihre Aktivitäten miteinander zu verknüpfen.
Wir starten diesen Prozess noch in diesem Jahr mit einem Europaempfang der Landesregierung. Wir werden unterschiedliche Akteure zusammenbringen. Staatssekretär Weinmeister und ich haben in der Reihe „Begegnungen“ viele interessante Europäer kenngelernt. Sie sind hervorragende Botschafter eines modernen und lebendigen Europas. Auch diese werden unsere Gäste sein.
Wir werden digital die Möglichkeit schaffen, Aktivitäten und Veranstaltungen aller hessischen Europaakteure zu bündeln und in Zukunft ein Stück weit besser zu kommunizieren, indem wir die Informationen besser an die Menschen herantragen, in die Breite bringen, damit die europäischen Aktivitäten besser zur Kenntnis genommen werden können. Man könnte auch sagen: Wir werden das Netz noch enger knüpfen und damit auch stärker machen.
Sehr geehrte Damen und Herren, eine gute Gelegenheit, für Europa zu werben – die meisten von Ihnen machen es schon – ist die Europawoche vom 2. bis 10. Mai 2015. Allein in Hessen sind 129 Veranstaltungen geplant, die über
wiegend von Ehrenamtlichen organisiert werden. Viele Abgeordnete werden sich bei den Veranstaltungen engagieren.
Sehr geehrte Damen und Herren, in einer Zeit, die uns vor große Herausforderungen stellt, in einer Zeit, in der sich vieles bewegt, in einer Zeit, in der wir spüren, wie wichtig es ist, dass sich die Europäer auf ihre gemeinsamen Werte besinnen und sich für sie einsetzen, in einer Zeit, in der wir den Blick für das Wesentliche brauchen, sollten wir Europa sowohl im Kopf als auch im Herzen tragen. Deshalb: gemeinsam für Frieden, Freiheit und Sicherheit in Europa. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe. – Besten Dank.