Protokoll der Sitzung vom 28.05.2015

Ja, meine Damen und Herren, solche Praktiken müssen unterbunden werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen gesetzliche Veränderungen, die die Positionen der Arbeitnehmer stärken und ihre Rechte durchsetzbar machen. Außerdem brauchen wir ein Ende der legalen Schlupflöcher, allen voran der Ausnahmeregelungen für Jugendliche und Langzeiterwerbslose. Es darf keine Beschäftigten zweiter Klasse geben. Jede zusätzliche Ausnahme erschwert die Kontrollen.

Auch die Höhe des Mindestlohns kritisieren wir. Das macht die Umgehungsversuche besonders dreist, denn der Mindestlohn, über den wir hier reden, also 8,50 €, ist noch immer ein Niedriglohn. Daher frage ich einmal direkt an die Adresse der FDP: Wer von Ihnen würde eigentlich für

unter 8,50 € die Stunde arbeiten? Würden Sie jeden Morgen aufstehen wollen für ein Leben auf Sozialhilfeniveau? Wie würde es Ihnen denn gehen, wenn Sie Ihren Kindern erklären müssten, dass ein Kinobesuch, ein Eis zu essen oder gar ein Urlaub ein Luxus sind, den Sie sich nicht leisten können? Versetzen Sie sich doch einmal in die Lage von jemandem, der den ganzen Tag arbeitet und am Ende des Monats aufstocken muss, weil es einfach nicht reicht. Wenn Arbeit so billig ist wie Dreck und so wenig wert ist wie Dreck, dann nimmt das den Menschen nicht nur die materielle Grundlage, sondern es nimmt ihnen auch die Würde.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Das sollte man sich für sich selbst vorstellen, bevor man anderen Menschen erzählt, dass sie zu Hungerlöhnen arbeiten sollen, und das auch noch als Chance verkauft. Genau das ist dieser Wohlstandschauvinismus, den die FDP zutiefst unsympathisch macht.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich komme zum Schluss. Wir fordern eine Untergrenze von 10 €. Diese 10 € braucht man mindestens, um nach 45 Jahren Vollzeitarbeit eine Rente oberhalb der Grundsicherung zu erhalten. Das muss in einer der reichsten Volkswirtschaften der Welt drin sein. Der Mindestlohn ist eine Gefahr, nämlich für die Niedriglöhne und damit für die Gewinne derjenigen, deren Geschäftsmodell darauf basiert. Der Mindestlohn ist bei allen Unzulänglichkeiten in der Ausgestaltung ein Fortschritt und kein Grund zur Klage. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Staatsminister Grüttner.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Mindestlohn hat das Plenum des Hessischen Landtags schon mehrfach beschäftigt. Es hat immer wieder die Gefahr gegeben, ihn zu unter- oder zu überbieten. Es ist eben versucht worden, schon wieder eine Debatte darüber zu führen, was die richtige Höhe des Mindestlohns ist.

Dieses Gesetz ist am 16. August letzten Jahres in Kraft getreten und vor fünf Monaten in die Umsetzung gegangen. Die Auswirkungen des Mindestlohngesetzes müssen sehr differenziert betrachtet werden. Bei dieser differenzierten Vorgehensweise sollte man allerdings einen Maßstab immer voranstellen, dass nämlich Würde und Wert der Arbeit eines Menschen ein hohes Gut sind. Wir müssen versuchen, dieses Gut zu schützen und weiterzuentwickeln.

Natürlich ist es richtig, wenn die Hessen-Agentur in ihren Berechnungen dargestellt hat, dass 133.000 Beschäftigte mit Lohnsätzen unter 8,50 € in den Genuss des Mindestlohns kommen. Das ist ein Fortschritt für diese Personengruppe. Wenn wir Hessen betrachten, wollen wir aber auch sagen, das entspricht 5 % der Beschäftigten und liegt damit deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Trotzdem ist es gut, dass Menschen auch in den Genuss des Mindestlohns kommen.

Im Vorfeld all dieser Maßnahmen müssen wir mit betrachten, was wir selbst auf den Weg gebracht haben, um in Hessen eine Situation zu erzeugen, die eine solche Zahl erscheinen lässt. Nicht mit allen Maßnahmen können wir das erreichen. Mit dem Tariftreue- und Vergabegesetz haben wir schon einen entsprechenden Markstein gesetzt, wie die öffentlichen Aufgaben und die Entlohnung der Auftragnehmer verbunden sind. Das hat dazu geführt, dass weniger Menschen als im Bundesdurchschnitt unterhalb des Mindestlohns beschäftigt gewesen sind.

