Protokoll der Sitzung vom 28.04.2015

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der CDU)

Griechenland gehört zu Europa. Dies zu erhalten, sollte uns allen am Herzen liegen. Hier ist die griechische Regierung aber auch gefordert – das betone ich –, sie ist in der Verantwortung, sich für ein gemeinsames Europa einzusetzen und auch notwendige Reformen einzuleiten. Auch an dieser Stelle ist ganz klar festzuhalten: Populismus und Pokern helfen hier in keiner Weise. Es hilft nicht den Menschen in Griechenland und führt zu keiner Fortentwicklung im Lande selbst.

Ein Ausstieg Griechenlands aus dem Euro und eine Rückkehr zur nationalen Währung wäre jedoch ein deutlicher Rückschritt in der Europäischen Union. Auch dies würde den Menschen in keiner Weise helfen; denn eine Rückkehr zur Drachme würde keinen erkennbaren Vorteil für die Menschen in Griechenland bringen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren: Wir alle sind Europa. Es bedarf also einer gemeinsamen Lösung, um die Krise auch als Chance zu nutzen. Es ist festzustellen, dass Europa in den vergangenen Jahrzehnten immer enger zusammengerückt ist. Es hat Krisen überstanden – die Namen der Länder wurden genannt –, und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat Europa Frieden und Wohlstand in die Länder auch Osteuropas gebracht. Dies gelang nur, weil Europa sich nicht bloß erweitert, sondern auch vertieft hat. Der europäische Gedanke wurde von vielen getragen und wird es auch weiterhin.

Auch die Menschen in Europa merken immer mehr, welchen Einfluss etwa die europäische Gesetzgebung auf ihr Leben hat. Im gemeinsamen Handeln liegt eine große Chance, vielen Entwicklungen entgegenzutreten, Stichwort: Klimawandel. Es sind die Umweltstandards, die wir über Europa zu verbessern versuchen können. Es gilt, den

Ausbau der umweltfreundlichen Energien voranzutreiben. Es geht um den Schutz unserer Natur und Umwelt. All das ist Europa, all das können wir auf europäischer Ebene auf viele Mitgliedstaaten herunterbrechen und so zum Wohle aller etwas verändern.

Gerade der Verbraucherschutz ist ein Thema, das Europa beherrscht. In diesem Bereich können wir für die Verbraucherinnen und Verbraucher in den Mitgliedstaaten unglaublich viel tun. Das wird immer wichtiger für die Menschen.

Darum hat sich auch die Diskussion um das Freihandelsabkommen verändert. Die Frage nach den Inhalten von Freihandelsabkommen beschäftigt die Menschen in Europa doch wie nie zuvor. Gerade die Diskussion um das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP mit den USA zeigt dies sehr deutlich.

Man muss feststellen, dass TTIP ein Projekt ist, das so umstritten ist wie bisher kein anderes in Europa. Es regt sich massiver Widerstand gegen das Freihandelsabkommen: Am 18. April 2015 wurde in Europa, ja, weltweit dagegen demonstriert. Auch die Kirchen haben sich zu Wort gemeldet und kritische Fragen zu dem Abkommen gestellt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Proteste zu ignorieren hieße, berechtigte Ängste der Bevölkerung, der Bürgerinnen und Bürger zu ignorieren. Aber Ignoranz bringt das Friedensprojekt Europa, das immer ein Projekt der Menschen war, in Gefahr. Deshalb darf man diesem Projekt nicht mit Ignoranz begegnen, sondern muss für Aufklärung sorgen. Gerade für die jungen Menschen ist dies wichtig; denn sie bewerten dieses Handelsabkommen sehr kritisch. Sie werden in ihrer Haltung bestärkt, beispielsweise über Gewerkschaften oder die bereits genannten Kirchen.

Das Misstrauen entstand durch den bisherigen intransparenten Verhandlungsverlauf von TTIP. Die Menschen befürchten nun einmal ein Abkommen, das zu einer Reduzierung der über Jahrzehnte in der EU erzielten Errungenschaften im Bereich der Lebensmittel-, Gesundheits- und auch Verbraucherrechte führt. Das wollen auch wir GRÜNE nicht. Wir wollen aber, dass Europa ein Handelsabkommen im Sinne der Menschen verhandelt; denn auch hier gibt es sehr viele Wünsche vonseiten der Wirtschaft. Dort sagt man, Handelsabkommen seien wichtig. Wir haben es vorhin gehört: Die Wirtschaft in Hessen profitiert ebenfalls davon.

(Manfred Pentz (CDU): Ganz genau!)

