Protokoll der Sitzung vom 30.04.2015

Sehr geehrter Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ja, das ist ein guter Tag für Hessen. An der Initiative Pro Abschluss gibt es nichts zu kritisieren. Eine gute Ausbildung ist am Ende, langfristig gesehen, für jeden Arbeitnehmer die beste Methode, seinen Arbeitsplatz zu sichern. Sie schützt am ehesten vor Arbeitslosigkeit. Es ist auch die beste Methode, um im Berufsleben einen Aufstieg zu erlangen und eine bessere Qualifikation zu erreichen.

Meine Damen und Herren, das ist aber nur ein Baustein zur Gewinnung von Fachkräften. Herr Kollege Bocklet, es wäre schön gewesen, wenn Sie sich nicht so lange an diesem einen Punkt aufgehalten hätten – der nicht zu kritisieren ist –, sondern auch noch die anderen Fälle benannt hätten, die zur Initiative der Landesregierung oder der GRÜNEN gehören. Es sind noch andere Felder zu bearbeiten, um die Fachkräfte in Hessen und in Deutschland zu sichern.

Wenn wir uns die demografische Entwicklung anschauen, dann lässt sich das für die nächsten 40 Jahre relativ leicht voraussagen, sogar die regionale Entwicklung. Ganz speziell im ländlichen Raum haben wir da eine Herkulesaufgabe vor uns. Die Industrie- und Handelskammer spricht davon, dass jährlich 150.000 Fachkräfte fehlen. Meine Damen und Herren, dies ist wirklich jeder Mühe wert. Es braucht noch mehr Anstrengungen als „Pro Abschluss“ von der Landesregierung, um diesem Fachkräftemangel zu begegnen.

Meine Damen und Herren, der Übergang von der Schule zum Beruf ist eines dieser Felder. Da hat schon die vorherige Regierung Hervorragendes geleistet, z. B. mit der Schaffung der Mittelstufenschule, die eine stärkere Berufsorientierung, eine frühzeitigere Praxisorientierung ermöglicht. Auch das Programm OloV ist eine der besten Möglichkeiten, um gerade jungen Menschen klarzumachen, was sie im Berufsleben erwartet.

Die FDP-Fraktion hat das in der Regierungsverantwortung getan und setzt sich auch weiterhin dafür ein, dass wir die bestehenden Programme bündeln und die finanziellen Ressourcen darauf konzentrieren, gerade den jungen Menschen eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt zu bieten, die vielleicht nicht immer im direkten Fokus von Arbeitgebern und Ausbildungsbetrieben stehen.

Ich habe es eben schon gesagt: Die Stärkung des ländlichen Raums ist eine Herausforderung auch für das Land. Dazu braucht es eine breit angelegte Strategie, damit die Arbeitsplätze in den Regionen, im ländlichen Raum erhalten bleiben. Wir brauchen aber auch die Bildungsstrukturen im ländlichen Raum. Vielleicht werden wir heute noch Gelegenheit haben, über dieses Thema zu reden.

Meine Damen und Herren, auch eine ausgebaute Verkehrsinfrastruktur in die Ballungsräume hinein gehört dazu, um Fachkräfte im ländlichen Raum zu halten und einen Austausch mit dem Ballungsraum möglich zu machen – damit die Menschen nicht gezwungen sind, in die Ballungsräume wegzuziehen.

Meine Damen und Herren, dazu brauchen wir ein Einwanderungsgesetz. Von den GRÜNEN hat man dazu früher viel gehört, heute ist dazu eher Schweigen angesagt. Wir brauchen eine gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften

(Beifall bei der FDP)

und kein ungesteuertes Einsickern in unsere sozialen Sicherungssysteme. Das ist eine Uraltforderung der Liberalen.

(Lachen des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wenn wir uns heute mit der Situation der Flüchtlinge auseinandersetzen – wir haben uns darüber bereits unterhalten –: Diese Menschen, die über das Meer kommen, die ihre Heimat und zum Teil ihre Familien verlassen – das macht keiner von denen gerne. Geben wir diesen Menschen eine Willkommenskultur. Geben wir ihnen die Möglichkeit, hier in Deutschland einer Arbeit nachzugehen. Geben wir ihnen eine Aufgabe. Diese Menschen wollen das. Lassen Sie uns mit einem Einwanderungsgesetz diesen Menschen in unserem Land wirklich eine Chance bieten.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, dazu gehören am Ende auch die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen sowie die Hebung jenes Potenzials, das wir in den ausländischen Studenten haben. Mir ist es schleierhaft, warum wir den ausländischen Studenten – diese Ausbildung kostet ja viel Geld – hier nicht die Hand reichen, wenn sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Diese Studenten kennen dieses Land. Sie kennen die Sprache. Warum geben wir diesen Menschen nicht in einem Einwanderungsgesetz mit einem Punktesystem einen hervorragenden Vorsprung, um diese Potenziale als Fachkräfte für Deutschland, für Hessen zu heben? Das wäre aller Ehren wert. Hier fehlt jegliche Initiative seitens der Landesregierung. Hier haben wir ein Riesenpotenzial, das wir einfach links liegen lassen. Auch dazu hätte ich gerne bei Ihrem Lobesantrag etwas gehört. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Kollege Lenders. – Das Wort hat die Frau Abg. Gnadl, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Montag hat die Auftaktveranstaltung der Initiative Pro Abschluss stattgefunden. Da wurde diese Initiative vorgestellt. Jetzt haben wir dazu die Aktuelle Stunde, um sie parlamentarisch feiern zu können. Ob es aber am Ende wirklich einen Grund zum Feiern gibt, das werden die rund 400.000 Menschen in Hessen entscheiden, die keine Berufsausbildung besitzen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Am Ende wird sich diese Initiative daran messen lassen müssen, ob diese Zahl wesentlich reduziert werden kann.

