Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

Wir in Hessen haben zweifelsohne eine Verantwortung, der wir uns stellen müssen, und wir können sicher auch dazu beitragen. Die aktuelle Situation kann aber nicht das Land Hessen lösen. Gefordert sind in diesem Zusammenhang die Bundesregierung und die internationalen Organisationen.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Insofern dürfte es allen klar sein, dass sich die Notsituation für den Haushalt auch der Kontrolle des Staates entzieht. Die Schuldenbremse sollte uns jedenfalls nicht daran hindern, Menschen zu helfen.

Ich bin mir dessen sehr bewusst, dass wir noch nicht an dem Punkt sind, dass die Notsituation für den Landeshaushalt unabwendbar ist, aber in unserer Hand, als Haushaltsgesetzgeber, liegt diese Frage letztlich nicht mehr. Wie gesagt, wird es entscheidend sein, ob die Bundesregierung selbst bereit ist, einen deutlich größeren Beitrag zu leisten, um die Kommunen und die Länder in die Lage zu versetzen, ihre Aufgaben bei der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen zu meistern.

An vor sich hergetragener Symbolpolitik hat es in den letzten Tagen und Wochen nicht gemangelt – an konkreten Schritten allerdings schon. Deshalb ist es klar: Wenn die Bundesregierung weiter auf der schwarzen Null im Haushalt besteht, dann werden wir in Hessen darüber reden müssen, die Schuldenbremse auszusetzen.

Die Planung der Landesregierung, wie sie heute vorliegt, wird jedenfalls so keinen Bestand haben. Der Mehrbedarf für die Integration von Flüchtlingen ist aus meiner Sicht dabei aber nur eines von vielen Problemen, die dieser

Haushalt ausweist. Seit Schwarz-Grün seine Haushaltspolitik unter die Prämisse stellt, dass Kürzen und Streichen besser ist als Investieren und Gestalten, wird die Perspektive für die Menschen in Hessen immer düsterer.

Die Beamtinnen und Beamten in Hessen arbeiten nicht nur länger als in allen anderen Bundesländern, sie dürfen sich auch noch darauf einstellen, dass ihre Bezahlung von der allgemeinen Lohnentwicklung dauerhaft abgekoppelt wird. Im laufenden Jahr gab es überhaupt keine Besoldungsanpassung, und im nächsten Jahr soll diese bei höchstens 1 % liegen.

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einer ähnlichen Regelung in anderen Ländern darf man deutliche Zweifel daran haben, ob die schwarz-grüne Regelung, die Schuldenbremse auf die Beamtinnen und Beamten abzuwälzen, Bestand haben kann. In der mittelfristigen Finanzplanung heißt es dann auch etwas blumig – ich zitiere –:

Allerdings resultieren aus dem Urteil höhere Anforderungen an künftige Besoldungs- und Versorgungsanpassungen. Die Landesregierung wird diesen Anforderungen Rechnung tragen und auch künftig sicherstellen, dass sich die Bezügeanpassungen im verfassungsmäßig vorgegebenen Rahmen halten.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wollen Sie etwas anderes?)

Sie sollten die 1-%-Regelung, die Sie vorgelegt haben, noch einmal überdenken und zumindest einen anderen Ansatz wählen. Beispielsweise wären die 2,4 %, die ver.di für die Angestellten durchgesetzt hat, ein Maßstab, den man einbringen könnte.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihnen ist offensichtlich zumindest klar, dass Sie hier vor einem juristischen Problem stehen. Es wird auch damit zu rechnen sein, dass die Reallohnkürzung für die Beamtinnen und Beamten, die Schwarz-Grün durchgesetzt hat, ein Fall für die Gerichte werden wird. Der Deutsche Beamtenbund hat bereits angekündigt, dass man entsprechende Gutachten einholen werde. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund ist an dem Thema dran. Die Vorsitzende des DGB Hessen-Thüringen, Gabriele Kailing, erklärte am 3. September 2015:

Angesichts der schon jetzt bestehenden unterdurchschnittlichen Besoldung in Hessen wird dies dazu führen, dass die hessischen Beamtinnen und Beamten im Vergleich der Bundesländer noch weiter ins Hintertreffen geraten werden.

Das wird der DGB Hessen-Thüringen sicherlich zum Anlass nehmen, einen Rechtsstreit zu führen.

All das geschieht unter der Überschrift „Generationengerechtigkeit“ – als ob sich die nachfolgenden Generationen davon etwas erhoffen könnten, dass die Beamtinnen und Beamten in Hessen heute ungerecht behandelt werden. Ganz im Gegenteil muss man ja davon ausgehen, dass die nachfolgenden Generationen vor allem darunter zu leiden haben werden, dass CDU-geführte Landesregierungen alles beim Alten gelassen haben – und zwar im Wortsinne.