Was wichtig ist – und da haben wir auch eine gemeinsame Beschlusslage mit unserem Koalitionspartner –: CDU und die GRÜNEN sind sich einig, dass es ein Absenken der Standards nicht geben darf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Aber es ist notwendig, darzustellen, wo die Risiken und wo die Chancen dieses Handelsabkommens liegen. Wir sind deshalb sehr erfreut darüber, dass der Landtag im Rahmen einer Anhörung ausführlich für Aufklärung über die Standards sorgen will. Den Ausschlag gab ein Antrag der FDP, der sich ausschließlich auf TTIP bezog. Wir haben uns aber dafür eingesetzt, dass, wenn eine Anhörung zu einem Handelsabkommen durchgeführt wird, die ebenfalls in der öffentlichen Diskussion befindlichen weiteren Abkommen wie TiSA mit den USA oder CETA mit Kanada auch in

der Anhörung betrachtet werden. Wir gehen davon aus, dass diese Anhörung sehr umfassend sein wird und dass sehr viele Fragen in dieser Anhörung geklärt werden können.

Meine Damen und Herren, die Hessische Landesregierung hat ab Juli dieses Jahres den Vorsitz der Europaministerkonferenz. Hier besteht die Möglichkeit für Hessen, sich in die Entscheidungsprozesse der Europäischen Union einzubringen und die Interessen der Menschen in Hessen mit Nachdruck zu vertreten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Ich sehe dies als eine große Chance, weil damit die Interessen, die die Menschen in Hessen artikulieren, direkt nach Europa getragen werden und somit Veränderungen möglich sind.

Liebe Kollegen und Kolleginnen, lassen Sie uns gemeinsam für ein Europa der Toleranz und des Respektes arbeiten, ein Europa mit klaren, fairen Regeln, mit Transparenz für Bürgerinnen und Bürger. Lassen Sie uns gemeinsam für ein Europa werben und denen entgegentreten, die mit Egoismus und Populismus diesen so wertvollen Zusammenschluss von Nationen infrage stellen. Treten wir ein für eine Union der Solidarität, für eine gelebte Humanität in der Grenzpolitik, und fördern wir das Gemeinschaftsgefühl zwischen den Mitgliedstaaten.

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Ich komme zum Ende, Herr Präsident. – Europa ist immer dann stärker und besser geworden, wenn es gemeinsam Krisen bewältigt hat. Lassen Sie uns zusammen daran arbeiten, sodass Europa noch stärker wird. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hammann. – Als Nächster hat für die Fraktion DIE LINKE Herr Abg. Willi van Ooyen das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sicherlich – Frau Ministerin, Sie haben es gesagt – sind wir alle entsetzt über das massenhafte Sterben im Mittelmeer. Europa wird angeklagt, weltweit von der UNO und den Menschenrechtsorganisationen. Es wird eine Umkehr in der europäischen Flüchtlingspolitik angemahnt.

Angesichts der gegenwärtigen Kriege und Krisen von Marokko über Mali, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, am Horn von Afrika, in weiten Teilen Afrikas, im Nahen Osten, in Jordanien, im Libanon, in Syrien, dem Irak, in Pakistan und Afghanistan, aber auch in der Ukraine, muss Europa, muss Deutschland Verantwortung übernehmen und der kriegerischen Zerstörung ein Ende setzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Ministerin, Waffenlieferungen und Sanktionen sind dafür eher hinderlich.

Die Rettung von Menschen ist die aktuelle Aufgabe. 1.750 tote Flüchtlinge seit Jahresbeginn, 5.500 Tote seit dem Unglück von Lampedusa im Oktober 2013 sind unerträglich und eine Schande für Europa.

Angesichts der katastrophalen Zustände in vielen Flüchtlingslagern jenseits des Mittelmeeres müssen die dort gestrandeten Flüchtlinge jetzt unterstützt werden, bevor sie in marode Boote steigen und sich in Lebensgefahr begeben.

Die Pläne der EU-Regierungschefs kann ich nur als bösartige Realitätsverweigerung bezeichnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es wird so getan, als würden Schlepper die Menschen dazu bringen, ihre Länder zu verlassen. Flüchtlinge aus Syrien und Eritrea, einer der schlimmsten Regionen in Afrika, werden völlig unverfroren als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet. Auf widerliche Art und Weise wird ihnen jede Mündigkeit abgesprochen und das verbriefte Menschenrecht, ihr Land zu verlassen, als unzulässig dargestellt. Militär soll nunmehr die Boote der angeblichen Schmuggler zerstören. Die Folge werden noch schlechtere Boote sein und damit noch mehr Tote auf dem Mittelmeer.

Diese Forderungen offenbaren, dass sich Merkel, Cameron, Hollande und ihre Kollegen von jeglichen europäischen Werten um Lichtjahre entfernt haben. Menschenwürde gilt offensichtlich nur für die eigenen Staatsbürger. Nach den neuen Beschlüssen setzt die Politik Abschottung und Verweigerung fort. Den Schleppern das Handwerk legen will Europa – und auch Sie, Frau Staatsministerin. Gemeint ist wiederum: Abschottung um fast jeden Preis.

