wäre, wenn dies mit Argumenten, die nicht in der Sache liegen, tatsächlich so wäre, dann würde das unsere Missbilligung finden – damit das auch klar ist.
Ich habe vorhin sehr bewusst darauf hingewiesen, dass bei der Einrichtung zukünftiger Erstaufnahmeeinrichtungen – ich teile das alles; wir müssen nicht wiederholen, welche Anforderungen gestellt werden, dass sie selbstständig sein müssen usw. usf. – aus unserer Perspektive auch das Rhein-Main-Gebiet nicht verschont werden kann. Das mag gegebenenfalls dann einmal andere hier im Saal treffen, und deswegen wäre es ganz gut, Sie würden alle miteinander nicht derart die Backen aufblasen, wenn aus Hanau vielleicht einmal ein kritischer Ton kommt und nicht nur „Hurra“ geschrien wird, weil jetzt eine Erstaufnahmeeinrichtung kommt. Es könnte der Tag kommen, wo auch vor Ihrer Haustür dergleichen eingerichtet werden soll. Dann würden wir uns wieder sprechen. Man trifft sich in diesem Leben nämlich bekanntlich immer mindestens zweimal. – So viel jetzt also einmal dazu.
Herr Staatsminister, zu Rotenburg. Herr Kollege Franz hat darauf hingewiesen, dass im Zusammenhang mit der Tatsache – das habe ich übrigens vorhin vergessen, zu sagen, und das bietet mir die Gelegenheit, das nachzuholen –, dass die Menschen aus dem Kosovo und Albanien gemäß Ihrer Regierungserklärung nicht mehr den Kommunen zugewiesen werden sollen, wofür vieles spricht, debattiert wird. Das habe ich, glaube ich, in der Debatte zur Regierungserklärung unterstützt. Das führt natürlich dazu, dass die Erstaufnahmeeinrichtungen mit diesen Personengruppen besonders stark belastet werden. „Belastet“ ist jetzt der falsche Ausdruck; Sie wissen, wie ich dies in diesem Kontext meine. Das ist schlicht und ergreifend so.
Wenn man gleichzeitig eine getrennte Unterbringung verschiedener Personengruppen machen will, nach dem, was wir vorhin in der ersten Runde diskutiert haben, kommt man doch relativ schnell zu der Schlussfolgerung, dass man irgendwann einmal Erstaufnahmeeinrichtungen hat, wie sie jetzt der Bayerische Ministerpräsident zur Regel machen will, in welchen sich nur noch Personen befinden, die, nach wessen Auffassung auch immer, nach geltender Rechtslage eine sehr kurze Aufenthaltsdauer haben bzw. sehr bald wieder abgeschoben werden sollen. Das ist eine relativ einfache Schlussfolgerung, wenn man eins und eins zusammenzählt. Ob Sie das beabsichtigen oder nicht, ist eine ganz andere Frage. Ich würde auch sehr dringend davor warnen – auch das habe ich schon bei anderer Gelegenheit getan –, solche Einrichtungen, in denen sich nur noch Menschen befinden, die nach Lage der Dinge sehr bald wieder abgeschoben werden können, zu schaffen; denn dies ist Sprengstoff.
Vor dieser Situation hat Herr Kollege Franz gewarnt. Ich finde, das hat er nicht ganz zu Unrecht getan. Wenn es anders ist, dann ist es gut, und so soll es auch sein. Ansonsten wird sich die SPD-Fraktion nicht, das hat sie auch nicht getan, gegen die Belegung der Kaserne in Rotenburg an der Fulda aussprechen, auch nicht gegen die in Kassel-Wehlheiden und andere. Ich habe eben gesagt, und das wiederhole ich: Wir werden Sie bei jedem Versuch unterstützen, in diesem Land zusätzliche Kapazitäten für eine dauerhafte und menschenwürdige Unterbringung von Menschen in
der Erstaufnahme und danach zu schaffen. Jeder, der jetzt versucht, in dieser Debatte noch einmal Pulver ins Feuer zu schütten, tut sich selbst, uns allen und ganz besonders den Flüchtlingen sowie Kommunen, die mit dieser Situation umgehen müssen, keinen Gefallen. Deswegen lautet mein dringender Appell: Versuchen Sie nicht, den einen gegen den anderen auszuspielen und Feuer zu legen, wo keines zu legen ist,
sondern arbeiten Sie auch mit Ihren Mitteln daran, dass das kommunikativ, konstruktiv und gemeinsam vonstattengeht.
