Protokoll der Sitzung vom 26.11.2015

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das Parlament hat den Verfassungsauftrag, die Regierung zu kontrollieren, und die Aufklärung der NSU-Morde sowie der skandalösen Rolle der Behörden ist von hoher Bedeutung. Diese Aufklärung wird aber durch Hunderte von Schwärzungen verhindert, weil man die Akten teilweise überhaupt nicht lesen kann. Oft sind die Schwärzungen sogar überhaupt nicht begründet. An anderen Stellen fehlen viele Seiten – ohne ein Wort der Begründung. Nur, um das der Landesregierung gegenüber nochmals klarzustellen: Für den Schutz des Staatswohls sind Regierung und Parlament gemeinsam verantwortlich.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Ab- geordneten der FDP)

Wenn Sie das nicht glauben, dann lesen Sie das Flick-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Deshalb: Es kann nicht sein, dass die Regierung begründungslos Akten in einem Fall schwärzt, in dem die Regierung zu kontrollieren ist. Diese Schwärzungen macht insbesondere das Landesamt für Verfassungsschutz. Wenn es aber eine Behörde gibt, bei der ich große Zweifel habe, ob sie in der Causa NSU das Staatswohl oder nicht eher sich selbst schützen will, dann ist es das Landesamt für Verfassungsschutz.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, es ist absurd, dass ausgerechnet die Behörde, die sich durch das unerträgliche Verhalten ihrer Mitarbeiter in der Sache NSU zum Hauptuntersuchungsgegenstand des Ausschusses gemacht hat, nun auf derartige Art und Weise versucht, die parlamentarische Kontrolle zu begrenzen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Ab- geordneten der FDP)

Zur Aufklärung des NSU-Komplexes und der Rolle der Geheimdienste gibt es diesen Untersuchungsausschuss, und um diese Aufklärung zu ermöglichen, sind ungeschwärzte Akten erforderlich. Tatsächlich schützenswerte Informationen wie die Identität bestimmter Personen sind durch die VS-Einstufung hinreichend geschützt.

Nun ist es ja so, dass die CDU letzte Woche gegenüber der Presse behauptet hat, alle Akten zum NSU-Untersuchungsausschuss seien einsehbar, und in keinem anderen Bundesland würde den Abgeordneten ein so weitreichender Zugang zu Dokumenten erlaubt wie in Hessen.

Meine Damen und Herren, das ist absoluter Unfug. Herr Bellino, wenn Sie sich einmal die Mühe machen würden, in den Aktenleseraum zu gehen und eine Akte zur Hand zu nehmen,

(Holger Bellino (CDU): Das mache ich schon! Ich war schon drin, mein lieber Freund!)

dann wüssten Sie das. Der von CDU und GRÜNEN am Montag um 20:45 Uhr im Untersuchungsausschuss vorge

legte Vorschlag ist keine Grundlage für eine einvernehmliche Lösung. Er ist der Versuch der öffentlichen Verschleierung, der Destruktion durch die Koalitionsfraktionen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unglaublich!)

Ich möchte das Problem, über das wir reden, einmal etwas quantifizieren, damit Sie auch erfassen können, worum es geht

(Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Frau Dorn, hören Sie einmal zu –: Von den ca. 750 Aktenordnern, die der Ausschuss nach langer Wartezeit endlich bekommen hat, sind 222 vertraulich oder geheim. Ich habe mir einmal zehn exemplarisch herausgenommen; das waren insgesamt 3.629 Seiten. Von diesen waren insgesamt 508 Seiten „Fehlblätter“, also komplett leere Seiten, die noch nachgeleifert werden sollen. Von den übrigen 3.121 Seiten enthalten 362 Seiten Schwärzungen. Das muss man sich einmal vorstellen, meine Damen und Herren: Knapp 20 % Fehlblätter und über 10 % Schwärzungen. Versuchen Sie einmal ein Buch zu lesen, in dem 20 % der Seiten leer sind und 10 % geschwärzt, und zwar immer an den spannendsten Stellen. Ich will wissen, zu welchem Ergebnis Sie dann kommen und wie Sie dieses Buch lesen können.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Wir haben beantragt, dem Ausschuss unverzüglich alle Akten ungeschwärzt und vollständig zu geben.

(Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben doch einen Vorschlag auf dem Tisch!)

Eventuelle Schwärzungen müssen zwingend schriftlich und nachvollziehbar begründet werden. Der nun von CDU und GRÜNEN gemachte Verfahrensvorschlag ist hingegen völlig unpraktikabel. Jeder Abgeordnete soll persönlich wegen jeder einzelnen Schwärzung einen Termin mit Verfassungsschutzmitarbeitern machen und mit ihnen dann jedes einzelne Blatt in Hunderten von Ordnern durchgehen. Wenn ich dann das Entschwärzen verlange, muss ich das schriftlich machen, und der gesamte Ausschuss muss über jede einzelne Schwärzung diskutieren und entscheiden. Das ist doch wegen der Masse überhaupt nicht handelbar.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Überhaupt nicht!)

