Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

Auf der anderen Seite leisten diese Kürzungen kaum einen Beitrag dazu, die Kommunalhaushalte zu sanieren; denn ob eine Kommune ihren Haushalt ausgleichen kann, hängt ganz wesentlich von der Entwicklung der Gewerbesteuer ab. Hier – das muss man sagen – hat sich die Lage für viele Kommunen endlich einigermaßen verbessert.

Es bleiben aber die Ergebnisse einer Kürzungspolitik, die vor allem wieder bei den Investitionen ansetzt. Wie die Hessische Landesregierung, die stolz verkündet, dass man die Investitionen senkt, haben es, über einen langen Zeitraum, auch die Kommunen gemacht. Faktisch hat sich in Hessen die Investitionsquote der Kommunen in den letzten 20 Jahren halbiert. Hier müsste das Land deutlich machen, dass mit dem Kommunalinvestitionsprogramm nicht wirklich eine Änderung eintritt; denn mit einem einmaligen, kleinen Programm – wie ich es einmal nenne – wird man sicherlich nicht das aufholen können, was in den letzten Jahren vernachlässigt wurde.

Ganz nebenbei: Dieses Kommunalinvestitionsprogramm ist auch ein Eingeständnis der Landesregierung, weshalb ich es in dieser Haushaltsdebatte erwähne. Es ist das Ein

geständnis, dass die Landesregierung bereit ist, Investitionen über Kredite zu finanzieren. An dieser Stelle bröckelt offensichtlich selbst bei Ihnen der Glaube an die Schuldenbremse. Das Ganze funktioniert so, dass es zwar die Kommunen sind, die die Kredite aufnehmen, die Tilgung und die Zinsen aber zu weiten Teilen vom Land getragen werden. Kurz gesagt: Diese Konstruktion unterscheidet sich kaum noch von einer Kreditaufnahme des Landes.

(Norbert Schmitt (SPD): Das hat der Kollege Kaufmann anscheinend nicht kapiert!)

Ja. – Ich nehme aber an, es wird zur Kenntnis genommen, dass man offenbar grundsätzlich bereit ist, Investitionen auch über Kredite zu finanzieren, so, wie das jeder vernünftige Häuslebauer tun würde. Ich bin auch gespannt darauf, wie die Beratungen in diesem Hause – wir werden morgen darüber diskutieren – weiter verlaufen.

Bei diesem Landeshaushalt ist jedenfalls einiges an Musik drin. Wir wissen noch nicht, wie viel Geld wir brauchen bzw. vom Bund bekommen, um Flüchtlinge zu integrieren. Wir sehen eine Landesregierung, die Investitionen kürzt und die Beamten für die Schuldenbremse bluten lässt, aber genug Geld hat, um den Geheimdienst des Landes weiter auszubauen. Die politischen Schwerpunkte, mit denen wir uns noch beschäftigen dürfen, geben jedenfalls einiges für eine spannende Beratung her. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Das heißt „Verfassungsschutz“, nicht „Geheimdienst“!)

Vielen Dank, Herr Kollege van Ooyen. – Als nächster Redner spricht der Kollege Hahn, FDP-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Einige Vorredner haben sich mit dem Thema Schuldenbremse auseinandergesetzt. Ich möchte das für die Freien Demokraten sehr bewusst an den Anfang meines Debattenbeitrags in der ersten Lesung des Entwurfs für den Haushaltsplan des Landes Hessen für das nächste Jahr setzen.

Wir machen uns schon seit Tagen – vielleicht schon seit Wochen – Gedanken darüber, wie man das wirklich fertigbringen kann bei einem Thema der Nachhaltigkeit, einem Thema der Generationengerechtigkeit und, worauf mehrere hingewiesen haben, einem Thema, bei dem 70 % unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger, übrigens nach einem, glaube ich, einstimmigen Beschluss des Hessischen Landtags, gesagt haben, wie ich es einmal sehr plakativ ausdrücken will

(Zurufe von den LINKEN: Nein, wir waren dage- gen!)

bei Gegenstimmen der LINKEN, danke, dass Sie sich dazu bekennen; ich kann mich auch noch erinnern, dass in der Kampagne der hessische Beamtenbund dagegen war –: Es ist jetzt einmal gut, dass ihr in der Politik über eure Verhältnisse lebt,

(Beifall bei der FDP)

es ist jetzt einmal gut, dass ihr mehr ausgebt, als ihr einnehmt, und es ist jetzt einmal gut, dass das, was ihr verfrühstückt, die nächste Generation durch Zins und Tilgung tragen muss.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wieso problematisiert man eigentlich wieder diese Frage? Das begann schon gestern in der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten. Dass die LINKEN das machen, ist konsequent. Es ist auch konsequent falsch. Es ist konsequent asozial, und es ist auch konsequent gegen den Generationenvertrag. Aber so sind die LINKEN eben. Das müssen wir einfach akzeptieren.

(Beifall bei der FDP – Zurufe von der LINKEN)

Als Sie das erste Mal in dieses Haus gekommen sind, habe ich Sie als damaliger Vorsitzender der FDP-Fraktion mit einem Zitat frei nach Voltaire begrüßt. Ich habe gesagt: Wir sind zu 100 % anderer Auffassung als Sie. Aber Sie haben das Recht, hier Ihre Meinung zu äußern. Dafür werden wir kämpfen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Hahn!)

Aber natürlich werden wir Ihnen auch sagen, dass Sie sich dort asozial verhalten, dass Sie sich gegen die Generationengerechtigkeit verhalten und dass Sie sich nicht nachhaltig verhalten, wenn Sie jetzt das Thema Schuldenbremse wieder aufbrechen und auf die Tagesordnung setzen. Aber lassen wir das beiseite. Sie können Ihren Erregungszustand wieder reduzieren; denn ich beschäftige mich überhaupt nicht weiter mit Ihnen.