Vielen Dank, Herr Kollege Merz. – Als nächste Rednerin hat sich Frau Kollegin Schott von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Minister, wenn Sie der Opposition hier „Stimmungsmache“ vorwerfen, dann ist dies dem Thema komplett nicht angemessen. Wir haben eine Situation, über die wir in diesem Hause reden müssen. Es gibt Probleme, und wenn man diese Probleme benennt, ist das keine Stimmungsmache. Das können Sie nicht umdeuten und nicht uminterpretieren.
Ja, natürlich haben Sie recht, dass dort über Nacht Hunderte von Menschen stehen. Aber es ist doch nicht so, dass wir nicht seit Jahren wüssten, dass uns genau das passieren kann, und zwar immer und immer wieder. Das haben Sie verschlafen, und genau das werfen wir Ihnen vor. Es ist doch kein Problem, das plötzlich und unerwartet über uns hereingebrochen wäre; seit vielen Jahren haben wir diese Konfliktherde und wissen, dass diese zur Folge haben werden, dass wir hier irgendwann einmal auch Flüchtlinge haben werden. Dass Sie dies ignorieren, werfen wir Ihnen vor.
Natürlich sind Sie und Ihre Partei Teil einer Politik, die sich darauf ausgeruht hat, dass Länder wie Italien, das völlig verarmte Griechenland und andere Länder das Problem auslöffeln müssen. Dass das auf Dauer nicht tragbar sein würde, musste uns allen und auch Ihnen klar sein. Damit musste auch klar sein: Wir werden mit diesen vielen Menschen umgehen müssen. Das haben Sie ignoriert, und das ist der Vorwurf.
Wenn Sie sagen, dass die Zelte zwar Notunterkünfte seien, die aber menschwürdig seien, dann erklären Sie mir bitte: Was ist denn an Massenunterkünfte in Zelten menschenwürdig, wenn die Menschen noch nicht einmal einen Spind haben, in dem sie ihre persönlichen Habe verwahren können, wenn alles in der Öffentlichkeit stattfindet und wenn insbesondere Frauen dort nicht sicher sind? – Wenn das je
mand bestreiten möchte, dann empfehle ich ihm, mit den Organisationen, die sich mit dem Thema befasst haben, und mit den Frauen vor Ort zu reden. Dann wird man Ihnen die notwendigen Sachen sagen, die Sie vielleicht nicht hören wollen, die grauenvoll sind.
Diese Menschen sind traumatisiert. Die Frauen sind in irgendeiner Weise sexuell belästigt oder vergewaltigt worden, schon vorher auf der Flucht, und möglicherweise passiert es ihnen hier noch einmal. Wir schauen dabei weg. Das geht nicht, das kann man nicht verantworten.
Das ist nicht unanständig. Unanständig ist, wenn man ob solcher Verhältnisse den Kopf in den Sand steckt und so tut, als ob es das nicht gibt.
Das gibt es, und wenn Sie es wissen wollten, dann wüssten Sie es. Das ist doch der Punkt. Wir haben hier Retraumatisierungen, und Sie schauen weg. Das ist unverantwortlich.
Was glauben Sie eigentlich, was es mit Menschen macht, die aus repressiven und autoritären Staaten kommen, die hier in Zelten untergebracht sind und dann erleben, dass in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden Polizisten kommen und Menschen herausholen und wegbringen? Was glauben Sie eigentlich, was das für eine Form von Retraumatisierung ist?