Seit nunmehr Jahrzehnten sinken in Hessen die Investitionen. Als sei das eine gute Idee, liest man auch im Finanzplan, dass die Investitionsausgaben des Landes gesenkt werden – ich zitiere –:

Sie gehen von rund 1,9 Milliarden € in den Jahren 2015 und 2017 auf knapp 1,7 Milliarden € im Planungsendjahr 2019 zurück. Die Investitionsquote des Landes sinkt infolgedessen im Finanzplanungszeitraum von 8,5 % im Jahr 2015 auf 6,7 % im Planungsendjahr 2019. Die Landesregierung trägt damit nicht zuletzt den im Koalitionsvertrag vereinbarten Einschnitten bei den Investitionsausgaben Rechnung.

Sie loben sich auch noch dafür, dass Sie die Investitionen herunterfahren. Dabei ist es keine gute Idee – und schon gar nicht „gerecht“ gegenüber nachfolgenden Generationen –, die Investitionen in die Zukunft um über 20 % zu senken. Es führt auch nicht zu Gerechtigkeit, wenn man alle ungerecht behandelt: die Beamten, die weniger Geld bekommen, und die Kinder und Enkel, die in kaputten Schulen unterrichtet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu kommt, dass wir gerade schmerzlich vor Augen geführt bekommen, was es bedeutet, wenn Investitionen über Jahre und Jahrzehnte vernachlässigt werden. Die Probleme, die wir bei der Unterbringung von Menschen, die geflüchtet sind, haben und noch bekommen werden, haben vor allem damit zu tun, dass der öffentliche Wohnungsbau seit Jahr und Tag brachliegt.

Tausende Wohnungen gehen jedes Jahr aus der Sozialbindung und damit verloren, ohne dass die letzten Landesregierungen Anstalten machten oder machen, daran etwas zu ändern. Hier wären die Investitionen, die Schwarz-Grün mit falschem Stolz auch noch reduziert, dringend nötig. Stattdessen reden Sie immer von Generationengerechtigkeit und tun so, als ob es gerecht sei, an den Investitionen zu sparen.

Vielleicht würde man dann endlich auch wieder zu einer Debatte über die notwendige Umverteilung in Hessen kommen. Dass eine Umverteilung zwischen Arm und Reich endlich notwendig ist, belegen auch die nackten Zahlen: In Hessen stieg die Armutsgefährdungsquote im Jahr 2014 auf 13,8 %. Im Jahr 2006 betrug sie noch 12 %. Der Landesvorsitzende des VdK Hessen-Thüringen, KarlWinfried Seif, immerhin ehemaliger CDU-Staatssekretär in Hessen, brachte es in diesem Zusammenhang auf den Punkt und erklärte am 27. August 2015:

Es müssen endlich energische Schritte unternommen werden, um die Armut zu bekämpfen, und vorbeugende Maßnahmen ergriffen werden, damit Armut erst gar nicht entsteht.

Von „energischen Schritten“ sehe ich aber überhaupt nichts – im Gegenteil.

(Beifall bei der LINKEN)

Stattdessen gibt es bei dieser Landesregierung eine Haushaltskonsolidierung zum Nulltarif – und zwar für Reiche. Denn bei allen Konsolidierungsmaßnahmen, die SchwarzGrün in Hessen vorschlägt, gibt es keine einzige auf der Einnahmenseite.

Gerecht wäre es, wenn Sie dafür sorgen würden, dass der Staat wieder in die Lage versetzt wird, den Reichtum in diesem Land gerecht zu verteilen, wenn Sie sich für eine Vermögensteuer einsetzen würden, damit wir sowohl Investitionen in die Zukunft tätigen als auch die Bedürfnisse einer modernen und gut funktionierenden Landesverwal

tung erfüllen können. Nachdem Sie die Grunderwerbsteuer angehoben haben, sieht Schwarz-Grün die Einnahmeverantwortung für den Landeshaushalt offenbar als erfüllt an.

Dabei wird die nächste Nagelprobe sicherlich die Erbschaftsteuer sein. Ich bin gespannt, wie sich Hessen hierbei verhält, ob Sie den Kurs der Großen Koalition mittragen oder ob Sie sich aktiv für eine höhere Besteuerung von Millionenerben einsetzen werden.

Gerechtigkeit zwischen den Generationen kann es nur geben, wenn sie auch innerhalb einer Generation hergestellt wird. Meine Damen und Herren, da haben wir noch einen langen Weg vor uns.

(Beifall bei der LINKEN)

Neben sinkenden Investitionen kürzt die Landesregierung weiterhin bei der Personalausstattung im öffentlichen Dienst. Der Stellenabbau, den Schwarz-Gelb betrieben hat, geht weiter. Die Beschäftigten im Landesdienst müssen weiterhin mit weniger Personal mindestens die gleichen, wenn nicht sogar wachsende Aufgaben erfüllen – ganz so, als ob die Produktivität in den öffentlichen Verwaltungen beliebig gesteigert werden könne.

