Protokoll der Sitzung vom 26.11.2015

(Janine Wissler (DIE LINKE): Was? Die Quelle hätte ich gern einmal genannt!)

Man äußerte sich schon frühzeitig medienwirksam, signalisierte volle Kooperationsbereitschaft und bereitete die notwendigen Schritte für eine Stilllegung vor. Zu keinem Zeitpunkt wurden rechtliche Bedenken geäußert.

Meine Damen und Herren, die EVU wurden doch nicht lahmgelegt. Sie haben in der Folgezeit anderen Strom verkauft und damit Erlöse erzielt; der Strompreis ist sogar gestiegen. In Hessen hat RWE selbst entschieden, die Stromproduktion in Biblis nicht wieder aufzunehmen, und teilweise hätte man es auch gar nicht gekonnt. Aus eigenem Verschulden hätte Biblis B damals nach der Revision erst wieder Anfang 2012 ans Netz gehen können,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

und die technisch bedingten Nachrüstungskosten beider Blöcke wären höher gewesen als die jetzt in Rede stehenden 235 Millionen €. Diese Nachrüstung, von der ich eben sprach, hatte nichts mit Fukushima zu tun. Diese Aufgaben standen vorher schon an.

Meine Damen und Herren, jeder kennt es doch aus dem eigenen Haushalt:

(Timon Gremmels (SPD): Ich habe kein Kernkraftwerk bei mir zu Hause!)

Wenn ein Schadenereignis eintritt, greift sofort die Schadensminderungspflicht. Man hat alles zu tun, um den Schaden zu begrenzen. Nichts, aber auch gar nichts haben die EVU damals in dieser Hinsicht unternommen, vielleicht aus Angst vor der eigenen Courage, vielleicht aber auch aus Furcht vor dem Zorn der Verbraucher, die der Kernenergie den Rücken kehren wollten.

Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die Bundesregierung hatte das Moratorium am 12. März ohne Beteiligung der Länder bereits beschlossen. Der Bund hat die Sachkompetenz übernommen und einen einheitlichen Vollzug bestimmt.

(Beifall bei der CDU – Janine Wissler (DIE LIN- KE): Solche Bewertungen verbieten sich doch, solange der Untersuchungsausschuss noch nicht fertig ist!)

Die Länder haben es im Auftrag des Bundes alle in gleicher Weise umgesetzt, und die EVU haben dies akzeptiert.

In dieser Frage sollten wir in Hessen an einem Strang ziehen, auch um unsere Rechtsposition gegenüber den EVU nicht zu schmälern.

(Norbert Schmitt (SPD): Gegenüber dem Bund!)

Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Bellino. Ich stelle fest: Trotz der Unterbrechung war das sehr diszipliniert und innerhalb der Redezeit. – Nächste Wortmeldung, Herr Kollege Rock für die Freien Demokraten.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Als ich den Setzpunkt der LINKEN gesehen habe, wusste ich zunächst gar nicht, was ich zehn Minuten lang zu dem Antrag sagen soll. Denn die Auswertung kommt erst noch; wir sind noch nicht fertig. Vielleicht kommen weitere Zeugen hinzu. Ich war also darüber irritiert, was denn die Zielrichtung des Antrages sein soll. In der Debatte ist mir langsam klar geworden, in welche Richtung es sich hier entwickelt: Es geht darum, was Ministerpräsident Bouffier zu den Äußerungen von Frau Merkel sagt. Der für seine einfühlsame Rhetorik bekannte Kollege Schmitt

(Lachen des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

hat ja beschrieben, dass es einen Dissens zwischen den Aussagen von Frau Merkel, Herrn Röttgen und – jetzt fällt mir der Name des Mitarbeiters, der dabei war, nicht mehr ein

(Zurufe: Hennenhöfer!)

Hennenhöfer im Untersuchungsausschuss und dem, was der Ministerpräsident bei uns zu Protokoll gegeben hat, gibt.

Da gibt es einen klaren Dissens. Ich vermute, die Zielrichtung des Antrags ist, das aufzuklären. Das wäre legitim, und das wäre für uns alle sehr interessant, auch bei der Frage der Auswahl weiterer Zeugen. Wenn der Ministerpräsident sagen würde: „Frau Merkel hat das richtig in Erinne

rung, dass das Thema Schadenersatz überhaupt keine Rolle gespielt hat, ich habe das aus irgendeinem Grund falsch in Erinnerung“, wäre der Dissens schnell aufgelöst.

