Protokoll der Sitzung vom 24.09.2015

Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Das Wort hat der Abg. Dr. Wilken, DIE LINKE.

(Manfred Pentz (CDU): Völker, hört die Signale! – Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren im Plenum und auf der Zuschauertribüne! Sie haben für die Feier am übernächsten Wochenende ein sehr schönes Motto gewählt: „Grenzen überwinden“.

Leider geht Ihre Dankbarkeit nur nicht so weit, diesem Motto auch in der aktuellen Politik zu entsprechen. Wir führen diese Debatte heute an dem Tag, an dem Sie in einem Bund-Länder-Gipfel eine massive Verschärfung des Asylrechts beschließen werden. Verbesserungen im Bereich der Asylpolitik, die hart erkämpft wurden, sollen zunichtegemacht werden.

Statt der von Ihnen heute geplanten Verabredung wollen wir eine Solidarität, die eine Kritik an der deutschen und europäischen Asylpolitik und das unbedingte Einstehen für Bewegungsfreiheit für alle mit einschließt,

(Beifall bei der LINKEN)

unabhängig davon, weshalb sie ihr Heimatland verlassen.

Wir sollten gegen alle Machtverhältnisse ankämpfen, die dafür sorgen, dass eine Schere zwischen den hier Lebenden und den hier Ankommenden aufgemacht wird. Wir wollen ein Europa und eine Welt ohne Grenzen, in der alle frei entscheiden können, wohin sie gehen und wo sie bleiben, und nicht nur einige wenige, die durch ihre Staatsangehörigkeit privilegiert sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, real erleben wir doch gerade das Gegenteil Ihres schönen Mottos: Deutschland hat wie

der Grenzkontrollen eingeführt. In Europa werden Stacheldrahtzäume errichtet. Und das Mittelmeer ist längst zum Massengrab geworden. Wenn Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer ertrinken, dann sind das keine tragischen Unglücksfälle, sondern es ist die Folge der EU-Abschottungspolitik und der Aushöhlung des Asylrechts.

(Manfred Pentz (CDU): „Den Sozialismus in seinem Lauf...“! – Zuruf: Noch immer nicht in der Lage, etwas zur eigenen Geschichte zu sagen! – Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Es wird den Flüchtlingen so schwer wie möglich gemacht, europäischen Boden zu erreichen. Es gibt keine sicheren Fluchtwege, und die Seenotrettung wurde gekürzt.

Meine Damen und Herren, der 25. Jahrestag der deutschen Einheit ist auch für uns Anlass, sich anzuschauen, wie geeint Deutschland wirklich ist und welche Gräben es bis heute gibt. Noch immer gibt es zwischen Ost- und Westdeutschland große Unterschiede bei den Löhnen und Renten.

(Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Im Osten ist die Erwerbslosigkeit höher, die Menschen haben eine niedrigere Lebenserwartung und im Schnitt einen sehr viel geringeren Wohlstand.

(Zuruf von der CDU: Wie war es denn in der DDR? – Manfred Pentz (CDU): In der DDR war das sicherlich alles besser!)

Dafür florieren der Niedriglohnsektor und die Kinderarmut. Die Abwanderung junger und qualifizierter Menschen und der damit verbundene Rückgang der sozialen Infrastruktur stellen breite Landstriche vor große Probleme. Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse bleibt also gesamtdeutsche Aufgabe – auch 25 Jahre nach der Einheit.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU)

Wir können aber auch von den Erfahrungen der Ostdeutschen lernen. Bei der Nutzung erneuerbarer Energien liegt der Osten heute genauso vorne wie bei der frühkindlichen Bildung und dem Anteil vollzeiterwerbstätiger Frauen.

Meine Damen und Herren, es gibt gute Gründe, den Mauerfall und die Öffnung der innerdeutschen Grenze zu feiern. Dass man ungehindert und ohne Gefahren von Ost nach West reisen kann, ist heute eine Selbstverständlichkeit und bleibt eine wichtige Errungenschaft.

(Beifall bei der LINKEN – Manfred Pentz (CDU): Ah!)

Gerade in diesen Tagen zeigt sich aber in drastischer Art und Weise, dass es auch im Jahre 2015 noch viele Grenzen, Zäune und Mauern gibt, die eingerissen werden müssen.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU)

Es liegt an Ihnen und Ihrer Politik, dass Ihr schönes Motto bei sehr vielen Menschen als zynisch empfunden wird.

