Es besteht kein Streit darüber, dass wir in Hessen Menschen Schutz gewähren wollen. Es gibt keinen Streit darüber, dass wir uns unserer Verantwortung und unserer Pflicht als Wertegemeinschaft in der Europäischen Union bewusst sind. Es ist selbstverständlich, wenn Menschen Schutz suchen, dass sie auch bei uns in Hessen eine neue Heimat finden sollen.
Deswegen möchte ich an dieser Stelle ganz klar alle Anschläge, die es auf Asylbewerberheime gibt, sei es in Hessen oder in ganz Deutschland, verurteilen. Das ist eine Straftat, das hat keinen Platz in dieser offenen Gesellschaft, die wir sind. Wir verurteilen es auch, wenn lokale Politikerinnen und Politiker und engagierte Bürgerinnen und Bürger sich für Flüchtlinge einsetzen und dafür von anderen Menschen eingeschüchtert werden. Das ist keine Vaterlandsliebe, sondern Handeln gegen den demokratischen Willen unseres Landes. Flüchtlinge sind in diesem Land willkommen. Das möchte ich festhalten.
Bei jeder Diskussion, die wir führen, bei jeder Frage, die wir stellen, sollten wir sortieren, was wir als Europäische Gemeinschaft nicht bereit sind, mit den Menschen zu teilen, die zu uns flüchten wollen. Was ist es? Ist es unsere Erde, ist es Europa, das Stück Land, das wir nicht teilen wollen? – Das kann es, glaube ich, nicht sein. Sind es unsere Werte, unsere Stabilität und unsere Sicherheit, die wir nicht teilen wollen? – Das kann es auch nicht sein, denn wir sind eine Wertegemeinschaft.
Oder ist es, wie manche Menschen behaupten, unser Sozialstaat, den wir nicht teilen wollen? – Dazu möchte ich ganz klar sagen: Menschen, die sich auf die Flucht begeben, Boote nehmen, die ihnen den Tod bringen werden, dafür Tausende, manchmal sogar Zehntausende von Euro bezahlen, kommen nicht nach Europa, um die 375 € Sozialhilfe zu bekommen. Diese Menschen kommen nach Europa, weil sie Angst um ihre Zukunft haben, weil sie vor Gewalt flüchten. Von daher bitte ich darum, dass wir mit unseren Werten und unseren Menschenrechten, die wir für uns beanspruchen, großzügiger sind und diese Rechte auch den Menschen zuerkennen, die zu uns flüchten wollen.
Noch einen Punkt möchte ich ansprechen und dann zu den Inhalten der Anträge übergehen. Letzte Woche haben wir gemeinsam daran gedacht, dass der Völkermord an den Armeniern sich zum 100. Mal gejährt hat. Wir haben alle darum gestritten, dass wir das auch so benennen. Mir war es wichtig, dass man es Völkermord an den Armeniern benennt. Armenier sind damals in die Wüste nach Deir ezZor vertrieben worden. Viele Armenier haben sich damals in Deir ez-Zor eine neue Heimat aufbauen müssen. Viele Nachkommen dieser Armenier sind jetzt aufgrund der kriegerischen Situation wieder auf der Flucht. Viele dieser Menschen haben mir berichtet, dass sie gezwungen sind, über illegale Fluchtwege nach Libyen zu kommen, und von dort aus versuchen, mit diesen Booten nach Europa zu gelangen.
Wir machen uns also auch historisch mitschuldig an den Nachkommen dieser Armenier, aber nicht nur an den Armeniern, wenn wir nicht endlich legale Wege nach Europa organisieren. Das ist eine gemeinsame Herausforderung. Die Europäische Union hat, glaube ich, dieses Umdenken erkannt. Jetzt ist die Frage, ob wir wenigstens am 8. Mai auf Bundesebene, beim nationalen Flüchtlingsgipfel, ein Umdenken und ein anderes Umsetzen in den legalen Wegen nach Europa erreichen. Das ist unser Wunsch. Ich hoffe, dass das auf Bundesebene erreicht wird.