In allen Bereichen wird man damit rechnen müssen, dass Hessen weniger leistungsfähig wird – mit einer bemerkenswerten Ausnahme. Falls Sie jetzt erwarten, dass ich die Landesregierung dafür lobe, dass sie bei den Schulen keine Lehrerstellen kürzt, muss ich Sie leider enttäuschen; denn die demografische Rendite, von der Schwarz-Grün immer redet, ist in den letzten Jahren für alles Mögliche schon mehrfach verteilt worden. Nein, die bemerkenswerte Ausnahme, die ich meine, ist das Landesamt für Verfassungsschutz. Aus den Geheimdienstskandalen, angefangen vom Aufbau der NPD durch V-Leute über das Versagen bei der Verfolgung der NSU-Mörderbande bis hin zur neuesten Staatsaffäre um die Verfolgung von Journalisten, zieht die schwarz-grüne Landesregierung die Konsequenz, dass es ja wohl an der Zeit ist, beim Verfassungsschutz zusätzliches Personal einzustellen.

Es ist wirklich absurd: Ausgerechnet die Institution, die nun wirklich überzeugend dafür geworben hat, sie endlich abzuschaffen, bekommt mehr Geld. Um es deutlich zu sagen: Der Verfassungsschutz schützt die Verfassung so sehr, wie Zitronenfalter Zitronen falten.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Horst Klee (CDU): Was träumen Sie denn nachts? – Weitere Zurufe von der CDU)

Während in der gesamten Landesverwaltung Stellen abgebaut werden, ausgerechnet beim Landesamt für Verfassungsschutz zusätzliche Stellen zu schaffen, ist schon absurd. Aber es geht noch weiter: Während die Beamtinnen und Beamten überall sonst damit klarkommen müssen, dass man bei ihrer Besoldung spart, beraten wir in dieser Woche ein Dienstrechtsänderungsgesetz, in dem zu lesen ist – ich zitiere –:

Aufgenommen wird außerdem die Gewährung einer Erschwerniszulage für den Bereich der Observation beim Landesamt für Verfassungsschutz sowie eine Zulage für operativ tätige Kräfte beim Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz für Dienste zu ungünstigen Zeiten. Damit wird den geänderten Arbeitsbedingungen durch die gewandelten Anforderungen an das Landesamt für Verfassungsschutz Rechnung getragen.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): 150 € im Monat!)

Ausgerechnet beim Landesamt für Verfassungsschutz bekommt man jetzt eine Erschwerniszulage für Observationen. Sprich: Wer unsere Kinder unterrichtet, der muss sich mit Nullrunden abfinden, und wer beim Landesamt für Verfassungsschutz Zitronen faltet, bekommt eine Erschwerniszulage.

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Zitronen zu falten ist ja auch schwierig!)

Ich könnte das als Beleg dafür nehmen, dass wir es als LINKE mit dem Verfassungsschutz besonders schwer haben. Aber, ehrlich gesagt, fühle ich mich dadurch weder geadelt, noch finde ich es irgendwie amüsant, welche politischen Schwerpunkte Schwarz-Grün hier setzt.

(Beifall bei der LINKEN – Günter Rudolph (SPD): Sie wollen ihn ja abschaffen!)

Überall wird gekürzt, nur nicht beim Verfassungsschutz. Wenn das der Politikwechsel ist, den die GRÜNEN wollten, bin ich froh, dass wir ihn nicht mitgemacht haben.

Den Politikwechsel vermisse aber nicht nur ich. Auch in den hessischen Kommunen hatten sich sicherlich viele etwas anderes unter dem von den GRÜNEN vor der Wahl versprochenen Politikwechsel vorgestellt.

(Beifall bei der LINKEN)

In den letzten Jahren bestand die Politik des Landes gegenüber den hessischen Kommunen vor allem darin, auf ihre Kosten den Landeshaushalt zu sanieren.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Es sieht, zugegeben, nun doch so aus, als ob die Kommunen etwas besser dastünden als in den letzten Jahren. Das kann man annehmen. Aber wenn man sich ansieht, wie das in vielen Kommunen überhaupt gelingen konnte, muss man feststellen, dass die Möglichkeiten der Kommunen, ihre Ausgaben zu senken, vor allem darin bestehen, Kürzungen vorzunehmen, mit denen Menschen getroffen werden, die auf die öffentlichen Dienstleistungen angewiesen sind. Genau das kann man in vielen Orten in Hessen sehen, in denen Bibliotheken und Schwimmbäder geschlossen werden.

Auf der anderen Seite leisten diese Kürzungen kaum einen Beitrag dazu, die Kommunalhaushalte zu sanieren; denn ob eine Kommune ihren Haushalt ausgleichen kann, hängt ganz wesentlich von der Entwicklung der Gewerbesteuer ab. Hier – das muss man sagen – hat sich die Lage für viele Kommunen endlich einigermaßen verbessert.