Protokoll der Sitzung vom 23.07.2015

Wir wissen, dass, trotz unserer Anstrengungen für Flüchtlinge, Extremisten bereit sind, Menschen gegeneinander aufzuwiegeln. Was den heute Morgen eingereichten Antrag der LINKEN betrifft, werden wir – das sei an dieser Stelle gesagt – an der Abstimmung nicht teilnehmen, da wir einen eigenen Antrag haben und dort bereits das Wesentliche dazu steht.

(Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken übernimmt den Vorsitz.)

Das bereits angesprochene Beratungsnetzwerk bietet auch den Kommunen Unterstützung bei der Flüchtlingsunterbringung an, gerade dann, wenn es im Zusammenhang mit der Aufnahme von Flüchtlingen zu Konflikten mit Rechtsextremen kommen kann. Darauf habe ich bereits hingewiesen. Bereits seit dem vergangenen Jahr können sich die Kommunen aus diesen leider aktuellen Gründen bezüglich der Aufnahme von Flüchtlingen beraten lassen.

Das Demokratiezentrum Hessen an der Universität Marburg steuert, dokumentiert und koordiniert die Beratungen des Netzwerks – erfolgreich, wie wir meinen. Deshalb stehen für das Demokratiezentrum zu Recht 800.000 € jährlich zur Verfügung, je zur Hälfte aus Mitteln eines neuen Landesprogramms und aus Mitteln des Bundes gespeist. Das ermöglicht eine substanzielle und spürbare Arbeit gegen Rechtsextremismus.

Hinzu kommt die Arbeit im Kompetenzzentrum Rechtsextremismus – auch KOREX genannt –, im Landesamt für Verfassungsschutz über die Arbeit des Hessischen Informations- und Kompetenzzentrums gegen Extremismus angesiedelt.

Mit dem Landesprogramm IKARus, dem Informationsund Kompetenzzentrum Ausstiegshilfen, gibt es auch für diejenigen ein Angebot, für die die Prävention zu spät kam, denen sie nichts genutzt hat. Wir sollten aber immer wieder versuchen, sie aus dem rechtsextremistischen Umfeld zu lösen; deshalb wird IKARus weiter unterstützt.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein weiterer Baustein ist das Programm „Rote Linie – Hilfen zum Ausstieg vor dem Einstieg“. Es ist wichtig, dass die Menschen daran gehindert werden, überhaupt erst abzurutschen, auch wenn sie vielleicht persönliche Probleme haben.

Es ist auch wichtig, dass nicht nur die Täter, sondern auch die Opfer ernst genommen werden. Deshalb gibt es in Hessen nun auch eine Beratung, die sich speziell um Opfer rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt kümmert.

Sie sehen also an diesen wenigen Beispielen, dass wir das Extremismusfeld nach wie vor ernst nehmen – ernst nehmen müssen –, damit der Extremismus in Hessen keine Zukunft hat. Es ist richtig, dass dies weiterhin ein Schwerpunkt unserer Arbeit in der Innenpolitik bleibt; denn die schrecklichen Verbrechen der Nationalsozialisten haben dazu geführt, dass der Rechtsextremismus in Deutschland – zu Recht – unter besonderer Beobachtung steht. Das ist unsere geschichtliche Verantwortung.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Art. 139 Grundgesetz!)

Aber wir können aus der Geschichte auch lernen, wohin es führt, wenn Linksextremisten das Sagen haben. Das lehrt

die Gewaltgeschichte des Kommunismus: die Geschichte des menschenverachtenden SED-Regimes im früher existierenden anderen Teil Deutschlands. Wir werden dieses Thema nach wie vor auf der Agenda haben – das gehört sich so, das ist notwendig –, genauso wie das Extremismusfeld Salafismus, das wir heute Morgen ausführlich besprochen haben.

Mit dem neuen Landesprogramm und unseren Sicherheitsbehörden sind wir im Kampf gegen den Extremismus gut gerüstet. Sie können sich also, im Landtag und in ganz Hessen, darauf verlassen, dass wir uns auch zukünftig für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung einsetzen: für Freiheit und Sicherheit – auch für die Sicherheit jedes Einwohners Hessens.

Wir nutzen die Gelegenheit, um uns abschließend bei denen zu bedanken, die außerhalb der Politik dafür geradestehen: Verfassungsschutz, Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, aber auch die Zivilbevölkerung, die sich in vielen Bereichen ehrenamtlich engagiert und einen wertvollen Dienst leistet. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Herr Bellino. – Bevor wir in der Aussprache fortfahren, begrüße ich auf der Besuchertribüne das ehemalige Mitglied unseres Hauses Herrn Winfried Rippert. Seien Sie herzlich willkommen.

(Allgemeiner Beifall)

Wir fahren mit der Debatte fort. Ich erteile Herrn Schaus von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Leider, leider haben es die GRÜNEN nicht vermocht, der CDU ihre Neigung zu Jubelanträgen abzugewöhnen. Zu den Jubelanträgen gehören auch die entsprechenden Jubelreden meines Vorredners Bellino. Leider muss das Parlament deshalb ständig der Regierung untertänigst mitteilen, dass sie super ist.