Meine Damen und Herren, zu Hessen. In Hessen haben wir uns seit eineinhalb Jahren regelmäßig mit der Flüchtlingspolitik beschäftigt. Wir haben öfter darüber diskutiert, welcher Schritt gegangen werden muss. Es ist aber falsch, wenn man der Landesregierung vorwirft, überhaupt nicht zu handeln und keine Verbesserungen erzielt zu haben. Es ist doch diese Landesregierung gewesen, die mit Unterstützung der Koalitionsfraktionen eine 15-prozentige Erhöhung der Pauschalen hinbekommen hat. Das ist etwas, was man einfach anerkennen muss. Es ist auch wichtig, dass wir im Nachtragshaushalt 2014 die Summen erhöht haben, die den Kommunen zur Verfügung gestellt worden sind.
Das kann man meiner Meinung nach in der Diskussion nicht einfach mit der Hand wegwischen und so tun, als würden wir nicht der Verantwortung gerecht werden.
(Gerhard Merz (SPD): Wer hat das gemacht? – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das stellt niemand infrage!)
Wir haben es gemacht. – Wenn wir ernsthaft vor Ort in den Kommunen die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen erhalten wollen, dann ist es wichtig, dass wir von dieser Geld- und Streitfrage wegkommen.
Viele Menschen in den Kommunen engagieren sich vor Ort. Wir brauchen engagierte und innovative Kommunen, die sich einen Weg überlegen, wie man ehrenamtliche Menschen, die sich beispielsweise für Sprachkurse und soziale Betreuung stark machen, auf der kommunalen Ebene koordiniert und sie in die lokale politische Entscheidung einbezieht.
Was die Unterbringung betrifft, brauchen wir unterschiedliche Antworten. Im Ballungsraum sieht die Situation anders aus, da sind die Bedarfe anders als im ländlichen Raum Hessens. Von daher können wir nicht mit einer einfachen Antwort suggerieren, dass dort die Lösung sei. Wir müssen mit den Kommunen weiter gemeinsam Dialoge führen. Das haben wir in der Vergangenheit gemacht und werden es auch in Zukunft machen.
Es ist aber wichtig, zu unterscheiden, dass wir im Ballungsraum nicht sagen können, Gemeinschaftsunterkünfte, die über 50 Personen aufnehmen, sollten eine Ausnahme sein. Das fordert die SPD. Wir wissen doch genau, dass viele Kommunen vor Ort das nicht schaffen werden. Sie brauchen Raum, damit den Menschen ein Dach über dem Kopf gegeben werden kann. Wenn wir jetzt mit Vorgaben an die Kommunen herantreten, laufen wir Gefahr, unüberbrückbare Probleme zu erzeugen.
Ich wünsche mir auch, dass ein höherer Betreuungsschlüssel organisiert wird. In der aktuellen Situation müssen wir uns aber darauf konzentrieren, dass wir die Menschen sozial und ehrenamtlich vor Ort begleiten.
Wir müssen Sprachkurse zur Verfügung stellen. Da ist der Bund in der Pflicht. Wenn der Bund nicht mehr Mittel zur Verfügung stellt, die wir als Länder an die Kommunen weitergeben können, dann ist das ein Streit, der uns in den nächsten Jahren lange beschäftigen wird. Er wird den Menschen vor Ort aber nichts bringen.
Mein Plädoyer lautet: Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns nicht im Klein-Klein verharren oder an den kleinen Streitpunkten verirren. Lassen Sie uns lieber uns weiter im Dialog über den besten Weg austauschen.