Wenn der Herr Ministerpräsident aber nicht als Märchenerzähler dastehen will, jedenfalls nicht als jemand, der irgendetwas völlig aus der Luft Gegriffenes erzählt und im Untersuchungsausschuss auch zu Protokoll gegeben hat, dann ist natürlich die Frage: Muss man die anderen Teilnehmer dieser Sitzung noch vorladen und sich einen Überblick verschaffen, ob alle, die dabei waren, die gleiche Erinnerung haben wie die – zumindest im Interesse verbundenen – Kollegen von der Bundesebene? Das wäre schon interessant bei der Frage, wie man mit dem Ausschuss weiter umgeht. Vielleicht erfahren wir ja im Nachgang zu dem Setzpunkt irgendetwas aus den Medien. Das könnte für uns ganz interessant sein.

Alles andere, was wir bis jetzt im Untersuchungsausschuss herausgefunden haben, war schon nach den ersten Sitzungen keine völlige Überraschung mehr. Frau Puttrich hat erklärt, sie habe das alles entschieden – auch wenn sie sich in den wichtigen Stunden ins Flugzeug gesetzt und irgendwohin geflogen ist. Aber sie hat zumindest die Verantwortung für die Entscheidung übernommen. Der Ministerpräsident habe damit nichts zu tun, hat Frau Puttrich gesagt. Nach mehrmaligem Nachfragen ist von Herrn Bellino zu Recht ausgeführt worden: Richtig spannend wird es, wenn es über die bis jetzt entstandenen Kosten hinaus noch zu großen Nachzahlungen kommt. – Für den Steuerzahler ist es übrigens irrelevant – wenngleich natürlich ärgerlich –, ob das aus Steuermitteln von Berlin oder von Wiesbaden aus bezahlt wird. Aber für uns im Hessischen Landtag ist das natürlich nicht irrelevant. Von daher gesehen, ist es nicht unerheblich.

Der Untersuchungsausschuss hat aber herausgearbeitet, dass zwischen den Verwaltungsebenen in Berlin und in Wiesbaden ein schon nicht mehr nachvollziehbares Aneinander-Vorbeireden, -schreiben und -telefonieren stattgefunden hat. Wir haben von den Rechtskundigen den Hinweis bekommen, dass es, wenn beide Seiten sagen, es habe keine Abwägung stattgefunden, für den, der gegen die Verwaltungsentscheidung klagt, vor Gericht natürlich relativ einfach wird. Wenn niemand abgewogen hat, hat man schlechte Chancen, gegen den Kläger zu bestehen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Wenn man sich auf der Verwaltungsebene so seltsam verhält, ist es natürlich zwingend, dass am Ende RWE gewinnt.

Der Untersuchungsausschuss hat aber noch mehr zutage gefördert. Es war zumindest für mich, der als Abgeordneter dem Hause noch nicht so lange angehört, schon interessant, dass man, statt die Genehmigungsbehörde anzuschreiben und zu erklären, dass man sein Kraftwerk wieder anlaufen lassen möchte, einen Brief an die Staatskanzlei richtet. Das hat mit klassischem Verwaltungshandeln nichts zu tun. Eine interessante Erkenntnis war auch, zu erfahren, dass sich der Staatsminister im Bundeskanzleramt in Privathäusern von Vorstandsvorsitzenden eingefunden hat, um über die Auswirkungen der Abschaltung der Atomkraftwerke und über die Netzstabilität zu diskutieren. Frau Merkel hat uns gesagt, sie habe davon nichts gewusst. Von daher ist es natürlich schwer, an der Stelle einen neuen Strang aufzumachen und das genau zu erkunden.

Dass es sich bei alldem aber um klassisches Verwaltungshandeln gehandelt hat, kann man wohl ausschließen, wobei man immer wieder sagen muss – da hat Herr Bellino recht –, dass wir in einer besonderen Situation waren, wo man kein klassisches Verwaltungshandeln erwarten konnte. Warum es aber im Nachgang nicht zu einem klassischen Verwaltungshandeln gekommen ist, warum man die Anhörung nicht nachgeholt hat, warum man im Nachgang die Verantwortlichkeiten nicht geklärt hat, bevor es zu einem Rechtsstreit kommt, den man gegebenenfalls verliert, die Fragen stellen sich schon.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Für uns ist es sehr bedauerlich, dass womöglich noch große Kosten auf uns alle zukommen. Ich glaube aber, man darf das Ergebnis des Untersuchungsausschusses nicht vorwegnehmen. Es wäre interessant gewesen, zu erfahren, wie Volker Bouffier zu den Ausführungen von Angela Merkel steht, die immerhin an dem Tag und in dieser Phase diejenige im Raum war, die die größte Sachkenntnis bezüglich dieses Vorgang hatte. Angela Merkel war nämlich fünf Jahre lang Fachministerin im Bund.