Ich möchte mit einem Zitat aus der „Zeit“ enden, wohl bekanntlich nicht gerade ein linksradikales Blatt. Ich zitiere:

Ein Teil der deutschen Bevölkerung schaut verbittert auf … diese opulente Jubelfeier, die sich nicht geniert in Zeiten europäischer Grenzabschottung unter Einsatz von militärischer Gewalt, angesichts rechtsradikaler Straftaten und rechtspopulistischer Anti

stimmung, angesichts eines weit verbreiteten Hasses von ost- und westdeutscher Bevölkerung gegeneinander und gegen alles Mögliche. Eine Jubelfeier also,

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- ten)

die sich angesichts all dieser Beispiele, die das Gegenteil von Integration und Einheit sind, erdreistet, schwarz-rot-goldene Ampelmännchen als Testimonials einer vorgeblich grenzenfreien Gesellschaft zu beklatschen.

So weit die „Zeit“.

(Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU) – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Ein letzter Satz, Herr Präsident. Wer das Motto „Grenzen überwinden“ ernst nimmt, der muss für eine Abkehr der Abschottungs- und Abschiebepraxis und eine humanitäre Flüchtlingspolitik eintreten – Sie tun das genaue Gegenteil. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN – Manfred Pentz (CDU): Das ist ja unglaublich! Eure letzte Feier war Blockupy!)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Staatsminister Beuth.

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- ten)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Wilken, es ist traurig, dass Sie eine Debatte über die deutsche Geschichte und über 25 Jahre deutsche Einheit derartig missbraucht haben, wie Sie es gerade getan haben.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lothar Quanz (SPD) – Janine Wissler (DIE LINKE): Frau Feldmayer hat doch auch etwas dazu gesagt!)

Aber ich muss sagen, ich verstehe das. Ich verstehe, dass Sie diese Debatte derartig missbraucht haben. Sie müssten sich bei dem Thema „25 Jahren deutsche Einheit“ ja mit Ihrer eigenen Geschichte, Ihrer eigenen Parteigeschichte auseinandersetzen.

(Manfred Pentz (CDU): So sieht es aus!)

DIE LINKE in direkter Nachfolge von SED und den Schergen des Regimes der DDR trägt eine große Schuld und große Verantwortung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU) – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Wenn Sie die Debatte angenommen hätten, hätten Sie sich auch mit genau dieser Geschichte auseinandersetzen müssen. Dem sind Sie entgangen durch den Missbrauch in Form Ihres Redebeitrags.

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- ten)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Motto der Aktuellen Stunde lautet: „25 Jahre deutsche Einheit – Hessen feiert in Dankbarkeit und großer Freude“.

Lassen Sie mich zunächst an das letzte Wort dieses Mottos anknüpfen, an die Freude.

Ja, wir haben allen Grund, uns darüber zu freuen, dass vor 25 Jahren die Teilung Deutschlands überwunden worden ist. Die Bürger der DDR haben das Unrechtsregime der SED, Stasi und Schießbefehl abgeschüttelt. „Wir sind das Volk“, „Wir sind ein Volk“, skandierten Tausende friedliche Demonstranten im Herbst 1989. Mit der Wiedervereinigung unseres Landes, mit dem Beitritt zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland bekamen die Menschen in den fünf neuen Ländern die Chance auf ein Leben in Freiheit, auf ein Leben in einem demokratischen Rechtsstaat. Sie bekamen die Chance auf Wohlstand und auf soziale Sicherheit.

Die Freude, die wir in der Rückschau auf den Fall der Mauer im Jahr 1989 und auf die Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 empfinden, darf ungeteilt sein. Der tief greifende Wandel in der ehemaligen DDR und im ehemaligen Ostblock ist friedlich verlaufen. Die Geschichte lehrt, dass dies alles andere als selbstverständlich war. Wir verdanken das den Menschen, die gegen das Regime aufgestanden sind und die damit den friedlichen Wandel, die friedliche Revolution auslösten. Wir verdanken es ihrem Mut. Es war nämlich nicht klar – ich nehme das Bild von Lothar Quanz gerne auf –, ob sich die Kerzen am Ende gegen die vielfach vorhandenen Waffen durchsetzen würden.

Wir verdanken es gleichzeitig dem besonnen Handeln der damals Verantwortung tragenden Politiker. Aus deutscher Sicht nenne ich in diesem Zusammenhang vor allem den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, den Kanzler der Einheit. Das Ende der Teilung Deutschlands, Europas und der Welt ist fest mit seinem Namen verbunden. Mit HansDietrich Genscher und mit Willy Brandt nenne ich beispielhaft und stellvertretend für viele zwei andere herausragende Persönlichkeiten, die in diesen Tagen gewirkt haben. Mit dem Satz „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“, damals am 10. November vor dem Schöneberger Rathaus, hat Willy Brandt die Zeitenwende, wie ich finde, sehr treffend zusammengefasst.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich will nun auch den zweiten Begriff aus dem Motto, die Dankbarkeit, noch ein wenig erörtern.