Es ist mir wichtig, dass wir im Interesse der Menschen vor Ort zu Lösungen kommen. Es ist mir wichtig, dass wir im Interesse einer pluralen und werteorientierten Gemeinschaft zu Lösungen kommen. Es ist mir wichtig, dass wir im Interesse der Menschlichkeit zu Lösungen kommen. Denn: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Die des Flüchtlings und des Arbeitsmigranten auch. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich möchte Sie darüber informieren, dass noch eingegangen und auf Ihren Plätzen, wie angekündigt, der Dringliche Entschließungsantrag von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Flüchtlingstragödien im Mittelmeer erschüttern Europa, Drucks. 19/1906, verteilt wurde. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Entschließungsantrag Tagesordnungspunkt 73 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, gemeinsam mit den Tagesordnungspunkten 40, 71, 72 und 18 ebenfalls zu diesem Thema aufgerufen werden.
Für eine Kurzintervention hat sich Kollege Merz von der SPD-Fraktion gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort. Zwei Minuten.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Öztürk, niemand hat behauptet, dass die Landesregierung nicht gehandelt hätte. Ich habe von diesem Pult aus mehrmals erklärt, dass wir anerkennen, welche Anstrengungen im Bereich der Erstaufnahme und Unterbringung gemacht worden sind. Ich habe dafür ausdrücklich dem Staatssekretär und dem Regierungspräsidenten gedankt. Auch haben wir mehrmals von diesem Pult aus erklärt, dass wir anerkennen, dass die Pauschalen angehoben worden sind. Aber es bleibt ein simples Faktum, Frau Kollegin, dass die bei den Kommunen entstehenden Kosten nicht in voller Höhe dem Grunde und der Sache nach erstattet werden. Das ist ein Faktum, das bleibt ein Faktum.
Nach unserer Lesart der Rechtslage ist das Land zu einer solchen vollständigen, im Rahmen von Pauschalen zu regelnden Erstattung verpflichtet. Das ist die Situation, und dieser Situation stellen Sie sich nach wie vor nicht,
weil die Schätzungen so sind, dass auch nach der Erhöhung der Pauschalen um 15 %, die jetzt umgesetzt worden ist, eine Deckungslücke zwischen 30 % und 40 % – wahrscheinlich näher an den 40 % – bleibt.
Punkt zwei, Frau Kollegin: Die Aufnahmefähigkeit und die Aufnahmebereitschaft der Menschen in den Kommunen, in den Stadtteilen, in den Landkreisen, in den Dörfern und in
den Städten stehen und fallen mit der Ausstattung der Unterbringung, stehen und fallen mit der Qualität der Betreuung. Deswegen sind zwei Dinge undabdingbar und gehören zusammen, nämlich dass wir uns über Standards verständigen. Wenn Sie zugehört hätten, was mein Fraktionsvorsitzender gesagt hat, und wenn Sie gelesen hätten, was unter Punkt 6 unseres Antrags steht, würden Sie gehört und gesehen haben, dass das, was wir hier formulieren, ein Diskussionsbeitrag ist und wir von der Landesregierung nicht mehr, aber auch nicht weniger erwarten,
als dass sie endlich in Gespräche über landesweite, regional durchaus differenzierbare Standards eintritt, auf deren Grundlage dann erst vernünftig über kostendeckende Pauschalen geredet werden kann.
Herr Kollege Merz, ich schätze Sie sehr, und deswegen bin ich auch noch einmal hierhin gekommen, um Ihnen eine Antwort zu geben.
Natürlich habe ich Ihren Antrag gelesen, und natürlich wissen wir, dass wir mit unserer Pauschale nicht die Kosten decken. Was wir aber nicht machen, ist, mit dem Finger auf andere zu zeigen, während wir dieses Problem auch in anderen Bundesländern haben,
in anderen Bundesländern, wo die SPD gemeinsam mit den GRÜNEN regiert oder auch die SPD mit den LINKEN.
Bundesweit haben wir nirgends eine kostendeckende Pauschale, außer in Bayern, so heißt es, und auch da müsste man einmal nachschauen.