(Timon Gremmels (SPD): Und sie ist Physikerin!)

Das auch. – Sie hatte jedenfalls jede Menge Verfahrenskenntnisse, weil sie ja mit Bundesländern zu tun hatte, die der Atomenergie nicht sehr positiv gegenüberstanden, und sehr wohl wusste, was Weisungen sind und wie man mit den Bundesländern umgeht. Sie war wahrscheinlich deutlich intensiver mit dem Thema befasst als der erst seit zwei Jahren im Amt befindliche Norbert Röttgen, der damals vorgetragen hat. Dass das alles dazu beigetragen hat, an dem Tag nicht über einen Schadenersatz zu sprechen, kann man intellektuell schon hinterfragen. Es wäre aber erst einmal an dem Herrn Ministerpräsidenten, zu erklären, ob er bei seiner Aussage bleibt, oder nicht. Wenn er nämlich dabei bleibt, dann müssten wir im Interesse des Landes Hessen womöglich nachfassen, ob andere Teilnehmer an der Sitzung andere oder die gleichen Erinnerungen haben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Weitere Wortmeldungen habe ich nicht. Spricht jemand für die Regierung? – Das ist offensichtlich nicht der Fall.

(Timon Gremmels (SPD): Die Regierung ist sprachlos! Auch das sagt etwas aus!)

Damit sind wir am Ende der Aussprache zu diesen Tagesordnungspunkten.

Wir stimmen zunächst über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE betreffend rechtsfehlerhaftes AtomMoratorium – sich widersprechende Aussagen von Ministerpräsident Bouffier und Bundeskanzlerin Merkel, Drucks. 19/2650, ab. Wer diesem Entschließungsantrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag mit der Mehrheit von CDU, GRÜNEN und Freien Demokraten gegen die Stimmen von SPD und LINKEN abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Respekt vor der Arbeit eines laufenden Untersuchungsausschusses, Drucks. 19/2692. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der restlichen Fraktionen angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 80, Tagesordnungspunkt 49, Tagesordnungspunkt 82, Tagesordnungspunkt 85 und Tagesordnungspunkt 86 auf:

Antrag der Fraktion der FDP betreffend richtigen Schutzstatus für Bürgerkriegsflüchtlinge eröffnen – Familiennachzug vernünftig regeln – qualifizierte Zuwanderung ermöglichen – Drucks. 19/2678 –

Antrag der Fraktion der FDP betreffend Sprachinitiative für Flüchtlinge – Drucks. 19/2513 –

Dringlicher Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend keine Abschiebungen nach Afghanistan – Drucks. 19/2681 –

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Solidarität mit Flüchtlingen – Maßnahmen umsetzen – Drucks. 19/2703 –

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend sorgfältige Einzelfallprüfung auch für Flüchtlinge aus Afghanistan – Drucks. 19/2704 –

Das ist der Setzpunkt der Fraktion der FDP. Redezeit: zehn Minuten je Fraktion. Das Wort hat zunächst Herr Kollege Rentsch für die Fraktion der Freien Demokraten.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Flüchtlingskrise, die Zuwanderungskrise, über die wir zurzeit in Deutschland diskutieren, ist mit Sicherheit eine der größten Herausforderungen, die sich diesem Land in den letzten Jahrzehnten gestellt hat. Insofern glaube ich, wir alle haben ein Interesse daran, dass schnell gehandelt wird, um die Situation zu verbessern.

(Vizepräsidentin Ursula Hammann übernimmt den Vorsitz.)

Klar ist, dass mit 1 Million Flüchtlingen, die in diesem Jahr nach Schätzungen des heutigen Tages nach Deutschland kommen werden, die Belastungsgrenzen der öffentlichen Hand – derjenigen, die dieses politisch organisierte Staatsversagen an vielen Stellen kompensieren; auch die vielen Ehrenamtlichen – erreicht werden, dass diese Situation also eine Belastungsprobe ist, die den Staat an die Grenzen seiner Handlungsfähigkeit bringt.