Das wissen Sie auch; das ist Ihr Vorschlag, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Das ist total falsch!)

Das ist das, was Sie vorgeschlagen haben.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Herr Bellino, der Ausschuss und die Fraktionen haben Mitarbeiter zur Seite gestellt bekommen, deren Aufgabe es unter anderem ist, die Akten zu lesen und juristische Einschätzungen, z. B. zu Schwärzungen, vorzunehmen. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind extra sicherheitsüberprüft. Es besteht überhaupt kein sachlicher Grund, diesen Personen die Einsicht in die Akten zu verwehren, au

ßer man möchte die Aufklärungsarbeit der Fraktionen behindern. Darauf läuft es ja hinaus.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Nebenbei bemerkt, haben die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, die es hier zu kontrollieren gilt, Zugang zu allen Akten, ungeschwärzt. Meine Damen und Herren, eine Behörde steht nicht über dem Parlament.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Die einzige mögliche Begründung für Ihr Verhalten ist, dass Sie die Aufklärungsarbeit verhindern wollen. Dazu sage ich ganz klar: Meine Damen und Herren, das wird Ihnen nicht gelingen.

(Beifall bei der LINKEN)

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal feststellen: Mir fällt kaum etwas ein, was dem Staatswohl mehr schaden würde, als wenn wir diesen NSU-Komplex nicht vernünftig aufklären würden.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Hören Sie deshalb auf, das Staatswohl pauschal als Trumpf für Schwärzungen zu nennen. Tragen Sie zur Aufklärung bei und liefern Sie endlich die Akten – ungeschwärzt.

(Beifall bei der LINKEN und der FDP)

Vielen Dank, Herr Schaus. – Das Wort hat Herr Abg. Frömmrich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Thema, dieser Ausschuss und dieser Komplex, mit dem wir uns beschäftigen, und eine solch kleinkarierte, parteipolitisch motivierte Rede, das ist unglaublich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich bin sehr dafür, dass wir die Probleme offen ansprechen und dass wir versuchen, Lösungen zu finden. Hier aber den kleinkarierten parteipolitischen Geländegewinn in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen, das finde ich unglaublich. Ich sage es noch einmal.

Ich finde es sehr bedauerlich, dass wir dieses wichtige Verfahren im Umgang mit den Akten des Untersuchungsausschusses 19/2 im Plenum des Hessischen Landtags in solch konfrontativer Art diskutieren. Es wird der Sache und dem Aufklärungsinteresse einerseits, aber auch dem Umgang mit Geheimschutzinteressen andererseits in keiner Weise gerecht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nach der vergangenen Sitzung im Untersuchungsausschuss auf einem guten Weg waren, eine Lösung zu finden. Ich bin überzeugt, dass wir für diesen wichtigen Komplex – es ist ein wichtiges Thema – eine richtige Lösung finden werden.

Es ging gar nicht um Angebote, die wir gemacht haben. Es war ein Vorschlag unsererseits, über den in dieser Sitzung offen geredet werden sollte. Wir haben nicht einen Tag vorher ein Zeitungsinterview gegeben und dann nichts vorgelegt, sondern wir sind in die Sitzung gegangen und haben einen Vorschlag auf den Tisch gelegt. Das hätte ich mir von den anderen auch gewünscht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Ich habe am Montag schon nicht verstanden, warum die SPD das Thema „Umgang mit Schwärzungen“ zum Setzpunkt angemeldet hat, obwohl wir im Ausschuss noch über dieses Thema beraten wollten. Warum haben Sie eigentlich nicht die Ausschussberatungen abgewartet?

Ist nicht immer der von Ihnen postulierte Weg der Zusammenarbeit das gemeinsame Aufklärungsinteresse über Parteigrenzen hinweg? Das ist nicht das, was die Praxis ist. Das haben wir gerade auch in den Reden gehört. Ich würde mir wünschen, dass die Reden, die immer in die Kameras gehalten werden, nach dem Motto „Gemeinsamkeit, Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg“, auch eingehalten würden, wenn die Türen geschlossen sind und im Untersuchungsausschuss gearbeitet wird. Das würde ich mir wirklich wünschen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Hermann Schaus (DIE LINKE): Herr Frömmrich, das würde ich mir gerade von Ihnen wünschen!)

Ich würde mir wünschen, dass die auftretenden Probleme gemeinsam gelöst würden.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So viel Selbstkritik habe ich von Ihnen noch nie gehört! – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das ist Heuchelei!)