Bei den Minijobs müssen wir auch sehen, dass ein Großteil der weggefallenen Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt worden ist. Wenn wir das differenziert betrachten und sehen, dass insbesondere in Hessen in der Vergangenheit überwiegend Frauen in Minijobs beschäftigt gewesen sind und in Hessen gleichzeitig der Anteil von Frauen in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen im letzten Jahr massiv angestiegen ist, kann man daraus auch den Rückschluss ziehen, dass Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt worden sind. Das hat auf dem Arbeitsmarkt insbesondere die Beschäftigungsgruppe der Frauen getroffen und bevorzugt. Das ist doch ein wichtiger und wesentlicher Teil der Arbeitsmarktpolitik, die wir umsetzen wollen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich ist es in dem Zusammenhang wichtig, dass der Niedriglohnsektor zurückgegangen ist. Da das Gesetz noch nicht lange genug in Kraft ist, können wir auch noch keine aussagekräftigen Auswirkungen hinsichtlich Erfolg oder Misserfolg detailgetreu nachvollziehen. Es greift auch sicherlich zu kurz, die wirtschaftliche Stärke nur durch das Phänomen Mindestlohn zu erklären. Die Stärkung der Kaufkraft steht im Gegensatz zu steigenden Verbraucherpreisen, da die Unternehmen Lohnsteigerungen auf die Verbraucher weitergegeben haben. Wir müssen konstatieren, dass im Taxigewerbe – damit merkt man auch die Rückwirkungen derjenigen, die früher unterhalb der Mindestlohngrenze gearbeitet haben – die Preise seit Einführung des Mindestlohns um rund 10 % gestiegen sind.

Wir können die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt nach insgesamt fünf Monaten noch nicht feststellen, ob das positiv oder negativ ist. Allerdings stellt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in dem letzten Kurzbericht fest, dass sich die Konjunktur wieder erholt hat und für 2015 ein Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts auf rund 2 % zu erwarten ist, gleichzeitig aber auch der Abbau von Arbeitslosigkeit weiter vorangeht. Da kann man doch nicht davon sprechen, dass die Einführung des Mindestlohns positive Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt behindert. Wir haben nach wie vor positive Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt.

Wir müssen sehr vorsichtig sein, uns bei der Überprüfung der Auswirkungen und der Umsetzung des Mindestlohngesetzes immer nur auf ein Phänomen zu fokussieren.

Herr Staatsminister, denken Sie bitte an die Redezeit.

Ja, ich komme gleich zum Ende meiner Rede. – In der Praxis haben wir beides. Wir haben zum einen Missbrauch und Umgehung. Deswegen ist es wichtig, dass kontrolliert wird, beispielsweise wenn in Hotels Druck auf Reinigungskräfte und Küchenhilfen ausgeübt wird, nur einen Teil der Arbeitszeit aufzuschreiben. Ein namentlich nicht unbekanntes Hotel in Berlin wurde in den letzten Wochen in der Presse erwähnt. Wir haben aber auch sehr umfangreiche und bürokratische Dokumentationspflichten. Auch hier gilt es, entsprechende Überprüfungen im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit vorzunehmen. Wir müssen in Zukunft ergebnisoffen über die Anpassung des Schwellenwerts für die Nichtanwendbarkeit und die Dokumentationspflichten reden. Wir müssen darüber reden, inwieweit wir weitere Ausnahmetatbestände, wie beispielsweise bei den Erntehelfern, zulassen. In manchen Bereichen haben wir besondere Herausforderungen an die Arbeitszeit, beispielsweise im Schaustellergewerbe oder bei Saisonarbeitskräften.

Hier müssen wir schauen, inwieweit wir das mit dem Mindestlohngesetz vereinbaren können. Hier gilt es, Anpassungsbedarfe zu erkennen und dann die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Das Instrument auf der einen Seite nur zu verteufeln oder auf der anderen Seite nur hoch zu loben ist zu kurz gesprungen. Wir meinen, dass wir noch die Zeit brauchen, um die Wirkungen auf den Arbeitsmarkt gründlich und sauber analysieren zu können. Danach ist auch die Zeit, eine endgültige Meinung zum Mindestlohngesetz zu entwickeln. Die bisherigen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sind erfreulicher, als es von den Kritikern angenommen worden ist.