Ja, die Schleuser sind skrupellos. Aber sie können ihr Unwesen nur aus zwei Gründen treiben: erstens, weil es so viele Menschen gibt, die keinen anderen Ausweg sehen als Flucht, und zweitens, weil Europa diesen Menschen jeden legalen Zugang zu seinen Asylsystemen verweigert. Wer jetzt, womöglich militärisch, den letzten Zugang blockiert, mag sie vor dem Ertrinken bewahren, eine Chance gibt er ihnen nicht.

Wir fordern legale und gefahrenfreie Wege für die Flüchtlinge nach Europa. Die bestehenden humanitären Aufnahmeprogramme müssen großzügig genutzt werden. Beispielsweise sollte Deutschland, wo die meisten Syrer in Europa leben, die Einreise ihrer Familienangehörigen weiterhin ermöglichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Statt eines sinnlosen Krieges gegen Schmuggler brauchen wir endlich sichere Wege in die EU für alle, die in Not sind. Wir brauchen dringend eine funktionierende Seenotrettung im Mittelmeer. Wir brauchen ein verpflichtendes Programm zur Neuansiedlung von Flüchtlingen in Europa.

Deshalb habe ich bereits im Unterausschuss Heimatvertriebene dafür geworben, statt Schlauchboote Fähren nach Europa zu organisieren – in Erinnerung an die Cap Anamur –, um Menschen zu retten. Diese könnten dann in Hamburg anlanden und bräuchten nicht über Lampedusa den Weg nach Europa zu finden.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Ursula, zu unserem Antrag. Ich habe noch nicht gesehen, dass die GRÜNEN sich vom Schlepptau der CDU so befreien, dass sie inhaltlich auf die einzelnen Akzente eingehen könnten. Wenn Sie aber meinen, dass wir darüber diskutieren sollten, dann sollten wir möglicherweise eine Einzelabstimmung zu den einzelnen Passagen des Entschließungsantrags machen. Wir wollten jedenfalls mit diesem Antrag deutlich machen, dass wir eine grundsätzlich andere Politik wollen. Wir wollen die Fähren statt der Schlauchboote.

(Beifall bei der LINKEN)

Übrigens habe ich hier auch noch kein einziges Wort davon gehört, dass die EU-Landwirtschaftspolitik die afrikanische Bauern in den Hunger treibt, von industriellem Fischfang, der vielen Afrikanern die Existenz zerstört, von Rüstungsexporten in Länder, die in Nordafrika und im Nahen Osten zündeln. Dazu haben Sie hier überhaupt keinen Ton gesagt. Es ist nichts davon zu hören, was die Ursachen dieser Kriege und Flüchtlingssituationen sind.

Wir fordern eine einheitliche, humane Flüchtlingspolitik in Europa mit verbindlichen Mindeststandards für die Aufnahme und Unterstützung der Flüchtlinge – dazu wird morgen in der Debatte sicherlich einiges gesagt werden. Ich will daran erinnern, dass wir hier keine Gettos schaffen, sondern die Flüchtlinge eher in Blankenese in Hamburg oder auf dem Lohrberg in Frankfurt unterbringen sollten. Die Gettoisierung, die wir jetzt bei dieser Flüchtlingsbewegung erleben, wird sicherlich morgen Thema der Auseinandersetzung sein.

Meine Damen und Herren, Europa kommt nicht aus der Krise, und mit jedem Jahr werden die Meldungen schlimmer: Rekordzahlen bei den Arbeitslosen nicht nur in Griechenland und Spanien, Kürzungen von Löhnen, Renten und Sozialleistungen, Ausgrenzung von Armen, verschlossene Grenzen für Menschen auf der Flucht. Die Politik von Troika und EU treibt ganze Staaten in den Ruin und setzt sie unter Druck, Löhne zu senken und Arbeitnehmerrechte einzuschränken, während die Reichen und Vermögenden und die Banken ungeschoren bleiben.

Lohndrückerei in Deutschland und das Handeln der Bundesregierung sind wesentlich verantwortlich für die Eurokrise und die herrschende Politik in der EU. Die anderen Parteien haben dies unterstützt und aktiv vorangetrieben. Die SPD hat sich anscheinend festgelegt, die Europapolitik von Merkel auch in der Großen Koalition weiterzuführen.

Wir wollen ein solidarisches Europa, ein Europa der Menschen und nicht ein Europa der Konzerne. Krieg darf in diesem Europa kein Mittel der Politik sein. Der Waffenhandel muss sofort beendet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Statt der Festlegung auf eine kapitalistische Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb muss das EU-Recht den Vorrang demokratischer und sozialer Rechte vor wirtschaftlichen Freiheiten verankern.

Wir wollen ein offenes, ein grenzenloses, ein entmilitarisiertes Europa, das von Wladiwostok bis Lissabon kooperiert. Statt menschenfeindlicher Kürzungspolitik fordern wir höhere Löhne und ein großes europäisches Investitions- und Aufbauprogramm, finanziert durch europaweite Vermögensabgaben der Millionäre.