Herr Kollege Hahn, es wurde eben angemerkt, dass „asozial“ der falsche Begriff ist. Vielleicht können Sie es in „unsozial“ abändern.

Ich möchte mich jetzt nicht darüber streiten. Aber wir können gern einmal in ein lateinisches oder griechisches Wörterbuch schauen. Dann werden Sie merken, dass das kein falsches Wort ist, sondern dass sich das aus diesen Sprachen genau so entwickelt hat. Aber auch da bin ich tiefenentspannt.

(Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Janine Wiss- ler (DIE LINKE))

Ich bin aber nicht tiefenentspannt, wenn ich mir vor Augen führe, dass der Hessische Ministerpräsident bereits gestern damit begonnen hat und der hessische Finanzminister es heute weiter problematisiert: Es könnte doch sein, dass wir, wenn dies und das und jenes eintritt, die Schuldenbremse aufbrechen müssen. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, nein, nein, nein, wir dürfen auf keinen Fall die Schuldenbremse aufbrechen.

(Beifall bei der FDP)

Wir sind verpflichtet dazu, und gerade das macht verantwortungsvolle Politik aus – das haben wir uns vorhin von Herrn Wagner anhören dürfen –, dass wir uns in guten wie in schlechten Zeiten gesetzeskonform und verfassungskonform verhalten. Was soll denn diese Nachfragerei, dieses

Problematisieren nach dem Motto: „Ja, aber das müssen wir uns doch einmal anschauen“?

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Der Finanzminister hat erklärt – wir hatten das schon gestern Abend in unseren elektronischen Fächern und konnten es nachlesen; ich war überrascht, als ich es gelesen habe –: Wenn nicht das und das und das, besteht die Gefahr, dass wir die Schuldenbremse aufbrechen müssen. – Nein, Herr Finanzminister, es ist Ihre Pflicht, dafür zu sorgen, und Sie haben vor diesem Haus einen Eid darauf geleistet, dass Sie sich an die Verfassung des Landes Hessen halten. Danach darf an der Schuldenbremse nicht herumgedoktert werden. Das ist Ihre Verantwortung.

(Beifall bei der FDP – Willi van Ooyen (DIE LIN- KE): Wir sind verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Menschen besser leben!)

Menschenrechte vor Schuldenbremse – was ist denn das für eine Argumentation?

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ja, aber hallo! Natürlich gehen Menschenrechte vor Schuldenbremse! Da geht es um Menschenleben!)

Das ist eine Mentalität nach dem Motto: Wir geben aus, ohne groß nachzudenken.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Frau Wissler, entspannen Sie sich. Ich bin überhaupt nicht bei Ihnen,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ja, das weiß ich!)

sondern bei den anderen in diesem Hause, die sich wenigstens dafür ausgesprochen haben, dass wir uns generationengerecht verhalten. Sie haben das nicht gemacht. Sie wollen einfach Geld drucken lassen, und Ihre Kinder und Enkelkinder können dann die Zeche zahlen.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Das ist kein liberaler und kein menschenwürdiger Ansatz. Deshalb machen wir das nicht.

(Beifall bei der FDP)

Also entspannen Sie sich. Aber wie kommt man auf die Idee, in einer Diskussion, die natürlich immer sehr – ich will einmal sagen – diplomatisch geführt werden muss,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Den Reichen das Geld hinterherwerfen, und dann noch von Gerechtigkeit reden!)

in die Menschheit hinauszurufen: „Hier gehen gerade Menschenrechte der Schuldenbremse vor“?

Warum heizen Sie eigentlich die politische Diskussion noch an? Wollen Sie da vielleicht noch irgendwie parteipolitisch ein Süppchen kochen, dass Sie das in dieser Formulierung „Menschenrechte vor Schuldenbremse“ so überhöhen? Die Kontrolle des Staats ist bei dem Thema Flüchtlinge vorhanden.

Kollege van Ooyen hat eben zitiert, wann man denn überhaupt von einem – ich nenne es jetzt einmal wieder nicht technisch – Notfall

(Norbert Schmitt (SPD): Notstand!)

Notstand, vielen Dank – reden darf. Da steht drin: Die Kontrolle des Staats über die Situation ist entzogen. – Mei

ne sehr verehrten Damen und Herren, ich will mich jetzt nicht lästerlich darüber äußern, weil die Diskussion viel zu wichtig ist und Florian Rentsch das für die Freien Demokraten gestern schon getan hat. Aber die Kontrolle über die Situation ist doch in keinster Weise dem Staat entzogen. Lassen Sie es sich einmal auf der Zunge zergehen, was da gesagt wird. Da könnten wir alle nach Hause gehen. Wenn wir mit solch einer schwierigen, trotzdem doch noch relativ einfachen Sache nicht mehr umgehen können, dann sollte sich Politik aber gemeinschaftlich nach Hause begeben, und wir sollten sagen, wir verzichten auf sämtliche Ansprüche – Rentenansprüche und Pensionsansprüche. Was für ein Bild wird denn in die Öffentlichkeit hinaus kommuniziert?

(Beifall bei der FDP)

Was soll denn das? Ich fasse es nicht, dass es auch Vertreter von GRÜNEN und Sozialdemokraten, der Ministerpräsident und der Finanzminister zugelassen haben, dass man diese Tür oder das Fenster zur Debatte aufmacht, wir könnten die Schuldenbremse doch umgehen müssen.

(Norbert Schmitt (SPD): Habe ich es nicht getan?)