(Beifall bei der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Kollege Lenders. Redezeit: zwei Minuten und 30 Sekunden.

Frau Präsidentin, vielen Dank. Ich will es schnell machen. – Meine Damen und Herren, der Wegfall der Minijobs liegt nicht an der Höhe von 8,50 € Mindestlohn, sondern an der Bürokratie. Es werden genau die Unternehmen damit getroffen, die schon immer deutlich mehr als 8,50 € gezahlt haben.

(Beifall bei der FDP)

Bei diesen stehen jetzt Zollbeamte schwer bewaffnet in den Räumen und kontrollieren.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD: Oh!)

Natürlich ist das so. Meine Damen und Herren, das sind anständige Unternehmer. Das Bild, das Frau Wissler hier gezeichnet hat, stimmt nicht. Frau Wissler, das eine will ich Ihnen einmal sagen: Ich habe vor über 20 Jahren ein Unternehmen gegründet. Ich habe zehn Jahre lang diese 8,50 € nicht zahlen können. Sie haben mich eben als Freien Demokraten gefragt. Ich habe es nicht zahlen können, habe mich aber gleichzeitig darum gekümmert, dass meine Mit

arbeiter pünktlich ihr Gehalt bekommen haben. Das war immer mehr als 8,50 €.

(Beifall bei der FDP)

Das, was Sie von Kapitalisten und von Freien Demokraten als Bild zeichnen, ist wirklich menschenunwürdig. Dafür sollten Sie sich dringend entschuldigen.

(Beifall bei der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE): Es ist nicht menschenunwürdig, wenn man die FDP kritisiert!)

Als Nächster spricht Kollege Wilken, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Lenders und Herr Rentsch, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sprechen Sie sich eindeutig dagegen aus, dass geltende Gesetze in diesem Land eingehalten werden

(Zuruf von der FDP: Das sagt genau der Richtige!)

und, wenn sie nicht eingehalten werden, dass staatliche Instanzen dies kontrollieren.

Ich will einmal in aller Deutlichkeit sagen, das hätte ich von Ihnen nicht erwartet. Gesetze gelten, und sie müssen überwacht werden. Es gibt schwarze Schafe. Sie sollten sich davon distanzieren, dass Sie für die Nichteinhaltung der Arbeitszeitgesetze stehen. Das ist unwürdig.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat der Kollege Rudolph von der SPD-Fraktion.

(Zurufe)

Frau Präsidentin! – Herr Hahn, ich habe den Zwischenruf gehört. Ja, so kenne ich Sie. Ich weiß ja, Sie wollen ein Alleinstellungsmerkmal von der FDP haben. Wissen Sie, das erinnert mich ein bisschen an den Geisterfahrer: Es kommt Ihnen einer entgegen. – Nee, Tausende kommen mir entgegen.

(Heiterkeit)

Ich bin Herrn Grüttner sehr dankbar für die sehr differenzierte Darstellung bei einem Thema, wo dringender Handlungsbedarf in diesem Land vorhanden war. Deswegen ist es völlig falsch, nach wenigen Monaten schon ein Ergebnis vorzutragen, wie Sie es hier tun, völlig undifferenziert.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Nein, Herr Rentsch, Sie machen den Fehler, den Sie früher bei der einen oder anderen Position schon gemacht haben. Es ist nicht meine Aufgabe, Ihnen Hinweise zu geben, das werden dann möglicherweise die Wählerinnen und Wähler schon tun.

Aber früher gab es Missbrauch, wo man Notsituationen von Menschen ausgenutzt hat und wo Menschen für 3 oder

4 € beschäftigt wurden – illegal, schwarz, an der Steuer vorbei. Ich hätte mir gewünscht, dass die FDP damals genauso lautstark aufgetreten wäre, um solche Missstände zu verhindern.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Ich denke auch an das Treiben auf Baustellen, wo Subunternehmen tätig sind, wo Arbeitnehmern der Lohn vorenthalten wurde, oft solchen aus osteuropäischen Ländern, wo dann auch der Zoll tätig wurde, kontrollierte, aber leider in aller Regel nicht die Verursacher der Ausbeutung von Menschen antraf, sondern nur die, die zufällig vor Ort da waren. Ich hätte mir dieses engagierte Eintreten für eine ordentliche Entlohnung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch in diesen Fällen gewünscht, wie Sie es jetzt hier getan haben.