Meine Bewertung dieser Initiative Pro Abschluss fällt durchwachsen aus. Positiv hervorzuheben ist, dass jetzt bei der Nachqualifizierung endlich überhaupt etwas passiert. Wir als hessische SPD haben schon vor geraumer Zeit mit unserer Ausbildungsgarantie ein solches Konzept erarbeitet und dazu einen geeigneten Lösungsvorschlag unterbreitet. Denn ein fehlender Berufsabschluss ist für die Betroffenen ein großer Nachteil und ein enormes Risiko. Wer ohne Abschluss ist, ist besonders häufig von Arbeitslosigkeit be

droht. Er findet schwerer oder überhaupt keine neue Stelle und gerät schneller in prekäre Arbeitsverhältnisse.

Meine Damen und Herren, deswegen haben wir schon vor geraumer Zeit mit unserem Konzept der Ausbildungsgarantie dazu einen Lösungsvorschlag unterbreitet. Nach meinem Eindruck spielt die soziale Problemlage dieser Menschen bisher immer eine untergeordnete Rolle und war nie Anlass, hier entschlossen vorzugehen. Erst jetzt, da dies verstärkt vonseiten der Wirtschaft als drängendes Problem gesehen wird – das Stichwort Fachkräftemangel ist heute schon mehrfach gefallen –, passiert auch in der Hessischen Landesregierung endlich etwas dazu.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das ist genau der Punkt!)

Aber besser spät als nie.

Zweitens möchte ich positiv die sogenannten Bildungscoaches in diesem Konzept hervorheben. Damit ist ein individueller Beratungsansatz erkennbar.

Die größte Schwachstelle dieser Initiative aber ist der beschränkte Kreis derjenigen, die eine solche Nachqualifizierung am Ende überhaupt in Anspruch nehmen können. Sie selbst geben als Zielgruppe ungelernte Menschen über 27 Jahre an, die bereits eine Beschäftigung haben und in kleinen oder mittleren Betrieben arbeiten. Die sollen sich innerhalb ihres Tätigkeitsfeldes weiterqualifizieren können. Das heißt aber auch, von vornherein sind die Menschen ausgeschlossen, auf die das nicht zutrifft – die möglicherweise arbeitslos sind oder in Großbetrieben arbeiten. Diese Menschen schließen Sie in ihrer Initiative am Ende aus. Die können nur hoffen, dass sie geeignete Nachqualifizierungsmaßnahmen von Jobcenter, Arbeitsagentur oder innerhalb ihres Großbetriebs erhalten. Aus unserer Sicht haben Sie es versäumt, eine einheitliche Initiative zu starten, die allen Ungelernten eine neue Perspektive bietet.

(Beifall bei der SPD)

Des Weiteren kann die Weiterqualifizierung nur dann gelingen, wenn sie der Arbeitgeber am Ende aktiv im Rahmen von Arbeitszeit und Freistellung sowie finanziell aktiv unterstützt. Was aber ist, wenn Arbeitgeber dies nicht unterstützen?

(Janine Wissler (DIE LINKE): Genau!)

Denn die Förderung soll über Qualifizierungsschecks erfolgen, d. h. lediglich 50 % der Kosten der Qualifizierungsmaßnahmen sind durch diese Schecks gedeckt; und zudem ist dieser Zuschuss auf maximal 4.000 € gedeckelt. Angesichts dessen, dass wir hier über eine Gruppe von ungelernten Arbeitskräften sprechen, die sich in niedrigen Lohngruppen wiederfinden, ist klar: Auf die können diese Weiterbildungskosten in Höhe von möglicherweise mehreren Tausend Euro abschreckend wirken, wenn sich nicht die Arbeitgeber an diesen Kosten in erheblichem Maße beteiligen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Es gibt noch weitere Details. Beispielsweise ist nicht geklärt, welche Rolle hier möglicherweise die staatlichen Berufsschulen einnehmen. Aber der Hauptunterschied zwischen Ihrem und unserem Konzept der Ausbildungsgarantie ist: Während Sie ein Konzept für die Weiterbildungsberatung und -förderung vorgelegt haben, das nur auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt ist und an viele Konditionen geknüpft ist, wollen wir als hessische SPD jungen

Menschen, die keine Berufsausbildung haben, eine Garantie dafür geben, diese Berufsausbildung nachzuholen.