Wie schon zu CDU/FDP-Zeiten hat erreicht uns nämlich der alljährliche Jubelantrag zu dem Thema „Die Regierung tut nur das Beste und Richtige zum Schutz vor Extremisten, also zum Schutz vor richtig bösen Menschen“. Am Ende einer einstündigen Debatte stimmt die CDU-geführte Landtagsmehrheit dafür, dass die CDU-geführte Landesregierung alles richtig macht und uns alle damit vor dem Untergang bewahrt – oder so ähnlich. Dazu kann ich nur sagen: Danke, CDU.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Als seit langen Jahren gequälter Teilnehmer an diesen sogenannten Debatten muss ich nun aber kurz ein ungewohntes Lob für die GRÜNEN loswerden. Dass es endlich ein eigenes Landesprogramm gegen Neonazismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gibt, ist tatsächlich ein großer Fortschritt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zu- ruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ja. Herr Wagner, wir haben das in der Opposition gemeinsam mit SPD und GRÜNEN jahrelang gefordert. – Zu CDU/FDP-Zeiten hatte das keine Chance, obwohl Strafund Gewalttaten durch Neonazis die mit Abstand gefährlichste Bedrohung darstellen.

Beim Rest – da hört es schon auf, Herr Wagner – der hier endlos aufgeschriebenen Programme und Leistungen der Landesregierung sehe ich aber wenig Grund zum Jubeln. Das liegt zum einen daran, dass hier ständig Summen, die in Wirklichkeit nicht getrennt voneinander existieren, getrennt aufgezählt werden. Zwischendurch wird mitgeteilt, dass das Gros sowieso Mittel aus dem Bundeshaushalt sind, weniger aus dem Landeshaushalt, so, als gäbe es Millionensummen für Präventionsarbeit, die die Hessische Landesregierung mobilisiert. Das ist aber nicht der Fall.

Angesichts der Herausforderungen, die sich nun stellen, ist es leider immer noch zu wenig. Ich weiß, man kann nicht jedem, der in den Krieg des IS marschieren will oder von dort zurückkehrt, einen Sozialarbeiter, einen Seelsorger und einen Polizisten an die Seite stellen. Aber wir sollten ernsthaft darüber nachdenken, ob drei oder vier Sozialarbeiter für die gesamte islamistische Szene Hessens wirklich ausreichend sind. De facto reden wir hier von mehreren Hundert hoch problematischen Fällen. Angesichts dessen, dass hier jahrelang viel zu wenig gemacht wurde, könnte ich mir hier durchaus mehr Engagement und Unterstützung vorstellen.

Ich will einen weiteren sehr wichtigen Punkt ansprechen, der im Antrag leider nicht auftaucht, nämlich die Situation in den Gefängnissen und die dortige Betreuung. Wir wissen, dass auch in den Gefängnissen Radikalisierungen stattfinden. Wir wissen das aus Frankreich, aber wir kennen es auch bei uns, und wir wissen es aus der Anhörung zum Salafismus. Da gehen Leute als Kleinkriminelle in die Gefängnisse und kommen zuweilen als radikalisierte Fanatiker wieder heraus.

In der Anhörung zum Thema Salafismus ist das auch deutlich geworden: Es gibt nahezu kein Geld für islamische Gefangenenseelsorge. Das ist nicht nur eine Benachteiligung der Anhänger dieser Religion, sondern es ist auch brandgefährlich. Ich finde, angesichts dieser Situation muss hier unter dem Gesichtspunkt Prävention unbedingt etwas passieren. Das wäre sehr wichtig.

(Beifall bei der LINKEN)

Alle 30 Sekunden wird in Deutschland durch Nazis eine Straftat verübt: ein bis zwei Gewalttaten pro Tag. Im Moment nimmt die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte massiv zu, und deshalb ist es ungemein wichtig, die Präventionsarbeit endlich auf eigene Füße zu stellen und vor allen Dingen langfristig anzulegen.

Wir haben leider wieder einmal zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Ausgrenzung unserer Fraktion selbst bei Anträgen, wie dem heute von vier Fraktionen vorgelegten, zur Verurteilung der sich häufenden, widerwärtigen Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, wo es zwischen uns keine unterschiedlichen Positionen gibt, vorgenommen wurde. Wir bedauern sehr, dass diese Politik der Ausgrenzung unserer Fraktion selbst vor solchen Themen, wo es uns doch allen wichtig sein sollte, als Parlament gemeinsam und geschlossen aufzutreten, nicht haltmacht. Da auch uns dieses Thema sehr wichtig ist, haben wir heute kurzfristig einen eigenen Antrag eingebracht. Wir werden dem gemeinsamen Antrag selbstverständlich zustimmen und hoffen, dass auch

die übrigen Fraktionen über ihren bzw. den Schatten der CDU springen und unserem Antrag ebenfalls zustimmen.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Ja, ein dunkler Schatten!)