Das ist doch genau das, was die Menschen aus ihren autoritären Herkunftsländern kennen und wovor sie weggelaufen sind. Sie verstehen doch zum Teil sprachlich noch nicht einmal das, was passiert. Sie erleben, dass Menschen weggeholt werden, die sie nicht wiedersehen. Das ist eine Katastrophe für die Menschen, die das erleben. Das löst Ängste aus, die man sich nicht vorstellen kann.
Reden Sie mit den Leuten, die aus den Einrichtungen herausgekommen sind und jetzt in Wohnungen leben, über das, was sie dort erlebt haben. Vielleicht werden sie mit Ihnen darüber reden, vielleicht aber auch nicht.
Noch einen Satz zu Kaminsky. Nicht, dass ich es gutheißen würde, wenn ein Bürgermeister sich an einer solchen Stelle gewehrt haben sollte. Ob er es getan hat oder nicht, ist nicht mein Ding, das hier zu beurteilen.
Man muss sich schon einmal fragen, welche Hilfeleistungen Sie einer Kommunen anbieten, der sie eine solche zusätzliche Belastung aufbürden. Dass es eine Belastung für eine Gemeinde ist, so viele Menschen unterzubringen, ist doch unzweifelhaft. Man muss den Kommunen doch auch Hilfe über das hinaus anbieten, dass man eine Kaserne zur Verfügung stellt oder ein Zeltlager aufbaut. Das alleine geht nicht. Da muss man auch entsprechend agieren. Das
Das hat überhaupt nichts mit Stimmungsmache zu tun, sondern das hat etwas mit den realen Problemen zu tun, die gelöst werden müssen. Diese Probleme müssen jenseits von Zelten gelöst werden.
Wir haben Vorschläge gemacht. Wir haben über Bürogebäude geredet. Sie können ja einmal schauen, wie viel Bürofläche es in Frankfurt gibt. Wir können natürlich auch über Kasernen reden; dann muss man aber auch den Bürgermeistern vor Ort die notwendige Hilfe anbieten und kann ihnen nicht nur sagen: Wir denken darüber nach, die Menschen in Ihrer Gemeinde unterzubringen.
Danke, Frau Kollegin Schott. – Für die Landesregierung spricht noch einmal Staatsminister Grüttner. Bitte schön.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer von dieser Stelle aus erklärt, die Verantwortlichen in Erstaufnahmeeinrichtungen würden wegschauen, wiederholt den Vorwurf des unverantwortlichen Handelns.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Janine Wissler (DIE LINKE): Die Landesregierung!)
Wer – wie Frau Kollegin Wissler – unterstellt, die Landesregierung schaue weg, erhebt genau den gleichen Vorwurf. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diesen Vorwurf weise ich entschieden zurück.
Es ist nicht hinlänglich bekannt, wie Abläufe und Verfahren innerhalb einer Erstaufnahmeeinrichtung stattfinden. Wer vor Ort gewesen ist – ich weiß, dass viele zu einem Zeitpunkt da waren, als halb so viele Menschen in den Erstaufnahmeeinrichtungen in Hessen untergebracht worden sind –, wird sehen, merken und auch, wenn er nicht blind ist, wissen, dass dort mit dieser Verantwortungsbereitschaft gearbeitet wird. Wer sich hierhin stellt und sagt, Städten, Gemeinden und Bürgermeistern, die eine Erstaufnahmeeinrichtung zur Verfügung stellen, werde keine Hilfestellung zuteil, weiß auch nicht, wovon er redet.
Wir sind seit Wochen und Monaten mit dem Bürgermeister von Büdingen, wo im Oktober eine Erstaufnahmeeinrichtung eröffnet wird, mit dem Bürgermeister von Rotenburg und mit dem Bürgermeister von Neustadt im Gespräch. Zum Verhältnis der Union zu Flüchtlingsfragen kann man durchaus sagen: Der Bürgermeister von Rotenburg gehört der CDU an, der Bürgermeister von Neustadt gehört der CDU an, der Bürgermeister von Büdingen ist parteilos. Mit
diesen Bürgermeistern stehen wir in einem guten und intensiven Austausch, wie wir das machen können.