(Beifall bei der SPD)

Wir halten es sowohl sozialpolitisch als auch wirtschaftspolitisch für geboten, ausnahmslos allen ungelernten Arbeitskräften in Hessen einen Anspruch auf das Nachholen eines Berufsabschlusses zu geben. Wir brauchen auch Angebote für Menschen, deren Arbeitgeber eine Weiterqualifizierung nicht unterstützen. Wir dürfen diese Menschen, die eine zweite Chance auf einen Berufsabschluss verdient haben, nicht allein lassen und nicht dem Wohlwollen Dritter aussetzen. Deswegen stehen wir weiterhin für eine Ausbildungsgarantie für alle Arbeitskräfte und ungelernten Kräfte in Hessen. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Gnadl. – Das Wort hat Frau Abg. Wissler, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist gut, dass wir uns heute, am Vortag des 1. Mai, über eine der schutzbedürftigsten Gruppen auf dem Arbeitsmarkt unterhalten: die Menschen ohne formale Qualifikation, ohne Berufsabschluss, die besonders häufig im Niedriglohnsektor und in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten.

Es ist gut, wenn Land, Kommunen und Kammern eine Initiative starten, um Beschäftigte zu qualifizieren. Angesichts der Zahlen, die uns vorliegen, ist das auch dringend notwendig, denn bundesweit haben 1,5 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 29 Jahren keine abgeschlossene Berufsausbildung.

Ihre Initiative, Herr Minister Al-Wazir, zielt auf Menschen ohne Berufsabschluss, die in Lohn und Brot stehen. Das ist durchaus sinnvoll, denn ein Berufsabschluss kann die Sicherheit und die Lohnaussichten der Beschäftigten verbessern.

Vergessen sollten wir aber auch nicht die Menschen, die ohne Abschluss und ohne Job sind, und diejenigen, die erst gar keinen Ausbildungsplatz finden und oft in wenig sinnvollen Warteschleifen des sogenannten Übergangssystems landen. Meine Damen und Herren, das liegt nach wie vor vor allem an einem Mangel an betrieblichen Ausbildungsplätzen. Hier bedarf es statt wirkungsloser Versprechen endlich bindender Gesetze.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Lisa Gnadl (SPD))

Denn es sind die kleinen und Kleinstbetriebe, die überproportional ausbilden, während sich die Großkonzerne aus der Verantwortung stehlen. Auch deshalb halten wir die Einführung einer Ausbildungsplatzumlage für notwendig. Wenn die Großunternehmen schon nicht ausbilden oder unzureichend ausbilden, dann sollen sie sich wenigstens an der Finanzierung beteiligen.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine Initiative, um Beschäftigte zu qualifizieren, heißt aber noch nicht, dass das in der Praxis auch geschieht und dass die Unternehmen die Angebote zur Nachqualifizierung ih

rer Mitarbeiter auch annehmen. Die „Frankfurter Rundschau“ hat in dieser Woche schon eine IHK-Vertreterin zitiert, die Bedenken der Unternehmen angeführt hat, „dass die Qualifizierung Kosten verursache, Mitarbeiter anschließend mehr Lohn verlangen oder sich zu einem anderen Arbeitgeber wegbewerben könnten“.

Ich will nur anmerken, dass Unternehmen, die diese Befürchtungen haben, sich allerdings auch Fragen nach der Seriosität ihres Geschäftsmodells gefallen lassen müssen, wenn sie wirklich befürchten, dass es mit qualifizierten Fachkräften nicht mehr funktioniert.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, leider kratzen wir hier nur an der Oberfläche bei dem Problem der zunehmenden prekären Beschäftigung und bei Niedriglöhnen. Nach Zahlen des WSI der Hans-Böckler-Stiftung waren in Deutschland im Jahr 2014 fast vier von zehn Beschäftigten in Teilzeit, Leiharbeit oder Minijobs tätig. Dieser Anteil ist im Vergleich zum Vorjahr weiter gestiegen, insbesondere die Teilzeit- und Leiharbeit hat zugenommen.

Am stärksten vertreten ist diese sogenannte atypische Beschäftigung übrigens in den westdeutschen Flächenländern. Diese Beschäftigten leben in permanenter Unsicherheit. Viele von ihnen sind arm trotz Arbeit. Das betrifft Frauen ganz besonders stark, weil sie oft in Berufen arbeiten, die niedrig entlohnt sind. Auch deshalb wünschen wir der Gewerkschaft ver.di und den Beschäftigten im Sozialund Erziehungsdienst alles Gute und viel Erfolg in den laufenden Tarifrunden, damit diese wichtige Arbeit endlich angemessen entlohnt wird.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Lisa Gnadl (SPD))