Ein solches Thema eignet sich nämlich nicht für parteipolitische Spielchen, und deshalb sollten wir es auch unterlassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, letzter Punkt. Die beste Prävention ist Anerkennung und soziale Integration. Aber davon sind wir oft, auch aus politisch-populistischen Gründen, viel zu weit entfernt. Meine Kollegin Frau Schott hat heute Vormittag in der Diskussion schon deutlich gemacht, dass diese Präventionsarbeit und dieser Präventionsbegriff viel weiter gehen und die gesamte Gesellschaft umfassen. Wenn insbesondere junge Menschen nicht das Gefühl haben, dazuzugehören, wenn sie häufig Ausgrenzungserfahrungen machen, egal, ob rassistische oder soziale Ausgrenzungen, wenn sie für sich keine Zukunft sehen und dem Gefühl des Abstiegs und Versagens ausgesetzt werden, kann dies ein Nährboden für Gewalt und Kriminalität sein.

Lassen Sie uns dafür Sorge tragen, politisch wie persönlich, dass unsere Gesellschaft eine Gesellschaft der Chancen für jeden ist, der Chancen ergreifen möchte. Lassen Sie uns Ausgrenzungen entgegentreten und insbesondere allen jungen Menschen das Gefühl geben, dass das auch ihr Land ist, dass sie es gestalten können und müssen.

Lassen Sie mich zuletzt noch eine Anmerkung machen als entschiedener Gegner von Nazis, ihren Aufmärschen und der alltäglichen Gewalt durch sie. Punkt 7 Ihres vorliegenden Antrags finde ich, ich sage es einmal vornehm, zumindest unglücklich formuliert, weil er das Versammlungsrecht von Neonazis als unantastbar erscheinen lässt. Dazu sage ich: Wehret den Anfängen. – Jedenfalls ich gehöre zu denen, die Nazipropaganda nicht als Teil der freien Meinungsäußerung begreifen. Ich bin immer wieder entsetzt, was diese braunen Horden ungestraft veranstalten dürfen, ohne dass es strafrechtliche Konsequenzen hat. Es wird kaum verhohlen zu Hass, Gewalt, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit aufgerufen, und es sind dieselben Leute, die dann im Dunkeln ihren Hass und ihre Gewalt ausleben. Deshalb gehöre auch ich zu denen, die sagen: Naziaufmärsche friedlich zu blockieren und so Nazipropaganda zu verhindern, ist keine Straftat.

(Beifall bei der LINKEN)

Deren Umzüge mit einer großen Zahl von Gegendemonstranten zu verhindern, sehe ich als historische Pflichtaufgabe an. Das sollte uns allen Verpflichtung sein, für jeden, der Flüchtlinge, Migranten, Homosexuelle, Gewerkschafter, Linke und Christlich-Bürgerliche vor Gewalt schützen möchte. Deshalb: Faschismus ist eben keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Danke, Herr Schaus. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Hahn das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich bin ein bisschen betroffen über die letzten 1,5 Minuten, die wir uns gerade im frei gewählten Plenum des Hessischen Landtags anhören mussten. Was Herr Kollege Schaus gerade gesagt hat, nennt man Gesinnungsstrafrecht. Ich bin froh darüber, dass wir in einem demokratischen Staat leben, in dem es kein Gesinnungsstrafrecht gibt, Herr Kollege Schaus.

(Beifall bei der FDP – Hermann Schaus (DIE LIN- KE): Sie haben das völlig missverstanden!)

Ich halte es für unerhört, dass gerade Sie als Vertreter einer Nachfolgepartei einer Partei, die über 40 Jahre lang in der DDR Gesinnungsstrafrecht gemacht hat, es wagen, hier so etwas in einer Debatte zu sagen.

(Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP)

Es gibt nur noch wenige Dinge, die mich emotional so aufregen wie, wenn sich jemand hierhin stellt, ein System verteidigt, welches das Gesinnungsstrafrecht organisiert hat – ich nenne nur Bautzen und andere Einrichtungen der DDR –, und für die Bundesrepublik Deutschland wieder das Gesinnungsstrafrecht haben will. Dafür habe ich nur ein „Pfui“ übrig – nicht mehr.

(Beifall bei der FDP, der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hermann Schaus (DIE LIN- KE): Wenn man das nicht verstehen will, kann man nichts machen!)

Wie können Sie es eigentlich wagen, bei einer so wichtigen Debatte, wie wir sie heute vor der Mittagspause geführt haben und jetzt nach der Mittagspause führen, wo wir uns darüber unterhalten, wie wir uns gegen Extremismus und für Demokratie und den Rechtsstaat einsetzen, auf einmal mit irgendwelchen Täfelchen herumzukommen, wo Sie Ihre politischen Überzeugungen, die vollkommen daneben sind, als Wertmaßstab dieser Republik einbringen?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen wir uns davon nicht irritieren. Vorhin war es, glaube ich, der Innenminister, der genauso anfing und fragte: Ist es überhaupt klug, darüber zu reden? – Ja, Herr Innenminister, es ist eigentlich nicht klug, darüber zu reden; aber wenn einem in einem frei gewählten Parlament so etwas vorgetragen wird, dann muss man dagegen richtig Stellung nehmen. Das will ich hiermit intensiv, und, ich glaube, für alle anderen Fraktionen in diesem Hause getan haben. – Vielen herzlichen Dank.